Urteil des BAG vom 18.04.2012

BAG: eugh, mindestlohn, gegenleistung, leistung des arbeitgebers, tarifvertrag, kommission, erfüllung, unternehmen, arbeitsbedingungen, stundenlohn

BUNDESARBEITSGERICHT Entscheidung vom 18.4.2012, 4 AZR
168/10 (A)
Anrechnung von Arbeitgeberleistungen auf den tariflichen Mindestlohn
Leitsätze
1. Eine vom Arbeitgeber aufgrund eines von ihm angewandten Haustarifvertrages erbrachte
"Einmalzahlung", die die Funktion der Überbrückung bis zum späteren Inkrafttreten einer
linearen tabellenwirksamen Lohnerhöhung hat, ist aufgrund ihres Zwecks grundsätzlich auf den
Mindestlohnanspruch eines Arbeitnehmers aus einem allgemeinverbindlichen
Verbandstarifvertrag anzurechnen.
2. Eine vom Arbeitgeber aufgrund des von ihm angewandten Haustarifvertrages erbrachte
"vermögenswirksame Leistung" iSd. Fünften VermBG ist nicht auf den tariflichen
Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers anzurechnen, da ihr Zweck der langfristigen
Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand nicht funktional gleichwertig mit dem Zweck des
Mindestlohns ist.
3. Dem EuGH wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob diese Auslegung mit der
Auslegung des Begriffs "Mindestlohnsätze" in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der Richtlinie
96/71/EG vereinbar ist.
Tenor
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 des
Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist der Begriff „Mindestlohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c)
der Richtlinie 96/71/EG dahin auszulegen, dass er die Gegenleistung des
Arbeitgebers für diejenige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bezeichnet,
die nach der in Art. 3 Abs. 1 Eingangssatz der Richtlinie genannten
Rechts- oder Verwaltungsvorschrift oder dem allgemeinverbindlichen
Tarifvertrag allein und vollständig mit dem tariflichen Mindestlohn
abgegolten werden soll („Normalleistung“), und deshalb nur
Arbeitgeberleistungen auf die Verpflichtung zur Zahlung des
Mindestlohnsatzes angerechnet werden können, die diese
Normalleistung entgelten und spätestens zu dem Fälligkeitstermin für den
jeweiligen Lohnzahlungszeitraum dem Arbeitnehmer zur Verfügung
stehen müssen?
2. Ist der Begriff „Mindestlohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c)
der Richtlinie 96/71/EG dahin auszulegen, dass er nationalen
Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen
Leistungen eines Arbeitgebers nicht als Bestandteil des Mindestlohns
anzusehen und damit nicht auf die Erfüllung des Mindestlohnanspruchs
anzurechnen sind, wenn der Arbeitgeber diese Leistungen aufgrund einer
tarifvertraglichen Verpflichtung erbringt,
- die nach dem Willen der Tarifvertragsparteien und des nationalen
Gesetzgebers dazu bestimmt sind, der Bildung von Vermögen in
Arbeitnehmerhand zu dienen,
und zu diesem Zweck
- die monatlichen Leistungen vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer
langfristig angelegt werden, zum Beispiel als Sparbeitrag, als Beitrag zum
Bau oder Erwerb eines Wohngebäudes oder als Beitrag zu einer
Kapitallebensversicherung, und
- mit staatlichen Zuschüssen und Steuervergünstigungen gefördert
werden, und
- der Arbeitnehmer erst nach einer mehrjährigen Frist über diese Beiträge
verfügen kann, und
- die Höhe der Beiträge als monatlicher Festbetrag allein von der
vereinbarten Arbeitszeit, nicht jedoch von der Arbeitsvergütung abhängt
(„vermögenswirksame Leistungen“)?
II. Das Verfahren wird ausgesetzt.
Gründe
A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens
Das Ausgangsverfahren betrifft ua. die Frage, welche Leistungen eines Arbeitgebers an
einen Arbeitnehmer für die Erfüllung von dessen Anspruch auf den Mindestlohn nach
einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag anzurechnen sind, wenn dieser im Falle der
Entsendung eines Arbeitnehmers durch einen ausländischen Arbeitgeber, der seinen Sitz
in einem Mitgliedstaat der EU hat, auch auf dieses Arbeitsverhältnis anzuwenden wäre. In
diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage nach der unionsrechtlichen
Auslegung des Begriffs „Mindestlohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der
Richtlinie 96/71/EG.
B. Rechtlicher Rahmen
1. Unionsrecht
Nach der achtzehnten Begründungserwägung der Richtlinie 96/71/EG vom 16. Dezember
1996 (Entsende-Richtlinie - Richtlinie 96/71/EG) sollte der Grundsatz eingehalten werden,
dass außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen nicht besser gestellt werden
dürfen als Unternehmen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.
3
3 In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71/EG heißt es:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß unabhängig von dem auf das jeweilige
Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten
Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der
nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren,
die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
- durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im
Sinne des Absatzes 8, …
festgelegt sind:
...
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die
zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;
Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte
Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des
Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.“
2. Nationales Recht
In der Bundesrepublik Deutschland war in dem im vorliegenden Fall streitigen Zeitraum
vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2008 das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen
bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen - Arbeitnehmer-Entsendegesetz - (in der
Fassung vom 25. April 2007 und am 1. Juli 2007 in Kraft getreten - AEntG 2007) die
Rechtsgrundlage für die Erstreckung allgemeiner Arbeitsbedingungen auf
Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat
und seinen in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern. Das
AEntG 2007 war darauf gerichtet, die Entsende-Richtlinie und die nachfolgenden
Änderungen des Unionsrechts (zB die Dienstleistungs-Richtlinie - Richtlinie 2006/123/EG
vom 12. Dezember 2006) in nationales Recht umzusetzen.
5 Nach der Konzeption des nationalen Gesetzgebers gab es zwei verschiedene Wege,
tarifrechtliche Regelungen, die aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung nach dem
Tarifvertragsgesetz (TVG) für alle innerdeutschen Arbeitsverhältnisse zwingend gelten,
auch für ausländische Arbeitgeber für Entsendetatbestände verbindlich zu machen:
-
Zum einen wurden in den im AEntG 2007 aufgenommenen Branchen
(Bauhauptgewerbe, Baunebengewerbe, Gebäudereinigerhandwerk) bereits
bestehende und nach dem TVG allgemeinverbindliche Tarifverträge mit ihren
Vorschriften über Mindestentgeltsätze, Überstundensätze und
Urlaubsregelungen mit dem AEntG 2007 auf ausländische Arbeitsverhältnisse
erstreckt (§ 1 Abs. 1 AEntG 2007). Diese Erstreckung setzte jedoch einen
bereits nach dem TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag voraus.
-
Zum anderen bestand auch die Möglichkeit zum Erlass einer
Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, mit
der die entsprechenden Regelungsbereiche eines Tarifvertrages, der nicht
bereits nach dem TVG allgemeinverbindlich war und damit auch nicht für alle
innerstaatlichen Arbeitsverhältnisse eine allgemeine zwingende Wirkung
hatte, auf Antrag einer Tarifvertragspartei für alle, also sowohl für
innerstaatliche als auch für ausländische Arbeitsverhältnisse in
Entsendefällen als staatliches Recht mit zwingender Wirkung ausgestattet
werden konnten (§ 1 Abs. 3a AEntG 2007).
C. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
1. Der Kläger ist seit dem 1. Januar 2004 als Hallenreiniger bei der Beklagten beschäftigt.
Die Beklagte ist ein Teil des Konzerns der Deutschen Bahn AG (DB-Konzern) und erbringt
Dienstleistungen in deren Bereich.
7 a) Die Unternehmen des DB-Konzerns haben mit der Gewerkschaft der Eisenbahner
Deutschlands (Transnet) und der Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter und
Anwärter (GDBA) zahlreiche Tarifverträge vereinbart. Diese werden von der Beklagten auf
die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer angewandt, unabhängig
davon, ob diese selbst Mitglied einer tarifschließenden Gewerkschaft sind. Zu diesen
Tarifverträgen gehört ua. der Entgeltrahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer verschiedener
Gesellschaften des Geschäftsfelds Services im UB Dienstleistungen (ERTV DB Services)
vom 16. Dezember 2003. Dieser sieht Rahmenregelungen für die
Entgeltzahlungsverpflichtungen dieser Gesellschaften vor. In § 4 ERTV DB Services ist
die Verpflichtung zur Zahlung einer „vermögenswirksamen Leistung“ vorgesehen, die für
einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer monatlich 13,29 Euro beträgt. Für
teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer besteht ein Anspruch in anteiliger Höhe entsprechend
ihrer Arbeitszeit. Im Zusammenhang mit dem Fünften Vermögensbildungsgesetz vom
4. März 1994 (Fünftes VermBG) ist geregelt, dass es sich dabei um Geldleistungen
handelt, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer anlegt. Die in § 2 Fünftes VermBG
geregelten Anlageformen sind zum Beispiel ein Sparvertrag über Wertpapiere oder andere
Vermögensbeteiligungen, Aufwendungen eines Arbeitnehmers zum Bau, zum Erwerb,
zum Ausbau oder zur Erweiterung eines im Inland belegenen Wohngebäudes oder einer
entsprechenden Eigentumswohnung sowie Leistungen eines Arbeitnehmers aufgrund
eines Spar- oder Kapitallebensversicherungsvertrages, jeweils nach Maßgabe weiterer
gesetzlicher Bestimmungen. Dabei kann der Arbeitnehmer erst nach einer - je nach
Anlageform unterschiedlich ausgestalteten - mehrjährigen Sperrfrist über die Leistungen
verfügen. Die vermögenswirksamen Leistungen werden in bestimmten Anlageformen
staatlicherseits mit einer sog. Arbeitnehmer-Sparzulage in Höhe von 20 Prozent gefördert,
wenn bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden. Für Anlagen zum
Wohnungsbau werden neun Prozent Zuschuss geleistet. Nach dem ERTV DB Services ist
ein Wahlrecht zwischen der vermögenswirksamen Anlage und einer Barauszahlung
ausgeschlossen. Der Anspruch auf die vermögenswirksame Leistung ist nicht übertragbar.
8 Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien wird ferner der Entgelttarifvertrag für die
Arbeitnehmer und Auszubildenden der DB Services Nord GmbH (ETV DB Services Nord)
vom 16. Dezember 2004 angewandt, in dem insbesondere die „Lohntabellen für
gewerbliche Arbeitnehmer des Bereichs Gebäude- und Verkehrsdienste“ aufgeführt sind,
in denen die tariflich vereinbarten Stundenlöhne festgehalten sind. Dieser Tarifvertrag war
ursprünglich zum 30. Juni 2007 gekündigt worden. Im Rahmen von Tarifverhandlungen
einigten sich die Tarifvertragsparteien dann auf eine Wiederinkraftsetzung des
Entgelttarifvertrages DB Services Nord mit folgenden Änderungen: Die Tabellenlöhne mit
Stand vom 30. Juni 2007 sollten bis zum 31. März 2008 unverändert fortgelten und sich mit
Wirkung ab 1. April 2008 um 4,5 Prozent erhöhen. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis
zum 31. März 2008 sollten zwei Zahlungen an die Arbeitnehmer erfolgen, die als
„Erhöhung der Ergebnisbeteiligung“ in Höhe von 600,00 Euro mit der Entgeltzahlung für
August 2007 und als „Konjunkturbedingte Sonderzahlung“ in Höhe von 150,00 Euro mit
der Entgeltzahlung für Januar 2008 geleistet wurden. Den Arbeitnehmern wurde unter
Einbeziehung der vereinbarten Erhöhung der Tabellenentgelte für den Gesamtzeitraum
vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2009 ein Bruttoentgeltzuwachs von insgesamt
1.500,00 Euro garantiert.
9 Der im Entgelttarifvertrag DB Services Nord für die Lohngruppe A 3 - die für den Kläger
maßgebend ist - im Streitzeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2008 ausdrücklich
festgelegte Stundenlohn betrug bis zum 31. März 2008 7,56 Euro und seit dem 1. April
2008 7,90 Euro brutto.
10 b) Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterfällt zugleich dem Geltungsbereich der
Tarifverträge der Gebäudereinigerbranche. Die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG an sich
nur für Mitglieder der Tarifvertragsparteien zwingend und unmittelbar geltenden
Tarifverträge sind - soweit hier von Bedeutung - im Streitzeitraum nach § 5 TVG für
allgemeinverbindlich erklärt worden und damit auf Arbeitsverhältnisse von
Nichtmitgliedern der Tarifvertragsparteien erstreckt worden, soweit diese dem
Geltungsbereich des Tarifvertrages unterliegen. Dabei waren der Rahmentarifvertrag für
die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung (RTV Gebäudereinigung) vom
4. Oktober 2003 und der Lohntarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der
Gebäudereinigung (LohnTV Gebäudereinigung 2004) vom 4. Oktober 2003 bereits mit
Wirkung vom 1. April 2004 nach § 5 Abs. 1 TVG für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Durch eine zum 1. Juli 2007 wirksame Gesetzesänderung wurde die
Gebäudereinigerbranche in das AEntG aufgenommen, so dass die bislang für
Inlandsarbeitsverhältnisse dieser Branche bereits bestehende Allgemeinverbindlichkeit
auf die Arbeitsverhältnisse in Entsendefällen erstreckt wurde. § 2 LohnTV
Gebäudereinigung 2004 sah für eine Tätigkeit, wie sie vom Kläger verrichtet wurde, im
Streitzeitraum einen „Stundensatz“ von 7,87 Euro vor. Dieser Tarifvertrag trat mit Ablauf
des 29. Februar 2008 außer Kraft. Eine Folgeregelung mit Wirkung ab dem 1. März 2008
wurde durch die Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über
zwingende Arbeitsbedingungen im Gebäudereinigerhandwerk vom 27. Februar 2008
(BAnz. Nr. 34 vom 29. Februar 2008 S. 762) herbeigeführt. Danach sollten ua. die
Stundenlohnregelungen des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne für
gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland (TV Mindestlohn Gebäudereinigung) vom 9. Oktober 2007 auf alle nicht an
ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden. Der in diesem TV
Mindestlohn Gebäudereinigung vorgesehene „Mindestlohn“ (Stundenlohn) der der
Tätigkeit des Klägers entsprechenden Lohngruppe war mit 8,15 Euro festgesetzt.
11 2. Der Kläger hat im Ausgangsrechtsstreit für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum
30. Juni 2008 im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Beklagte sein Entgelt nicht nach
dem Stundenlohn des LohnTV DB Services (7,56 bzw. 7,90 Euro), sondern nach dem
Stundenlohn der Tarifverträge der Gebäudereinigerbranche (7,87 bzw. 8,15 Euro) hätte
berechnen und zahlen müssen. Die von der Beklagten im Streitzeitraum erbrachten
weiteren Leistungen, insbesondere die vermögenswirksamen Leistungen und die
Einmalzahlungen, seien auf die Verpflichtung zur Zahlung des Stundenlohnes aus den
Gebäudereinigertarifverträgen nicht anzurechnen.
12 Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 734,12 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Arbeitsverhältnis auf der
Basis eines Mindestentgelts von 8,15 Euro brutto pro Stunde abzurechnen.
13 Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die von ihr erbrachten weiteren
Leistungen auf die von ihr nicht bestrittene Verpflichtung zur Entgeltzahlung nach dem
Stundensatz der Gebäudereinigertarifverträge anzurechnen seien. Danach habe sie im
Ergebnis bereits mehr geleistet als diese Tarifverträge von ihr verlangten.
D. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefragen
1. Zur Zulässigkeit der Vorlage
a) Der Rechtsstreit betrifft einen rein innerstaatlichen Sachverhalt und ist grundsätzlich
unter Beachtung nationaler Regelungen zu entscheiden. Gemäß Art. 267 AEUV
entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des EU-
Vertrages und der hierzu ergangenen Richtlinien. Diese sind vorliegend nicht unmittelbar
berührt. Bei einer dem vorliegenden Sachverhalt entsprechenden Konstellation unter
Beteiligung eines entsendenden ausländischen Arbeitgebers wäre jedoch die Auslegung
des Mindestlohnsatz-Begriffs aus der Entsende-Richtlinie unmittelbar streitentscheidend.
In einem solchen Fall wäre dann die Auslegungshoheit des Gerichtshofs nach Art. 267
AEUV gegeben. Dem steht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch nicht Art. 3
Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/71/EG entgegen, wonach der Begriff der
Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats
bestimmt wird, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird. Wie sich aus der
Entscheidung des Gerichtshofs im Vertragsverletzungsverfahren Kommission gegen
Bundesrepublik Deutschland (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 25 bis 27, Slg. 2005,
I-2733) ergibt, stellt sich bei dem Streit über die Methode für den Vergleich zwischen dem
aufgrund der deutschen Bestimmungen geschuldeten Mindestlohnsatz und dem Lohn, den
ausländische Arbeitgeber ihren nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern tatsächlich
zahlen, die nach der Richtlinie 96/71/EG zu beantwortende Frage, welche
Vergütungsbestandteile ein Mitgliedstaat als Bestandteile des Mindestlohns
berücksichtigen muss, wenn er prüft, ob dieser ordnungsgemäß erfüllt worden ist.
15 b) In der Rechtssache „Leur-Bloem“ (EuGH 17. Juli 1997 - C-28/95 - Rn. 34, Slg. 1997, I-
4161) hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Vorabentscheidungsersuchen zur
Auslegung einer nationalen Vorschrift zwar nicht zwingend, aber zulässig ist, wenn die
auszulegende nationale Vorschrift auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten nach dem
Willen des nationalen Gesetzgebers mit solchen Sachverhalten gleichzubehandeln ist, die
unter eine Richtlinie fallen, und deshalb die innerstaatliche Rechtsvorschrift an das
Gemeinschaftsrecht angepasst hat. In der Rechtssache „Zwijnenburg“ (EuGH 20. Mai
2010 - C-352/08 - Rn. 33, Slg. 2010, I-4303) hat der Gerichtshof diese Rechtsprechung
bestätigt und ausgeführt, dass in solchen Fällen ein „klares Interesse“ der Union daran
besteht, dass die aus dem Unionsrecht in das nationale Recht übernommenen
Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, ob sie im innerstaatlichen oder im
grenzüberschreitenden Fall zur Anwendung kommen, einheitlich ausgelegt werden, um
künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern. Dabei bleibt es dem nationalen Gericht
vorbehalten, die Tragweite der Verweisung der nationalen Vorschrift auf das Unionsrecht
zu beurteilen.
16 c) Ein solcher Fall liegt hier vor. Bei der Entscheidung im Streitfall kommt es nach Ansicht
des Senats auf die Auslegung des Begriffs „Mindestentgeltsatz“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AEntG 2007 an. Aus dem - unter anderem in den Gesetzesmaterialien erkennbaren -
Willen des deutschen Gesetzgebers ergibt sich, dass eine einheitliche Auslegung für
Inlandssachverhalte und für unionsrechtlich bedeutsame Sachverhalte, insbesondere bei
grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung, erfolgen soll. Da diese Beurteilung nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofs dem nationalen Gericht vorbehalten ist, bedarf es
dazu im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens keiner weiteren Erläuterungen.
17 d) Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass das AEntG 2007 durch eine
Neufassung vom 20. April 2009 (AEntG 2009) umstrukturiert und in vielen Bereichen neu
geregelt wurde. Die im Streitfall auszulegenden Begriffe sind nach wie vor Gesetz. So
bestimmt jetzt § 5 Nr. 1 AEntG 2009, dass unter anderem die Mindestentgeltsätze
Gegenstand eines auf ausländische Arbeitsverhältnisse in Entsendefällen erstreckten
allgemeinverbindlichen Tarifvertrages oder einer entsprechenden Rechtsverordnung
(§§ 3, 7 AEntG 2009) sein können.
2. Zu den Vorlagefragen allgemein
Von maßgebender Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits ist die Beantwortung
der Frage, inwieweit Leistungen der Beklagten nach den Tarifverträgen des DB-Konzerns,
die nicht unmittelbar den Stundenlohnsatz betreffen, aber trotzdem im Rahmen des
Arbeitsverhältnisses an den Kläger gezahlt wurden, als Leistungen zur Erfüllung des
Mindestlohnanspruchs aus dem LohnTV Gebäudereinigung 2004 (Zeitraum vom 1. Juli
2007 bis zum 29. Februar 2008) und aus dem TV Mindestlohn Gebäudereinigung
(Zeitraum vom 1. März bis zum 30. Juni 2008) anzurechnen sind.
19 a) Für die Anrechenbarkeit von Arbeitgeberleistungen auf (tarifvertragliche)
Verpflichtungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die „funktionale
Gleichwertigkeit“ der Leistungen erforderlich (so zB BAG 30. März 2004 - 1 AZR 85/03 -
AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 170 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 10; 27. Januar 2004 - 1 AZR
148/03 - BAGE 109, 244: „funktional äquivalent“). Danach ist eine Leistung auf eine
Verpflichtung des Arbeitgebers dann anzurechnen, wenn sie nach ihrer
Zweckbestimmung als Gegenleistung für eine bestimmte Leistung des Arbeitnehmers oder
den Teil einer solchen dienen soll, die ihrerseits Gegenstand der (tarifvertraglichen)
Verpflichtung ist. Zur Beurteilung der „funktionalen Gleichwertigkeit“ ist es erforderlich, die
„Funktion“ zu bestimmen, die die reale Leistung des Arbeitgebers hat, um sodann
festzustellen, ob sie sich auf diejenige vom Arbeitnehmer geleistete oder zu leistende
Arbeit bezieht, die nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag mit dem Mindestlohn
abgegolten sein soll.
20 Für diese Bestimmung der Funktion der realen Leistung ist jedenfalls dann der subjektive
Wille des Arbeitgebers nicht entscheidend, wenn die Leistung nach einer an anderer
Stelle als dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag getroffenen Regelung erfolgt und sich
ihre Funktion aus dieser Regelung ergibt. Soweit die vom Arbeitgeber danach
angewandte Regelung beispielsweise Leistungen als besonders schwierig ansieht und
hierfür einen in den Lohnabrechnungen gesondert ausgewiesenen „Zuschlag“ an den
Arbeitnehmer zahlt, ist dieser „Zuschlag“ gleichwohl auf die Verpflichtung zur Zahlung des
Grundentgeltes anzurechnen, wenn der allgemeinverbindliche Tarifvertrag diese Tätigkeit
gerade nicht als besonders schwierig oder gar zuschlagspflichtig ansieht, sondern sie als
im Rahmen der mit dem Grundentgelt abzugeltenden „Normaltätigkeit“ bewertet.
21 Bestimmt dagegen der allgemeinverbindliche Tarifvertrag für besondere schwierige
Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers besondere Zulagen oder Zuschläge, etwa für
Nachtarbeit oder - speziell im Gebäudereinigerbereich - Arbeiten in Räumen mit
Temperaturen über 40 Grad Celsius oder unter 6 Grad Celsius, so sind die vom
Arbeitgeber speziell hierfür erbrachten Leistungen nicht auf den Anspruch auf ein
Grundentgelt des Arbeitnehmers anzurechnen. Die „normale“ Gebäudereinigertätigkeit ist
Grundentgelt des Arbeitnehmers anzurechnen. Die „normale“ Gebäudereinigertätigkeit ist
mit solchen Zulagen oder Zuschlägen nicht abgegolten. Hieraus hat der erkennende
Senat den Schluss gezogen, dass umgekehrt alle Leistungen des Arbeitgebers
anzurechnen sind, die sich konkret auf die „normale“, vom allgemeinverbindlichen
Tarifvertrag als mit dem Grundentgelt entlohnte Tätigkeit beziehen.
22 b) Der Gerichtshof hat - soweit ersichtlich - zur Frage der Anrechenbarkeit von Leistungen
des Arbeitgebers auf den in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 96/71/EG
genannten „Mindestlohnsatz“ bisher lediglich im Vertragsverletzungsverfahren
Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 -
Slg. 2005, I-2733) Ausführungen gemacht. Dabei ging es jedoch nicht um die Frage, ob
konkrete Leistungen eines bestimmten Arbeitgebers auf den Mindestlohnanspruch des
(entsandten) Arbeitnehmers anzurechnen sind, sondern ob die Bundesrepublik
Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtung aus Art. 3 der Richtlinie 96/71/EG
verstoßen hat, dass sie in einem Merkblatt für ausländische Arbeitgeber diese
dahingehend informiert hat, dass von diesen gezahlte Zulagen oder Zuschläge, die nicht
das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen
Gegenleistung verändern, nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkannt werden
könnten. Der Gerichtshof hat diese Frage letztlich bejaht. In der Darlegung der
Verfahrensgeschichte hat der Gerichtshof dabei ua. ausgeführt, dass die Parteien des
seinerzeitigen Verfahrens sich darüber einig seien, dass Pauschalbeträge, die nicht auf
Stundenbasis errechnet würden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt
werden dürften; abzustellen sei auf den Bruttolohn (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 -
Rn. 29, aaO). Diese übereinstimmende Auffassung der Parteien hat sich der Gerichtshof
damals nicht ausdrücklich zu eigen gemacht.
23 Der erkennende Senat dagegen hat bei der Auslegung des Begriffs „Mindestlohn“ in den
deutschen Tarifverträgen die Zahlung von Pauschalsummen anrechnend berücksichtigt,
wenn diese als Lohnbestandteil und damit als konkrete Gegenleistung des Arbeitgebers
für diejenige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzusehen sind, die mit dem
„Mindestlohn“ abgegolten werden soll. Dies setzt nach Auffassung des Senats nicht
zwingend voraus, dass sie jeweils stundenbezogen errechnet werden. Zum Bruttolohn
können auch nicht stundenbezogen errechnete Pauschalbeträge, wie etwa
Monatsentgelte, gehören, soweit sie nicht als Zahlungen für besondere, über die
„Normalleistung“ hinausgehende Belastungen oder für den Ersatz von Aufwendungen
geleistet oder ausdrücklich anderen Zwecken gewidmet sind.
24 In der genannten Entscheidung hat der Gerichtshof ferner den übereinstimmenden
Standpunkt der Parteien referiert, wonach auch ein 13. und ein 14. Monatsgehalt als
Bestandteile des Mindestlohns anerkannt würden, sofern sie während der Entsendung des
Arbeitnehmers regelmäßig, anteilig, tatsächlich und unwiderruflich gezahlt und ihm zum
vorgesehenen Fälligkeitsdatum zur Verfügung gestellt würden (EuGH 14. April 2005 - C-
341/02 - Rn. 31, Slg. 2005, I-2733). Hierzu hat der Gerichtshof im Hinblick auf die
Auslegung des Begriffs des „Mindestlohnsatzes“ in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der
Richtlinie 96/71/EG erklärt, dass diese Auffassung geeignet ist, „verschiedene
Unstimmigkeiten“ zwischen der streitigen nationalen Regelung und der
Richtlinie 96/71/EG zu beseitigen (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 32, aaO).
25 Im Hinblick auf die vorliegende Auslegungsfrage ist der damaligen Entscheidung des
Gerichtshofs jedenfalls zu entnehmen, dass Zahlungen oder Zuschläge, die nicht das
Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen
Gegenleistung verändern, als Bestandteile des Mindestlohns anzuerkennen sind (EuGH
14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 43, Slg. 2005, I-2733).
26 Andererseits hat der Gerichtshof in weiteren Entscheidungen, die zu anderen
Unionsvorschriften ergangen sind, teilweise präzise bestimmen müssen, welche
Vergütungsbestandteile zu einem Entgeltanspruch ohne entsprechende Tätigkeit - etwa
im Fall von Mutterschutzzeiten oder Urlaubsentgelt - zu zählen sind. Ohne dass die
jeweiligen Rechtsgrundlagen unmittelbar vergleichbar mit der Entsende-Richtlinie wären,
lässt sich doch erkennen, dass zum Beispiel der aus Art. 11 Nr. 1 der
Richtlinie 92/85/EWG erwachsende Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts während
eines schwangerschafts- oder mutterschaftsbedingten Beschäftigungsverbotes in jedem
Fall das monatliche Grundgehalt sowie diejenigen Bestandteile des Entgeltes oder der
Zulagen umfassen muss, die an die berufliche Stellung der Arbeitnehmerin anknüpfen,
wie etwa eine leitende Position, die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder die berufliche
Qualifikation, nicht dagegen die Entgeltbestandteile oder Zulagen, die davon abhängen,
dass die betroffene Arbeitnehmerin bestimmte Tätigkeiten unter besonderen Umständen
ausübt, und mit denen im Wesentlichen die mit der Ausübung der Tätigkeiten
verbundenen Nachteile ausgeglichen werden sollen (EuGH 1. Juli 2010 - C-194/08 -
[Gassmayr] Rn. 65, 72, AP EWG-Richtlinie Nr. 92/85 Nr. 11; 1. Juli 2010 - C-471/08 -
[Parviainen] Rn. 60, 61, AP EWG-Richtlinie Nr. 92/85 Nr. 12). Hinsichtlich des während
eines Urlaubs nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und der Vereinbarung in der Anlage
zur Richtlinie 2000/79/EG fortzuzahlenden Entgelts hat der Gerichtshof neben dem
Grundgehalt diejenigen Entgeltbestandteile als maßgebend angesehen, die untrennbar
mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden
Aufgaben verbunden sind und durch einen in die Berechnung seines Gesamtentgelts
eingehenden Geldbetrag abgegolten werden, sowie diejenigen Bestandteile, die an seine
persönliche und berufliche Stellung anknüpfen; nicht zwingend ist dagegen die
Fortzahlung der als Aufwendungsersatz erbrachten Leistungen für zusätzliche Ausgaben
eines sich während der Arbeit nicht am Stützpunkt aufhaltenden Piloten (EuGH
15. September 2011 - C-155/10 - [Williams] Rn. 24, 25, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 5).
Nach den Ausführungen des Gerichtshofs kommt es insoweit auf den inneren
Zusammenhang zwischen den verschiedenen Bestandteilen des Gesamtentgelts des
Arbeitnehmers und der Erfüllung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden
Aufgaben an (EuGH 15. September 2011 - C-155/10 - Rn. 26, aaO).
3. Zur ersten Vorlagefrage
Im zu Grunde liegenden Streitfall ist ein Anspruch des Klägers jedenfalls teilweise
gegeben, wenn die von der Beklagten im August 2007 und im Januar 2008 geleisteten
„Einmalzahlungen“ nicht auf den Anspruch auf Gewährung des Mindestentgelts
anzurechnen sind. Für die Entscheidung über diese Frage kommt es darauf an, wie diese
Einmalzahlungen im Hinblick auf die Gegenleistung des Arbeitnehmers zu bewerten sind.
28 a) Nach den Gepflogenheiten im deutschen Tarifvertragsrecht und in der deutschen
Tarifpraxis werden Lohntarifverträge, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft sind,
häufig erst nach ihrem Ablauf neu verhandelt und in Form eines Nachfolge-Tarifvertrages
vereinbart. Dabei wird nicht selten eine prozentuale Lohnerhöhung („tabellenwirksam“,
das heißt, in die tariflich verbindliche Lohntabelle eingearbeitet und diese damit auch für
die weitere Zukunft verändert) ab einem nach Ablauf des vorherigen Tarifvertrages
liegenden Zeitpunkt vereinbart. Für den davor liegenden Zeitraum seit Außerkrafttreten
des Vorgänger-Lohntarifvertrages wird in solchen Fällen häufig eine pauschale
einheitlich-lineare und nicht „tabellenwirksame“ Zahlung in einer ganz bestimmten
absoluten Höhe vereinbart. Diese Zweiteilung der Lohnerhöhungsvereinbarung kann
dabei auch dem Zweck eines sozialen Ausgleichs dienen, da die pauschalen Zahlungen
nicht an das Verhältnis zum bisherigen Lohn anknüpfen, wie die prozentuale Erhöhung für
die Zukunft, sondern für alle Lohngruppen in gleicher Höhe gezahlt werden und damit den
niedrigeren Lohngruppen in überproportionaler Weise zu Gute kommen. Auch derartige
Einmalzahlungen sind nach Auffassung des erkennenden Senats als Entgeltbestandteile
anzusehen, soweit die Tarifvertragsparteien damit eine Lohnerhöhung im
Austauschverhältnis von Arbeit und Entgelt vornehmen wollten.
29 Für den Streitfall geht der Senat davon aus, dass es sich bei den tariflich vorgesehenen
und von der Beklagten geleisteten Einmalzahlungen um derartige Pauschalbeträge
handelt, die als einheitliche lineare Lohnerhöhungsbeträge für einen bestimmten Zeitraum
und damit unmittelbar als Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer zu erbringende
Arbeitsleistung anzusehen sind. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der hierzu von den
Tarifvertragsparteien vereinbarten Regelungen. Die Einmalzahlungen sind danach
anteilig auf die Monate des mit ihnen abgedeckten Zeitraums zu verteilen, da mit ihnen
ersichtlich die Fortzahlung der bisherigen niedrigeren Tabellenlöhne für den Zeitraum bis
zum Inkrafttreten der prozentualen Erhöhung überbrückt und kompensiert werden soll.
Dabei ist es nach Ansicht des Senats unschädlich, dass die erste Zahlung erst am Ende
des zweiten Monats (August 2007) des betreffenden Zeitraums (1. Juli bis zum
31. Dezember 2007) und nicht bereits mit der Monatsvergütung für den ersten Monat (Juli
2007) des Zeitraums erfolgte. Die Zuordnung der Zahlung zu dem gesamten Zeitraum ist
erkennbar. Der Arbeitnehmer kann zeitnah zum ersten Bezugszeitraummonat über den
Gesamtbetrag verfügen.
30 b) Ob dies unionsrechtlich ebenso zu verstehen ist, ist Gegenstand der ersten
Vorlagefrage.
31 aa) Dies ist deshalb nicht selbstverständlich, weil der Gerichtshof in der Entscheidung vom
14. April 2005 (- C-341/02 - Slg. 2005, I-2733) in erkennbar zustimmender Weise die
Einigung der streitenden Parteien (Kommission und Bundesrepublik Deutschland) zitiert
hat, wonach ein 13. und ein 14. Monatsgehalt als Bestandteile des Mindestlohns
anerkannt würden, sofern sie - in einem dort allgemein behandelten Entsendefall -
während der Entsendung des Arbeitnehmers nach Deutschland regelmäßig, anteilig,
tatsächlich und unwiderruflich gezahlt und ihm zum vorgesehenen Fälligkeitsdatum zur
Verfügung gestellt würden (- C-341/02 - Rn. 31, aaO). Sofern der Gerichtshof eine -
anteilige - Zahlung zum jeweiligen Fälligkeitstermin des Mindestlohnanspruchs als
Anrechnungsvoraussetzung ansieht, ist dies im Streitfall zweifelhaft, weil die für den
Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Dezember 2007 geleistete Pauschalzahlung erst
mit der Monatsvergütung für August 2007, also zum Ende dieses Monats fällig und gezahlt
wurde. Es bedarf ferner der Entscheidung, ob die Zahlung selbst anteilig erfolgen muss
oder ob sie - hier jedenfalls für die Monate September bis Dezember 2007 - auch im
Vorhinein in voller Höhe gezahlt, aber jeweils monatlich anteilig auf den in diesem Monat
jeweils entstandenen Mindestlohnanspruch angerechnet werden kann, wie es der
erkennende Senat aus der Perspektive der nationalen Rechtsprechung als zutreffend
ansieht.
32 bb) Auf der anderen Seite hat der Gerichtshof in der genannten Entscheidung an anderer
Stelle die übereinstimmende Auffassung der Parteien zitiert, wonach „Pauschalbeträge,
die nicht auf Stundenbasis berechnet werden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns
berücksichtigt werden dürfen. Abzustellen ist auf den Bruttolohn“ (EuGH 14. April 2005 -
C-341/02 - Rn. 29, Slg. 2005, I-2733). Auch hier liegt eine ausdrückliche eigene
Stellungnahme des Gerichtshofs nicht vor. Nach Auffassung des erkennenden Senats
können Leistungen, die nicht auf Stundenbasis berechnet werden, sondern als monatlich
zu zahlendes Entgelt, im Sinne einer Gegenleistung für die „Normaltätigkeit“ des
Arbeitnehmers jedenfalls nach nationalem Recht auf den Anspruch des Arbeitnehmers auf
den Mindestlohn angerechnet werden. Dies gilt nach Meinung des Senats auch
umgekehrt: Ist der Mindestlohn im allgemeinverbindlichen Tarifvertrag als Monatslohn
ausgewiesen, müssen auch solche Leistungen des Arbeitgebers angerechnet werden, die
dieser auf der Grundlage einer Stundenlohnabrede an den Arbeitnehmer zahlt.
4. Zur zweiten Vorlagefrage
Im zu Grunde liegenden Streitfall ist ein Anspruch des Klägers jedenfalls dann teilweise
gegeben, wenn die von der Beklagten gezahlten vermögenswirksamen Leistungen von
monatlich 13,29 Euro nicht auf das Mindestentgelt anzurechnen sind.
34 a) Dies entspricht der Auffassung des erkennenden Senats unter Zugrundelegung der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anrechnung von „funktional
gleichwertigen“ Leistungen. Die vermögenswirksamen Leistungen dienen danach
wesentlich anderen Zwecken als der unmittelbaren Gegenleistung für die vom
Arbeitnehmer verrichtete Arbeit. Sie sind sowohl nach der Konzeption des nationalen
Gesetzgebers als auch nach dem Willen der Tarifvertragsparteien zur langfristigen
Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand vorgesehen und verfolgen gerade im Hinblick auf
die staatliche Förderung konkrete sozialpolitische Zwecke. Sie sind trotz regelmäßiger
monatlicher Zahlung nicht dazu bestimmt, dem Bestreiten des Lebensunterhaltes des
Arbeitnehmers unmittelbar zu dienen. Sie stehen ihm grundsätzlich nicht zur freien
Verfügung, sondern sind zwingend langfristig anzulegen. Dabei gelten je nach Anlageart
unterschiedliche Sperrfristen, etwa sieben Jahre bei Sparverträgen über Wertpapiere oder
andere Vermögensbeteiligungen (§ 4 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Fünftes VermBG) und sechs Jahre
beim Wertpapier-Kaufvertrag (§ 5 Abs. 2 Fünftes VermBG) und beim Beteiligungsvertrag
oder dem Beteiligungskaufvertrag mit dem Arbeitgeber (§ 6 Abs. 3, § 7 Abs. 3 Fünftes
VermBG). Im Übrigen werden sie nach der entsprechenden Regelung in den DB-
Tarifverträgen nicht bereits mit Beginn des Arbeitsverhältnisses, sondern erst nach Ablauf
einer Probezeit von sechs Monaten an den Arbeitnehmer gezahlt. Die
vermögenswirksamen Leistungen sind danach unter nationalrechtlichen Gesichtspunkten
nicht „funktional gleichwertig“ mit dem vom Arbeitgeber zu entrichtenden Mindestlohn.
35 b) Ob dies unionsrechtlich ebenso zu sehen ist, ist Gegenstand der zweiten Vorlagefrage.
Auch insoweit ist auf die Entscheidung des Gerichtshofs vom 14. April 2005 (- C-341/02 -
Slg. 2005, I-2733) zu verweisen. Nicht ersichtlich ist daraus, ob auch aus der Sicht des
Gerichtshofs ein Kriterium wie das der „funktionalen Äquivalenz“ der realen Leistung für
den geschuldeten Mindestlohn maßgebend ist. Allerdings hat der Gerichtshof in dieser
Entscheidung ausgeführt, dass Zulagen oder Zuschläge, die nicht das Verhältnis
zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung
verändern, als Bestandteile des Mindestlohns anzuerkennen sind (EuGH 14. April 2005 -
C-341/02 - Rn. 43, aaO). Dies lässt es aus Sicht des erkennenden Senats jedenfalls nicht
als ausgeschlossen erscheinen, dass aus der Sicht des Gerichtshofs eine Zahlung des
Arbeitgebers zumindest grundsätzlich bereits dann als auf den Mindestlohnanspruch im
Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 96/71/EG anzurechnen
angesehen werden kann, wenn sie nicht für eine gesonderte Leistung des Arbeitnehmers,
zum Beispiel die Arbeit unter besonders erschwerten Bedingungen, erbracht wird. Die
vom Arbeitgeber weitgehend unabhängig von der Arbeitsleistung und der hierfür
vereinbarten Vergütung und - auch in der Höhe - einheitlich für alle Arbeitnehmer
erbrachten vermögenswirksamen Leistungen verändern das Verhältnis zwischen der
Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers in dem oben
zitierten Sinne nicht.
36 Danach erscheint es dem erkennenden Senat auch nicht zwingend anzunehmen, dass
aus Sicht des Gerichtshofs für die Auslegung des Begriffs des Mindestlohnsatzes im Sinne
von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 96/71/EG und für die
Anrechenbarkeit von Leistungen die Zweckbestimmung der jeweils erbrachten Leistung -
etwa im Sinne einer „funktionalen Gleichwertigkeit“ - einzubeziehen ist. Wäre diese Frage
zu bejahen, wären wohl auch aus unionsrechtlicher Sicht vermögenswirksame Leistungen
nicht anzurechnen.
37 Der Gerichtshof hat sich mit dieser Frage - soweit erkennbar - noch nicht ausdrücklich
befasst. Lediglich in einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren Kommission gegen
Bundesrepublik Deutschland (EuGH 18. Juli 2007 - C-490/04 - Slg. 2007, I-6095), in dem
es um eine mögliche Doppelbelastung von ausländischen Arbeitgebern bei der
Berechnung des Mindestlohns ging, wurde diese Frage berührt. Dort hatte die deutsche
Regierung sich unter anderem auf das vom Bundesarbeitsgericht in ständiger
Rechtsprechung angewandte „Günstigkeitsprinzip“ berufen, wonach bei einer Kollision
von Vertragsrecht und Tarifrecht von der dem Arbeitnehmer günstigeren Regelung
auszugehen ist. Dabei sind die in einem inneren Zusammenhang stehenden
Teilkomplexe der tariflichen und arbeitsvertraglichen Regelungen zu vergleichen. Beim
Vergleich von unterschiedlichen Regelungen kommt es darauf an, ob diese funktional
gleichwertig sind, das heißt, mit der gleichen Gegenleistung verbunden sind. Der
Gerichtshof hat die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland in diesem Punkte
abgewiesen, ohne dass es auf diese Frage entscheidungserheblich ankam. Er hat in
seiner Entscheidung jedoch daran erinnert, dass die Bedeutung der nationalen
Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung der Auslegung durch die nationalen Gerichte
zu beurteilen sei. Es gebe insoweit keine Argumente dafür, die belegen könnten, dass der
in diesem Verfahren streitige § 1 Abs. 3 AEntG in der Praxis nicht gemeinschaftskonform
ausgelegt werde (EuGH 18. Juli 2007 - C-490/04 - Rn. 49, 50, aaO). Dies spricht aus der
Sicht des erkennenden Senats dafür, dass insoweit die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zur „funktionalen Gleichwertigkeit“ und zum „Günstigkeitsprinzip“
vom Gerichtshof zur Kenntnis genommen und nicht beanstandet worden ist.
38 Fraglich ist zudem, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die vom Gerichtshof im
früheren Vertragsverletzungsverfahren - ohne eigene ausdrückliche Zustimmung - zitierte
(EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 29, Slg. 2005, I-2733) gemeinsame Auffassung der
Kommission und der deutschen Regierung, nach der Pauschalbeträge, die nicht auf
Stundenbasis berechnet werden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt
werden dürfen, für die Anrechenbarkeit der vermögenswirksamen Leistungen
heranzuziehen ist, und damit für die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage
unionsrechtlich von Bedeutung sein kann. Dass der erkennende Senat bei den
vermögenswirksamen Leistungen - unabhängig von der Berechnungsweise - vorrangig
auf den Zweck der Leistung Gewicht legt und sie deshalb nicht als mindestlohnwirksam
ansieht, ist oben dargelegt worden.
Der Vorsitzende
Richter am
Bundesarbeitsgericht
Prof. Bepler ist in
den Ruhestand
getreten und daher
an der
Unterschriftsleistung
gehindert.
Treber
Creutzfeldt
Creutzfeldt
Steding
Rupprecht