Urteil des BAG vom 26.08.2008

BAG: Auslegung eines Sozialplans, vergütung, bonus, auszahlung, abfindung, widerklage, zwangsvollstreckung, berg, arbeitsgericht, anspruchsvoraussetzung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.8.2008, 1 AZR 349/07
Auslegung eines Sozialplans
Tenor
I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 15. März 2007 - 11 Sa 1364/06 - aufgehoben.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf
vom 15. November 2006 - 15 Ca 5371/06 - abgeändert:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte
11.187,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2007 zu zahlen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Berechnung von Sozialplanleistungen.
2 Der im Februar 1949 geborene Kläger war seit dem 1. Oktober 1996 in der Düsseldorfer
Niederlassung der Beklagten als Financial Advisor (FA) tätig. Er erhielt neben der monatlichen
Grundvergütung einen jährlichen Bonus. Dessen Höhe richtete sich nach dem im Bezugsjahr
erwirtschafteten Umsatz. Der Anspruch war jeweils im ersten Quartal des Folgejahres fällig und
stand unter der Bedingung, dass zum Zeitpunkt der Auszahlung weder der Arbeitnehmer noch der
Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.
3 Im September 2004 entschloss sich die Beklagte, ihre vier deutschen Niederlassungen zu
schließen. Damit war der Verlust von insgesamt 64 Arbeitsplätzen verbunden. Am 2. Dezember
2004 schloss sie mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Der
Sozialplan enthält ua. folgende Regelungen:
§ 2
1. Die Mitarbeiter, die ihr 65. Lebensjahr bei Ausscheiden noch nicht vollendet haben
und deren Anstellungsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wird oder
die aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausscheiden, erhalten eine Abfindung nach
folgender Formel:
a) Einen Grundabfindungsbetrag von EUR 10000 brutto für FAs, von EUR 15000 brutto
für Mitarbeiter im Administrationsbereich.
b) Einen Steigerungsbetrag, der sich wie folgt errechnet:
Betriebszugehörigkeit x Monatsentgelt x Lebensalter
36
(jedoch mindestens ein Monatsentgelt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit)
...
§ 3
1. Auf Wunsch des betroffenen Mitarbeiters kann, wenn dringende betriebliche Belange
nicht entgegenstehen, die Zeit bis zum Ablauf der individuellen Kündigungsfrist
einvernehmlich verkürzt werden. In diesem Fall erhöht sich die Abfindung nach § 2
um 75 % der zwischen dem vorzeitigen Ausscheiden und dem Datum des
fristgerechten Ausscheidens ansonsten angefallenen Monatsentgelte. …
§ 4
1. B behält sich vor, die Mitarbeiter unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche unter
Fortzahlung des Monatsentgelts (§ 5 d), welches allen FAs ab dem Tag der
Freistellung bzw. spätestens ab dem 15. Oktober 2004 als monatliches
Mindestentgelt zu gewähren ist, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung
freizustellen.
...
3. FAs erhalten für 2004 - gleich ob gekündigt oder ungekündigt - bei Vorliegen der
sonstigen Voraussetzungen den „annual production bonus“.
§ 5
Zur Vermeidung von Streitfragen werden folgende Definitionen getroffen:
...
d) „Monatsentgelt“ bedeutet bei (a) FAs die in den Jahren 2001, 2002 und 2003 erzielte
Vergütung geteilt durch 36 und bei (b) Mitarbeitern aus dem Administrationsbereich
die im Jahre 2003 erzielte Vergütung geteilt durch 12. Lohnausfallzeiten werden nicht
berücksichtigt.“
4 Der Kläger war vom 15. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 unter Fortzahlung seiner
Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Er erhielt in dieser Zeit monatlich
7.694,00 Euro brutto. Unter dem 8./14. Dezember 2004 schlossen die Parteien einen schriftlichen
Aufhebungsvertrag, nach dem das Arbeitsverhältnis mit dem 31. März 2005 enden werde, der
Kläger unter Fortzahlung seiner „Vergütung entsprechend der Regelung in § 4 Abs. 1 des
Sozialplans vom 2-Dec-04“ unwiderruflich von der Arbeit freigestellt bleibe, für den Verlust seines
Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend dem Sozialplan in Höhe von 111.941,00 Euro brutto
erhalte, die sich im Falle der vorzeitigen Beendigung vor dem 31. März 2005 entsprechend § 3
Abs. 1 des Sozialplans erhöhe. Auf Wunsch des Klägers endete das Arbeitsverhältnis vorzeitig
am 31. Dezember 2004. Bereits Anfang November 2004 hatte die Beklagte ihren Mitarbeitern eine
in englischer Sprache verfasste, als „Employee Summary“ bezeichnete - im Verfahren nicht in die
deutsche Sprache übersetzte - Aufstellung überreicht.
5 Der Kläger hatte einschließlich der jeweiligen Bonuszahlung einen Gesamtbruttoverdienst in Höhe
von 144.715,03 Euro im Jahr 2001, in Höhe von 74.396,00 Euro im Jahr 2002 sowie in Höhe von
77.614,00 Euro im Jahr 2003. Hiernach errechnet sich für die Jahre 2001 bis 2003 ein
durchschnittliches monatliches Entgelt von 8.242,36 Euro. Wird die Bonuszahlung nicht den
Einkünften im Jahr der Auszahlung, sondern dem Bezugszeitraum und damit dem jeweiligen
Vorjahr zugeordnet, ergibt sich für den 3-Jahreszeitraum ein durchschnittliches Monatsentgelt von
7.694,00 Euro. Diesen Betrag hatte die Beklagte der Berechnung der an den Kläger ausgezahlten
Abfindung zugrunde gelegt.
6 Mit seiner Klage hat der Kläger gestützt auf § 2 Nr. 1 b des Sozialplans einen weiteren
Abfindungsanspruch in Höhe von 7.333,23 Euro brutto, unter Berufung auf § 3 Nr. 1 des
Sozialplans wegen seines vorzeitigen Ausscheidens zum 31. Dezember 2004 eine Erhöhung des
Abfindungsanspruchs um 1.233,81 Euro brutto sowie nach § 4 Nr. 1 des Sozialplans für die Zeit
seiner Freistellung vom 15. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 einen restlichen
Entgeltanspruch in Höhe von 1.370,90 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung
vertreten, bei der Berechnung der Ansprüche aus dem Sozialplan sei ein Monatsentgelt in Höhe
von 8.242,36 Euro brutto und nicht ein solches von 7.694,00 Euro brutto maßgeblich. „Erzielte
Vergütung“ iSv. § 5 Buchst. d des Sozialplans seien die im jeweiligen Kalenderjahr tatsächlich
geleisteten Zahlungen. Hinsichtlich der Boni komme es daher nicht auf das Bezugsjahr, sondern
auf das Jahr der Auszahlung an.
7 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.937,94 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 31. Dezember 2004 zu zahlen.
8 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Im Hinblick darauf, dass sie am 15. Januar
2007 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an den Kläger einschließlich Zinsen
11.187,11 Euro gezahlt hatte, hat sie in der Berufungsinstanz widerklagend beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an sie 11.187,11 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2007 zu zahlen.
9 Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, „erzielt“ im Sinne des Sozialplans sei die Vergütung
dann, wenn sie erarbeitet sei. Auf den Zeitpunkt der Auszahlung der Boni komme es nicht an.
Hierauf seien die Mitarbeiter bereits in dem bei den Sozialplanverhandlungen auch dem
Gesamtbetriebsrat vorgelegten „Employee Summary“ hingewiesen worden.
10 Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
11 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der
Beklagten - auch hinsichtlich der Widerklage - zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren und die Widerklage
weiter.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht der Klage entsprochen und
die Widerklage abgewiesen. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
13 I. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen unbegründet. Die Ansprüche des
Klägers auf eine Abfindung nach § 2 Nr. 1 b des Sozialplans, auf eine Erhöhung des
Abfindungsanspruchs wegen vorzeitigen Ausscheidens gemäß § 3 Nr. 1 des Sozialplans sowie
auf Fortzahlung des Entgelts für die Zeit der Freistellung gemäß § 4 Nr. 1 des Sozialplans sind
erfüllt. Die Beklagte hat bei deren Berechnung zu Recht ein Monatsentgelt von 7.694,00 Euro
zugrunde gelegt. Sie ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach dem Sozialplan die an die FA
gezahlten jährlichen Boni dem Bezugsjahr und nicht dem Auszahlungsjahr zuzuordnen sind. Das
ergibt die Auslegung der in § 5 Buchst. d des Sozialplans getroffenen Regelung.
14 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen
besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden
normativen Wirkung wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist
dementsprechend zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber
hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von
besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der
Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag
gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten,
zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt
(vgl. etwa BAG 13. März 2007 - 1 AZR 262/06 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 183 = EzA BetrVG
2001 § 112 Nr. 22, zu I der Gründe mwN) .
15 2. Hiernach erweist sich die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 5 Buchst. d des
Sozialplans als zutreffend.
16 a) Der Wortlaut des § 5 Buchst. d des Sozialplans gebietet kein bestimmtes Ergebnis. Er lässt ein
Verständnis dahin zu, dass der Jahresbonus erst dann „erzielt“ ist, wenn die entsprechende
Zahlung dem Arbeitnehmer zufließt. Ebenso gestattet er ein Verständnis, wonach der Bonus auf
die dafür erbrachte (Arbeits-)Leistung bezogen ist, also durch diese „erzielt“ wird. Der Begriff des
„Erzielens“ hat einen handlungs- und einen erfolgsbezogenen Aspekt. Dementsprechend kann
unter einer „erzielten Vergütung“ sowohl die tatsächlich erhaltene als auch die erarbeitete
Vergütung verstanden werden. Hätten die Betriebsparteien in § 5 Buchst. d des Sozialplans die
Auszahlung und nicht den Erfolg im maßgeblichen Bezugszeitraum als entscheidend angesehen,
hätte es allerdings nahe gelegen, statt des Begriffs „erzielt“ die Worte „bezahlt“ oder „erhalten“ zu
verwenden. Die für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ausschlaggebende Erwägung,
Anspruchsvoraussetzung für den Jahresbonus sei nicht nur der von dem Arbeitnehmer im
Bezugsjahr erwirtschaftete Umsatz, sondern auch die im Auszahlungsjahr erbrachte
Betriebstreue, ist demgegenüber nicht zwingend. Der Schwerpunkt der Boni liegt eindeutig in ihrer
Vergütungsfunktion. Dies wird bereits daran deutlich, dass ihre Höhe vom Erfolg der Mitarbeiter im
Vorjahr abhängt. Daher kann dahinstehen, ob die Regelung wirksam ist, wonach der Anspruch auf
den Bonus entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt - und sei es von der
Beklagten - gekündigt ist (vgl. dazu BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 27-29 mwN, AP
BGB § 307 Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 26) .
17 b) Systematische Erwägungen sprechen dafür, den Jahresbonus auch im Rahmen des § 5
Buchst. d des Sozialplans nicht dem Jahr der Auszahlung, sondern dem der dafür geleisteten
Arbeit zuzuordnen. Nach § 4 Nr. 3 des Sozialplans erhalten die FA „für 2004 - gleich ob gekündigt
oder ungekündigt - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen den ‚annual production bonus’“.
Jedenfalls in diesem Zusammenhang wird der Bonus dem Jahr der Arbeitsleistung zugeordnet.
18 c) Vor allem sprechen Sinn und Zweck der Regelung für die von der Beklagten vertretene Ansicht.
§ 5 Buchst. d des Sozialplans dient erkennbar dazu, das für die Höhe der Abfindung ua.
maßgebliche Monatsentgelt der Arbeitnehmer sachgerecht und zeitnah zu ermitteln. Dazu wird für
die Mitarbeiter aus dem Administrationsbereich, zu deren Vergütung kein umsatzabhängiger
Jahresbonus gehört, das letzte, dem Abschluss des Sozialplans vorangehende Kalenderjahr 2003
als angemessen erachtet. Dieses ist als Referenzzeitraum zum einen aussagekräftig und zum
anderen zeitnah. Bei den FA, für die der Jahresbonus einen wichtigen Vergütungsbestandteil
darstellt, haben die Betriebsparteien statt des Ein-Jahreszeitraums einen Referenzzeitraum von
drei Jahren gewählt. Auch hier ist aber aus Gründen der Aktualität davon auszugehen, dass im
Zweifel die jüngeren und nicht ältere, länger zurückliegende Bonuszahlungen maßgeblich sein
sollen. Dem entspricht es, bei der Ermittlung der in den Jahren 2001 bis 2003 durchschnittlich
„erzielten Vergütung“ nicht die ältere für das (Bezugs-)Jahr 2000 geleistete, sondern die aktuellere
für das (Bezugs-)Jahr 2003 geleistete Bonuszahlung zu berücksichtigen. Sozialplanabfindungen
dienen dazu, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile der
Arbeitnehmer auszugleichen oder abzumildern. Dieser Verlust wird zuverlässiger durch die dem
Ausscheiden näheren als durch fernere Einkommensverhältnisse beschrieben.
19 d) Die vom Landesarbeitsgericht vertretene Auslegung führt zwar zu einer einfacheren
Handhabung bei der Ermittlung des maßgeblichen Bruttomonatsentgelts, lässt sich doch bei
dieser Auslegung die Jahresvergütung ohne Weiteres durch einen Blick in die
Jahreslohnbescheinigung feststellen. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch nicht ausschlaggebend.
Auch die von der Beklagten vertretene Auslegung ist praktikabel. Die Höhe der gezahlten Boni
lässt sich unschwer feststellen und dem jeweiligen Vorjahr zuordnen. Das gilt auch für den im Jahr
2004 für das Jahr 2003 gezahlten Bonus. Dieser stand bei Abschluss des Sozialplans im
Dezember 2004 bereits seit längerer Zeit fest.
20 e) Auf das im Einzelnen streitige Vorbringen der Parteien zum Verlauf der
Sozialplanverhandlungen, insbesondere zur Vorlage der „Employee Summary“ an den
Gesamtbetriebsrat, kommt es für die nach einem objektiven Maßstab vorzunehmende Auslegung
des Sozialplans nicht an.
21 II. Die Widerklage ist zulässig und begründet. Der Anspruch der Beklagten auf Rückerstattung der
von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten Zahlungen folgt aus § 62 Abs. 2
Satz 1 ArbGG iVm. § 717 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO.
Schmidt
Kreft
Linsenmaier
Peter Berg
Rath