Urteil des BAG vom 13.12.2007

BAG: Tarifauslegung, Arbeitsbereitschaft, treu und glauben, angebot der arbeitsleistung, objektive unmöglichkeit, nachtarbeit, gegenleistung, aufnehmen, ruhezeit, informationspflicht

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.12.2007, 6 AZR 197/07
Tarifauslegung - Arbeitsbereitschaft
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-
Württemberg vom 26. Januar 2007 - 18 Sa 45/06 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten nur noch über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger auf dessen
Arbeitszeitkonto für den 11. Juli 2005 7,5 Stunden gutzuschreiben.
2 Der Kläger ist seit dem 1. September 1987 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als
Facharbeiter mit einer jährlichen Arbeitszeit von 2.036 Stunden und einem Monatsbruttolohn von ca.
2.000,00 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen der mit
der Gewerkschaft TransNet für die Betriebe der Deutschen Bahn AG abgeschlossenen
Tarifverträge Anwendung, ua. der Tarifvertrag zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für die
Arbeitnehmer der DB AG (JazTV) und der Arbeitszeittarifvertrag für die Arbeitnehmer von
Schienenverkehrs- und Schieneninfrastrukturunternehmen des AgvMoVe (AZTV-S). Im AZTV-S
heißt es:
§ 5
Arbeitszeitkonto
(1) Für den Arbeitnehmer wird ein Arbeitszeitkonto geführt, in dem die geleisteten Zeiten und
die nach tarifvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen zu verrechnenden bzw.
anzurechnenden Zeiten fortlaufend erfasst werden. Das Arbeitszeitkonto dient auch als
arbeitszeitrechtliche Grundlage für das Entgelt.
...
§ 9
Arbeitszeitverteilung
...
(5) Fällt Arbeit aus, ist der Arbeitnehmer spätestens am Vortag hierüber zu informieren. Der
Arbeitgeber kann verlangen, dass die ausgefallene Arbeitszeit nachgeholt wird.
(6) (bleibt frei)
(7) Dem Arbeitnehmer bereits zugesprochene Ruhezeiten oder Arbeitsbefreiungen gelten als
gewährt, wenn sie in die Zeit einer Erkrankung, eines Urlaubs oder einer Arbeitsbefreiung
aus persönlichen Anlässen fallen. Aus betrieblichen Gründen ausgefallene Ruhezeiten sind
nach den jeweils maßgeblichen gesetzlichen und tarifvertraglichen
Arbeitszeitschutzvorschriften nachzugewähren.
(8) Bei Arbeitsversäumnis wegen der vorübergehenden Unmöglichkeit der Arbeitsleistung
(z.B. Mangel an Roh- und Betriebsstoffen, Stromabschaltungen, Naturkatastrophen am
Wohn- oder Arbeitsort oder auf dem Wege zum Arbeitsplatz) erhält der Arbeitnehmer für
jeweils bis zu fünf aufeinanderfolgende Tage Entgelt für jeweils 1/261 des individuellen
regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls nach §§ 2 und 3 je Tag ohne Anrechnung von
Arbeitszeit fortgezahlt.
...”
3 Für notwendige Rufbereitschaft werden bei der Beklagten Bereitschaftspläne aufgestellt, die den
Mitarbeitern im Voraus bekannt sind und vom Betriebsrat die Zustimmung nach § 87 BetrVG
erhalten haben.
4 Am Sonntag, den 10. Juli 2005 war der Kläger im Rahmen der Rufbereitschaft zu einem
Entstörungseinsatz gerufen worden. Dieser dauerte vom 10. Juli 2005 18.35 Uhr bis 11. Juli 2005
5.15 Uhr. Der Kläger konnte auf Grund arbeitszeitrechtlicher Bestimmungen die zunächst von
6.15 Uhr bis 16.00 Uhr geplante Arbeit am 11. Juli 2005 nicht antreten. Die frühestmögliche
Arbeitsaufnahme wäre 14.15 Uhr gewesen. Eine Arbeitsaufnahme zu diesem Zeitpunkt wurde von
der Beklagten nicht eingefordert und auch von dem Kläger nicht angeboten. Im Zeitraum von 6.15
Uhr bis 16.00 Uhr wäre eine halbe Stunde unbezahlte Pause enthalten gewesen. Zum Ausgleich
der Einschränkung der persönlichen Dispositionsfreiheit erhielt der Kläger für die
Rufbereitschaftszeiten eine Zulage in Höhe von zuletzt 1,76 Euro pro Stunde. Während der im
Rahmen der Bereitschaft anfallenden Arbeitszeit erhielt der Kläger die übliche Vergütung zuzüglich
Nachtarbeitszulage. Die Arbeitszeit wurde auch auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers
gutgeschrieben. Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 26. Juli 2005 von der Beklagten, dass die
am 11. Juli 2005 ausgefallene Regelarbeitszeit auf sein Arbeitszeitkonto anzurechnen sei.
5 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Zeit am 11. Juli 2005 von 6.15 Uhr bis 16.00 Uhr sei als
Arbeitszeit zu werten, da er nicht vorher über den Ausfall informiert worden sei. Die Beklagte habe
den Ausfall der geplanten Arbeitsleistung des Klägers zu vertreten. Auf Grund nicht unerheblicher
Personaleinsparungen nehme sie billigend in Kauf, dass Beschäftigte während der Rufbereitschaft
auch für Regeleinsätze verplant würden und somit geplante Arbeitszeiten ausfielen. Er habe seine
Arbeitskraft ab 14.15 Uhr nicht anbieten müssen, da es der Beklagten möglich gewesen sei, ihn zur
Arbeitsleistung aufzufordern. Er habe somit nach § 9 Abs. 5 AZTV-S einen tariflichen Anspruch
darauf, dass die infolge der Rufbereitschaft ausgefallene Arbeit auf seinem Arbeitszeitkonto
gutgeschrieben werde. Die Arbeit sei ausgefallen, da sie nicht geleistet werden durfte. Nacharbeit
könne der Arbeitgeber nur bei Wahrung der Ankündigungsfrist verlangen. Die Tarifbestimmung in
§ 9 Abs. 8 AZTV-S sei nicht anwendbar, da hier lediglich Fälle tatsächlicher Unmöglichkeit erfasst
würden.
6 Der Kläger hat beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, die für den Kläger ausgefallene Tagschicht vom 11. Juli 2005 in
der Zeit von 6.15 Uhr bis 16.00 Uhr auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers mit 9 Stunden und
15 Minuten gutzuschreiben.
7 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, die verlangte Bewertung der
Arbeitszeit könne nicht erfolgen. Es liege in der Natur von Rufbereitschaftsregelungen, dass
Mitarbeiter außerhalb der Regelarbeitszeit zum Einsatz kommen können und in diesen Fällen Arbeit
leisten. In der Zeit bis 14.15 Uhr habe für den Kläger ein Beschäftigungsverbot bestanden, was
niemand zu vertreten gehabt habe. Die Beklagte habe sich auch nicht im Annahmeverzug nach
§ 615 BGB befunden, da der Kläger seine Arbeitsleistung in dieser Zeit nicht habe anbieten dürfen
und die Beklagte die Arbeitsleistung umgekehrt nicht habe annehmen können. Aus der tariflichen
Regelung des § 9 Abs. 5 AZTV-S ergebe sich nichts anderes. Die Tatbestandsvoraussetzungen
seien nicht erfüllt, weil die Regelarbeit auf Grund des Rufbereitschaftsdienstes nicht ausfalle,
sondern nicht mehr geleistet werden dürfe. § 9 Abs. 8 AZTV-S finde auch für die Fälle der
rechtlichen Unmöglichkeit Anwendung.
8 Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, für den 11. Juli
2005 von 6.15 Uhr bis 14.15 Uhr auf dem Arbeitszeitkonto 7,5 Stunden gutzuschreiben; im Übrigen
hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das
Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision
erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die
Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 A. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage in
dem in der Revision noch anhängigen Umfang als unbegründet abgewiesen.
10 Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch, dass ihm die Zeit am 11. Juli 2005 von
6.15 Uhr bis 14.15 Uhr auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wird. Nach § 5 Abs. 1 AZTV-S
wird für den Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto geführt. Das Arbeitszeitkonto dient auch als
arbeitszeitrechtliche Grundlage für das Entgelt. Da der Kläger in dem Zeitraum am 11. Juli 2005
von 6.15 Uhr bis 14.15 Uhr unstreitig keine Arbeitsleistung erbracht hat, kann er eine Gutschrift nur
erwirken, wenn sich aus den tarifvertraglichen oder gesetzlichen Regelungen ein entsprechender
Anspruch ergibt. Eine diesbezügliche Anspruchsgrundlage besteht jedoch nicht.
11 I. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch auf Anrechnung dieser Arbeitszeit. Dies ergibt
eine Auslegung der Tarifbestimmungen.
12 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Tarifverträge wie Gesetze
auszulegen. Die Tarifauslegung hat zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über
den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen
beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille
in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Insoweit ist auch auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur daraus und nicht schon aus der einzelnen
Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und der Sinn und Zweck
der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des
Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den stets in erster Linie
heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des
wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die
praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen
werden. Hierbei gibt es keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge der Heranziehung dieser
weiteren Auslegungsmittel (vgl. BAG 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 - BAGE 73, 364; 4. April 2001 -
4 AZR 180/00 - BAGE 97, 271) .
13 2. Der Kläger kann seinen Anspruch auf Gutschrift nicht aus § 9 Abs. 5 AZTV-S herleiten. Nach
dieser Bestimmung ist der Arbeitnehmer, wenn Arbeit ausfällt, spätestens am Vortag hierüber zu
informieren. Der Arbeitgeber kann dann verlangen, dass die ausgefallene Arbeitszeit nachgeholt
wird.
14 a) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Regelung in § 9 Abs. 5 AZTV-S
nicht auf die vorliegende Fallkonstellation zutrifft. Die Tarifnorm setzt zwar stillschweigend voraus,
dass auch im Fall des Ausfalls von Arbeit eine Zeitgutschrift zu erfolgen hat, und zwar unabhängig
davon, ob der Arbeitnehmer informiert wird oder nicht. Schon der Wortlaut passt aber nicht auf den
vorliegenden Fall. Nach dem Wortlaut regelt § 9 Abs. 5 Satz 1 AZTV-S den Ausfall von Arbeit,
nicht aber den von Arbeitszeit. Es ist zwar zutreffend, dass wegen ausgefallener Arbeit letztlich
auch keine Arbeitszeit anfällt. Die Begriffe sind jedoch nicht synonym zu verstehen. Auf Grund der
in § 9 Abs. 5 AZTV-S selbst vorgenommenen Differenzierung der Begriffe - Ausfall von “Arbeit” in
Satz 1, Nachholung der ausgefallenen “Arbeitszeit” in Satz 2 - ist davon auszugehen, dass die
Verwendung des Wortes “Arbeit” von den Tarifvertragsparteien bewusst gewählt worden ist. Aus
dem Gebot, den Arbeitnehmer spätestens am Vortag über den Ausfall der Arbeit zu informieren,
dem Gebot, den Arbeitnehmer spätestens am Vortag über den Ausfall der Arbeit zu informieren,
folgt, dass es nicht um Fälle geht, in denen der einzelne Arbeitnehmer keine Arbeit leistet, leisten
kann oder leisten darf, obgleich im betrieblichen Geschehen Arbeit, wie sie der Arbeitnehmer sonst
zu leisten hat, vorhanden ist und gerade nicht ausfällt. Nur wenn bei bestehender
Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers Arbeit ausfällt, ist der Arbeitgeber,
was sich im Übrigen schon aus seiner Fürsorgepflicht ergibt, verpflichtet, den Arbeitnehmer
möglichst so rechtzeitig zu informieren, dass dieser anderweitig disponieren kann.
15 b) Auch aus dem Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Vorschrift ergibt sich kein Argument für die
Rechtsansicht des Klägers. Unter Berücksichtigung von § 9 Abs. 5 Satz 2 AZTV-S soll das
Annahmeverzugsrisiko des Arbeitgebers auf die Fälle nicht frühzeitig angekündigten
Arbeitsausfalls reduziert werden. Die Vorschrift begründet für den Fall einer rechtzeitigen
Information des Arbeitnehmers, in Abweichung von den gesetzlichen Regelungen, eine
Verpflichtung, die ausgefallene Arbeit ohne erneute Gutschrift der Arbeitszeit auf dem
Arbeitszeitkonto nachzuleisten. Hieraus ergibt sich, dass vorliegend die Bestimmung in § 9 Abs. 5
AZTV-S nicht anwendbar ist. Es liegt kein Arbeitsausfall mit der Folge des Annahmeverzugs der
Beklagten vor. Arbeit war ohne Weiteres vorhanden und hätte auch durch den Kläger geleistet
werden können, wenn er hätte arbeiten dürfen. Auf Grund der zu seinen Gunsten erlassenen
arbeitszeitschutzrechtlichen Vorschriften (§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 ArbZG iVm. § 7 Abs. 1 Nr. 3
ArbZG) war es dem Kläger jedoch untersagt, während der Ruhezeiten seine Arbeitsleistung zu
erbringen. Diesen Fall erfasst § 9 Abs. 5 AZTV-S nicht.
16 c) Dem vorstehenden Auslegungsergebnis widersprechen auch nicht die Erläuterungen für den
GB Netz zu dem inhaltsgleichen § 6 Abs. 5 JazTV, worin ausgeführt wird: “Hieraus folgt, dass
Arbeitszeit regelmäßig als geleistet zu werten ist, wenn der Beschäftigte nicht ‚spätestens am
Vortage’ über den Ausfall informiert wurde.” Auch nach diesen Erläuterungen wird vorausgesetzt,
dass Arbeit ausfällt. Wie bereits ausgeführt, ist aber vorliegend nicht Arbeit im betrieblichen
Geschehen, sondern Arbeitszeit für den Kläger ausgefallen. Die Informationspflicht des
Arbeitgebers betrifft allein den Fall der ausgefallenen Arbeit im Sinne eines Arbeitserfordernisses
aus Arbeitgebersicht. Alle anderen Fälle, die zu einem Ausfall von “Arbeitszeit” führen, erfordern
keine Informationspflicht des Arbeitgebers.
17 d) Das Ergebnis wird ferner durch den Gesamtzusammenhang bestätigt. Die Regelung in § 9
AZTV-S weist als Überschrift “Arbeitszeitverteilung” auf. Diese Vorschrift soll also nicht in erster
Linie eigenständige Ansprüche auf Zeitgutschriften begründen. Soweit in besonderen
Fallgestaltungen Zeitgutschriften in das Arbeitszeitkonto erfolgen sollen, wird dies genau bestimmt
(vgl. § 9 Abs. 3 Ziff. 5 AZTV-S). Für den Fall, dass ein Arbeitnehmer wegen Heranziehung zur
Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft nachfolgend nicht dienstplanmäßig arbeiten darf, fehlt
eine solche Bestimmung nicht nur in § 9 AZTV-S, sondern auch in § 14 AZTV-S.
18 3. Der Anspruch des Klägers ergibt sich - wie er selbst einräumt - auch nicht aus § 9 Abs. 8
AZTV-S. Nach dieser Vorschrift erhält der Arbeitnehmer bei Arbeitsversäumnis wegen
vorübergehender Unmöglichkeit der Arbeitsleistung (zB Mangel an Roh- und Betriebsstoffen,
Stromabschaltung, Naturkatastrophen am Wohn- oder Arbeitsort oder auf dem Weg zum
Arbeitsplatz) für jeweils bis zu fünf aufeinanderfolgende Tage Entgelt für jeweils 1/261 des
individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls nach §§ 2 und 3 je Tag ohne Anrechnung von
Arbeitszeit fortgezahlt. Unabhängig von der Frage, ob der Fall einer arbeitszeitschutzrechtlichen
Unzulässigkeit der Arbeitsleistung von dieser tariflichen Bestimmung erfasst ist, ergibt sich auch
bei Anwendung dieser Vorschrift für den Kläger kein Anspruch auf Gutschrift von Arbeitszeiten,
sondern - wie zwischen den Parteien unstreitig und vom Landesarbeitsgericht auch bestätigt -
allenfalls ein hier nicht im Streit stehender Anspruch des Klägers auf Fortzahlung des Entgelts, und
zwar ausdrücklich ohne Anrechnung von Arbeitszeit.
19 II. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus gesetzlichen Vorschriften.
20 1. Der geltend gemachte Anspruch folgt - wie der Kläger in der Revision selbst einräumt - nicht
aus § 5 Abs. 1 AZTV-S iVm. § 615 Satz 1 BGB. Wie die Vorinstanzen zu Recht angenommen
haben, liegt ein Fall des Annahmeverzugs nicht vor. Voraussetzung für den Annahmeverzug ist
die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit der Leistung (Palandt-Weidenkaff 67. Aufl. § 615 BGB
Rn. 7) . Für den Kläger bestand zur vorgesehenen Leistungszeit die objektive Unmöglichkeit, die
Arbeitsleistung zu erbringen, weil er die tarifvertraglich bzw. gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit
einzuhalten hatte. Die gleiche Verpflichtung, sie zu beachten, bestand auch für die Beklagte. Bei
objektiver Unmöglichkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung seitens des Schuldners kann kein
Annahmeverzug des Gläubigers entstehen. Unmöglichkeit der Leistung schließt Ansprüche aus
dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs aus. Soweit aus § 9 Abs. 8 AZTV-S zu entnehmen sein
sollte, dass es sich wegen Nachholbarkeit der Arbeitsleistung nur um eine vorübergehende
Unmöglichkeit handelte, würde es für einen Anspruch aus § 615 Satz 1 BGB schon an einem
späteren Angebot der Arbeitsleistung durch den Kläger fehlen.
21 Auch § 615 Satz 3 BGB begründet keinen Anspruch, weil kein Fall vorliegt, bei dem der
Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen hat. Wie schon dargelegt, fiel im betrieblichen
Geschehen keine Arbeit aus. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung beruhte weder auf dem Ausfall
von Betriebs- und Hilfsstoffen oder sonstigen das betriebliche Geschehen zum Erliegen
bringenden Umständen, für die die Beklagte das Betriebsrisiko zu tragen hätte, noch auf
Auftragsmangel, Absatzschwierigkeiten oder ähnlichen zum Wirtschaftsrisiko der Beklagten
gehörenden Problemen.
22 Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ferner darauf hingewiesen, dass sich auch aus der vom
Kläger vorgelegten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 8. April
2002 (- 15 Sa 119/01 -) nichts anderes ergibt. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende
Sachverhalt weicht von dem vorliegenden insofern ab, als der Arbeitnehmer nicht auf Grund
vorgeschriebener Ruhezeiten die Arbeiten nicht aufnehmen konnte, sondern auf Grund des
Ausfalls von Kollegen, die der Arbeitsgruppe des Klägers zugewiesen waren. Demnach lag in
Bezug auf den Kläger keine rechtliche Unmöglichkeit vor, sondern die Beklagte befand sich
insoweit im Annahmeverzug.
23 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 275 Abs. 1 iVm. § 326 Abs. 2 BGB.
24 Falls § 9 Abs. 8 AZTV-S einschlägig wäre, würde sich dies schon daraus ergeben, dass nach der
genannten Tarifnorm ausdrücklich keine Anrechnung von Arbeitszeit erfolgt. Wäre § 9 Abs. 8
AZTV-S dagegen nicht einschlägig, würde sich im Ergebnis nichts ändern. Nach § 275 Abs. 1
BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, wenn diese für den Schuldner vorübergehend
unmöglich ist (vgl. Däubler FS Heldrich S. 55, 59) . Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht
angenommen, dass auf Grund der arbeitszeitrechtlichen Regelungen dem Kläger die Erbringung
der Arbeitsleistung aus rechtlichen Gründen am 11. Juli 2005 in der Zeit von 6.15 Uhr bis 14.15
Uhr unmöglich geworden ist. Der Kläger ist damit für diesen Zeitraum von der Verpflichtung, seine
Arbeitsleistung zu erbringen, frei geworden. Auch insoweit kann offenbleiben, ob die Verpflichtung
Fixschuldcharakter hatte, so dass ein Fall dauerhafter Unmöglichkeit vorliegt, oder ob, wie die
Beklagte in ihrer Revisionsbegründung annimmt, die Arbeitsleistung nach den tariflichen
Bestimmungen nachholbar war, also nur vorübergehend unmöglich wurde. Für die streitige Zeit
entfällt so oder so gemäß § 326 Abs. 1 BGB die Verpflichtung zur Gegenleistung (vgl. Palandt-
Heinrichs 67. Aufl. § 275 BGB Rn. 10; Däubler aaO) . Der Anspruch auf Gegenleistung bleibt nur
dann erhalten, wenn der Gläubiger für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275
Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten hatte, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder
wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eingetreten ist, zu welcher
der Gläubiger im Verzug der Annahme war (§ 326 Abs. 2 Satz 1 BGB). Ein Annahmeverzug der
Beklagten war vorliegend jedoch nicht gegeben. Ebenso wenig hatte die Beklagte nach der
vertraglichen Risikoverteilung die Gefahr für das bestehende Leistungshindernis übernommen.
25 Der Kläger war zulässigerweise in der Zeit vom 10. auf den 11. Juli 2005 zu Rufbereitschaft
eingeteilt worden. Während dieser Rufbereitschaft wurde er zu einem Entstörungseinsatz gerufen.
Wenn aber die Rufbereitschaft und die auf Grund der Rufbereitschaft angeordnete Nachtarbeit
durch den zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrag gedeckt war, hat die Beklagte nicht
die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung während der Tagschicht am 11. Juli 2005 zu vertreten, weil
sie den Kläger zur Nachtarbeit eingeteilt hat. Der Ausfall der Arbeit während der auf die geleistete
Nachtarbeit folgenden Tagschicht ist vielmehr eine Folge der zwingenden gesetzlichen Ruhezeit
nach § 5 ArbZG. Folglich handelt es sich um eine von keiner Seite zu vertretende Unmöglichkeit,
wenn der Kläger während der Tagschicht am 11. Juli 2005 nicht beschäftigt werden durfte (BAG
5. Juli 1976 - 5 AZR 264/75 - AP AZO § 12 Nr. 10 = EzA AZO § 12 Nr. 2) . Bei einer von keiner
Vertragspartei zu vertretenden Unmöglichkeit entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung.
26 Zu Recht hat die Beklagte in der Berufung darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 5. Juli 1976 (- 5 AZR 264/75 - AP AZO § 12 Nr. 10 = EzA AZO § 12
Nr. 2) die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit als verlegt gilt, wenn sie anstatt der
Regelarbeitszeit während der Rufbereitschaft geleistet wird. Bei der Rufbereitschaft bestimmt der
Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort. Damit erbringt der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft
nicht die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete, sondern eine andere, zusätzliche Leistung. Diese
besteht darin, seinen Aufenthaltsort dem Arbeitgeber anzuzeigen und so zu wählen, dass er auf
Abruf die Arbeit aufnehmen kann. Der tatsächliche Einsatz ist eine mögliche normale Maßnahme
während der Rufbereitschaft. Das Ergebnis, dass der Kläger am 11. Juli 2005 in der Zeit von
6.15 Uhr bis 14.15 Uhr keine Arbeitsleistung erbracht hat und dafür keine Arbeitszeitgutschrift
verlangen kann, ist auch nicht unbillig. Die zusätzliche Belastung des Klägers durch die
tatsächliche Arbeit während der Dauer der Rufbereitschaft wird ausgeglichen durch die Bezahlung
dieser Arbeit einschließlich Nachtarbeitszuschlag und Mehrarbeitszuschlag.
27 Ob, wie das Berufungsgericht entgegen der Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts
(28. November 2003 - 17 Sa 1066/03 - LAGReport 2004, 201) meint, der Gedanke des § 615
Satz 3 BGB im Rahmen von § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB keine Anwendung findet, bedarf keiner
Entscheidung. Wie schon dargelegt, handelt es sich nicht um eine Fallgestaltung, bei der die
Unmöglichkeit der Arbeitsleistung in das Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko der beklagten
Arbeitgeberin fiel.
28 3. Zuzustimmen ist auch den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, mit denen ein Anspruch
des Klägers aus dem Rechtsgedanken des § 242 BGB verneint wird. Aus dem Wesen der
Rufbereitschaft ergibt sich, dass sich Verschiebungen ergeben können, wenn der Arbeitnehmer
auf Grund der Rufbereitschaft außerhalb seiner üblichen Arbeitszeit zur Arbeit herangezogen wird.
Es widerspricht deshalb nicht den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn sich der Arbeitgeber
in diesen Fällen auf Unmöglichkeit beruft.
29 B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fischermeier
Fischermeier
Linck
B. Stang
Sieberts