Urteil des BAG vom 30.07.2008

BAG: Sonderzahlung, Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, freiwillige leistung, grundsatz der gleichbehandlung, zukunft, anerkennung, gratifikation, kündigung, prämie

Siehe auch:
Urteil des 10. Senats vom 30.7.2008 - 10 AZR 496/07 -
vom 30.7.2008 - 10 AZR 160/08 -
10. Senats vom 30.7.2008 - 10 AZR 637/07 -
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 30.7.2008, 10 AZR 497/07
Sonderzahlung - Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Nürnberg vom 6. Juni 2007 - 3 Sa 250/06 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg -
Kammer Coburg - vom 31. Januar 2006 - 4 Ca 222/05 C - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.540,00 Euro brutto nebst Zinsen
iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
30. November 2004 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über eine Sonderzahlung für das Jahr 2004.
2 Der Kläger ist seit dem 1. April 1979 als Maschinenschlosser bei der Beklagten zu einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden beschäftigt.
3 Die Beklagte stellt Vliesstoffe und Nadelfilze her, die hauptsächlich in der Polstermöbelindustrie
Verwendung finden. Sie beschäftigte Ende 2004 ca. 100 gewerbliche Mitarbeiter sowie 20
Angestellte.
4 Die Beklagte zahlte den Mitarbeitern bis einschließlich 2003 jährlich mit dem Novemberlohn eine
Weihnachtssonderzahlung. In ähnlich lautenden Aushängen hatte sie bis zum Jahre 2003 den
Arbeitnehmern jeweils mitgeteilt:
“Wir gewähren auch in diesem Jahr eine angemessene Weihnachtsgratifikation als
freiwillige Leistung ohne Anerkennung einer Rechtsverpflichtung für die Zukunft. Aus der
Zahlung dieser freiwilligen Weihnachtsgratifikation können keinerlei Ansprüche
irgendwelcher Art, auch nicht für die Zukunft abgeleitet werden. Mit der Entgegennahme
dieser Sonderzahlung wird das ausdrücklichst anerkannt.
Voraussetzung für die Zahlung ist eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von
mindestens 6 Monaten, sowie Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses am
Auszahlungstermin. Neue Mitarbeiter, die einen kürzeren Zeitraum als 6 Monate vorliegen
haben, erhalten im angepaßten Umfange anteilig eine freiwillige Weihnachtsgratifikation.
Gekündigte Arbeitsverhältnisse sind von einer Zahlung ausgenommen.
Als Bemessungsgrundlage für die Gratifikation ist ein Zeitraum von 12 Monaten gültig und
zwar aus tatsächlich geleisteter Anwesenheit im Betrieb und Arbeit vom 01.11.02 bis
31.10.03. Fehltage verringern die Gratifikationshöhe entsprechend. Die
Weihnachtsgratifikation wurde für jeden einzelnen Mitarbeiter individuell und exakt nach
dem gleichen Schlüssel errechnet, unter Berücksichtigung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes für die einzelnen unterschiedlichen Arbeitsgebiete und
Tätigkeiten.
Soweit die freiwillige Gratifikation mehr als EUR 100,-- beträgt, gilt die
Rückzahlungsklausel für den Fall vereinbart, dass der betreffende Betriebsangehörige
vorzeitig aus unserem Betrieb aus eigenem Ermessen ausscheidet, oder durch sein
Verhalten zu einer Kündigung Anlaß gibt. Für die Rückzahlungspflicht gilt folgende
gestaffelte Regelung:
Für Gratifikation mehr als EUR 100,--, jedoch unter EUR 500,--, gilt die
Rückzahlungspflicht bei einem Ausscheiden bis einschließlich 31.03.2004.
Für Gratifikationshöhe ab EUR 500,--, jedoch unter EUR 1.000,--, gilt die
Rückzahlungspflicht bei einem Ausscheiden bis einschließlich 15.05.2004.
Für Gratifikationshöhe ab EUR 1.000,--, jedoch unter EUR 1.500,--, gilt
Rückzahlungspflicht bei einem Ausscheiden bis einschließlich 30.06.2004.
Für Gratifikationshöhe ab EUR 1.500,--, gilt Rückzahlungspflicht bei einem Ausscheiden
bis einschließlich 30.09.2004.
Auf diese Weise soll analog der gestaffelten freiwilligen Gratifikationshöhe auch eine
gewisse betriebliche Bindung für den betreffenden Mitarbeiter in der Folgezeit erreicht
werden. Die absolute Freiwilligkeit der gewährten Weihnachtsgratifikation soll dadurch
besonders unterstrichen werden. ...”
5 In weiteren jährlich ähnlich lautenden Aushängen heißt es, zB im Jahr 2003:
“Auch in diesem Jahr gewähren wir wieder auf freiwilliger Basis eine
Weihnachtsgratifikation, die die betriebliche Leistung jedes einzelnen Mitarbeiters im
gewerblichen Bereich berücksichtigt.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer Anwesenheitsprämie. Wer über das Jahr gesehen
relativ wenig Fehltage und damit eine hohe Präsenz im Betrieb erreicht hat, muß dafür
auch belohnt werden.
Wer oft gefehlt hat, hat auf der anderen Seite zur Wertschöpfung im Betrieb relativ wenig
beigetragen und sogar höhere Kosten verursacht.
Die bisherige Regelung nach Anwesenheitstage besteht also weiterhin in der gewohnten
Weise und wie bisher gehandhabt:
Anwesenheitstage Prämie à Euro/Tag =
Euro total
220 7,00
1540,00
219 6,80
1489,20
218 6,50
1417,00
217 6,00
1302,00
216 5,50
1188,00
215 5,00
1075,00
214 4,50
963,00
213 4,00
852,00
212 3,50
742,00
211 3,00
633,00
210 2,50
525,00
209 2,00
418,00
208 1,50
312,00
207 1,00
207,00
206 0,70
144,20
205 0,30
61,50
weniger als 205 0,30
x,xx
Anhand dieser Aufstellung kann sich jeder leicht seine Gratifikationsprämie ausrechnen.
Hinzu kommt Samstagarbeit stundenbezogen vergütet mit Faktor 1,0 % = umgerechnet in
Euro.
Vorstehende Regelung ist eine freiwillige Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht
und auch keine Anerkennung einer Verbindlichkeit oder Rechtspflicht für die Zukunft.
Änderungen bleiben ausdrücklichst vorbehalten.
Alle anderen bisherigen Regelungen entfallen hiermit.”
6 Die Beklagte versuchte seit Herbst 2004, die Mitarbeiter dazu zu bewegen, neue Arbeitsverträge
abzuschließen. Diese sehen neben einer Ausweitung des Direktionsrechts ua. eine Erhöhung der
täglichen Arbeitszeit von 7,4 Stunden auf 7,7 Stunden bzw. bei Fernverkehrsfahrern von 9,2 auf
9,5 Stunden vor. Der über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehende Urlaub von bisher
insgesamt 30 Tagen sollte nunmehr auf freiwilliger Basis ohne Rechtsanspruch gewährt werden,
ebenso wie ein freiwilliges Urlaubsgeld, das bisher 25,00 Euro täglich betragen hatte. Im Jahr 2004
unterschrieben nach Darstellung der Beklagten ca. 45 Mitarbeiter einen solchen Arbeitsvertrag; im
Jahr 2005 waren es noch weitere fünf Arbeitnehmer. Die zusätzliche Arbeitszeit wird mit derselben
Grundvergütung entlohnt. Diejenigen Mitarbeiter, die einen solchen Arbeitsvertrag nicht
unterzeichneten, arbeiteten seit dem Jahr 2005 mit den Unterzeichnern weiter in denselben
Schichten, ihre über 7,4 Stunden täglich hinausgehende Arbeitszeit wurde jedoch einem Zeitkonto
gutgeschrieben, das sie später abfeiern konnten. Eine Zeitkontoregelung gab es auch schon
zuvor.
7 In einer Betriebsversammlung vom 9. November 2004 teilte der Geschäftsführer der Beklagten
den Mitarbeitern mit, im Jahr 2004 werde es keine freiwillige Weihnachtsgeldzahlung mehr geben.
Dies wurde in Aushängen vom 17. November 2004 und vom 21. Dezember 2004 nochmals
wiederholt.
8 In derselben Betriebsversammlung unterrichtete die Beklagte die Mitarbeiter, dass sie zwar die
bisher gewährte Weihnachtsgratifikation nicht mehr erbringen wolle, jedoch an diejenigen
Mitarbeiter, die den neuen Vertrag unterschrieben hätten, eine Sonderzahlung leisten werde.
9 Die Mitarbeiter, die die neuen Arbeitsverträge unterschrieben hatten, erhielten ein Schreiben nach
folgendem Muster:
“SONDERZAHLUNG
Aufgrund der Möglichkeiten des neu geschlossenen Arbeitsvertrages zwischen der Firma
C GmbH
und Herrn/Frau/Fräulein ***
vom
und der damit einhergehenden besonderen arbeitsvertraglichen Pflichten ist es uns
möglich, für 2004 eine freiwillige Sonderzahlung ohne bindende Rechtsverpflichtung für die
Zukunft - auch bei mehrmaliger Gewährung über mehrere aufeinanderfolgende Jahre-,
in Höhe von Euro
zur Auszahlung zu bringen.
Der neue Arbeitsvertrag sichert den Erhalt und Fortbestand des Produktionsstandortes und
der Arbeitsplätze und ermöglicht es dem Unternehmen kurzfristig auf wirtschaftliche
Schwierigkeiten zu reagieren. Hierfür möchten wir uns bedanken.
Für diese freiwillige Sonderzahlung, gilt eine Rückzahlungsklausel für den Fall vereinbart,
daß der betreffende Betriebsangehörige vorzeitig aus unserem Betrieb aus eigenem
Ermessen ausscheidet oder durch sein Verhalten zu einer Kündigung Anlaß gibt. Es gilt für
die Rückzahlungspflicht nachfolgende gestaffelte Regelung:
bei einer Sonderzahlung von mehr als Euro 100,--, jedoch unter Euro 500,-- gilt die
Rückzahlungspflicht bei einem Ausscheiden bis einschl. 31.03.2005,
bei einer Sonderzahlung ab Euro 500,--, jedoch unter Euro 1.000,-- gilt Rückzahlungspflicht
bei einem Ausscheiden bis einschl. 15.05.2005,
bei einer Sonderzahlung ab Euro 1.000,--, jedoch unter Euro 1.500,-- gilt
Rückzahlungspflicht bei einem Ausscheiden bis einschl. 30.06.2005,
bei einer Sonderzahlung ab Euro 1.500,-- gilt Rückzahlungsklausel bei einem Ausscheiden
bis einschl. 30.09.2005.”
10 Mit einem weiteren Aushang vom 3. Dezember 2004 wurde Folgendes mitgeteilt:
Angebotene neue Arbeitsverträge
Wir weisen alle Mitarbeiter/innen nochmals hiermit daraufhin, dass im eigensten Interesse
unserer Betriebsangehörigen diese neuen Arbeitsverträge zwingend notwendig sind, da die
alten bisherigen Regelungen größtenteils unwirksam sind.
Die neu angebotenen Verträge ersetzen also die alten laufenden Verträge. Es sind damit
keinerlei Nachteile verbunden.
Im Gegenteil:
Anstelle der früheren alten freiwilligen Weihnachtsgratifikation tritt eine neue Regelung in
Form einer Jahres-Sonderzahlung auf freiwilliger Basis in Kraft, für alle, die die neuen
Verträge abschließen und unterzeichnen.
Wer das nicht tut, hat hierauf keinen Anspruch.
Es steht selbstverständlich jedem frei, wie er sich entscheiden will. Nur eines ist auch klar:
Die alten Arbeitsverträge gelten nicht mehr und sind in der Betriebsversammlung am
09.11.04 aufgekündigt worden.
Wir sind bestrebt, unseren Produktionsstandort hier in Deutschland auch für die Zukunft
aufrechtzuerhalten und zu sichern. Das ist aber nur möglich, wenn auch unsere
Belegschaft am gleichen Strang mitzieht und daran interessiert ist, denn nur dann können
wir unter einigermaßen auskömmlichen Bedingungen hier in Deutschland produzieren und
gegen die ausländische Konkurrenz in Tschechien/Polen preislich bestehen. Ohne Mithilfe
und Zugeständnisse der Belegschaft geht das leider nicht.
Deshalb haben wir überhaupt keine andere Wahl und müssen zu vernünftigen Regelungen
mit unseren Betriebsangehörigen kommen. Wer dafür kein Verständnis hat und nichts
dazu beiträgt, hat die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden.
Wer also an seinem Arbeitsplatz weiterhin interessiert ist, solle sich klar entscheiden. Wir
haben dazu unsere Hand gereicht.”
11 Dieser Aushang wurde kurze Zeit später wieder abgehängt. Aus den angeblichen Kündigungen der
alten Arbeitsverträge wurden keine Rechte seitens der Beklagten hergeleitet.
12 Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe die Sonderzahlung zwar nicht auf Grund eines Tarifvertrages
oder einer betrieblichen Übung zu, jedoch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Mit der
Sonderzahlung seien auch die Zwecke verfolgt worden, Betriebstreue und Anwesenheit zu
belohnen, die die Arbeitnehmer, die den neuen Arbeitsvertrag nicht unterschrieben hätten, ebenso
erfüllt hätten. Da die Veränderungen erst im Jahr 2005 wirksam geworden seien, seien im Jahr
2004 auch keine Nachteile irgendwelcher Art auszugleichen gewesen. Im Übrigen handele es sich
um eine unzulässige Maßregelung, wenn nur die Mitarbeiter, die ihr Recht, die neuen
Arbeitsverträge nicht zu unterschreiben, ausgeübt hätten, nicht in den Genuss der Sonderzahlung
kämen.
13 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.540,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 30. November 2004 zu zahlen.
14 Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, sie habe 2004 an keinen
Mitarbeiter eine Weihnachtsgeldgratifikationszahlung erbracht. Die Sonderzahlung für die
Mitarbeiter, welche die neuen Arbeitsverträge Ende 2004 bereits unterzeichnet hätten oder aber
noch unterzeichnen würden, sei eine völlig andere Leistung. Diese neue Zahlung habe die bis
einschließlich 2003 geleistete Weihnachtsgratifikation nicht ersetzt. Eine Maßregelung nach § 612a
BGB könne schon deshalb nicht vorliegen, weil die Maßnahme der Rechtsausübung zeitlich
vorangegangen sei. Jedenfalls aber sei die Differenzierung auch sachgerecht, da die Zahlung als
Anerkennung für die Unterzeichnung der Verträge durch die Mitarbeiter, die hierdurch für die
Beklagte gewonnene notwendige Flexibilität und als Anreiz an andere Mitarbeiter, selbst eben
solche Verträge zu unterzeichnen, gewährt worden sei. Ein rechnerisch 100-prozentiger Ausgleich
für die verschlechternden Vertragsbedingungen sei nicht erforderlich. Die neuen Arbeitsverträge
hätten auch nicht nur monetäre Änderungen beinhaltet. Der Kläger könne sich nicht die Vorteile der
einen Regelung herauspicken und die Nachteile der anderen vermeiden. Dass der Zweck der
Sonderzahlung im Anreiz des Abschlusses der neuen Arbeitsverträge liege, gehe auch aus der
Auslobung der Sonderzahlung für das Jahr 2005 hervor, die bereits zu Beginn des Jahres erfolgt
sei und nicht erst, wie die bisherige Weihnachtsgratifikation, mit dem Jahresende vorgenommen
worden sei.
15 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter, während
die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
16 Die Revision des Klägers ist begründet. Ihm steht der geltend gemachte Anspruch zu.
17 I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung damit begründet, dass kein
Anspruch aus § 612a BGB bestehe. Es handele sich um eine sachlich zulässige Benachteiligung,
da die Beklagte die Weihnachtsgratifikation wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage vollständig
gestrichen habe. Auch die an die Mitarbeiter, die die neuen Arbeitsbedingungen unterzeichnet
hätten, geleistete Sonderzahlung begründe keinen Anspruch aus § 612a BGB oder aus dem
allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Differenzierung zwischen den Mitarbeitern sei
sachgerecht. Die Sonderzahlung sei als Anerkennung für die Unterzeichnung der Verträge und als
Anreiz für andere Mitarbeiter, selbst ebenso solche Verträge abzuschließen, gewährt worden. Dies
sei zulässig und halte sich im Rahmen der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien. Die durch
die Nichtunterzeichnung entstandenen Nachteile seien sachgerecht und sozial adäquat. Die bisher
vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fälle seien mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht
vergleichbar. Der Umstand, dass die Beklagte die den Mitarbeitern mit neuen Verträgen gewährte
Sonderzahlung wie zuvor von Anwesenheitszeiten abhängig gemacht habe, beziehe sich allein auf
die Berechnung der Höhe. Es möge sein, dass damit auch im Jahr 2004 der Zweck verfolgt
worden sei, die Mitarbeiter zur Anwesenheit anzuhalten. Auch in den Jahren zuvor sei die
Weihnachtsgratifikation freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht im Nachhinein gezahlt
worden, ohne dass die Voraussetzungen vorher festgelegt waren. Die Mitarbeiter hätten sich also
im Laufe des Jahres nicht darauf verlassen können, dass ihre Anwesenheitszeiten für die
Gewährung der Zahlung eine Rolle spielen würden. Es überwiege die Zwecksetzung, die
Mitarbeiter zum Abschluss der neuen Verträge zu bewegen.
18 II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Der Anspruch auf Zahlung
der begehrten Sonderzahlung folgt aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
19 1. Auch wenn der Arbeitgeber auf Grund eines Freiwilligkeitsvorbehalts in seiner Entscheidung frei
ist, ob und unter welchen Voraussetzungen er seinen Arbeitnehmern eine zusätzliche Leistung
gewährt, ist er an den arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung gebunden, wenn er
nach von ihm gesetzten allgemeinen Regeln freiwillig Sonderzahlungen leistet. Er darf einzelne
Arbeitnehmer nicht sachfremd gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage
schlechter stellen. Gewährt der Arbeitgeber auf Grund einer abstrakten Regelung eine freiwillige
Leistung nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip und legt er gemäß dem mit der Leistung
verfolgten Zweck die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung fest, darf er einzelne
Arbeitnehmer von der Leistung nur ausnehmen, wenn dies sachlichen Kriterien entspricht.
Arbeitnehmer werden dann nicht sachfremd benachteiligt, wenn sich nach dem Zweck der
Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, diesen
Arbeitnehmern die den anderen Arbeitnehmern gewährte Leistung vorzuenthalten. Die
Zweckbestimmung einer Sonderzahlung ergibt sich vorrangig aus ihren tatsächlichen und
rechtlichen Voraussetzungen, wobei die Bezeichnung nicht allein maßgeblich ist. Ist die
unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, kann der
benachteiligte Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmer behandelt
zu werden (st. Rspr. des BAG, zuletzt 28. März 2007 - 10 AZR 261/06 - AP BGB § 611
Gratifikation Nr. 265 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 21 mwN und 26. September
2007 - 10 AZR 569/06 - AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 205 = EzA BGB 2002 § 242
Gleichbehandlung Nr. 13) .
20 2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte gegen den arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.
21 a) Die Beklagte hat zwei Gruppen von Arbeitnehmern gebildet, und zwar die Gruppe derjenigen,
die die neuen Arbeitsverträge abgeschlossen haben und die Gruppe derjenigen, die dies nicht
getan haben. Der einen Gruppe wurde eine zusätzliche Leistung unter den dargestellten
Bedingungen angeboten, der anderen nicht. Es bestehen bei der Beklagten nicht etwa zwei
Entgeltsysteme, sondern ab dem Jahr 2005 - bzw. seit dem jeweiligen Vertragsschluss Ende des
Jahres 2004 - gibt es Arbeitnehmer mit unterschiedlich langer Arbeitszeit bei gleicher
Grundvergütung sowie unterschiedlichen Urlaubsregelungen. Die Anknüpfung an diese
Gruppenbildung bei der Leistungsgewährung stellt eine eigenständige Gruppenbildung dar (BAG
14. März 2007 - 5 AZR 420/06 - Rn. 23, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 204 = EzA BGB
2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 12) . Damit sind die Regelungen am
Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen.
22 b) Gründe, die es nach dem Zweck der Leistung unter Berücksichtigung aller Umstände
rechtfertigen, der einen Arbeitnehmergruppe die der anderen Arbeitnehmergruppe gewährte
Leistung vorzuenthalten, bestehen nicht.
23 aa) Nachdem unstreitig ist, dass die Leistung auch im Jahr 2004 in derselben Staffelung wie in den
Vorjahren nach der Zahl der Anwesenheitstage differenziert, ist sie vorrangig eine
Anwesenheitsprämie, wie dies die Beklagte auch zuletzt in ihren Aushängen aus dem Jahr 2003
ausgedrückt hat. Bereits nach 15 Fehltagen beträgt die Prämie nicht mehr 1.540,00 Euro
monatlich, sondern nur noch 61,50 Euro. Sie vermindert sich ab dem 16. Fehltag entsprechend auf
0,30 Euro/Tag. Bei dieser starken Staffelung handelt es sich entgegen der Ansicht der Beklagten
und des Landesarbeitsgerichts nicht um eine bloße minder bedeutende Berechnungsvorschrift,
sondern um einen starken Anreiz zu gesundheitsbewusstem und -förderndem Verhalten, der ua.
leichtfertige Krankmeldungen unterbinden soll.
24 Weiterhin ist in dem Schreiben an die Mitarbeiter, die die neuen Arbeitsverträge unterzeichnet
haben, eine Rückzahlungsklausel für den Fall enthalten, dass der betreffende Betriebsangehörige
vorzeitig aus dem Betrieb aus eigenem Ermessen ausscheidet oder durch sein Verhalten zu einer
Kündigung Anlass gibt. Darauf, dass die für das Jahr 2004 aufgeführten Staffelungen nicht den
durch die Rechtsprechung entwickelten zulässigen Bindungsfristen entsprechen dürften, kommt
es nicht an, da der Kläger hieraus keine Ansprüche herleitet. Aus der Regelung wird aber deutlich,
dass die Zahlung neben der Honorierung der Anwesenheit im Jahr 2004 auch die Betriebstreue für
die Zukunft bezweckt.
25 Damit unterscheidet sich die zugesagte Sonderleistung in ihren Zwecken und Voraussetzungen
nicht wesentlich von den in den Vorjahren gewährten Zahlungen. Der Umstand, dass die
Mindestbetriebszugehörigkeit von sechs Monaten nicht mehr gefordert wird, tritt demgegenüber
zurück. Im Übrigen war auch in den Vorjahren ausweislich der Aushänge stets die Zahlung anteilig
zugesagt worden, wenn Mitarbeiter erst in diesem Jahr eingetreten und noch nicht sechs Monate
beschäftigt waren.
26 Die Beklagte beruft sich zu Unrecht darauf, dass eine Anreizfunktion zur möglichst vollständigen
Anwesenheit und weiterer Betriebstreue im Jahr 2004 nicht habe entstehen können, weil sie die
Voraussetzungen erst am Jahresende festgelegt habe und die Mitarbeiter sich also nicht im
vorhinein darauf hätten einstellen können. Dies war in allen Vorjahren nicht anders, in denen sich
die Beklagte immer vorbehalten hatte, die Leistung freiwillig zu erbringen, und dennoch von
“Anwesenheitsprämien” sprach. Die Mitarbeiter hatten jeweils Anlass zur Hoffnung, durch wenige
Abwesenheitszeiten zumindest die Chance einer zusätzlichen Leistung zu erhalten.
27 bb) Auch die Arbeitnehmer, die der Vertragsänderung nicht zugestimmt haben, erfüllen diese
Zwecke, wenn sie wenig fehlen, sich gesundheitsbewusst verhalten, weiterhin bei der Beklagten
verbleiben und keinen Anlass zur Kündigung geben. Der von der Beklagten beanspruchte
angebliche Hauptzweck der Leistung, nämlich als Anreiz für den Abschluss neuer Verträge einen
Ausgleich von Nachteilen dafür zu schaffen, rechtliche und tatsächliche Nachteile in der Zukunft
auf sich zu nehmen, kann von vornherein nur bei solchen Arbeitnehmern eintreten, die keine oder
wenige Fehltage haben. Ein Ausgleich von Nachteilen im Entgeltbereich kommt im Jahre 2004
ohnehin nicht oder nicht messbar in Betracht. Auch die nicht monetären Änderungen konnten sich
im Jahr 2004 noch nicht auswirken. Insoweit ist auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
vom 14. März 2007 (- 5 AZR 420/06 - AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 204 = EzA BGB 2002
§ 242 Gleichbehandlung Nr. 12) nicht einschlägig. Im dort entschiedenen Sachverhalt ging es dem
Arbeitgeber ausschließlich um den Ausgleich von Vergütungsnachteilen. Weitere Zwecke wurden
nicht verfolgt.
28 3. Im Übrigen widerspricht die Verweigerung der Sonderzahlung an die Mitarbeiter, die ihre
bisherige Arbeitszeit beibehalten haben, dem Gebot des § 4 Abs. 1 TzBfG, wonach Arbeitnehmer
nicht wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung benachteiligt werden dürfen. Wenn die Beklagte die
regelmäßige Arbeitszeit im Betrieb erhöht hat, ist dies die nunmehr geltende Vollarbeitszeit.
Mitarbeiter, die regelmäßig eine geringere Arbeitszeit leisten, sind demzufolge Teilzeitkräfte.
Soweit die Differenzierung bei der Gewährung der Sonderzahlung an die Nichtbereitschaft zur
längeren Arbeitszeit anknüpft, werden die Mitarbeiter wegen ihrer geringeren Arbeitszeit
benachteiligt.
29 4. Es kann dahinstehen, ob auch das Maßregelungsverbot gem. § 612a BGB verletzt ist und der
Anspruch dem Kläger auch aus diesem Grund zusteht.
30 5. Die Beklagte hat die Höhe der geltend gemachten Forderung nicht beanstandet. Ein möglicher
Verstoß gegen § 4a Satz 2 EFZG kann dahinstehen, da der Kläger seine Forderung in
Übereinstimmung mit der im Betrieb geltenden Regelung berechnet hat.
Dr. Freitag
Marquardt
Brühler
Staedtler
Trümner