Urteil des BAG vom 18.03.2014

Beitragsbemessungsgrenze - gespaltene Rentenformel

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 18.3.2014, 3 AZR 952/11
Beitragsbemessungsgrenze - gespaltene Rentenformel
Leitsätze
Eine vor dem 1. Januar 2003 durch Betriebsvereinbarung getroffene Versorgungsvereinbarung,
die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze
in der gesetzlichen Rentenversicherung (BBG) höhere Versorgungsleistungen vorsieht als für
den darunter liegenden Teil (sog. gespaltene Rentenformel), ist nach der außerplanmäßigen
Anhebung der BBG durch § 275c SGB VI zum 1. Januar 2003 nicht ergänzend dahin
auszulegen, dass die Betriebsrente so zu berechnen ist, als wäre die außerplanmäßige
Anhebung der BBG nicht erfolgt.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 5. Oktober 2011 - 8 Sa 194/11 -
wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 5. Oktober 2011 - 8 Sa 194/11 -
teilweise aufgehoben, soweit es der Berufung des Klägers
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom
15. Dezember 2010 - 2 Ca 380/10 - stattgegeben hat.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Darmstadt vom 15. Dezember 2010 - 2 Ca 380/10 - wird
insgesamt zurückgewiesen.
Aus Gründen der Klarstellung wird der Tenor des Urteils des
Arbeitsgerichts Darmstadt vom 15. Dezember 2010 - 2 Ca
380/10 - in Ziffer 1 wie folgt gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden „vorzeitigen Altersrente“
und dabei über die Auswirkungen der „außerplanmäßigen“ Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2003
sowie darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die Betriebsrente des Klägers wegen dessen
vorzeitigen Ausscheidens ratierlich zu kürzen.
2 Der am 15. April 1950 geborene Kläger war seit dem 17. September 1974 bei den
Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, zunächst bei der E (Deutschland) GmbH und
anschließend bis zum 30. November 2009 bei der E GmbH tätig. Er bezieht seit dem 1. Mai
2010 von der Beklagten eine „vorzeitige Altersrente“ nach der „Pensionsordnung der E
(Deutschland) GmbH“ vom 1. Mai 1988 (im Folgenden: PO 88) in Höhe von monatlich
2.186,36 Euro brutto. Die PO 88 enthält auszugsweise folgende Bestimmungen:
„1. Kreis der Versorgungsberechtigten
Alle Mitarbeiter, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen, gehören zum
Kreis der Versorgungsberechtigten.
2. Art der Versorgungsleistungen
Im Rahmen dieser Versorgungsordnung werden folgende Versorgungsleistungen
gewährt:
- Altersrente (siehe Abschnitt 7)
- Invalidenrente (siehe Abschnitt 8)
- Witwen-/Witwerrente (siehe Abschnitt 9)
- Waisenrente (siehe Abschnitt 10)
- Todesfallkapital (siehe Abschnitt 11)
Die Höhe der Leistungen wird aus
- der pensionsfähigen Dienstzeit (siehe Abschnitt 4)
- dem pensionsfähigen Einkommen (siehe Abschnitt 5) und
- der pensionsfähigen Bemessungsgrenze (siehe Abschnitt 6)
ermittelt.
...
4. Pensionsfähige Dienstzeit
Als pensionsfähige Dienstzeit gilt die Zeit, die ein Mitarbeiter nach Vollendung des
20. Lebensjahres und vor Vollendung des 65. Lebensjahres ununterbrochen in den
Diensten der Firma verbracht hat. Die pensionsfähige Dienstzeit ist auf höchstens 30
Jahre beschränkt.
...
5. Pensionsfähiges Einkommen
Als pensionsfähiges Einkommen gilt das Grundgehalt des letzten Monats Januar vor
dem Ausscheiden aus den Diensten der Firma. Bei Mitarbeitern, die zum Zeitpunkt
ihres Ausscheidens teilzeitbeschäftigt sind, ist das Gehalt zugrunde zu legen, das sie
bei Vollzeitbeschäftigung erhalten hätten.
6. Pensionsfähige Bemessungsgrenze
Als pensionsfähige Bemessungsgrenze gilt die Beitragsbemessungsgrenze der
gesetzlichen Rentenversicherung des letzten Monats Januar vor Ausscheiden aus
den Diensten der Firma.
7. Altersrente
Normale Altersrente erhalten alle Mitarbeiter, die nach Vollendung des
65. Lebensjahres aus den Diensten der Firma ausscheiden. Vorzeitige Altersrente
erhalten alle Mitarbeiter, die nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus den
Diensten der Firma ausscheiden.
Die normale bzw. vorzeitige Altersrente beträgt für jedes Jahr der pensionsfähigen
Dienstzeit (siehe Abschnitt 4)
0,8 % des gesamten pensionsfähigen Einkommens (siehe Abschnitt 5)
zuzüglich
1,4 % desjenigen Teils des pensionsfähigen Einkommens (siehe
Abschnitt 5), der die pensionsfähige Bemessungsgrenze (siehe
Abschnitt 6) übersteigt.
Eine Kürzung der vorzeitigen Altersrente wegen der durch den früheren
Rentenbeginn zu erwartenden höheren Kosten findet nicht statt.“
3 § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende
Rechengrößen der Sozialversicherung für 2003 (Sozialversicherungs-
Rechengrößenverordnung 2003) vom 17. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4561) hatte die
Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten für
das Jahr 2003 auf 55.200,00 Euro jährlich und 4.600,00 Euro monatlich festgesetzt. Durch
Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen
Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung
(Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4637)
wurde § 275c in das SGB VI eingefügt. Diese Vorschrift trat zum 1. Januar 2003 in Kraft und
legte die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und
Angestellten (West) für das Jahr 2003 auf 61.200,00 Euro jährlich und 5.100,00 Euro
monatlich fest. Zudem wurden in § 275c Abs. 3 SGB VI die ungerundeten Ausgangswerte
für die Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2004 festgelegt. Dies hatte
und hat zur Folge, dass sich die einmalige stärkere Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2003 im Ergebnis auch für die folgenden Jahre
erhöhend bei der Fortschreibung der Beitragsbemessungsgrenze durch Verordnungen
gemäß § 160 SGB VI auswirkte und auswirkt. So wurde die Beitragsbemessungsgrenze in
der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der wiederum nach
§ 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende Rechengrößen der
Sozialversicherung für 2004 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2004) vom
9. Dezember 2003 für das Jahr 2004 auf 61.800,00 Euro jährlich und 5.150,00 Euro
monatlich und nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen
der Sozialversicherung für 2005 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2005)
vom 29. November 2004 für das Jahr 2005 auf 62.400,00 Euro jährlich und 5.200,00 Euro
monatlich festgesetzt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über maßgebende
Rechengrößen der Sozialversicherung für 2009 (Sozialversicherungs-
Rechengrößenverordnung 2009) vom 2. Dezember 2008 betrug die
Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung für das Jahr 2009
jährlich 64.800,00 Euro und monatlich 5.400,00 Euro.
4 Die Beklagte berechnete die Betriebsrente des Klägers auf der Grundlage dieser
Beitragsbemessungsgrenze. Zudem kürzte sie die fiktive Vollrente des Klägers wegen
dessen vorzeitigen Ausscheidens zeitratierlich entsprechend dem Verhältnis der
tatsächlichen Betriebszugehörigkeit des Klägers zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis
zur Vollendung des 65. Lebensjahres.
5 Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen die von der Beklagten vorgenommene
Berechnung seiner „vorzeitigen“ Altersrente gewandt. Er hat zum einen unter Berufung auf
die in den Urteilen des Senats vom 21. April 2009 (- 3 AZR 695/08 - BAGE 130, 214 und -
3 AZR 471/07 -) aufgestellten Grundsätze die Auffassung vertreten, seine Altersrente sei
ohne Berücksichtigung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
im Jahr 2003 zu berechnen. Die PO 88 sei durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der
Beitragsmessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2003
lückenhaft geworden. Die Lücke sei im Wege der ergänzenden Auslegung dahin zu
schließen, dass die vorgezogene Altersrente unter Außerachtlassung der
„außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze berechnet werde. Danach
ergebe sich eine um monatlich 182,78 Euro brutto höhere Betriebsrente. Zudem hat er die
Ansicht vertreten, die Beklagte habe seine monatliche Betriebsrente wegen seines
vorzeitigen Ausscheidens nicht ratierlich um 352,78 Euro kürzen dürfen. Die Beklagte
schulde ihm daher für die Monate Mai und Juni 2010 rückständige Betriebsrente iHv.
insgesamt 1.071,08 Euro brutto.
6 Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.071,08 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 535,54 Euro seit dem 2. Mai 2010
sowie aus weiteren 535,54 Euro seit dem 2. Juni 2010 zu zahlen.
7 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
8 Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den
Kläger rückständige Betriebsrente für die Monate Mai und Juni 2010 iHv. jeweils
182,78 Euro brutto, mithin insgesamt iHv. 365,56 Euro brutto, zu zahlen und die Klage im
Übrigen, dh. soweit der Kläger sich gegen die ratierliche Kürzung seiner Betriebsrente
gewandt hatte, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das arbeitsgerichtliche Urteil auf
die Berufungen der Parteien abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger
rückständige Betriebsrente für die Monate Mai und Juni 2010 iHv. insgesamt 603,86 Euro
brutto zu zahlen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, die Berufung der Beklagten sei begründet, der Kläger könne im Hinblick auf die
außerordentliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 keine höhere
monatliche Betriebsrente verlangen. Die Berufung des Klägers sei teilweise begründet. Die
Beklagte habe die Betriebsrente des Klägers zwar wegen dessen vorzeitigen
Ausscheidens zeitratierlich kürzen, dabei allerdings nur eine mögliche
Betriebszugehörigkeitszeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres zugrunde legen
dürfen.
9 Der Kläger verfolgt mit seiner Revision seinen Klageantrag insoweit weiter, als er von der
Beklagten für die Monate Mai und Juni 2010 die Zahlung rückständiger Betriebsrente iHv.
weiteren 182,78 Euro monatlich verlangt. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision ihren
Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision des Klägers ist unbegründet, die Revision der Beklagten ist begründet. Die
Klage ist - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - unbegründet. Die Beklagte hat
die Betriebsrente des Klägers zutreffend mit monatlich 2.183,36 Euro brutto berechnet. Sie
ist deshalb nicht verpflichtet, an den Kläger eine höhere als die gewährte Betriebsrente zu
zahlen.
11 I. Die Revision des Klägers ist nicht deshalb begründet, weil die Berufung der Beklagten
gegen das arbeitsgerichtliche Urteil mangels Übersteigens des Wertes des
Beschwerdegegenstandes von 600,00 Euro nach § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG unstatthaft
und damit unzulässig war. Die unzulässige Berufung der Beklagten war in eine zulässige
Anschlussberufung iSd. § 524 ZPO umzudeuten.
12 1. Die Berufung der Beklagten gegen das arbeitsgerichtliche Urteil war unstatthaft und
damit unzulässig.
13 Das Arbeitsgericht hat dem Kläger von den insgesamt eingeklagten 1.071,08 Euro
lediglich 365,56 Euro zugesprochen. Im Übrigen, dh. iHv. 705,52 Euro, hat es die Klage
abgewiesen. Da das Arbeitsgericht die Berufung im Tenor seines Urteils nicht zugelassen
hat (vgl. § 64 Abs. 2 Buchst. a ArbGG) und es sich weder um eine Bestandsstreitigkeit
nach § 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG noch um eine Versäumnisentscheidung nach § 64
Abs. 2 Buchst. d ArbGG handelte, wäre die Berufung der Beklagten gemäß § 64 Abs. 2
Buchst. b ArbGG nur statthaft gewesen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes für
die Beklagte 600,00 Euro überstiegen hätte. Dies war nicht der Fall, da die Beklagte
lediglich iHv. 365,56 Euro unterlegen war.
14 Die Berufung der Beklagten war auch nicht deshalb statthaft, weil das Arbeitsgericht in
den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt hat, die Statthaftigkeit der Berufung „für die
Beklagte“ gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG bleibe unberührt. Hierbei handelt es sich -
wenn auch die falsche Partei betreffend - lediglich um einen Hinweis auf die für die
Statthaftigkeit einer Berufung der Parteien allein in Betracht kommende Bestimmung des
§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG.
15 2. Die unzulässige Berufung war jedoch in eine zulässige Anschlussberufung iSd. § 524
ZPO umzudeuten.
16 a) Auch im Verfahrensrecht gilt entsprechend § 140 BGB der Grundsatz, dass eine
fehlerhafte Prozesshandlung in eine zulässige und wirksame Prozesshandlung
umzudeuten ist, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem
mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners
entgegensteht (BAG 31. Juli 2007 - 3 AZN 326/07 - Rn. 19; 12. Dezember 2006 - 3 AZR
716/05 - Rn. 16; vgl. auch BGH 13. Oktober 2011 - VII ZB 27/11 - Rn. 4 und 5; 30. Oktober
2008 - III ZB 41/08 - Rn. 11; zur Umdeutung einer unzulässigen Revision in eine zulässige
Anschlussrevision vgl. BGH 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10 - Rn. 9 und 5. Mai 2011 - III ZR
91/10 - Rn. 24).
17 b) So liegt der Fall hier.
18 aa) Die Umdeutung entspricht dem Willen der Beklagten. Diese hat auf einen
entsprechenden Hinweis des Senats mitgeteilt, ihre Berufung möge als
Anschlussberufung betrachtet werden. Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers, das
ausnahmsweise der Umdeutung entgegenstehen könnte, ist vom Kläger nicht geltend
gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.
19 bb) Die formellen Voraussetzungen des § 524 ZPO sind gewahrt. Die Anschlussberufung
wurde vor Ablauf der Frist der Beklagten zur Berufungserwiderung nach § 524 Abs. 2 ZPO
iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG von einem Monat nach Zustellung der
Berufungsbegründung des Klägers gemäß § 524 Abs. 3 ZPO begründet. Die
Berufungsbegründung des Klägers wurde der Beklagten am 28. März 2011 zugestellt. Die
als Begründung der Anschlussberufung zu wertende Berufungsbegründung der Beklagten
war bereits am 8. März 2011 und damit fristgerecht beim Landesarbeitsgericht
eingegangen.
20 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und die Revision der Beklagten erweist sich
als begründet, da die Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - unbegründet
ist. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger eine über die gewährte Altersrente
iHv. 2.186,36 Euro brutto monatlich hinausgehende Altersrente zu zahlen. Sie hat die
Altersrente des Klägers vielmehr zutreffend berechnet. Die Beklagte war berechtigt, die
fiktive Vollrente des Klägers nach allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts
entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG wegen dessen vorzeitigen Ausscheidens zeitratierlich
entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit des Klägers zur
möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu kürzen. Der
Kläger kann auch im Hinblick auf die „außerplanmäßige“ Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2003 weder
aufgrund einer ergänzenden Auslegung von Ziff. 6 und Ziff. 7 der PO 88 noch wegen einer
Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) eine höhere monatliche
Betriebsrente verlangen.
21 1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte berechtigt war, die
fiktive Vollrente des Klägers nach allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts
entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG wegen dessen vorzeitigen Ausscheidens zeitratierlich
zu kürzen. Sie durfte die Quotierung allerdings entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen
Betriebszugehörigkeit des Klägers zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur
Vollendung des 65. Lebensjahres vornehmen und war nicht darauf beschränkt, lediglich
eine mögliche Dienstzeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres zugrunde zu legen.
22 a) Der am 15. April 1950 geborene Kläger ist mit Ablauf des 30. November 2009 im Alter
von 59 Jahren und damit vor dem in Ziff. 7 Abs. 1 Satz 2 der PO 88 bestimmten
Versorgungsfall, dh. vorzeitig, aus dem Arbeitsverhältnis mit der Rechtsvorgängerin der
Beklagten ausgeschieden. Er nimmt seine Betriebsrente seit dem 1. Mai 2010 als
vorzeitige Altersrente nach Ziff. 7 Abs. 1 Satz 2 der PO 88, mithin vorgezogen, in
Anspruch.
23 b) Die PO 88 enthält keine Bestimmungen für die Berechnung der vorgezogen in
Anspruch genommenen Altersrente eines vorzeitig, dh. vor Eintritt des Versorgungsfalls,
aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers. Zwar regelt Ziff. 7 Abs. 1 der
PO 88 neben der „normalen Altersrente“ auch die „vorzeitige Altersrente“. Danach erhalten
die „normale Altersrente“ alle Mitarbeiter, die nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus
den Diensten der Firma ausscheiden. „Vorzeitige Altersrente“ erhalten alle Mitarbeiter, die
nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus den Diensten der Firma ausscheiden. Zudem
bestimmt Ziff. 7 Abs. 2 der PO 88, dass sowohl die normale Altersrente als auch die
vorzeitige Altersrente für jedes Jahr der pensionsfähigen Dienstzeit 0,8 % des gesamten
pensionsfähigen Einkommens zuzüglich 1,4 % desjenigen Teils des pensionsfähigen
Einkommens betragen, der die pensionsfähige Bemessungsgrenze übersteigt. Diesen
Bestimmungen kann jedoch nicht entnommen werden, dass sich die vorzeitige Altersrente
auch dann nach dieser Berechnungsregel berechnet, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig, dh.
vor Eintritt eines in Ziff. 7 Abs. 1 Satz 2 der PO 88 bestimmten Versorgungsfalls
(Vollendung des 65. Lebensjahres oder Vollendung des 60. Lebensjahres) aus dem
Arbeitsverhältnis ausscheidet. Ziff. 7 Abs. 2 der PO 88 schließt unmittelbar an Ziff. 7 Abs. 1
der PO 88 an und enthält damit eine Berechnungsregel nur für den Fall, dass der
Arbeitnehmer erst mit Eintritt eines Versorgungsfalls iSd. Ziff. 7 Abs. 1 der PO 88 aus dem
Arbeitsverhältnis ausscheidet. Aus Ziff. 7 Abs. 3 der PO 88, wonach eine Kürzung der
vorzeitigen Altersrente wegen der durch den früheren Rentenbeginn zu erwartenden
höheren Kosten nicht stattfindet, folgt nichts anderes. Ziff. 7 Abs. 3 der PO 88 knüpft mit
den Kosten eines „früheren Rentenbeginns“ an die vorzeitige Altersrente nach Ziff. 7
Abs. 1 Satz 2 der PO 88 an und regelt keinen Verzicht auf eine Kürzungsmöglichkeit
wegen der beim vorzeitigen Ausscheiden fehlenden Betriebszugehörigkeit.
24 c) Da die PO 88 die Höhe der Altersrente bei vorgezogener Inanspruchnahme nach
vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht selbst regelt, richtet sich die
Berechnung nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts (st. Rspr., vgl.
ausführlich BAG 23. Januar 2001 - 3 AZR 164/00 - zu II 2 b der Gründe). Danach ergibt
sich in der Regel eine Berechtigung zur Kürzung der Betriebsrente unter zwei
Gesichtspunkten:
25 Zum einen wird in das Gegenseitigkeitsverhältnis, das der Berechnung der Vollrente
zugrunde liegt, dadurch eingegriffen, dass der Arbeitnehmer die Betriebszugehörigkeit bis
zu der in der Versorgungsordnung vorgesehenen festen Altersgrenze nicht erbracht hat.
Zum anderen erfolgt eine Verschiebung des in der Versorgungszusage festgelegten
Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung dadurch, dass der Arbeitnehmer die
Betriebsrente mit höherer Wahrscheinlichkeit, früher und länger als mit der
Versorgungszusage versprochen in Anspruch nimmt (vgl. etwa BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR
219/11 - Rn. 25; 19. Juni 2012 - 3 AZR 289/10 - Rn. 24; 15. November 2011 - 3 AZR
778/09 - Rn. 34).
26 Der ersten Störung des Äquivalenzverhältnisses wird dadurch Rechnung getragen, dass
entsprechend § 2 Abs. 1 und Abs. 5 BetrAVG eine Quotierung vorgenommen wird, indem
die fiktive Vollrente zeitratierlich entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen zu der
möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der in § 2 Abs. 1 BetrAVG bestimmten
Altersgrenze bzw. bis zu der in der Versorgungsordnung gegebenenfalls vorgesehenen
niedrigeren festen Altersgrenze gekürzt wird. Die zweite Störung des
Äquivalenzverhältnisses kann entsprechend den Wertungen der Versorgungsordnung
berücksichtigt werden. Wenn und soweit diesem Gesichtspunkt in der
Versorgungsordnung Rechnung getragen wird, zB indem ein
versicherungsmathematischer Abschlag vorgesehen ist, verbleibt es dabei. Enthält die
Versorgungsordnung hingegen keine Wertung, hat der Senat als Auffangregelung einen
sog. untechnischen versicherungsmathematischen Abschlag entwickelt. Dieser erfolgt
durch eine weitere zeitratierliche Kürzung. Dabei ist die Zeit vom Beginn der
Betriebszugehörigkeit bis zur vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente ins
Verhältnis zu setzen zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zu der in § 2 Abs. 1 BetrAVG
bestimmten Altersgrenze bzw. bis zu der in der Versorgungsordnung gegebenenfalls
vorgesehenen niedrigeren festen Altersgrenze (vgl. BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR 219/11 -
Rn. 26; 19. Juni 2012 - 3 AZR 289/10 - Rn. 25; 15. November 2011 - 3 AZR 778/09 -
Rn. 35).
27 d) Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Beklagte berechtigt, die fiktive Vollrente
des Klägers nach allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts entsprechend § 2
Abs. 1 BetrAVG wegen des vorzeitigen Ausscheidens des Klägers zeitratierlich
entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit des Klägers zur
möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu kürzen.
Entgegen der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts war die Beklagte bei der
Quotierung der fiktiven Vollrente des Klägers nicht darauf beschränkt, lediglich eine
mögliche Dienstzeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres zugrunde zu legen. Ziff. 7
Abs. 1 der PO 88 sieht als feste Altersgrenze nicht das 60. Lebensjahr, sondern das
65. Lebensjahr vor.
28 aa) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers
aus dem Arbeitsverhältnis mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 30. November
2009 geltenden Fassung haben bei Eintritt des Versorgungsfalls wegen Erreichens der
Altersgrenze, wegen Invalidität oder Tod ein vorher ausgeschiedener Arbeitnehmer,
dessen Anwartschaft nach § 1b fortbesteht, und seine Hinterbliebenen einen Anspruch
mindestens in Höhe des Teiles der ohne das vorherige Ausscheiden zustehenden
Leistung, der dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn
der Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung entspricht; an die Stelle des Erreichens der Regelaltersgrenze tritt ein
früherer Zeitpunkt, wenn dieser in der Versorgungsregelung als feste Altersgrenze
vorgesehen ist.
29 bb) Es kann dahinstehen, ob die PO 88, die vor dem Inkrafttreten des RV-
Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554 - im Folgenden:
RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) entstanden ist und für die normale Altersrente an die
Vollendung des 65. Lebensjahres anknüpft, dahin auszulegen ist, dass damit auf die
Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den §§ 35, 235 Abs. 2
Satz 2 SGB VI Bezug genommen wird (vgl. hierzu BAG 15. Mai 2012 - 3 AZR 11/10 -
Rn. 47, BAGE 141, 259). Jedenfalls sieht die PO 88 keinen früheren Zeitpunkt als die
Vollendung des 65. Lebensjahres als feste Altersgrenze vor. Die feste Altersgrenze
bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem nach der Versorgungszusage im Regelfall - und zwar
unabhängig von den Voraussetzungen des § 6 BetrAVG - mit einer Inanspruchnahme der
Betriebsrente und einem altersbedingten Ausscheiden aus dem Berufs- und Erwerbsleben
zu rechnen ist (BAG 17. September 2008 - 3 AZR 865/06 - Rn. 27, BAGE 128, 1). Eine
andere Altersgrenze iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG ist demnach nur dann
anzunehmen, wenn die Versorgungszusage vorsieht, dass der begünstigte Arbeitnehmer
grundsätzlich zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Vollendung der Regelaltersgrenze bzw.
des 65. Lebensjahres mit einer ungekürzten Betriebsrente in den Ruhestand treten soll
(vgl. BAG 23. Januar 2001 - 3 AZR 164/00 - Rn. 18). Eine solche Festlegung nimmt die
PO 88 nicht vor, insbesondere bestimmt sie nicht die Vollendung des 60. Lebensjahres als
niedrigere feste Altersgrenze.
30 (1) Die PO 88 unterscheidet in Ziff. 7 Abs. 1 zwischen der „normalen“ Altersrente nach
Satz 1, die an die Vollendung des 65. Lebensjahres anknüpft, und der „vorzeitigen“
Altersrente, die bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen
werden kann. Bereits die Begriffe „normale“ und „vorzeitige“ Altersrente verdeutlichen,
dass der Bezug der normalen Altersrente der Regelfall ist, während der Bezug der
vorzeitigen Altersrente die Ausnahme darstellt. Zudem kann eine Versorgungsordnung,
die - wie die PO 88 - nicht hinsichtlich unterschiedlicher Arbeitnehmergruppen
differenziert, sondern für alle Arbeitnehmer eine einheitliche Regelung trifft, nicht
unterschiedliche feste Altersgrenzen enthalten. Für einen Arbeitnehmer kann es nicht
mehrere feste Altersgrenzen geben. Nach der PO 88 ist demnach die Vollendung des
65. Lebensjahres der Zeitpunkt, zu dem im Regelfall mit einer Inanspruchnahme der
Betriebsrente und einem altersbedingten Ausscheiden aus dem Berufs- und Erwerbsleben
zu rechnen ist.
31 (2) Aus Ziff. 7 Abs. 3 der PO 88, wonach eine Kürzung der vorzeitigen Altersrente wegen
der durch den früheren Rentenbeginn zu erwartenden höheren Kosten nicht stattfindet,
ergibt sich nichts Gegenteiliges. Mit dieser Bestimmung verzichtet die PO 88 lediglich auf
eine Kürzungsmöglichkeit wegen des bei vorgezogener Inanspruchnahme der
Betriebsrente wahrscheinlicheren, früheren und damit längeren Rentenbezugs. Dies
ändert nichts daran, dass die feste Altersgrenze nach der PO 88 zumindest die Vollendung
des 65. Lebensjahres ist.
32 2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Altersrente des Klägers unter
Zugrundelegung der zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers am 30. November
2009 geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zu
berechnen war. Der Kläger kann nicht verlangen, dass seine Betriebsrente so berechnet
wird, als wäre die außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der
gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2003 unterblieben.
33 a) Ein dahingehender Anspruch folgt nicht aus einer ergänzenden Auslegung von Ziff. 6
und 7 der PO 88. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der PO 88 um eine
Gesamtzusage oder um eine Betriebsvereinbarung handelt; ebenso kann offenbleiben, ob
die PO 88 infolge der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
durch § 275c SGB VI zum 1. Januar 2003 überhaupt lückenhaft geworden ist. Eine
ergänzende Auslegung der PO 88 scheidet jedenfalls deshalb aus, weil mehrere
gleichwertige Möglichkeiten zur Schließung einer eventuellen Regelungslücke bestehen
und es sich nicht feststellen lässt, für welche Möglichkeit die Parteien oder die
Betriebspartner sich entschieden hätten, wenn sie die „außerplanmäßige“ Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze vorhergesehen hätten.
34 aa) Zwar hat der Senat in den Urteilen vom 21. April 2009 (- 3 AZR 695/08 - BAGE 130,
214 und - 3 AZR 471/07 -; zur Kritik an diesen Entscheidungen vgl. etwa Böhm/Ulbrich BB
2010, 1341, 1342; Bormann BetrAV 2011, 596, 597 ff.; Cisch/Bleeck BB 2010, 1215,
1219 f.; Diller NZA 2012, 22, 23 ff.; Höfer BetrAVG Stand Oktober 2013 Bd. I ART
Rn. 816.4 f.; Hölscher/Janker BetrAV 2010, 141, 142 f.; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto
BetrAVG 5. Aufl. Anh § 1 Rn. 224 a ff.; Weber DB 2010, 1642, 1643 f.) angenommen,
Versorgungsordnungen, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb
der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung höhere
Versorgungsleistungen vorsehen als für den darunter liegenden Teil
(Versorgungsordnungen mit sog. gespaltener Rentenformel), seien durch die
„außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung um 500,00 Euro monatlich nach § 275c SGB VI zum 1. Januar 2003
regelmäßig lückenhaft geworden. Die Regelungslücke sei im Wege ergänzender
Auslegung entsprechend dem ursprünglichen Regelungsplan dahin zu schließen, dass
die Betriebsrente ohne Berücksichtigung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze berechnet werde und von dem so errechneten Betrag die
Beträge in Abzug zu bringen seien, um die sich die gesetzliche Rente infolge höherer
Beitragszahlungen erhöht hat.
35 bb) Diese Rechtsprechung hat der Senat mit seinen Urteilen vom 23. April 2013 (vgl. etwa
- 3 AZR 475/11 - und - 3 AZR 23/11 -) zu Versorgungsregelungen in Gesamtzusagen und
Tarifverträgen ausdrücklich aufgegeben mit der Begründung, es bestünden mehrere
gleichwertige Möglichkeiten zur Schließung einer eventuellen Regelungslücke; unter
Anlegung eines objektiv-generalisierenden Maßstabs lasse sich nicht feststellen, für
welche Möglichkeit die Parteien bzw. die Tarifvertragsparteien sich entschieden hätten,
wenn sie die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
vorhergesehen hätten. Dies gilt auch für entsprechende Versorgungsregelungen in
Betriebsvereinbarungen. Auch Betriebsvereinbarungen sind einer ergänzenden
Auslegung nur dann zugänglich, wenn entweder nach zwingendem höherrangigem Recht
nur eine Regelung zur Lückenschließung in Betracht kommt oder wenn bei mehreren
Regelungsmöglichkeiten zuverlässig feststellbar ist, welche Regelung die Betriebspartner
getroffen hätten, wenn sie die Lücke erkannt hätten (vgl. BAG 13. Februar 2003 - 6 AZR
537/01 - zu II 2 c dd der Gründe, BAGE 104, 353; 10. Februar 2009 - 3 AZR 653/07 -
Rn. 31).
36 cc) Vorliegend kommt nicht nur eine Ergänzung der PO 88 dahin in Betracht, dass bei der
Berechnung der Altersrente von einer um die „außerplanmäßige“ Anhebung der durch
§ 275c SGB VI „bereinigten“ Beitragsbemessungsgrenze unter gleichzeitiger Anrechnung
der durch diese Anhebung in der gesetzlichen Rentenversicherung erzielten höheren
gesetzlichen Rente auszugehen ist. Vielmehr bestehen unter Berücksichtigung von Sinn
und Zweck der in den Ziff. 6 und 7 der PO 88 getroffenen Regelungen weitere rechtlich
zulässige und interessengerechte Möglichkeiten zur Schließung einer etwaigen
nachträglich eingetretenen Regelungslücke. Sinn und Zweck einer „gespaltenen
Rentenformel“ wie derjenigen in Ziff. 6 und 7 der PO 88 ist es, den im Einkommensbereich
über der Beitragsbemessungsgrenze bestehenden erhöhten Versorgungsbedarf über die
hierfür vorgesehene höhere Leistung abzudecken, da dieser Teil der Bezüge nicht durch
die gesetzliche Altersrente abgesichert ist (BAG 21. April 2009 - 3 AZR 695/08 - Rn. 23,
BAGE 130, 214). Deshalb wäre es ebenso denkbar, dass sich die Parteien bzw. die
Betriebspartner im Hinblick darauf, dass sich die Auswirkungen der „außerplanmäßigen“
Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze verringern, je später nach dem 1. Januar 2003
der Versorgungsfall eintritt, auf eine wenige Jahre begrenzte Übergangsregelung für
rentennahe Jahrgänge verständigt hätten. Ebenso käme eine Lückenschließung
dergestalt in Betracht, dass die Betriebszugehörigkeit bis zum 31. Dezember 2002 und die
Betriebszugehörigkeit danach bei der Berechnung des Altersruhegeldes entsprechend der
Berechnungsweise aus der „Barber-Entscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs
(17. Mai 1990 - C-262/88 - Slg. 1990, I-1889; vgl. auch BAG 3. Juni 1997 - 3 AZR 910/95 -
BAGE 86, 79) unterschiedlich behandelt werden (so etwa Weber DB 2010, 1642). Danach
könnte für bis zum 31. Dezember 2002 erdiente Anwartschaftsteile eine Korrektur der
Beitragsbemessungsgrenze um die „außerplanmäßige“ Anhebung zum 1. Januar 2003
vorgenommen werden, weil insoweit keine Rentensteigerungen in der gesetzlichen
Rentenversicherung erreicht werden konnten; für ab dem 1. Januar 2003 erdiente
Versorgungsanwartschaften wäre die erhöhte Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu
legen, weil ab diesem Zeitpunkt auch Anwartschaften in der gesetzlichen
Rentenversicherung erworben werden. Dies hätte zur Folge, dass für die Berechnung des
Teils der Rentenanwartschaft oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze eine Trennung in
die Zeit vor dem 1. Januar 2003 und die Zeit danach vorgenommen werden müsste (vgl.
hierzu ausführlich Weber DB 2010, 1642).
37 b) Der Kläger kann auch nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage
(§ 313 BGB) nicht verlangen, dass seine Betriebsrente so berechnet wird, als wäre die
„außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung nicht erfolgt. Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des
Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden
sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag
nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung
vorausgesehen hätten; eine Vertragsanpassung kommt allerdings nur in Betracht, soweit
einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der
vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten
Vertrag nicht zugemutet werden kann.
38 aa) Sollte es sich bei der PO 88 um eine Betriebsvereinbarung handeln, könnte nicht der
Kläger, sondern allenfalls der Betriebsrat als Partei der Betriebsvereinbarung eine
Anpassung der PO 88 von der Beklagten verlangen (vgl. zur
Sprecherausschussvereinbarung BAG 23. April 2013 - 3 AZR 512/11 - Rn. 38).
39 bb) Sollte es sich bei der PO 88 um eine Gesamtzusage handeln, käme zwar
grundsätzlich ein Anpassungsanspruch in Betracht; eine Vertragsanpassung nach den
Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage würde auch nicht von vornherein daran
scheitern, dass die Versorgungsvereinbarung der Parteien infolge der
„außerplanmäßigen“ Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung durch § 275c SGB VI lückenhaft geworden sein könnte. Eine
Vertragslücke stünde der Anwendung der Regeln über die Störung der
Geschäftsgrundlage nicht entgegen (vgl. BAG 23. April 2013 - 3 AZR 475/11 - Rn. 19). Die
durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der
gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2003 verursachte Versorgungseinbuße
des Klägers von ca. 7,7 % ist jedoch nicht so schwerwiegend, dass ihm ein Festhalten am
unveränderten Vertrag unzumutbar wäre.
40 (1) Nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder
gemeinsam erwarteten Verhältnisse rechtfertigt eine Vertragsanpassung. Erforderlich ist
nach § 313 Abs. 1 BGB vielmehr, dass der betroffenen Partei unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen
Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Dies kann nur angenommen werden, wenn ein Festhalten an der vereinbarten Regelung
für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (BAG 23. April 2013
- 3 AZR 475/11 - Rn. 21; BGH 1. Februar 2012 - VIII ZR 307/10 - Rn. 30 mwN).
41 (2) Das Festhalten an der unveränderten Versorgungsregelung führt für den Kläger nicht
zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnis.
42 Die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung um 500,00 Euro monatlich und 6.000,00 Euro jährlich nach § 275c
SGB VI führte für den Kläger, dessen Altersrente bei Eintritt des in Ziff. 7 Abs. 1 Satz 2 der
PO 88 vorgesehenen Versorgungsfalls 2.186,36 Euro betrug, zu einer
Versorgungseinbuße von ca. 7,7 %. Ohne die „außerplanmäßige“ Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung durch § 275c SGB VI
wäre die vorgezogene Altersrente des Klägers unstreitig 182,78 Euro höher gewesen und
hätte sich demnach auf 2.369,14 Euro belaufen. Diese Versorgungseinbuße ist für den
Kläger nicht untragbar.
43 Dabei kann offenbleiben, ob die vom Kläger hinzunehmende Versorgungseinbuße
entsprechend den Erwägungen des Senats in dem Urteil vom 30. März 1973 (- 3 AZR
26/72 - BAGE 25, 146) bis zu 40 % beträgt. In dieser vor Inkrafttreten des § 16 BetrAVG
ergangenen Entscheidung hatte der Senat angenommen, dass der Arbeitgeber verpflichtet
war, Anpassungsverhandlungen mit dem Arbeitnehmer aufzunehmen, wenn der seit
Rentenbeginn eingetretene Kaufkraftverlust 40 % betrug. Es bedarf auch keiner
Entscheidung, ob die Schwelle zur Unzumutbarkeit („Opfergrenze“) bereits früher
überschritten und ggf. in Anlehnung an die Rechtsprechung des Fünften Senats des BAG
(11. Oktober 2006 - 5 AZR 721/05 - Rn. 23; 12. Januar 2005 - 5 AZR 364/04 - zu B I 4 c bb
der Gründe, BAGE 113, 140) zur Wirksamkeit der Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts
zu bestimmen sein könnte. Danach ist ein Widerrufsvorbehalt nicht nach § 308 Nr. 4 BGB
unwirksam, wenn der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des
Gesamtverdienstes unter 25 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird; bei
Zahlungen des Arbeitgebers, die keine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung
darstellen, sondern Ersatz für Aufwendungen sind, die an sich vom Arbeitnehmer selbst zu
tragen wären, kann der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung bis zu 30 % betragen; in
diesen Grenzen ist die Änderung der vereinbarten Leistung für den Arbeitnehmer
zumutbar iSd. § 308 Nr. 4 BGB. Jedenfalls ist eine Versorgungseinbuße von ca. 7,7 %
auch vor dem Hintergrund, dass die Altersrente nach der PO 88 Entgelt für
Betriebszugehörigkeit ist, nicht so schwerwiegend, dass dem Kläger ein Festhalten an der
ursprünglichen Vereinbarung nicht mehr zugemutet werden könnte.
44 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Gräfl
Schlewing
Ahrendt
Wischnath
Brunke