Urteil des BAG vom 13.06.2012

Beschäftigungsanspruch - ehemaliges Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstands einer Gewerkschaft - Organisationsänderung einer Gewerkschaft

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.6.2012, 10 AZR 313/11
Beschäftigungsanspruch - ehemaliges Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstands einer
Gewerkschaft - Organisationsänderung einer Gewerkschaft
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Januar 2011 - 16 Sa
614/10 - aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin
vom 10. Februar 2010 - 31 Ca 7969/09 - wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die vertragsgemäße Beschäftigung und die damit in
Zusammenhang stehende Vergütung der Klägerin.
2 Die 1962 geborene Klägerin wurde von der Gewerkschaft Handel, Banken und
Versicherungen (HBV) auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 2. November 1990 ab
dem 1. November 1990 als Landessekretärin eingestellt.
3 Am 2. November 1992 wurde sie zum Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstands
(GHV) gewählt.
4 Nach § 38 Ziff. 4 Satz 1 der Satzung der Gewerkschaft HBV idF vom 4. November 1992
vertrat der Hauptvorstand die Gewerkschaft nach innen und nach außen. Nach § 39 Satz 1
bildeten die hauptamtlichen Mitglieder des Hauptvorstands den Geschäftsführenden
Hauptvorstand.
5 Die Klägerin und die Gewerkschaft HBV schlossen am 15. November 1993 mit Wirkung
vom 3. November 1992 einen Anstellungsvertrag für Wahlangestellte (Anstellungsvertrag).
Nach dessen § 4 Buchst. a endet das Anstellungsverhältnis durch Ablauf der
Wahlperiode, falls die erneute Kandidatur unterbleibt oder eine Wiederwahl nicht erfolgt.
Weiter heißt es im Vertrag auszugsweise:
„§ 5 Endet das Anstellungsverhältnis nach § 4 Buchst. a vor Vollendung des
57. Lebensjahres, so ist für eine angemessene Weiterbeschäftigung Sorge
zu tragen. Als angemessen gilt eine Tätigkeit, deren Vergütung der
höchsten Gruppe der jeweils geltenden Gehaltstabelle für SekretärInnen der
Gewerkschaft HBV entspricht.
§ 10 Soweit in diesem Anstellungsvertrag nichts Besonderes vereinbart ist,
gelten für Frau H die Allgemeinen Anstellungsbedingungen für die
Beschäftigten der Gewerkschaft HBV in der jeweils gültigen Fassung mit
der Maßgabe, daß anstelle des in den Anstellungsbedingungen
aufgeführten Entscheidungsorgans GHV der Hauptvorstand tritt.“
6 Die Klägerin stellte sich 1995 nicht mehr zur Wiederwahl. Ab dem 1. Februar 1995 wurde
sie in die Hauptfachabteilung IV der Gewerkschaft HBV versetzt. Dort arbeitete sie als
Gewerkschaftssekretärin mit herausgehobenen Aufgaben und bezog eine Vergütung nach
der (höchsten) Tarifgruppe 15 der Gehaltstabelle der Gewerkschaft HBV. Für diese
Tarifgruppe waren in der Anlage 2 der Allgemeinen Anstellungsbedingungen für die
Beschäftigten der Gewerkschaft HBV keine Tätigkeitsmerkmale vorgesehen.
7 Im Jahre 2001 verschmolz die Gewerkschaft HBV mit der Gewerkschaft Öffentliche
Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Deutsche Postgewerkschaft (DPG),
Industriegewerkschaft Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst (IG Medien) und
der Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) auf die Beklagte.
8 Die Klägerin wurde weiterhin nach der Tarifgruppe 15 vergütet und als
Gewerkschaftssekretärin mit herausgehobenen Aufgaben beschäftigt. Auf ihren Wunsch
wurde sie im Dezember 2004 in die Bundesfachgruppe gesetzliche Krankenversicherung
(GKV) versetzt und im Mai 2007 als Bundesfachgruppenleiterin GKV gewählt. Zu ihren
Aufgaben gehörten im Wesentlichen das Führen der Tarifverhandlungen in den
Ersatzkassen in der gesamten Tarifkomplexität. Sie leitete die Tarifkommissionssitzungen,
entwickelte die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, gegebenenfalls verantwortete sie
notwendige Arbeitskampfmaßnahmen.
9 Der Bundesvorstand der Beklagten und der Gesamtbetriebsrat schlossen mit Wirkung vom
1. Januar 2008 eine Gesamtbetriebsvereinbarung über ein einheitliches Entgeltsystem für
ver.di (GBV Entgeltsystem). Das Entgeltsystem enthält 10 Entgeltgruppen.
10 Die Entgeltregelungen lauten auszugsweise:
„8.2.2 Gewerkschaftssekretär/in mit Fachanleitungsfunktionen, wie z. B.
Personalleiter/in, Abteilungsleiter/in Rechtsschutz im Landesbezirk,
Bundesfachgruppenleiter/in mit Tarifverantwortung
9.2.4 TarifsekretärIn mit Koordinierungsfunktion, sofern er/sie auf Landesbezirks-
oder Bundesebene für mehrere Fachbereiche Tarifverhandlungen führt oder
für die Bundesfachbereiche 1, 3, 9 und 10 für die Steuerung und
Koordination der Tarifarbeit verantwortlich ist.“
11 Die Klägerin erhielt im Oktober 2008 eine Vergütung iHv. 5.067,59 Euro brutto, die sich
aus dem Tarifgehalt der Entgeltgruppe 8 Stufe 2 iHv. 4.850,00 Euro und einer
Besitzstandszulage von 217,59 Euro zusammensetzte. Die Klägerin erfüllte die tariflichen
Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9 Stufe 2.4 mangels Ausübung einer
Koordinierungsfunktion nicht.
12 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, § 5 des Anstellungsvertrags habe sicherstellen
wollen, dass Wahlangestellte nach dem Ausscheiden aus dem Amt in einer
herausgehobenen Form weiterbeschäftigt würden und hierbei ihre Verdienste und
besondere Verantwortung als Mitglied des GHV hinreichend Berücksichtigung fänden.
Diese vertragliche Regelung gelte weiter; ein neuer Arbeitsvertrag sei nicht
abgeschlossen worden. Aus der Regelung folge, dass ein Angestellter, der zuvor an
höchster Position der Gewerkschaft gestanden habe, nun direkt eine Stufe unter dem
Vorstand bleiben solle. Dies müsse für Beschäftigung und Vergütung gelten. In
Übertragung auf das jetzige Vergütungssystem bedeute dies zumindest eine
Beschäftigung und Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe 9.2.4. Bezogen auf die
Tätigkeitsbeschreibung zu dieser Entgeltgruppe erfülle sie alle Kernaufgaben und habe
die dort genannten Kompetenzen, ausgenommen die Koordination der Tarifarbeit.
13 Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitsaufgaben zuzuweisen, deren Vergütung
der höchsten Gruppe der (früheren) jeweils geltenden Gehaltstabelle für
Sekretäre/innen der Gewerkschaft HBV, also nunmehr Gewerkschaft ver.di,
entsprechen, mithin also mit einer Tätigkeit entsprechend der Entgeltgruppe 9
Stufe 2 der Gesamtbetriebsvereinbarung über ein Entgeltsystem für ver.di zu
betrauen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.118,56 Euro brutto
(Vergütungsdifferenzen Januar 2008 bis einschließlich April 2009) nebst
Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr
seit 1. September 2008 (Mittelzins) zu zahlen.
14 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 5
des Anstellungsvertrags gewähre der Klägerin einen Besitzstand bei Ausscheiden aus
dem GHV. Danach sei sie so zu stellen gewesen, wie die Sekretäre/innen in der höchsten
Vergütungsgruppe der Gewerkschaft HBV. Die höchste Entgeltgruppe für
Gewerkschaftssekretäre/innen bei der Beklagten sei mit der Vergütungsgruppe der
Gewerkschaft HBV nicht zu vergleichen. Die um ein Vielfaches größere Organisation und
die höhere Anzahl von Mitgliedern begründeten weitergehende Aufgaben und
Verantwortlichkeiten, die sich auch in der neuen Entgeltordnung niederschlügen. Eine
ergänzende Vertragsauslegung komme nicht in Betracht, es liege keine planwidrige Lücke
vor. Basis sei vielmehr weiterhin die Gehaltstabelle der Gewerkschaft HBV. Durch
Einführung des neuen Entgeltsystems könne die Rechtsposition der Klägerin nicht
verbessert werden.
15 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das
Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe
16 Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage ist unbegründet. Die
Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschäftigung mit einer Tätigkeit entsprechend der
Entgeltgruppe 9 Stufe 2 der GBV Entgeltsystem. Demzufolge scheidet auch ein Anspruch
auf Zahlung der entsprechenden Differenzbeträge für den Zeitraum Januar 2008 bis
einschließlich April 2009 aus.
17 I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Beschäftigungsantrag hinreichend bestimmt
iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
18 1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des
Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag
enthalten. Der Kläger muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung er begehrt. Er hat
den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen
Entscheidungsbefugnis (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und über die
eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung (§ 322 Abs. 1 ZPO) zwischen den Parteien
entschieden werden kann (vgl. BAG 19. Oktober 2011 - 7 AZR 743/10 - Rn. 18; 18. Mai
2011 - 5 AZR 181/10 - Rn. 10 mwN, EzA BGB 2002 § 611 Mehrarbeit Nr. 4).
19 2. Gemessen an diesen Grundsätzen sind Klageziel und Streitgegenstand hinsichtlich des
Beschäftigungsantrags hinreichend umschrieben. Der Antrag nennt eine konkrete
Entgeltgruppe, welche für die Art der Beschäftigung maßgeblich sein soll. Die
Beschreibung muss nicht so genau sein, dass der Antrag auf eine ganz bestimmte im
Einzelnen beschriebene Tätigkeit oder Stelle zugeschnitten ist. Darauf hat der
Arbeitnehmer nämlich regelmäßig keinen Anspruch, weil dem Arbeitgeber das
Weisungsrecht nach § 106 GewO zusteht (BAG 15. April 2009 - 3 AZB 93/08 - Rn. 19,
BAGE 130, 195).
20 II. Die Klage ist unbegründet. Ein vertraglicher Anspruch auf Beschäftigung und Vergütung
nach der Entgeltgruppe 9 Stufe 2 der GBV Entgeltsystem ergibt sich nicht aus § 5 des
Anstellungsvertrags vom 15. November 1993.
21 1. Der Anstellungsvertrag vom 15. November 1993 war für die Zeit der Mitgliedschaft im
GHV der Gewerkschaft HBV geschlossen und endete nach § 4 Buchst. a mit dem Ablauf
der Wahlperiode im Jahr 1995, da die Klägerin sich nicht mehr zur Wiederwahl stellte.
Nach § 5 Satz 1 war für eine angemessene Weiterbeschäftigung Sorge zu tragen, da das
Anstellungsverhältnis vor Vollendung des 57. Lebensjahres endete.
22 Es kann dahinstehen, ob das ursprüngliche Vertragsverhältnis nach der Wahl in den GHV
ruhte (vgl. zum ruhenden Arbeitsverhältnis: BAG 9. August 1995 - 10 AZR 539/94 - zu
II 2 b der Gründe, BAGE 80, 308) und der Weiterbeschäftigung als
Gewerkschaftssekretärin mit herausgehobenen Aufgaben ab dem 1. Februar 1995 der
wiederaufgelebte und durch § 5 Satz 1 des Anstellungsvertrags vom 15. November 1993
modifizierte Arbeitsvertrag vom 2. November 1990 zugrunde lag oder ob die Parteien
konkludent einen neuen Arbeitsvertrag entsprechenden Inhalts geschlossen haben. In
jedem Fall ist Gegenstand der arbeitsvertraglichen Regelung die Verpflichtung der
Rechtsvorgängerin der Beklagten geworden, die Klägerin angemessen iSv. § 5 Satz 1 des
Anstellungsvertrags weiterzubeschäftigen. Diese arbeitsvertragliche Verpflichtung hat die
Beklagte übernommen.
23 2. Mit der Tätigkeit als Bundesfachgruppenleiterin GKV wird die Klägerin angemessen iSv.
§ 5 Satz 1 des Anstellungsvertrags beschäftigt. Dies ergibt eine Auslegung der
vertraglichen Regelung.
24 a) Bei der Bestandteil des Arbeitsvertrags gewordenen Regelung des § 5 des
Anstellungsvertrags handelt es sich um eine typische Vertragsregelung, deren Auslegung
durch das Revisionsgericht uneingeschränkt kontrollierbar ist (vgl. dazu BAG 23. Februar
2011 - 4 AZR 536/09 - Rn. 21 f., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 86;
29. September 2010 - 10 AZR 588/09 - Rn. 18 mwN, BAGE 135, 327). Zwar war die Zahl
der Wahlangestellten begrenzt; die streitgegenständliche Regelung fand aber über den
Einzelfall hinaus Anwendung.
25 b) Der Inhalt der vertraglichen Regelung ist nach den §§ 133, 157 BGB durch Auslegung
zu ermitteln. Ausgehend vom Wortlaut der Klausel ist deren objektiver Bedeutungsgehalt
zu ermitteln. Maßgebend ist dabei der allgemeine Sprachgebrauch unter Berücksichtigung
des vertraglichen Regelungszusammenhangs. Ein übereinstimmender Wille der Parteien
geht dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich
auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch. Von Bedeutung für das
Auslegungsergebnis sind auch der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck
und die Interessenlage der Beteiligten sowie die Begleitumstände der Erklärung, soweit
sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Die tatsächliche
Handhabung des Vertragsverhältnisses kann ebenfalls Rückschlüsse auf dessen Inhalt
ermöglichen (BAG 15. Juni 2011 - 10 AZR 62/09 - Rn. 18, NZA-RR 2012, 64; 23. Februar
2011 - 4 AZR 536/09 - Rn. 22, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 86).
26 c) Die Beklagte schuldete nach § 5 Satz 1 des Anstellungsvertrags eine „angemessene
Weiterbeschäftigung“. Nach § 5 Satz 2 gilt als angemessen eine Tätigkeit, deren
Vergütung der höchsten Gruppe der jeweils geltenden Gehaltstabelle für Sekretäre/innen
der Gewerkschaft HBV entspricht.
27 aa) Die Vertragsparteien haben damit definiert, was sie als angemessen ansehen, und
maßgeblich auf die Gehaltstabelle der Gewerkschaft HBV als Bezugspunkt abgestellt. Ein
ehemaliges Mitglied des GHV sollte nach dem Wortlaut der Regelung eine Beschäftigung
beanspruchen können, die der höchsten Stufe dieser Gehaltstabelle entspricht und damit
sowohl hinsichtlich der Beschäftigung als auch der Vergütung unmittelbar unterhalb des
HBV-Vorstands angesiedelt sein. Hinsichtlich des zeitlichen Bezugspunkts („jeweils
geltende Gehaltstabelle“) kommt es dabei auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem
GHV an. Zwar ist der Wortlaut insoweit nicht eindeutig, Sinn und Zweck der Regelung
sprechen aber für eine solche Annahme. Mit der Regelung waren mehrere Zwecke
verbunden. Zum einen sollte eine Weiterbeschäftigung in finanziell angemessener Höhe
sichergestellt werden, ein Rückfall auf die frühere, gegebenenfalls deutlich niedrigere
Vergütung sollte ebenso vermieden werden, wie ein „Gesichtsverlust“ innerhalb der
Organisation. Zum anderen sollte die Regelung die persönliche und
gewerkschaftspolitische Unabhängigkeit der gewählten GHV-Mitglieder absichern. Die Art
der späteren Weiterbeschäftigung wurde bereits vorab abstrakt festgelegt, um sie der
Gefahr zu entziehen, durch Tätigkeiten des GHV-Mitglieds während der Wahlperiode oder
Kontroversen innerhalb der Organisation über die Tätigkeit beeinflusst zu werden. Um
diesen Zweck zu erreichen, kam es maßgeblich darauf an, dass dem GHV-Mitglied zum
Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem GHV ein Anspruch auf eine finanziell und inhaltlich
angemessene Weiterverwendung in der Organisation zustand. Diesem Zweck wurde in
der Vertragspraxis unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass die höchste
Tarifgruppe 15 - im Gegensatz zu den anderen Gruppen - nicht mit Tätigkeitsmerkmalen
belegt war. Eine Vergütung nach dieser Gruppe war nach der vertraglichen Regelung
sichergestellt; die Festlegung der konkreten Beschäftigung unterlag der Vereinbarung der
Parteien und gegebenenfalls gerichtlicher Überprüfung.
28 bb) Aus der vertraglichen Regelung selbst, ihrem Regelungszusammenhang, ihrem Sinn
und Zweck oder den Umständen im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss sind keine
Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Vertragsparteien darüber hinaus eine Dynamik der
Hierarchieebene im Falle späterer Veränderungen der Organisationsstrukturen oder gar -
wie im vorliegenden Fall - der Schaffung einer neuen, sehr viel größeren Organisation
vereinbaren wollten. Deshalb besteht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts
auch keine planwidrige Regelungslücke, die einer ergänzenden Vertragsauslegung
zugänglich wäre. Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn die Parteien einen Punkt
übersehen oder wenn sie ihn zwar nicht übersehen, aber bewusst offengelassen haben,
weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht für regelungsbedürftig gehalten
haben, und wenn sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Von
einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine
Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden
Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags
eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (st. Rspr., zB BAG
17. April 2012 - 3 AZR 803/09 - Rn. 24 mwN). Da Bezugspunkt für die Bestimmung der
angemessenen Beschäftigung der Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem GHV ist, ist durch
die Änderung des Entgeltsystems keine nachträgliche Regelungslücke entstanden (vgl.
demgegenüber BAG 23. März 2011 - 10 AZR 831/09 - Rn. 19, AP TVG § 1 Bezugnahme
auf Tarifvertrag Nr. 88). Eine solche Regelungslücke hätte allenfalls dann angenommen
werden können, wenn es bereits während der Laufzeit des Anstellungsvertrags zur
Gründung der Beklagten gekommen wäre, ohne dass die Vertragsparteien dies
voraussehen konnten, und eine Auslegung des Anstellungsvertrags, die zu
interessengerechten Ergebnissen geführt hätte, nicht möglich gewesen wäre. Ein solcher
Fall liegt nicht vor.
29 d) Ausgehend von diesen Grundsätzen wird die Klägerin vertragsgemäß beschäftigt,
sodass kein Anspruch auf Beschäftigung nach der Entgeltgruppe 9 Stufe 2 GBV
Entgeltsystem besteht.
30 aa) Nach ihrem Ausscheiden aus dem GHV im Jahr 1995 wurde die Klägerin nach der
Tarifgruppe 15 vergütet und als Gewerkschaftssekretärin mit herausgehobenen Aufgaben
angemessen iSv. § 5 Satz 1 des Anstellungsvertrags beschäftigt. Davon gehen auch die
Parteien übereinstimmend aus. Sowohl an der Vergütung als auch an der
Angemessenheit der Beschäftigung hat sich durch die Verschmelzung der Gewerkschaft
HBV auf die jetzige Beklagte im Jahr 2001 nichts geändert. Gleiches gilt für die auf
Wunsch der Klägerin im Dezember 2004 erfolgte Versetzung in die Bundesfachgruppe
GKV und die im Mai 2007 erfolgte Wahl zur Bundesfachgruppenleiterin GKV. Auch diese
Tätigkeit ist von den Parteien übereinstimmend als angemessen angesehen und nach
Tarifgruppe 15 vergütet worden.
31 bb) Das Inkrafttreten der GBV Entgeltsystem zum 1. Januar 2008 und die Überleitung der
Klägerin in das neue Entgeltsystem führte nicht dazu, dass die bisher als angemessen und
vertragsgerecht angesehene Beschäftigung nunmehr unangemessen wurde. Mit der GBV
Entgeltsystem sollten die bisherigen Vergütungssysteme der Gründungsgewerkschaften
abgelöst und eine einheitliche Vergütungsstruktur und einheitliche
Eingruppierungsregelungen für alle Beschäftigten der Beklagten geschaffen werden (vgl.
dazu auch BAG 21. März 2012 - 4 AZR 275/10 -). Dies beinhaltete die Einordnung bisher
ausgeübter Tätigkeiten in die neue Vergütungsstruktur. Eine Änderung der Tätigkeit der
Klägerin ist durch das Inkrafttreten des neuen Entgeltsystems hingegen nicht erfolgt.
Dementsprechend gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die bisher als angemessen
angesehene Beschäftigung nunmehr ohne inhaltliche Änderung unangemessen wurde.
Dass die ausgeübte Tätigkeit der Entgeltgruppe 8 Stufe 2 entspricht, steht zwischen den
Parteien nicht im Streit.
32 3. Da der Klägerin kein Anspruch auf Beschäftigung mit einer Tätigkeit entsprechend der
Entgeltgruppe 9 Stufe 2 GBV Entgeltsystem zusteht, scheidet auch ein entsprechender
Vergütungsdifferenzanspruch aus.
33 III. Die Klägerin hat gemäß § 91 Abs. 1, § 97 ZPO die Kosten der Berufung und der
Revision zu tragen.
Mikosch
Schmitz-
Scholemann
W.
Reinfelder
Schürmann
R.
Bicknase