Urteil des BAG vom 02.10.2007

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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluß vom 2.10.2007, 1 AZN 793/07
Höchstbegrenzung einer Sozialplanabfindung - Benachteiligung älterer Arbeitnehmer
Tenor
1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Mai 2007 - 8 Sa 53/07 -
wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf
122.870,44 Euro festgesetzt.
Gründe
1 Die auf grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage und auf Divergenz
gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
2 I. Die anzufechtende Entscheidung beruht nicht auf einer Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung.
3 1. Gemäß § 72a Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf
gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.
Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und
klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für
die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest
eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAG 14. April 2005 - 1 AZN 840/04 - BAGE 114,
200, zu 2 c aa der Gründe mwN) . Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie in der
Revisionsinstanz beantwortet werden kann. Klärungsbedürftig ist sie, wenn sie höchstrichterlich
noch nicht entschieden (BAG 16. September 1997 - 9 AZN 133/97 - AP ArbGG 1979 § 72a
Grundsatz Nr. 54, zu II 2 der Gründe mwN) und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist (BAG
22. März 2005 - 1 ABN 1/05 - BAGE 114, 157, zu II 2 a der Gründe mwN) . Entscheidungserheblich
ist sie, wenn die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts von ihr abhängt.
4 2. Hiernach liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage nicht vor. Nach der Auffassung des
Klägers hat folgende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung:
„Liegt auch unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben eine nach § 75 Abs. 1 Satz 2
BetrVG verbotene Benachteiligung älterer Arbeitnehmer vor, wenn die - in einem anlässlich
einer Betriebsstilllegung abgeschlossenen Sozialplan, der für die betroffenen Arbeitnehmer
kein Angebot einer Weiterbeschäftigung vorschreibt, aber den Arbeitnehmern die Option des
Verbleibs in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft einräumt - für den Fall der
Entlassung vorgesehene, mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigende Sozialplanabfindung
auf einen Höchstbetrag, der typischerweise mehr ältere als jüngere Arbeitnehmer betrifft,
begrenzt wird?”
begrenzt wird?”
5 Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ist offensichtlich.
6 a) Das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters in Art. 1, Art. 2
Abs. 1, Abs. 2, Art. 6 RL 2000/78/EG war durch § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG aF teilweise bereits
umgesetzt (BAG 19. Juni 2007 - 1 AZN 1043/06 -, zu 1 c aa der Gründe). Danach hatten die
Betriebsparteien darauf zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter
Altersgrenzen benachteiligt werden. Art. 1 RL 2000/78/EG hat für das Betriebsverfassungsrecht
das Verbot in § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG aF um das Verbot einer sonstigen Benachteiligung wegen
Alters, etwa wegen des Unterschreitens bestimmter Altersgrenzen erweitert. Gemäß Art. 2
RL 2000/78/EG darf es wegen des Alters keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung geben.
7 b) Unabhängig von der Frage, ob die Richtlinie vor Ablauf der im Dezember 2006 endenden
Umsetzungsfrist bereits zu beachten war, haben ihre Vorschriften die Rechtslage jedenfalls
hinsichtlich der Zulässigkeit von Höchstbetragsklauseln, wie sie im hier maßgeblichen Sozialplan
vorgesehen sind, nicht geändert. Die Frage der Zulässigkeit solcher Höchstbeträge ist mit Blick auf
einen möglichen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2,
Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG nicht anders zu beurteilen als vor Erlass der Richtlinie (BAG 19. Juni
2007 - 1 AZN 1043/06 -, zu 1 c bb der Gründe) . Sie war zuvor bereits durch höchstrichterliche
Rechtsprechung geklärt. Wie das BAG im Urteil vom 19. Oktober 1999 (- 1 AZR 838/98 - AP
BetrVG 1972 § 112 Nr. 135 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 104) entschieden hat, ist es mit § 75
Abs. 1 BetrVG vereinbar, wenn ein Sozialplan die mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigende
Abfindung auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzt.
8 c) Im Übrigen stellt die Höchstbegrenzung einer mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigenden
Sozialplanabfindung auch unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben offensichtlich keine
nach § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG aF verbotene Benachteiligung älterer Arbeitnehmer dar. Es liegt
weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung älterer Arbeitnehmer vor. Durch eine
Höchstbetragsklausel, die ihrerseits nicht nach dem Alter differenziert, werden Arbeitnehmer wegen
ihres Lebensalters unmittelbar weder bevorzugt noch benachteiligt. Es liegt auch keine mittelbare
Altersdiskriminierung vor. Dies gilt auch dann, wenn von der in einem Sozialplan vorgesehenen
Höchstbegrenzung der Abfindung typischerweise mehr ältere als jüngere Arbeitnehmer betroffen
sind. Die älteren Arbeitnehmer werden durch eine Höchstbetragsklausel nicht anders behandelt als
die jüngeren. Sie werden vielmehr trotz ihres höheren Alters gleichbehandelt. Das Merkmal Alter hat
keine Ungleichbehandlung zur Folge. Durch die Anwendung der Höchstbetragsklausel findet gerade
keine Differenzierung nach dem Alter statt. Vielmehr wird umgekehrt die Differenzierung begrenzt,
die sich aus einer auch auf das Lebensalter abstellenden Abfindungsformel - vorliegend:
Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsgehalt : 35 - ergibt. Es stellt sich bei einer
Höchstbetragsklausel daher allenfalls die Frage, ob die Betriebsparteien in einem Sozialplan die von
einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer unabhängig von Lebensalter,
Betriebszugehörigkeit und Verdienst von einem bestimmten Abfindungsbetrag an gleichbehandeln
dürfen. Dies ist jedoch keine Frage der unmittelbaren oder mittelbaren Altersdiskriminierung.
9 II. Die anzufechtende Entscheidung beruht entgegen dem Vorbringen des Klägers auch nicht auf
einer Divergenz iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG. Entgegen der Behauptung des Klägers enthält die
von ihm angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 1999 (- 1 AZR
838/98 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 135 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 104) nicht den abstrakten
Rechtssatz, es liege eine nach § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verbotene Benachteiligung älterer
Arbeitnehmer vor, wenn in dem anlässlich einer Betriebsstilllegung abgeschlossenen, für die
betroffenen Arbeitnehmer kein Angebot einer Weiterbeschäftigung vorschreibenden Sozialplan die
für den Fall der Entlassung vorgesehene, mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigende Abfindung
auf einen Höchstbetrag begrenzt sei, der typischerweise mehr ältere als jüngere Arbeitnehmer
betreffe. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Rechtssatz weder ausdrücklich formuliert noch liegt
er der Entscheidung zwingend zugrunde.
Schmidt
Kreft
Linsenmaier
Gentz
Leising