Urteil des BAG vom 20.02.2008

BAG: Sonderzahlung, Kürzung aus wirtschaftlichen Gründen, Tarifauslegung, freies ermessen, apotheke, kontrolle, kündigung, subsumtion, inhaber, gefahr

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 20.2.2008, 10 AZR 126/07
Sonderzahlung - Kürzung aus wirtschaftlichen Gründen - Tarifauslegung
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 22. November 2006 - 9 Sa 621/06 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über restliche Sonderzahlung für das Jahr 2005.
2 Der Beklagte ist Inhaber einer Apotheke. Die Klägerin ist bei ihm seit dem 1. Dezember 2004 gegen
eine übertarifliche Vergütung als pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte beschäftigt. Auf das
Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit die Bestimmungen des am
1. Januar 2005 in Kraft getretenen Bundesrahmentarifvertrags für Apothekenmitarbeiter (BRTV)
vom 2. November 2004 Anwendung. In § 18 BRTV heißt es:
Ҥ 18 Sonderzahlung
1. Jeder Mitarbeiter erhält jährlich eine Sonderzahlung in Höhe von 100 % seines tariflichen
Monatsverdienstes. …
6. Der Apothekeninhaber ist für jedes Jahr berechtigt, die Sonderzahlung auf bis zu 50 %
des tariflichen Monatsverdienstes zu kürzen, sofern sich dies dem Apothekeninhaber aus
wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellt. Die Sonderzahlung ist nachträglich
ungekürzt zu zahlen, sofern der Apothekenleiter binnen einer Frist von 6 Monaten nach
der Zahlung eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht und mit Ausspruch der
Kündigung zur Zahlung fällig. Die Frist beginnt mit dem Monat, in dem die Zahlung oder -
bei Teilzahlungen - der letzte Teil der Zahlung bewirkt wurde.”
3 Die tarifliche Bruttomonatsvergütung der Klägerin betrug im Jahr 2005 1.403,61 Euro brutto. Im
November 2005 erhielt sie neben einem Bruttogehalt iHv. 1.473,91 Euro eine gekürzte tarifliche
Sonderzahlung iHv. 736,96 Euro brutto. Der Beklagte wies die Apothekenmitarbeiter in einem
undatierten Schreiben auf die in § 18 Nr. 6 BRTV vorgesehene Möglichkeit der Kürzung der
tariflichen Sonderzahlung hin, begründete die Kürzung der Sonderzahlung ua. mit einem
Umsatzeinbruch sowie einem gesunkenen Ertrag. Als Anlagen fügte er ein Schreiben seines
Steuerberaters zur Kostenentwicklung der Apotheke und eine grafische Darstellung der
Umsatzentwicklung bei.
4 Die Klägerin ist der Auffassung, die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung sei aus wirtschaftlichen
Gründen nicht erforderlich gewesen. Der Beklagte habe die Notwendigkeit der Kürzung nicht
ausreichend begründet. Ein allgemeines “Lamento” über die wirtschaftliche Lage genüge dazu nicht.
5 Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 666,65 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 1. Dezember 2005 zu zahlen.
6 Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, er sei nach § 18
Nr. 6 Satz 1 BRTV zur Kürzung der tariflichen Sonderzahlung berechtigt gewesen. Die Kürzung
habe sich ihm aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig dargestellt. Die Tarifvertragsparteien
hätten dem Apothekeninhaber in § 18 Nr. 6 Satz 1 BRTV in unkomplizierter Weise das Recht
eingeräumt, auf wirtschaftliche Auswirkungen auf die Apotheke zu reagieren. Sie hätten die Kürzung
der tariflichen Sonderzahlung in das weitgehend freie Ermessen des Apothekeninhabers gestellt
und zum Ausgleich mit einer zeitlich beschränkten Arbeitsplatzgarantie verbunden. Nach der
tariflichen Regelung komme die Einschätzung der wirtschaftlichen Gegebenheiten allein dem
Apothekeninhaber zu. Die Bewertung der wirtschaftlichen Lage durch den Apothekeninhaber dürften
die Gerichte nicht überprüfen. Dieser müsse deshalb zur Darlegung der wirtschaftlichen Gründe
weder Zahlen offenlegen noch die Kürzung mit einem konkreten Sanierungskonzept rechtfertigen.
Unabhängig davon zeigten seine schriftliche Begründung der Kürzung und das
Erläuterungsschreiben seines Steuerberaters auf, dass rationale wirtschaftliche Gründe für die
Kürzung der Sonderzahlung vorgelegen hätten.
7 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des
Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin
beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im
Ergebnis zu Recht stattgegeben.
9 I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe die beanspruchte restliche
Sonderzahlung für das Jahr 2005 gemäß § 18 Nr. 1 Satz 1 BRTV zu. Der Beklagte sei nach § 18
Nr. 6 Satz 1 BRTV nicht berechtigt gewesen, die tarifliche Sonderzahlung aus wirtschaftlichen
Gründen zu kürzen. Die Auslegung dieser Tarifbestimmung ergebe, dass die Kürzung der
tariflichen Sonderzahlung nicht im unüberprüfbaren subjektiven Ermessen des Apothekeninhabers
liege. Die Worte “aus wirtschaftlichen Gründen” sprächen für das Verständnis, dass aus der Sicht
eines objektiv an Stelle des konkreten Apothekeninhabers entscheidenden Arbeitgebers
wirtschaftliche Gründe für die Kürzung der Sonderzahlung vorliegen müssten. Das Wort
“notwendig” weise darauf hin, dass nicht jeder beliebige wirtschaftliche Grund zur Begründung der
Kürzung ausreiche. Der Zusammenhang zwischen den in § 18 Nr. 6 Satz 1 BRTV und § 18 Nr. 6
Satz 2 BRTV getroffenen Regelungen lasse erkennen, dass die Möglichkeit der Kürzung der
tariflichen Sonderzahlung zumindest auch die Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen
bezwecken solle. Dies lege nahe, dass die Kürzung der Sonderzahlung Bestandteil eines
Sanierungsgesamtkonzepts sein müsse. Der Beklagte habe nicht dargetan, dass die Kürzung aus
wirtschaftlichen Gründen objektiv notwendig gewesen sei. Seinem Vortrag lasse sich auch kein
Sanierungskonzept entnehmen.
10 II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind nicht frei von Rechtsfehlern. Sie halten den
Angriffen der Revision jedoch im Ergebnis stand.
11 1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Klägerin aufgrund der
Tarifgebundenheit beider Parteien (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) gemäß § 18 Nr. 1 Satz 1 BRTV für das
Jahr 2005 eine Sonderzahlung in Höhe von 100 % des tariflichen Monatsverdienstes und damit
iHv. 1.403,61 Euro brutto zusteht. Über die Höhe des tariflichen Monatsverdienstes der Klägerin
und damit auch die Höhe der ungekürzten tariflichen Sonderzahlung besteht kein Streit. Bei
Berücksichtigung der vom Beklagten im November 2005 geleisteten Sonderzahlung iHv.
736,96 Euro brutto ergibt sich der von der Klägerin beanspruchte Differenzbetrag iHv. 666,65 Euro
brutto.
12 2. Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe nicht hinreichend konkret
dargelegt, dass er nach § 18 Nr. 6 Satz 1 BRTV berechtigt gewesen sei, die Sonderzahlung für
das Kalenderjahr 2005 aus wirtschaftlichen Gründen zu kürzen, hält den Angriffen der Revision im
Ergebnis stand. Zu Unrecht meint der Beklagte, seine Entscheidung, die tarifliche Sonderzahlung
zu kürzen, dürfe von den Gerichten nicht überprüft werden. Die Entscheidung des
Apothekeninhabers, die tarifliche Sonderzahlung zu kürzen, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle.
Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung.
13 a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (20. Juni 2007 -
10 AZR 291/06 - EzTöD 400 Eingruppierung BAT Sozial- und Erziehungsdienst Heimzulage Nr. 1
mwN) . Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der
Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen
Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in
den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der
Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt
werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für
Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte
des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch
die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt
derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten
und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 19. Januar 2000 - 4 AZR 814/98 - BAGE 93, 229)
. Enthält ein Tarifvertrag unbestimmte Rechtsbegriffe, haben die Tatsachengerichte bei der
Subsumtion einen Beurteilungsspielraum. Das Revisionsgericht kann seine Anwendung nur
daraufhin überprüfen, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei
der Subsumtion des Sachverhalts Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob
es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (BAG
20. Juni 2007 - 10 AZR 291/06 - aaO mwN) .
14 b) Daran gemessen ist die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 18 Nr. 6 Satz 1 BRTV
“aus wirtschaftlichen Gründen” und “notwendig” durch das Landesarbeitsgericht nicht
rechtsfehlerfrei. Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausreichend berücksichtigt, dass es nach dem
Wortlaut der Tarifvorschrift für die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung ausreicht, dass sich die
Kürzung dem Apothekeninhaber aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellt. Die
Kürzung der tariflichen Sonderzahlung durch den Apothekeninhaber setzt nach der tariflichen
Regelung damit nicht voraus, dass sie objektiv aus wirtschaftlichen Gründen notwendig ist. Die
Kürzung muss auch nicht Teil eines Sanierungsgesamtkonzepts des Apothekeninhabers zur
Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen sein.
15 aa) Maßgebend ist zunächst, dass § 18 Nr. 6 Satz 1 BRTV für die Berechtigung des
Apothekeninhabers zur Kürzung der Sonderzahlung dem Wortlaut nach nicht darauf abstellt, dass
die Kürzung objektiv aus wirtschaftlichen Gründen notwendig ist. Ein Wille der
Tarifvertragsparteien, dass es nicht auf die subjektive Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der
Apotheke durch den Apothekeninhaber selbst, sondern entsprechend der Annahme des
Landesarbeitsgerichts auf die Sicht “eines objektiv an Stelle des konkreten Apothekeninhabers
entscheidenden Arbeitgebers” ankommt, hat im Wortlaut der Tarifnorm keinen Niederschlag
gefunden. Die Tarifvorschrift spricht vielmehr davon, dass sich dem Apothekeninhaber die
Kürzung der Sonderzahlung aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellen muss. Aus der
Formulierung “dem Apothekeninhaber” wird deutlich, dass nach dem Willen der
Tarifvertragsparteien die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation der Apotheke durch deren
Inhaber zu achten und insofern von einer Einschätzungsprärogative des Apothekeninhabers
auszugehen ist. Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der Kürzungsentscheidung des
Apothekeninhabers ist deshalb nur zu prüfen, ob dieser eine auf die wirtschaftliche Situation seiner
Apotheke bezogene Prognose erstellt und offengelegt hat, welche nachvollziehbaren, einsichtigen
und konkreten Gründe aus seiner Sicht die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung erfordern.
Allgemein gehaltene Hinweise des Apothekeninhabers auf die wirtschaftliche Lage der Apotheken
in Deutschland und pauschaler Vortrag zur Verfehlung von Umsatzzielen, zum Rückgang des
Umsatzes, zu Gewinnverfall oder Unrentabilität oder zur Notwendigkeit der Einsparung von
Personalkosten machen die Kürzungsentscheidung nicht plausibel und genügen daher zur
Begründung der Kürzung nicht.
16 bb) Sinn und Zweck der Vorschrift und der tarifliche Gesamtzusammenhang geben kein anderes
Auslegungsergebnis vor. Sie knüpfen das Kürzungsrecht des Apothekeninhabers nicht daran,
dass die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung Teil eines Sanierungsgesamtkonzepts ist und der
Vermeidung von Kündigungen aus dringenden betrieblichen Erfordernissen dient. Zwar ist nach
§ 18 Nr. 6 Satz 2 BRTV die Sonderzahlung nachträglich ungekürzt zu zahlen, sofern der
Apothekeninhaber binnen einer Frist von sechs Monaten nach der Zahlung eine betriebsbedingte
Kündigung ausspricht. Diese Regelung zwingt aber nicht zu der Annahme, dass die Kürzung der
tariflichen Sonderzahlung durch den Apothekeninhaber eine akute Gefahr für die Existenz der
Apotheke und damit den Bestand der Arbeitsplätze der Apothekenmitarbeiter voraussetzt und nur
erfolgen darf, wenn der Apothekeninhaber im Rahmen eines Sanierungsgesamtkonzepts noch
andere Maßnahmen zur Steigerung der Rentabilität der Apotheke beschließt. Hätten die
Tarifvertragsparteien das Kürzungsrecht des Apothekeninhabers an ähnliche Voraussetzungen
wie die einer Änderungskündigung zur Entgeltkürzung knüpfen wollen, hätten sie die tarifliche
Kürzungsregelung entsprechend ausgestalten und anders formulieren müssen. Wenn sie
bestimmt haben, dass bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung binnen einer Frist von
sechs Monaten nach dem Auszahlungstag die ungekürzte Sonderzahlung zu leisten ist, haben sie
damit nur zum Ausdruck gebracht, dass sie die Kürzung der Sonderzahlung zur Senkung der
Personalkosten und damit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Apotheke bei
Apothekenmitarbeitern nicht für angemessen halten, denen aufgrund des Ausspruchs einer
betriebsbedingten Kündigung der Verlust ihres Arbeitsplatzes aus Gründen droht, die nicht in ihre
Verantwortungssphäre fallen. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien, wie er im
Wortlaut des § 18 Nr. 6 Satz 2 BRTV zum Ausdruck kommt, sollen nur solche
Apothekenmitarbeiter zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Apotheke beitragen, indem
sie nur eine gekürzte tarifliche Sonderzahlung erhalten, denen ihr finanzieller Beitrag zur
Verbesserung der wirtschaftlichen Situation auch zugutekommt.
17 cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten lag die Entscheidung über die Kürzung der tariflichen
Sonderzahlung nicht in seinem freien, der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Ermessen.
18 (1) Die Tarifvertragsparteien haben bei der Regelung der tariflichen Sonderzahlung zunächst in
§ 18 Nr. 1 Satz 1 BRTV bestimmt, dass jeder Mitarbeiter eine Sonderzahlung iHv. 100 % seines
tariflichen Monatsverdienstes erhält. Diese Bestimmung enthält erkennbar die Grundregel zur
Höhe der Sonderzahlung. Für den Grundsatz, dass der Apothekeninhaber verpflichtet ist, eine
Sonderzahlung in Höhe des tariflichen Monatsverdienstes zu leisten, spricht nicht nur der Wortlaut,
sondern auch die systematische Stellung innerhalb des Textes der Tarifbestimmung. Die
Tarifvertragsparteien haben die Grundregel den anderen in § 18 BRTV zur Sonderzahlung
getroffenen Regelungen vorangestellt. Bezüglich der Höhe der Sonderzahlung ist die Grundregel
eindeutig. Sie stellt die Höhe der von dem Apothekeninhaber zu leistenden Sonderzahlung nicht in
sein freies Ermessen, sondern knüpft sie an das tarifliche Monatsentgelt.
19 (2) In § 18 Nr. 6 Satz 1 BRTV haben die Tarifvertragsparteien festgelegt, unter welchen
Voraussetzungen und in welchem Umfang der Apothekeninhaber die tarifliche Sonderzahlung
kürzen darf. Müsste der Apothekeninhaber seine Kürzungsentscheidung nicht begründen und
unterläge diese entsprechend der Auffassung des Beklagten keiner gerichtlichen Kontrolle, wäre
die Grundregel bezüglich der Höhe der tariflichen Sonderzahlung sinnentleert. Der
Apothekeninhaber könnte mit dem pauschalen Hinweis auf die Notwendigkeit der Kürzung aus
wirtschaftlichen Gründen die tarifliche Grundregel, welche die Höhe der von ihm zu leistenden
Sonderzahlung gerade nicht in sein freies Ermessen stellt, weitgehend außer Kraft setzen. Einem
solchen Verständnis steht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien in der Grundregel des § 18
Nr. 1 Satz 1 BRTV den Anspruch des Apothekenmitarbeiters auf eine Sonderzahlung in der in
dieser Vorschrift genannten Höhe als Rechtsanspruch ausgestaltet haben, indem sie bestimmt
haben, dass jeder Mitarbeiter jährlich eine Sonderzahlung iHv. 100 % seines tariflichen
Monatsverdienstes erhält.
20 (3) Zu Unrecht meint der Beklagte, die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung unterliege keiner
gerichtlichen Kontrolle, weil sie mit einer zeitlich beschränkten Arbeitsplatzgarantie verbunden sei.
Die Kürzung der Sonderzahlung schränkt das Kündigungsrecht des Apothekeninhabers nicht ein
und garantiert dem Apothekenmitarbeiter den Arbeitsplatz nicht für sechs Monate. Aus der in § 18
Nr. 6 Satz 2 BRTV getroffenen Regelung ergibt sich eindeutig, dass der Apothekeninhaber nicht
gehindert ist, das Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Monaten nach dem Auszahlungstag zu
kündigen, wenn er die Sonderzahlung aus wirtschaftlichen Gründen gekürzt hat. Er hat in diesem
Fall nur nachträglich die ungekürzte Sonderzahlung zu leisten.
21 c) Auch wenn die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 2005 nicht zur Vermeidung
einer betriebsbedingten Kündigung und nicht im Rahmen eines Sanierungsgesamtkonzepts
erfolgen musste, sondern die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation seiner Apotheke durch
den Beklagten zu achten und insofern von einer Einschätzungsprärogative des Beklagten
auszugehen ist, musste dieser doch seine Kürzungsentscheidung näher begründen, um deren
gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen. An einer solchen Begründung fehlt es. Der Beklagte hat
nicht hinreichend dargetan, welche auf die wirtschaftliche Situation seiner Apotheke bezogene
Prognose er erstellt hat. Er hat auch nicht offengelegt, welche nachvollziehbaren, einsichtigen und
konkreten Gründe die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung aus seiner Sicht erfordern. Seine
allgemein gehaltenen Hinweise zur wirtschaftlichen Lage der Apotheken in Deutschland sind
unzureichend. Dies gilt auch für seinen pauschalen Vortrag zur Verfehlung von Umsatzzielen,
zum Gewinnverfall und zur Notwendigkeit der Einsparung von Personalkosten. Auch das
Schreiben seines Steuerberaters und die grafische Darstellung der Umsatzentwicklung enthalten
keine konkreten, nachprüfbaren Angaben zur wirtschaftlichen Situation der Apotheke des
Beklagten und machen die Kürzungsentscheidung nicht plausibel, zumal der Beklagte das mit der
Klägerin im Arbeitsvertrag vom 21. Oktober 2004 vereinbarte übertarifliche Bruttomonatsgehalt
iHv. 1.404,95 Euro auf 1.473,91 Euro brutto erhöht hat, ohne dass er dazu arbeitsvertraglich
verpflichtet war.
Dr. Freitag
Marquardt
Brühler
Rudolph
Petri