Urteil des BAG vom 21.10.2009

BAG: Auslegung und Anwendung einer haustarifvertraglichen Besitzstandsklausel, Auslegung von Tarifverträgen der Arbeiterwohlfahrt, vergütung, besitzstandswahrung, zulage, ortszuschlag, gewerkschaft

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 21.10.2009, 4 AZR 145/09
Auslegung und Anwendung einer haustarifvertraglichen Besitzstandsklausel - Auslegung von
Tarifverträgen der Arbeiterwohlfahrt
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Sachsen-Anhalt vom 13. Januar 2009 - 2 Sa 330/08 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg
vom 4. Juni 2008 - 7 Ca 1951/07 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 267,35 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. September
2007 zu zahlen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat der Kläger 17/20, die
Beklagte 3/20 zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter und dritter
Instanz hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger ab April 2007 zustehenden Vergütung und in
diesem Zusammenhang um die Auslegung tarifvertraglicher Vorschriften.
2 Der 1977 geborene, ledige Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Er wurde von der
Beklagten, die bis Mai 2007 als AWO Krankenhausbetriebsgesellschaft Sachsen-Anhalt gGmbH
firmierte, als Krankenpfleger mit einem Teilzeitanteil von zunächst 25/40 zum 1. Mai 1999
eingestellt. Seit dem Monat März 2007 hat er mit der Beklagten, die Mitglied im AWO-
Bundesverband und im Tarifverband der Arbeiterwohlfahrt ist, eine wöchentliche Arbeitszeit von 30
Stunden vereinbart.
3 Im Arbeitsvertrag des Klägers heißt es zur Vergütung:
㤠2
Der/Die Arbeitnehmer/in ist in die Vergütungsgruppe KrT IV/1, Stufe 2 des BMT-AW O
eingruppiert. Die tarifliche Eingruppierung ist die Grundlage der Vergütung. Die regelmäßige
wöchentliche Arbeitszeit wird mit 62,5 % der nach § 11 BMT-AW O jeweils gültigen
Arbeitszeit vereinbart. Dies sind zur Zeit 25 Stunden wöchentlich.
Der/Die Arbeitnehmer/in erhält daher zur Zeit
Grundvergütung
1.313,56
Ortszuschlag
444,81
Allgemeine Zulage
101,00
Heimzulage
48,01
Gesamtvergütung
1.907,38.
Sonstige Zulagen (Weihnachtszuwendung, vermögenswirksame Leistungen) werden nach
dem geltenden Tarifvertrag bzw. nach besonderer Vereinbarung gezahlt.“
4 Der Erste Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifvertragliche Vorschriften - vom
25. März 1991 (BMT-AW O) war von der Gewerkschaft ötv (nunmehr ver.di) einerseits sowie der
Arbeiterwohlfahrt - Bundesverband e.V. - (AWO Bundesverband) und dem
Koordinierungsausschuss der Arbeiterwohlfahrt - Bundesverband e.V. - andererseits in Vertretung
für sämtliche Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ua. des Landes Sachsen Anhalt
geschlossen und zum 31. März 2004 gekündigt worden.
5 Bereits zuvor, am 1. Januar 2003, war der zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem AWO-
Bundesverband auch für sämtliche Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt in Sachsen-Anhalt
geschlossene Vergütungs- und Tarifvertrag Nr. 8 zum BMT-AW O vom 18. Februar 2003 für die
Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (VTV Nr. 8) in Kraft getreten.
6 Die Gewerkschaft ver.di und der AWO-Bundesverband, dieser für sämtliche Gliederungen der
AWO in Sachsen-Anhalt handelnd, schlossen am 23. Dezember 2004 den Übergangstarifvertrag
vom 23. Dezember 2004 für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt
(ÜbgTV-BUND-Ost) , mit dem sie die Regelungen des BMT-AW O mit einigen Modifikationen
wieder herstellten. So legten sie ua. fest, dass eine in den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum
31. Dezember 2006 fallende Anhebung der nach dem Text der ehemaligen §§ 24, 28 BMT-AW O
vorgesehenen Lebensalters- oder Beschäftigungszeitstufen bei allen bereits vor dem 1. April 2004
bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einmalig um ein
Kalenderjahr in die Zukunft verschoben wird.
7 Am 23. November 2005 vereinbarten dann der AWO Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. sowie
einzelne im Tarifvertrag aufgeführte Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt in Sachsen-Anhalt,
darunter auch die Beklagte, ua. mit der Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag (TV 2005) , der
Folgendes regelt:
㤠1
Für die Arbeitnehmer/innen die unter dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen gilt
der Übergangstarifvertrag Ost vom 23. Dezember 2004 (ÜbgTV Ost) mit folgenden
Maßgaben.
§ 2
Der Vergütungstarifvertrag Nr. 8 zum BMT-AW O findet keine Anwendung. Stattdessen
gelten die Anlagen 1 - 7 zu diesem Tarifvertrag. Gleiches gilt für die Gliederungen der
Arbeiterwohlfahrt, Landesverband Sachsen-Anhalt e.V.
§ 3
Der § 2 Ziffer 2 des ÜbgTV Ost findet keine Anwendung.
§ 5
Arbeitnehmer/innen, für die bei Inkrafttreten dieses Tarifvertrags günstigere
vergütungsrechtliche oder einzelvertragliche Regelungen gelten, bleiben diese bestehen.
§ 6
Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Oktober 2005 in Kraft. …
...
Protokollnotiz:
Im Hinblick auf die AWO Krankenhausbetriebsgesellschaft Sachsen-Anhalt gGmbH findet
dieser Tarifvertrag nur für die Mitarbeiterinnen Anwendung, die ein
Beschäftigungsverhältnis vor dem 1. April 2004 eingegangen sind.“
8 Mit diesem Tarifabschluss wurde der Streit darüber beendet, welche Gliederungen der AWO an
den VTV Nr. 8 tarifgebunden waren. In einigen Untergliederungen wurde weniger als das dort
Vorgesehene gezahlt. Die Beklagte richtete sich allerdings stets nach diesem Tarifvertrag.
9 Die Beklagte zahlte dem Kläger ab Juli 2006 bezogen auf dessen Teilzeitbeschäftigung im Umfang
von 25/40 der tariflichen Vollarbeitszeit insgesamt 1.276,87 Euro brutto. Dieser Betrag setzte sich
wie folgt zusammen:
„Grundvergütung VGr. KrT Va/Stufe 4
(25/40)
872,79 EUR
Ortszuschlag (led./0 Kinder) anteilig 248,55 EUR
Allgemeine Zulage anteilig 25/40
56,44 EUR
Besitzstand AWO-LSA
99,09 EUR
gesamt
1.276,87 EUR brutto.“
10 Dabei beruhten die angegebenen Vergütungsbestandteile auf den Festlegungen aus dem TV 2005.
Der Besitzstandsbetrag entspricht der Differenz zwischen den entsprechenden
Vergütungsbestandteilen nach dem VTV Nr. 8 zum Zeitpunkt der Ablösung zu den hier zugrunde
gelegten Beträgen.
11 Im Monat März 2007 zahlte die Beklagte im Hinblick auf die neu vereinbarte Arbeitszeit von 30/40
der tariflichen Vollarbeitszeit an den Kläger insgesamt 1.521,43 Euro brutto, die sich wie folgt
zusammensetzten:
„Grundvergütung VGr. KrT Va/Stufe 4
(30/40)
1.047,35 EUR
Ortszuschlag (led./0 Kinder) anteilig 298,26 EUR
Allgemeine Zulage anteilig 30/40
67,73 EUR
Besitzstand AWO-LSA
99,09 EUR
gesamt
1.512,43 EUR
brutto.“
12 Ab dem Monat April 2007 vergütete die Beklagte die Arbeit des Klägers trotz der nun erreichten
Alterstufe 5 unverändert mit 1.512,43 Euro brutto, die sich aber nach ihrer Auffassung anders
zusammensetzten:
„Grundvergütung VGr. KrT Va/Stufe 5
(30/40)
1.078,39 EUR
Ortszuschlag (led./0 Kinder) anteilig 298,26 EUR
Allgemeine Zulage anteilig 30/40
67,73 EUR
Besitzstand AWO-LSA
68,05 EUR
gesamt
1.512,43 EUR brutto.“
13 Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt eine um 53,47 Euro höhere monatliche Vergütung und die
Zahlung dieses Differenzbetrages für die Monate April bis August 2007 verlangt. Er ist der
Auffassung, auf sein Arbeitsverhältnis sei unverändert der VTV Nr. 8 anwendbar, aus dem sich
der folgende Vergütungsanspruch ergebe:
„Grundvergütung VTV Nr. 8 VGr.
KrT Va/Stufe 5 (30/40)
1.169,12 EUR
Ortszuschlag (led./0 Kinder) anteilig 323,36 EUR
Allgemeine Zulage anteilig 30/40
73,42 EUR
gesamt
1.565,90 EUR brutto.“
14 Der Kläger hat in der Sache zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 267,35 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 8. September 2007.
15 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, der TV 2005 habe den VTV
Nr. 8 vollständig abgelöst und als Besitzstand lediglich statisch den faktischen Vergütungsbetrag
aufrechterhalten, der bei Inkrafttreten dieses Tarifvertrages zugestanden habe. Im Übrigen gelte
auch der ÜbgTV.
16 Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, wobei der Kläger vor dem
Arbeitsgericht noch einen höheren Differenzbetrag verlangt und darüber hinaus einen
Feststellungsantrag wegen der ihm nach seiner Auffassung zustehenden Vergütung gestellt hatte.
Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen letzten
Zahlungsantrag weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
17 Die Revision ist begründet. Der Kläger kann entgegen der Auffassung der Vorinstanzen eine
Differenzvergütung für die Monate April bis Juli 2007 in Höhe von insgesamt 267,35 Euro
verlangen. Auf sein Arbeitsverhältnis finden hinsichtlich der Vergütung nach § 5 LSA-TV im
Ergebnis der VTV Nr. 8 und der ÜbgTV-BUND-Ost in der am Stichtag geltenden Fassung
Anwendung. Hieraus ergibt sich für den Streitzeitraum ein Anspruch auf eine um 53,47 Euro brutto
höhere monatliche Vergütung, als sie die Beklagte gezahlt hat.
18 I. Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass sich das Arbeitsverhältnis der
Parteien nach dem TV 2005 richtet. Der Kläger ist als Mitglied von ver.di, die Beklagte als Partei
dieses mehrgliedrigen Tarifvertrages nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG tarifgebunden.
19 II. Der Kläger kann aber entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts für den
Streitzeitraum im Ergebnis die geltend gemachte, sich aus dem VTV Nr. 8 und dem ÜbgTV-
BUND-Ost ergebende und in den Einzelpositionen rechnerisch unstreitige höhere
Gesamtvergütung verlangen. Der Anspruch aus diesen „vergütungsrechtlichen Regelungen“, wie
sie „bei Inkrafttreten“ des TV 2005 am 1. Oktober 2005 galten, ergibt sich aus der
Besitzstandswahrungsbestimmung des § 5 TV 2005. Dessen Regelungsgehalt beschränkt sich
entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen nicht darauf, den betroffenen
Arbeitnehmern die tarifvertragliche Gesamtvergütung dem Nominalbetrag nach zu erhalten, die sie
vor dem Stichtag zu beanspruchen hatten. Maßstab für den Umfang der Besitzstandswahrung
sind die vorangegangenen tariflichen Regelungen - hier der VTV Nr. 8 - mit den bereits am
Stichtag feststehenden, nur vom Zeitablauf abhängigen Stufensteigerungen. Daraus ergibt sich die
geltend gemachte und zuerkannte Vergütungsdifferenz.
20 1. § 5 TV 2005 erhält den Vergütungsbesitzstand nicht nominal, sondern nach Maßgabe des VTV
Nr. 8 und des ÜbgTV-BUND-Ost in der am Stichtag geltenden Fassung.
21 a) Die Bestimmung ist sprachlich missglückt. Sie ergibt nur dann einen Sinn, wenn man den Satz
mit einem „Für“ beginnen lässt, die Bestimmung also lautet:
㤠5
Für Arbeitnehmer/innen, für die bei Inkrafttreten dieses Tarifvertrages günstigere
vergütungsrechtliche oder einzelvertragliche Regelungen gelten, bleiben diese bestehen.“
22 Ausgehend von den Worten, welche die Tarifvertragsparteien verwenden, und dem gewählten
Satzbau ist eine andere sprachliche Klarstellung ausgeschlossen.
23 b) Mit dieser Bestimmung ist nicht nur ein auf den 1. Oktober 2005 ermittelter zahlenmäßig
festgeschriebener Besitzstand garantiert. Den von der Regelung erfassten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern wird vielmehr zugesagt, dass sie aufgrund der Neuregelungen des TV 2005 nicht
schlechter stehen werden, als sie stünden, wenn weiterhin die bisher maßgebenden
vergütungsrechtlichen und vertragsrechtlichen Regelungen gelten würden. Dies setzt einen
Günstigkeitsvergleich des nach dem TV 2005 Zustehenden mit der Monatsvergütung voraus, die
bei einer Weitergeltung der bis dahin bestehenden vergütungsrechtlichen Regelungen in der
Fassung des Ablösungsstichtages zustünde. Zu letzteren gehören insbesondere der VTV Nr. 8
und der ÜbgTV-BUND-Ost.
24 aa) Die Bestimmung ist nach ihrem Wortlaut eindeutig. Es geht nicht nur um einen Schutz des
bisherigen Vergütungsumfangs; den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird vielmehr
derjenige Besitzstand garantiert, welcher ihnen bei weiterer Anwendung der bisherigen
vergütungsrechtlichen Regelungen zugestanden hätte. Die Tarifvertragsparteien haben in den
letzten Satzteil das Wort „diese“ eingefügt, wonach es sprachlich ausgeschlossen ist, das
„Bestehen bleiben“ nur auf das Ergebnis der Regelungsanwendung, also auf einen bestimmten
Geldbetrag, zu beziehen, wie die Beklagte dies in ihren Abrechnungen praktiziert hat; die
günstigeren vergütungsrechtlichen Regelungen selbst sollen als Maßstab für den zu erhaltenden
Besitzstand bestehen bleiben.
25 bb) Zu den in § 5 TV 2005 angesprochenen vergütungsrechtlichen Regelungen gehören
insbesondere die im Arbeitsverhältnis des Klägers bis zum 1. Oktober 2005 maßgebenden
tarifvertraglichen Vergütungsregelungen.
26 (1) Die Tarifvertragsparteien des TV 2005 haben mit den „vergütungsrechtlichen Regelungen“ den
denkbar weitesten Begriff für auf ein Arbeitsverhältnis einwirkende Rechtssätze zum Entgelt
gewählt. Unter diesen Begriff fallen jedenfalls auch die Tarifverträge, nach denen sich bis zum
Ablösungsstichtag die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richteten.
27 (2) Dem steht nicht entgegen, dass der TV 2005 in seinen §§ 2 und 3 die betreffenden, bei der
Beklagten zuvor angewendeten Tarifverträge mit seinem Inkrafttreten für unanwendbar erklärt hat.
Es ist schon fraglich, ob damit die aufgeführten Tarifverträge bei Inkrafttreten des TV 2005 in
einem streng juristischen Sinne nicht mehr „gelten“, weshalb die Beklagte erwägt, sie auch nicht
mehr zu den zur Besitzstandswahrung zugrunde zu legenden vergütungsrechtlichen Regelungen
zu zählen. Ein derart formales Begriffsverständnis kann den Tarifvertragsparteien des TV 2005
nicht unterstellt werden. Wenn sie in einer zur Korrektur der §§ 1 bis 4 TV 2005 gedachten
Regelung zur Besitzstandswahrung von einem Bestehenbleiben günstigerer vergütungsrechtlicher
Regelungen sprechen, ist auszuschließen, dass sie damit die bis dahin geltenden Tarifverträge als
die wichtigsten vergütungsrechtlichen Regelungen nicht mit erfassen wollen, wenn sie dies nicht
ausdrücklich bestimmen.
28 cc) Ein solches Normverständnis, das den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für
die Zeit ab dem 1. Oktober 2005 im Ergebnis die Ansprüche belässt, die sie auf der
Tarifrechtsgrundlage des 30. September 2005 erworben hätten, ist entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts auch kein sinnwidriges Ergebnis, das den Tarifvertragsparteien nicht
unterstellt werden dürfte.
29 (1) Den TV 2005 haben mehrere Unternehmen aus dem Bereich der Arbeiterwohlfahrt auf
Arbeitgeberseite gemeinsam abgeschlossen, um Unklarheiten darüber aus dem Weg zu räumen,
ob der VTV Nr. 8 und der ÜbgTV-BUND-Ost bei ihnen anzuwenden ist oder nicht. Bei der
Beklagten bestand aufgrund ihrer durchgängigen Praxis in der Zeit zuvor, den zuletzt noch
nachwirkenden VTV Nr. 8 anzuwenden, eine Sondersituation, die es nahelegte, für deren
Arbeitnehmer, soweit sie nach der Protokollnotiz überhaupt unter den Geltungsbereich des TV
2005 fielen, die Regelungen des zuvor angewendeten Tarifrechts zur Besitzstandswahrung
heranzuziehen. Andernfalls wäre es mit dem Abschluss des TV 2005 zu einer echten
Schlechterstellung der Beschäftigten der Beklagten gekommen, für die es aufgrund der dort
bestehenden eindeutigen Rechtslage keinen Grund gab.
30 (2) Im Übrigen ist aber auch die Bewertung des Landesarbeitsgerichts unrichtig, der TV 2005 hätte
bei einem dem Wortlaut des § 5 entsprechenden Verständnis für die Beklagte überhaupt keinen
Anwendungsbereich. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Beklagten unterliegen
grundsätzlich den Regelungen in §§ 1 bis 4 TV 2005. Ob der VTV Nr. 8 und die dazugehörigen
Bestimmungen für sie günstiger sind und wie lange sie das bleiben, da sie nur mit den zuletzt
geltenden Vergütungstabellen für die Besitzstandswahrung maßgeblich sind, hängt davon ab, wie
sich die Vergütungstabellen zum TV 2005 zukünftig entwickeln. Diese und nicht die des VTV Nr. 8
sind in jedem Falle der Ausgangspunkt, von dem aus sich die Vergütungen der vom TV 2005
betroffenen Beschäftigten der Beklagten entwickeln.
31 2. Aus den damit im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs zugrunde zu legenden Regelungen des
VTV Nr. 8 und des ÜbgTV-BUND-Ost folgt der vom Kläger geltend gemachte Anspruch.
32 a) Die Beklagte muss den Kläger nach § 5 TV 2005 jedenfalls so stellen, wie er nach § 6 Abs. 1
VTV Nr. 8 iVm. § 24 Buchst. B BMT-AW O und den zugehörigen Entgelttabellen mit dem Stand
1. Oktober 2005 stünde. Danach muss er ab dem 1. April 2007 mindestens Vergütung nach
Vergütungsgruppe KrT Va/Stufe 5 VTV Nr. 8 erhalten. Sie liegt bei Berücksichtigung der
Teilzeitquote des Klägers von 30/40 unter Einschluss des Ortszuschlags nach der Anlage 5e und
der Allgemeinen Zulage nach der Anlage 9e bei insgesamt 1.565,90 Euro brutto. Sie überschreitet
damit die von der Beklagten dem Kläger gegenüber abgerechneten 1.512,43 Euro brutto um die
53,47 Euro brutto monatlich, die für die Monate April bis August 2007 Gegenstand der Klage
geblieben sind.
33 Der Kläger, der in eine KrT-Vergütungsgruppe eingruppiert ist, und 1977 geboren ist, kann auf der
Grundlage von § 5 TV 2005 nach § 6 VTV Nr. 8 iVm. § 24 Buchst. B BMT-AW O ab dem 1. April
2007 die Grundvergütung nach der unstreitigen Vergütungsgruppe KrT Va in der Altersstufe 5 als
gesicherten Besitzstand verlangen. Nach § 24 Buchst. B (1) BMT-AW O erreicht man die
zustehende Grundvergütung in der Altersstufe 1 von Beginn des Monats an, in dem man das
20. Lebensjahr vollendet hat und steigt dann alle zwei Jahre um eine Stufe. Nach § 24 Buchst. B
(3) BMT-AW O erhält der Angestellte, der bei der Einstellung älter als zwanzig ist, die
Grundvergütung der nächstniedrigeren Stufe als der, die er erhielte, wenn er von Anfang an im
Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte. Da der Kläger bei seiner Einstellung durch die Beklagte
22 Jahre alt war, stand ihm eine Anfangsvergütung nach Stufe 1 zu. Ab Vollendung seines
24. Lebensjahres war er nach Stufe 2, ab Vollendung des 26. Lebensjahres nach Stufe 3 sowie ab
Vollendung des 28. Lebensjahres nach Stufe 4 zu vergüten. Ab Vollendung des 30. Lebensjahres,
also nach der Rundungsbestimmung in § 24 Buchst. B (1) BMT-AW O ab dem 1. April 2007, war
danach die Altersstufe 5 maßgebend. Daraus ergibt sich die folgende Berechnung für den durch
§ 5 TV 2005 gesicherten Besitzstand aus den am 1. Oktober 2005 bestehenden tariflichen
Regelungen:
Grundvergütung KrT Va/Stufe 5 91,11% 1.558,83 EUR
Teilzeitquote 30/40
1.169,12 EUR
Ortszuschlag (led./0 Kinder) [Anlage 5e] 431,14 EUR
Teilzeitquote 30/40
323,36 EUR
Allgemeine Zulage (Anlage 9e)
97,89 EUR
Teilzeitquote 30/40
73,42 EUR
insgesamt
1.565,90 EUR.
34 b) Dieser zu wahrende Besitzstand, aus dem sich die Berechtigung der Klageforderung ergibt,
wird durch § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost im Ergebnis nicht eingeschränkt. Diese Bestimmung ist
zwar im Rahmen der Besitzstandswahrung nach § 5 TV 2005 anwendbar. Sie wirkt sich aber auf
den dem Kläger gegenüber zu wahrenden Besitzstand nicht aus.
35 aa) Nach § 3 TV 2005 soll zwar § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost keine Anwendung finden. Die
Nichtanwendungsanordnung für diese im Rahmen des VTV Nr. 8 eingeführte Kürzungsregelung
durch Hinausschieben einer Altersstufensteigerung gilt aber nur für die Neuregelungen durch den
TV 2005 und die Anlagen hierzu. § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost gehört aber zu den
„vergütungsrechtlichen Regelungen“, die Grundlage für die Ermittlung des den Arbeitnehmern in
§ 5 TV 2005 gesicherten Vergütungsbesitzstand ist (ausführlich BAG 21. Oktober 2009 - 4 AZR
435/08 - Rn. 20 ff.).
36 bb) Die Regelung des § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost wirkt sich auf die dem Kläger ab dem 1. April
2007 zustehende Grundvergütung nicht aus.
37 (1) § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost hat, soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse, den
folgenden Wortlaut:
„Alle seit dem 01. April 2004 eingestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden bei
der Festsetzung der Lebensaltersstufe … gemäß dem Text der ehemaligen §§ 24 A und B
… rückwirkend eine Lebensaltersstufe niedriger eingestuft, als dies nach den dort
festgelegten Bestimmungen zu erfolgen hätte, jedoch nicht niedriger als Stufe 1. Dies gilt
nicht, sofern ausdrücklich eine entsprechende Zusage nach den bis zum 31. März 2004
geltenden Regelungen im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Hierauf setzen alle zukünftigen
Steigerungen der Lebensalters- … stufen auf.
Eine in den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 fallende Anhebung
der nach dem Text der ehemaligen §§ 24, 28 BMT-AW-O vorgesehenen Lebensalters- …
stufen wird bei allen bereits vor dem 1. April 2004 bei dem selben Arbeitgeber beschäftigten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einmalig um ein Kalenderjahr in die Zukunft
verschoben. Entsprechendes gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die seit dem
1. April 2004 mit einer Zusage nach den bis zum 31. März 2004 geltenden tariflichen
Regelungen eingestellt wurden. …“
38 (2) Im Fall des Klägers ist der zweite Absatz der wiedergegebenen Bestimmung einschlägig. Eine
für ihn maßgebliche Altersstufenanhebung fiel in die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum
31. Dezember 2006, nämlich die zur Stufe 4 am 1. April 2005; an diesem Tag wurde der Kläger 28
Jahre alt. Nach § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost war bei der Besitzstandswahrung damit erst zum
1. April 2006 eine Altersstufenerhöhung auf die Stufe 4 nach Maßgabe von § 5 TV 2005, VTV Nr. 8
zu gewährleisten. Die nächste Altersstufensteigerung in Stufe 5 nach § 24 Buchst. B BMT-AW O
trat für den Kläger aber nicht erst zwei Jahre nach diesem Zeitpunkt ein, sondern planmäßig mit
Vollendung seines 30. Lebensjahres zum 1. April 2007. § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost schreibt im
zweiten Absatz nur ein einmaliges Herausschieben einer Alterstufensteigerung vor, die in die
Jahre 2005 und 2006 fällt. Danach kehrt die Vergütungsentwicklung nach § 24 Buchst. B BMT-
AW O in den dort vorgeschriebenen Rhythmus zurück.
39 Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich aus der Festlegung, das Herausschieben habe „einmalig“
zu geschehen, und aus dem Vergleich der Regelung des zweiten Absatzes mit der für
Neueingestellte geltenden Anordnung im ersten Absatz des § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost. Wenn
für die Neueingestellten festgelegt wird, die Verschiebung wirke dort auf Dauer, weil auf sie die
künftigen Steigerungen „aufsetzten“, wäre ein entsprechender Regelungswille für den zweiten
Absatz durch eine wie immer im einzelnen formulierte wiederholende Bestimmung oder eine
Bezugnahme auf den ersten Absatz zum Ausdruck gekommen. Stattdessen wird das anders
kaum sinnvolle „einmalig“ eingeschoben und vom Verschieben „einer“ Anhebung um ein
Kalenderjahr gesprochen. Den Arbeitnehmern, die bei ihrer Einstellung aufgrund der damals
bestehenden Tariflage des VTV Nr. 8 iVm. § 24 Buchst. B BMT-AW O darauf vertrauen durften,
von jetzt an alle zwei Jahre eine Vergütungserhöhung zu erhalten, sollte nur hinsichtlich einer
Erhöhung um ein Jahr eine Abweichung von diesem tariflichen Steigerungsplan zugemutet
werden, während den Tarifvertragsparteien, bei denen eine solche Erwartung nicht berechtigt war,
eine weitergehende Verschlechterung gegenüber der vorangegangenen Tariflage zumutbar
erschien.
40 Der Kläger hat damit die Altersstufe 5 außerhalb des Zeitraums des § 2 Ziffer 2 ÜbgTV-BUND-Ost
und deshalb planmäßig am 1. April 2007 erreicht.
41 III. Die Pflicht der Beklagten, die dem Kläger nach alledem zustehende und rechnerisch zutreffend
ermittelte Klagesumme wie beantragt ab dem 8. September 2007 zu verzinsen, folgt aus § 286
Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1, § 187 BGB.
42 IV. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zweiter und dritter Instanz als dort in vollem
Umfang unterlegene Partei nach § 97 ZPO zu tragen. Hinsichtlich der Kosten erster Instanz folgt
die Kostenentscheidung aus § 92 ZPO.
Bepler
Creutzfeldt
Treber
Pfeil
B. Pieper