Urteil des BAG vom 22.10.2008

BAG (vergütung, zpo, schuldner, arbeit auf abruf, ihv, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, tätigkeit, beurteilung, kläger, umstände)

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.10.2008, 10 AZR 703/07
Drittschuldnerklage - Anforderungen an die Annahme eines verschleierten Arbeitseinkommens
Leitsätze
Die Regelung in § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO, wonach bei der Prüfung, ob der Schuldner einem Dritten in
einem ständigen Verhältnis Arbeiten oder Dienste gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung
leistet, auf alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der Arbeits- und Dienstleistung, die
verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Dienstberechtigten und dem
Dienstverpflichteten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Dienstberechtigten, Rücksicht zu
nehmen ist, erfordert eine fallbezogene Beurteilung und schließt die fallübergreifende Annahme aus, eine
Vergütung sei immer dann nicht unverhältnismäßig gering, wenn sie mehr als 75 % der üblichen
Vergütung beträgt.
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 16. August 2007 - 11 Sa 8/07 -
aufgehoben, soweit die vom Kläger für die Zeit ab November 2006 im Wege der
Drittschuldnerklage erhobenen Zahlungsansprüche abgewiesen wurden.
2. Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten im Wege der Drittschuldnerklage über die Höhe der angemessenen Vergütung
des Streitverkündeten (Schuldners) für die Zeit ab November 2006.
2 Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 1. Oktober 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über
das Vermögen der T. GbR F und M (T. GbR). Der Schuldner ist Diplomphysiker. Er war
Gesellschafter und Geschäftsführer der T. GbR. Seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau leistet er
Unterhalt. Seit dem 1. November 2006 ist er gegen ein Bruttomonatsgehalt iHv. 2.300,00 Euro
wöchentlich 40 Stunden bei der Beklagten tätig. Diese wurde am 30. März 2006 gegründet und am
10. April 2006 ins Handelsregister eingetragen. Sie arbeitetet auf dem Gebiet der elektronischen
Messtechnik und befasst sich wie zuvor die T. GbR mit der Entwicklung, Herstellung und dem
Vertrieb von Messgeräten aller Art sowie der zugehörigen Software. Nach dem Arbeitsvertrag
obliegen dem Schuldner bei der Beklagten folgende Aufgaben: „Vertrieb mit Schwerpunkt
Innendienst, Kundenberatung, gelegentlich Kundenbesuche, Vertriebsbüro, Bürotätigkeiten“. Die
Beklagte beschäftigt auch den Gesellschafter der insolventen T. GbR F. Mit einem der Beklagten
am 9. Juni 2006 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Freiburg
vom 18. Mai 2006 ließ der Kläger das Arbeitseinkommen des Schuldners aus seiner Tätigkeit bei
der Beklagten wegen einer titulierten Forderung iHv. 513.468,74 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten
pfänden und sich zur Einziehung überweisen.
3 Der Kläger ist der Auffassung, der Schuldner arbeite bei der Beklagten gegen eine
unverhältnismäßig geringe Vergütung. Ab November 2006 sei für die Tätigkeit des Schuldners bei
der Beklagten eine monatliche Vergütung iHv. 3.000,00 Euro brutto angemessen. Der Schuldner
und sein Mitgesellschafter bei der T. GbR F führten auch bei der Beklagten bei unveränderter
Aufgabenverteilung die Geschäfte. Der Geschäftsführer der Beklagten suche diese maximal einmal
im Monat auf. Der Schuldner sei bei der T. GbR für die Bereiche Geschäftsleitung, Vertrieb,
Sensorik und Fertigung zuständig gewesen. Diese Aufgaben nehme er bei der Beklagten in
vergleichbarer Weise wahr und sei bei dieser auch für Personalentscheidungen zuständig. Er trete
nur nach außen nicht als Geschäftsführer in Erscheinung. Aus dem für die Tätigkeit des Schuldners
angemessenen monatlichen Bruttogehalt iHv. 3.000,00 Euro errechne sich für die Monate
November und Dezember 2006 eine Nettovergütung iHv. jeweils 2.066,38 Euro, wovon monatlich
352,05 Euro pfändbar gewesen seien und deshalb von der Beklagten an ihn abzuführen gewesen
wären, wenn berücksichtigt werde, dass der Schuldner seiner Ehefrau Unterhalt gewährt habe. Für
die Zeit ab Januar 2007 führe ein monatliches Bruttogehalt zu einer Nettovergütung iHv.
2.094,88 Euro und damit unter Berücksichtigung der Unterhaltsgewährung des Schuldners zu
einem pfändbaren und an ihn abzuführenden Betrag iHv. monatlich 367,05 Euro.
4 Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, im Berufungsverfahren zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate November 2006 bis Juli 2007
3.273,45 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. ab dem 1. August 2007 an ihn die sich unter Berücksichtigung der aus dem
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 18. Mai
2006, Az: 82 M 11654/06, sowie der Freigrenzen ergebenden pfändbaren Beträge zu
zahlen mit der Maßgabe, die Zahlung auf die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses
zu begrenzen, ausgehend von einem Bruttoeinkommen von 3.000,00 Euro und dem
Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung für eine Person sind dies derzeit monatlich
367,05 Euro.
5 Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, das monatliche Gehalt des
Schuldners iHv. 2.300,00 Euro brutto sei nicht unverhältnismäßig gering. Der Schuldner führe ihre
Geschäfte nicht. Er habe keine Personalverantwortung und sei auch nicht für die Entwicklung und
Produktion verantwortlich. Er sei lediglich der Ansprechpartner für die Bereiche Vertrieb und
Sensorik. Die von ihm ausgeübten Tätigkeiten lägen weit unter der Qualifikation eines
Diplomphysikers und könnten ebenso gut von einem Techniker oder von einem Mechaniker der
Fachrichtung Mess- und Regeltechnik ausgeübt werden.
6 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des
Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Drittschuldnerklage des Klägers teilweise
stattgegeben. Es hat, soweit für die Revision von Interesse, ausgehend von einem angemessenen
Bruttomonatsgehalt des Schuldners iHv. 2.300,00 Euro die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die
Monate November 2006 bis Juli 2007 1.699,35 Euro zu zahlen sowie ab August 2007 monatlich
192,05 Euro von der Nettovergütung des Schuldners einzubehalten und an den Kläger abzuführen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageansprüche
für die Zeit ab November 2006 weiter, soweit das Landesarbeitsgericht diese abgewiesen hat. Die
Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit der vom
Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Drittschuldnerklage des Klägers nicht
teilweise abgewiesen werden, soweit dieser für die Zeit ab November 2006 die Abführung der sich
aus einem monatlichen Bruttogehalt des Schuldners iHv. 3.000,00 Euro ergebenden pfändbaren
Beträge verlangt hat. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Die Begriffe der
unverhältnismäßig geringen Vergütung und der angemessenen Vergütung in § 850h Abs. 2 Satz 1
ZPO sind unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs
kommt dem Landesarbeitsgericht ein Beurteilungsspielraum zu. Das Landesarbeitsgericht hat zu
den Umständen, auf die nach § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO bei der Bemessung der angemessenen
Vergütung Rücksicht zu nehmen ist, auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
8 I. Das Landesarbeitsgericht hat, soweit für die Revision von Bedeutung, angenommen, der
Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners sei ab November 2006
nicht ein Bruttomonatsgehalt iHv. 3.000,00 Euro, sondern das zwischen dem Schuldner und der
Beklagten vereinbarte monatliche Bruttogehalt iHv. 2.300,00 Euro zugrunde zu legen. Allerdings
habe die übliche monatliche Bruttovergütung für die vom Schuldner ab November 2006 erbrachte
Arbeitsleistung 3.000,00 Euro betragen. Dafür maßgebend seien die Vollzeitbeschäftigung des
Schuldners und die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Bedeutung seiner Tätigkeit. Es sei
nicht nachvollziehbar, dass der für die Endkontrolle und das Internet zuständige Mitarbeiter D bei
einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden eine monatliche Bruttovergütung von
2.012,85 Euro und somit ein relativ höheres Gehalt beziehe als der Schuldner. Die Beklagte habe
nicht vorgetragen, dass sie nicht in der Lage sei, dem Schuldner ein höheres Gehalt zu zahlen. Sie
habe eine schlechte finanzielle Situation nicht behauptet. Entscheidend sei, dass die Beklagte
selbst vorgetragen habe, die vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit könne auch von einem
Techniker, einem qualifizierten Handwerks- oder Industriemeister oder einem Mechaniker der
Fachrichtung Mess- und Regeltechnik verrichtet werden. Die monatlichen Tariflöhne für solche
Arbeitnehmer lägen nicht im Bereich von 2.300,00 Euro brutto, sondern im Bereich von
3.000,00 Euro brutto, teilweise auch darüber. Dennoch könne nicht von einem verschleierten
Arbeitseinkommen ausgegangen werden. Eine unverhältnismäßig geringe Vergütung iSv. § 850h
Abs. 2 Satz 1 ZPO liege nicht vor, wenn wie hier die übliche Vergütung um weniger als 25 %
unterschritten werde. Es komme hinzu, dass die Beklagte sich noch in der Aufbauphase befunden
habe. Unberücksichtigt könne auch nicht bleiben, dass bei der Beklagten nicht mehr als zehn
Arbeitnehmer tätig seien und die Beklagte neben dem Schuldner auch noch seinen früheren
Mitgesellschafter bei der T. GbR F beschäftige. Eventuell anfallende Geschäftsleitungsaufgaben
verteilten sich somit auf zwei von zehn Mitarbeitern und verlören dadurch an Gewicht. Außerdem
müssten insgesamt zehn Mitarbeiter die Vergütung für überproportional viele Mitglieder der
Geschäftsleitung erarbeiten. Unter diesen Umständen könne nicht von einer unverhältnismäßig
geringen Vergütung des Schuldners ausgegangen werden.
9 II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind nicht frei von Rechtsfehlern und halten den
Angriffen der Revision nicht stand.
10 1. Allerdings kam dem Landesarbeitsgericht bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe
der unverhältnismäßig geringen Vergütung und der angemessenen Vergütung in § 850h Abs. 2
Satz 1 ZPO ein Beurteilungsspielraum zu (BAG 12. März 2008 - 10 AZR 148/07 - AP ZPO § 850h
Nr. 20 = EzA ZPO 2002 § 850h Nr. 2) . Das Revisionsgericht kann deshalb nur überprüfen, ob die
Rechtsbegriffe verkannt worden sind, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter
diese Rechtsbegriffe Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, alle
wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind oder das Ergebnis widersprüchlich ist
(st. Rspr., vgl. BAG 13. November 2007 - 9 AZR 36/07 - AP TzBfG § 8 Nr. 25 = EzA TzBfG § 8
Nr. 20; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 62 = EzA BGB 2002 § 307
Nr. 29; 6. Juni 2007 - 4 AZR 456/06 - ZTR 2008, 156, jeweils mwN) . Auch dieser eingeschränkten
revisionsrechtlichen Kontrolle hält die Begründung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.
11 2. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst mit Recht auf die übliche Vergütung für die Tätigkeit des
Schuldners abgestellt (BAG 23. April 2008 - 10 AZR 168/07 - NZA 2008, 896; 12. März 2008 -
10 AZR 148/07 - AP ZPO § 850h Nr. 20 = EzA ZPO 2002 § 850h Nr. 2; 24. Mai 1965 - 3 AZR
287/64 - BAGE 17, 172) . Es hat jedoch bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen
verschleierten Arbeitseinkommens nach § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO erfüllt sind, rechtsfehlerhaft
angenommen, eine Vergütung sei schon dann nicht unverhältnismäßig gering iSv. § 850h Abs. 2
Satz 1 ZPO, wenn die übliche Vergütung um weniger als 25 % unterschritten wird.
12 a) Der Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,
wonach die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts zulässig ist, soweit der im
Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 % liegt
und der Tariflohn nicht unterschritten wird (11. Oktober 2006 - 5 AZR 721/05 - AP BGB § 308 Nr. 6
= EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6 mwN) und bei einer Vereinbarung von Arbeit auf Abruf die einseitig
vom Arbeitgeber abrufbare Arbeit des Arbeitnehmers nicht mehr als 25 % der vereinbarten
wöchentlichen Mindestarbeitszeit betragen darf (7. Dezember 2005 - 5 AZR 535/04 - BAGE 116,
267) , geht fehl. Dies gilt auch für den Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf die Entscheidung
des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 26. April 2006 (- 5 AZR 549/05 - BAGE 118,
66) , wonach gegen die Regelung der Mindestvergütung angestellter Lehrkräfte iHv. 75 % des
Gehalts der vergleichbaren im öffentlichen Dienst stehenden Lehrkräfte keine rechtlichen
Bedenken bestehen.
13 aa) Die Fiktion des § 850h Abs. 2 ZPO betrifft im Gegensatz zu den Entscheidungen des
Bundesarbeitsgerichts zur 25 %-Grenze beim Widerrufsvorbehalt, bei der Vereinbarung von Arbeit
auf Abruf und bei der Mindestvergütung angestellter Lehrkräfte nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis
stehende Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien. § 850h Abs. 2 ZPO schützt das
Interesse des Vollstreckungsgläubigers an der Durchsetzung seiner Forderung gegen einen
Schuldner, der für einen Dritten arbeitet oder sonst Dienste leistet, ohne eine entsprechende
angemessene Vergütung zu erhalten (BAG 12. März 2008 - 10 AZR 148/07 - AP ZPO § 850h
Nr. 20 = EzA ZPO 2002 § 850h Nr. 2) . Das Gesetz behandelt diesen Dritten beim
Vollstreckungszugriff des Gläubigers so, als ob er dem Schuldner zu einer angemessenen
Vergütung verpflichtet sei (BGH 8. März 1979 - III ZR 130/77 - NJW 1979, 1600) . Es handelt sich
um einen fiktiven Anspruch auf Vergütung, aus dem der Schuldner selbst keinerlei Rechte
herleiten kann (vgl. BGH 24. März 1964 - VI ZR 244/62 - VersR 1964, 642, 644; Musielak/Becker
ZPO 6. Aufl. § 850h Rn. 19) . Die angemessene Vergütung ist nach § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO nur
im Verhältnis des Gläubigers zu dem Empfänger der Arbeits- und Dienstleistungen als geschuldet
anzusehen (BAG 12. März 2008 - 10 AZR 148/07 - AP ZPO § 850h Nr. 20 = EzA ZPO 2002
§ 850h Nr. 2; vgl. 15. Juni 1994 - 4 AZR 317/93 - AP ZPO § 850h Nr. 18 = EzA ZPO § 850h Nr. 5)
.
14 bb) Es kommt hinzu, dass auch im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien eine Vergütung nicht
stets als angemessen anzusehen ist, wenn sie die übliche Vergütung um weniger als 25 %
unterschreitet. Wenn der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom
26. April 2006 (- 5 AZR 549/05 - BAGE 118, 66) fallbezogen angenommen hat, dass eine
Vergütung angestellter Lehrkräfte, die 75 % der Vergütung der im Land Brandenburg im
öffentlichen Dienst stehenden Lehrkräfte unterschreitet, nicht mehr den guten Sitten iSv. § 138
BGB entspricht, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass eine Vergütung, die diese Grenze
wahrt, stets angemessen ist. Ist eine Entgeltvereinbarung nicht sittenwidrig, folgt daraus noch
nicht, dass die vereinbarte Vergütung nicht unverhältnismäßig gering ist. Nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (8. Mai 2003 - 6 AZR 191/02 - AP BBiG § 10 Nr. 14 =
EzA BBiG § 10 Nr. 10; 10. April 1991 - 5 AZR 226/90 - BAGE 68, 10, 15) ist eine vereinbarte
Ausbildungsvergütung in der Regel nicht erst dann nicht mehr angemessen iSv. § 10 Abs. 1
Satz 1 BBiG aF (nunmehr § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG), wenn sie die in einem einschlägigen
Tarifvertrag geregelte Vergütung um mehr als 25 % unterschreitet, sondern bereits dann, wenn sie
weniger als 80 % der tariflichen Vergütung beträgt.
15 b) Maßgebend ist, dass § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO die Annahme ausschließt, dass eine Vergütung
nicht unverhältnismäßig gering iSv. § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO ist, wenn die übliche Vergütung um
weniger als 25 % unterschritten wird. Nach § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO ist bei der Prüfung, ob der
Schuldner einem Dritten in einem ständigen Verhältnis Arbeiten oder Dienste gegen eine
unverhältnismäßig geringe Vergütung leistet, sowie bei der Bemessung der angemessenen
Vergütung auf alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der Arbeits- und Dienstleistung,
die verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Dienstberechtigten und dem
Dienstverpflichteten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Dienstberechtigten Rücksicht
zu nehmen. Diese gesetzliche Anordnung der Rücksichtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls
bei der Beurteilung, ob eine Vergütung unverhältnismäßig gering oder angemessen ist, erfordert
eine einzelfallbezogene Würdigung und hindert die fallübergreifende Annahme des
Landesarbeitsgerichts, dass eine Vergütung nicht unverhältnismäßig gering iSv. § 850h Abs. 2
Satz 1 ZPO ist, wenn sie mehr als 75 % der üblichen Vergütung beträgt.
16 3. Auch die zusätzlichen, teilweise widersprüchlichen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts
begründen nicht die Angemessenheit des monatlichen Bruttogehalts des Schuldners iHv.
2.300,00 Euro.
17 a) Das Landesarbeitsgericht hat schon keine klaren und eindeutigen Feststellungen zur Art der
Arbeitsleistung des Schuldners getroffen, auf die nach § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO bei der
Beurteilung, ob eine Vergütung unverhältnismäßig gering oder angemessen ist, Rücksicht zu
nehmen ist. Es hat einerseits angenommen, dass sich die Bedeutung der Tätigkeit des
Schuldners aus dem Arbeitsvertrag ergibt, die von ihm ausgeübte Tätigkeit allerdings nicht nur von
einem Diplomphysiker, sondern auch von einem Techniker, einem qualifizierten Handwerks- oder
Industriemeister oder einem Mechaniker der Fachrichtung Mess- und Regeltechnik verrichtet
werden könnte. Andererseits hat das Landesarbeitsgericht berücksichtigt, dass die Beklagte
neben dem Schuldner auch dessen Mitgesellschafter bei der T. GbR F beschäftigt und sich
„eventuell anfallende Geschäftsleitungsaufgaben“ somit auf zwei von zehn Mitarbeiter verteilten,
dadurch an Gewicht verlören und außerdem insgesamt lediglich zehn Arbeitnehmer die Vergütung
für überproportional viele Mitglieder der Geschäftsleitung erarbeiten müssten. Sollte der Schuldner
nicht nur die im Arbeitsvertrag beschriebenen Aufgaben, sondern zusätzlich noch
Geschäftsleitungsaufgaben wahrgenommen haben, dürfte dies bei der Beurteilung der
Angemessenheit seiner Vergütung nicht in der Weise berücksichtigt werden, dass eine geringere
Vergütung angemessen ist als dies ohne die Wahrnehmung der Geschäftsführeraufgaben der Fall
wäre.
18 b) Die Ausführungen und Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Beklagten sind widersprüchlich. Das Landesarbeitsgericht hält zunächst
den Umstand, dass der für die Endkontrolle und das Internet zuständige Mitarbeiter D bei einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden eine monatliche Bruttovergütung von 2.012,85 Euro und
somit ein relativ höheres Gehalt bezieht als der Schuldner, für nicht nachvollziehbar. Es stellt dann
fest, dass die Beklagte eine schlechte finanzielle Situation nicht behauptet und nicht vorgetragen
hat, dass sie nicht in der Lage ist, dem Schuldner ein höheres Gehalt zu zahlen. Im Widerspruch
zu diesen Feststellungen berücksichtigt das Landesarbeitsgericht dann zu Lasten des Klägers bei
der Beurteilung, ob die Vergütung des Schuldners unverhältnismäßig gering oder angemessen ist,
dass sich die Beklagte in der Aufbauphase befunden hat und es sich bei der Beklagten um einen
Kleinbetrieb mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern handelt. War die finanzielle Situation der
Beklagten entsprechend der Feststellung des Landesarbeitsgerichts nicht schlecht und war die
Beklagte in ihrer Aufbauphase bereits in der Lage, anderen Arbeitnehmern die übliche Vergütung
zu zahlen, ist bei der Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit iSv. § 850h Abs. 2 Satz 2
ZPO der Umstand ohne Bedeutung, dass sie sich noch in der Aufbauphase befunden hat. Die in
§ 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO angeordnete Rücksichtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls kann
zwar dazu führen, dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Vergütung des Schuldners
die Betriebsgröße ins Gewicht fällt, insbesondere wenn der Schuldner die Geschäfte führt und den
Betrieb leitet. Beträgt das Tarifgehalt oder die übliche Vergütung entsprechend der Annahme des
Landesarbeitsgerichts monatlich 3.000,00 Euro brutto, wird bei wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
des Drittschuldners allerdings auch in einem Kleinbetrieb ein Bruttomonatsgehalt des Schuldners
von 2.300,00 Euro nur in seltenen Ausnahmefällen aufgrund besonderer Umstände im Verhältnis
des Gläubigers zum Arbeitgeber des Schuldners als nicht unverhältnismäßig gering anzusehen
sein.
19 III. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen verschleierten
Arbeitseinkommens vorliegen, entgegen § 850h Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht auf alle Umstände des
Falls Rücksicht genommen, insbesondere keine eindeutigen Feststellungen zur Art der vom
Schuldner im Klagezeitraum ausgeübten Tätigkeit getroffen. Es hat nicht geprüft, ob der Schuldner
entsprechend der Behauptung der Beklagten nur die im Arbeitsvertrag beschriebenen Aufgaben
oder gemäß dem Vorbringen des Klägers wie bei der T. GbR auch Geschäftsführeraufgaben
wahrnimmt. Diese Prüfung hat das Landesarbeitsgericht jedenfalls dann nachzuholen, wenn nicht
bereits die von der Beklagten behauptete Tätigkeit des Schuldners zu einer im Verhältnis der
Parteien als angemessen anzunehmenden monatlichen Bruttovergütung des Schuldners iHv.
mindestens 3.000,00 Euro führt. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der
Beklagten wird das Landesarbeitsgericht darauf Rücksicht zu nehmen haben, dass nach den von
ihm getroffenen Feststellungen die Beklagte sich in ihrer Aufbauphase nicht in einer schlechten
wirtschaftlichen Situation befunden hat und in der Lage war, anderen Beschäftigten die übliche
Vergütung zu zahlen.
Dr. Freitag
Marquardt
Brühler
Züfle
Trümner