Urteil des BAG vom 20.03.2014

Außerordentliche (Verdachts-)Kündigung - Kündigungserklärungsfrist

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 20.3.2014, 2 AZR 1037/12
Außerordentliche (Verdachts-)Kündigung - Kündigungserklärungsfrist
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. März 2012 - 2 Sa
1105/11 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
2 Der 1958 geborene Kläger war seit September 1981 bei der beklagten Rundfunkanstalt
beschäftigt, zuletzt als Techniker im IT-Service. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis der
Parteien anwendbaren Manteltarifvertrag war das Arbeitsverhältnis - es sei denn wegen
Leistungsminderung - nur noch außerordentlich kündbar.
3 Im Juli und November 2010 wurden Räume der Beklagten durchsucht. Nach dem
Vorbringen der Beklagten hatte es eine anonyme Anzeige gegeben, derzufolge mehrere
ihrer Mitarbeiter, ua. der Kläger, bei Ausschreibungen über Telekommunikations- und
Datennetzleistungen in Absprache mit einer beauftragten Firma die
Leistungsverzeichnisse manipuliert hatten. Am 7. Dezember 2010 lag der Beklagten ein
Bericht ihrer Innenrevision über die Leistungsabrufe der betreffenden Firma vor. Danach
hat der Kläger von dieser ua. einen Barbetrag in Höhe von 200,00 Euro erhalten. Eine
Schließanlage, die er von der Firma schon zuvor erhalten und bei sich eingebaut hatte,
hatte der Kläger an die Beklagte zurückgegeben.
4 Mit Schreiben vom 8. Dezember 2010 lud die Beklagte den Kläger zu einer Anhörung für
den 13. Dezember 2010 in ihre Geschäftsräume ein. Der Kläger war seit dem 26. Juli 2010
erkrankt. Er teilte mit E-Mail vom 12. Dezember 2010 mit, er könne den Termin wegen
einer Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen. Er bat darum, ihn schriftlich
anzuhören und die Fragen seinem Prozessbevollmächtigten zu schicken. Die Beklagte
sandte daraufhin am 14. Dezember 2010 sowohl an den Kläger als auch an dessen
Prozessbevollmächtigten einen zehn Seiten langen Fragenkatalog, der sich auf 13
einzelne Fragenbereiche bezog. Sie setzte dem Kläger eine Frist zur Beantwortung bis
zum 17. Dezember 2010, 12:00 Uhr.
5 Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 - welches nach Angaben der Beklagten am
20. Dezember 2010 bei ihr einging -, teilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit,
dieser befinde sich noch bis zum 11. Januar 2011 in der Rehabilitationsmaßnahme. Es sei
deshalb „kaum möglich“, innerhalb der gesetzten Frist zu den Fragen Stellung zu nehmen.
Es sei eine zeitaufwendige Besprechung mit dem Kläger erforderlich. Diese könne wegen
der noch laufenden Rehabilitationsmaßnahme erst im Laufe des Monats Januar 2011
erfolgen. Eine Stellungnahme sei nach Ablauf der Maßnahme zu erwarten. Mit Schreiben
vom 16. Dezember 2010, welches bei der Beklagten tags darauf einging, nahmen die
Prozessbevollmächtigten auf ihr Schreiben vom 15. Dezember 2010 Bezug und rügten,
die Zusendung des Fragenkataloges habe zu einem gesundheitlichen Rückschlag des
Klägers geführt. Tatsächlich litt der Kläger an einer psychischen Erkrankung. Ob dies der
Beklagten bekannt war, ist nicht festgestellt.
6 Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten
Personalrat zu einer beabsichtigten Verdachts- und Tatkündigung an. Der Personalrat
widersprach mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 mit der Begründung, der Kläger sei
nicht ausreichend angehört worden.
7 Mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.
8 Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Er
hat gemeint, es fehle an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Außerdem habe
die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Von dem
Kündigungsschreiben habe er erst am 30. Dezember 2010 Kenntnis erlangt. Für eine auf
den Verdacht einer Pflichtverletzung gestützte Kündigung fehle es an seiner
ordnungsgemäßen Anhörung.
9 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
Kündigung vom 27. Dezember 2010 nicht aufgelöst worden ist.
10 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die
Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe an Straftaten zu ihren Lasten mitgewirkt. Er habe
bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für den Rahmenvertrag mit der
beauftragten Firma bewusst fehlerhafte Mengenangaben zugrunde gelegt. Dies habe dazu
geführt, dass diese die Ausschreibung gewonnen habe. Dadurch sei ihr - der Beklagten -
ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden. Die beauftragte Firma sei in demjenigen
Leistungsbereich besonders teuer gewesen, in welchem der Kläger eine zu geringe
Auftragsanzahl prognostiziert habe. Zudem habe der Kläger zu Gunsten der Firma
Aufmaße mit einem unzutreffend hohen Leistungsumfang bestätigt. Insgesamt sei ihr
durch sein Verhalten ein Schaden von wenigstens 19.000,00 Euro entstanden. Sie habe
alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um den Sachverhalt aufzuklären. Der
Kläger habe den Fragenkatalog beantworten können. Er sei äußerungsfähig gewesen.
Das Kündigungsschreiben sei noch am 27. Dezember 2010 um 15:15 Uhr in seinen
Briefkasten eingeworfen worden.
11 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr
Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das
Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 27. Dezember 2010 nicht als unwirksam
ansehen. Ob sie wirksam ist, steht noch nicht fest.
13 I. Die Kündigung wegen vom Kläger tatsächlich begangener Pflichtverletzungen ist auf der
Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die
zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten hätte. Die Frist hat
entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht spätestens am Tag nach dem
7. Dezember 2010 zu laufen begonnen.
14 1. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb
von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem
Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden
Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst
vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber
ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden
Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden
Umstände (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27; 27. Januar 2011 - 2 AZR
825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur
Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung
berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen
und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen
begänne (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO; 25. November 2010 - 2 AZR
171/09 - Rn. 15). Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der
gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige
Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG 31. März 1993 - 2 AZR
492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42). Soll der Kündigungsgegner angehört werden,
muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als
eine Woche betragen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, aaO; 2. März 2006 -
2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168). Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch
überschritten werden (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - aaO). Unerheblich ist, ob die
Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben
oder nicht (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO; 25. November 2010 - 2 AZR
171/09 - aaO). Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme,
so gereicht ihm dies hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb
auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer innerhalb angemessener
Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme rückblickend zur
Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG 27. Januar 1972 - 2 AZR 157/71 - zu 3
der Gründe, BAGE 24, 99). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten
Anhörung verbundene Fristaufschub iSv. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt,
wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den
Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten. Ein
solcher nachträglicher Wegfall des ursprünglichen Aufschubs käme nur in Frage, wenn
der betreffende Entschluss des Arbeitgebers auf Willkür beruhte. Davon kann die Rede
nicht sein, wenn Anlass für den neuen Entschluss der Umstand ist, dass sich der
Arbeitnehmer innerhalb einer ihm gesetzten, angemessenen Frist nicht geäußert hat.
15 2. Danach hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht deshalb nicht gewahrt,
weil diese spätestens mit dem auf den 7. Dezember 2010 folgenden Tag zu laufen
begonnen hätte.
16 a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei spätestens am
7. Dezember 2010 in der Lage gewesen, sich ein Bild darüber zu machen, ob die im
Revisionsbericht aufgeführten Sachverhalte Grundlage für die Überzeugung sein konnten,
der Kläger habe die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen. Um darauf eine
Kündigung zu stützen, habe es für sie keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung,
insbesondere keiner Anhörung des Klägers bedurft. Sie sei schließlich auch ohne neue
Erkenntnisse zu dem Schluss gekommen, der ihr bereits am 7. Dezember 2010 möglich
gewesen sei. Die Frist für den Ausspruch einer auf tatsächlich begangene
Pflichtverletzungen gestützten Kündigung habe damit am 21. Dezember 2010 geendet.
Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Kündigung dem Kläger - unstreitig - nicht zugegangen.
17 b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung nicht stand. Zwar lag der Beklagten am
7. Dezember 2010 der Bericht ihrer Innenrevision vor. Sie durfte es aber nach
pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich halten, dem Kläger Gelegenheit zur
Stellungnahme zu den darin enthaltenen Anschuldigungen zu geben. Es war nicht
ausgeschlossen, dass sie dadurch von Umständen Kenntnis erlangen könnte, die den
bisher ermittelten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen ließen. Darauf, ob die
Anhörung tatsächlich neue Erkenntnisse erbrachte, kommt es nicht an.
18 3. Ob die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat, steht noch nicht fest.
19 a) Allerdings hat die Beklagte, nachdem der Bericht der Innenrevision vorlag, den Kläger
hinreichend zeitnah zu einer Anhörung eingeladen. Der vorgesehene Termin am
13. Dezember 2010 lag innerhalb einer Woche. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass
er den Termin wegen seiner Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen könne,
widersprach es auch nicht der gebotenen Eile, ihm zur Beantwortung des Fragenkatalogs
eine Frist bis zum 17. Dezember 2010 zu setzen. Der Kläger selbst hatte um schriftliche
Anhörung gebeten. Dies ist ein Umstand, der für die Anhörung das Überschreiten der
Regelfrist von einer Woche rechtfertigt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann demnach
erst mit Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist zur Stellungnahme, dh. am 18. Dezember
2010 zu laufen. Die Beklagte hätte die Kündigungserklärungsfrist selbst dann eingehalten,
wenn die Kündigung dem Kläger erst am 30. Dezember 2010 zugegangen sein sollte.
20 b) Das Landesarbeitsgericht hat bisher aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine
für die Beklagte kündigungsberechtigte Person schon vor dem 17. Dezember 2010 von
Umständen Kenntnis erlangt hatte, die darauf schließen ließen, der Kläger werde sich bis
zum Ablauf der ihm gesetzten Frist ohnehin nicht mehr äußern. In diesem Fall käme ein
entsprechend früherer Fristbeginn in Betracht. Dann wiederum könnte es für die Wahrung
der Frist des § 626 Abs. 2 BGB darauf ankommen, wann genau die Kündigung dem
Kläger im Rechtssinne zugegangen ist. Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht
bisher aufgeklärt, ob die Beklagte bis zur Vorlage des Berichts der Innenrevision am
7. Dezember 2010 die Aufklärungsmaßnahmen mit der gebotenen Eile vorgenommen hat.
21 c) Demgegenüber wurde der Fristbeginn nicht schon deshalb hinausgeschoben, weil der
Kläger eine Stellungnahme erst nach dem Ende seiner Rehabilitationsmaßnahme in
Aussicht gestellt hatte. Die Beklagte hatte die ihm bis zum 17. Dezember 2010 gesetzte
Frist nicht verlängert. Darauf, ob andernfalls ein entsprechendes Zuwarten noch mit dem
Gebot hinreichend zügiger Aufklärung vereinbar wäre, kommt es nicht an.
22 II. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Beklagte habe die Frist
des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, wird es zu prüfen haben, ob ein wichtiger Grund iSv.
§ 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Sofern es dies nicht wegen erwiesener Pflichtverletzung(en)
des Klägers bejahen sollte, wird es prüfen müssen, ob ein solcher Grund zumindest
wegen des Verdachts einer erheblichen Pflichtverletzung gegeben ist. Unter diesem
Aspekt wäre die Kündigung auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht deshalb
unwirksam, weil es an der erforderlichen Anhörung des Klägers fehlte.
23 1. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer
Verdachtskündigung. Bei ihr besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der
Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der
Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Mai
2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 31; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 32). Der Arbeitgeber
muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit geben, zu den
Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassungen bei seiner
Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 -
zu B I 2 c der Gründe). Versäumt er dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht
eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte
Kündigung ist unwirksam (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 d der Gründe;
11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu C III 3 der Gründe, BAGE 49, 39).
24 a) Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits
muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des
Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR
206/11 - Rn. 33; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15). Andererseits reicht es nicht aus,
dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung
konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der
Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte
Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und
so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse
beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt
(BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - aaO; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO).
25 b) Unterblieb die Anhörung, weil der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit war, sich
auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der
Aufklärung mitzuwirken, steht dies der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht
entgegen. Erklärt der Arbeitnehmer, er werde sich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf
nicht äußern, und nennt er für seine Weigerung keine relevanten Gründe, muss der
Arbeitgeber ihn über die Verdachtsmomente nicht näher informieren (BAG 13. März 2008 -
2 AZR 961/06 - Rn. 16; 28. November 2007 - 5 AZR 952/06 - Rn. 20). Eine solche
Anhörung wäre überflüssig. Sie könnte zur Aufklärung des Sachverhalts und zur
Willensbildung des Arbeitgebers nichts beitragen (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 -
aaO; 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 d aa der Gründe).
26 c) Ein Unterlassen der Anhörung kann auch dann unschädlich sein, wenn der Arbeitgeber
dem Arbeitnehmer - im Rahmen des Zumutbaren - Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben, und dieser sich innerhalb der gesetzten - angemessenen - Frist gleichwohl nicht
geäußert hat. Dies gilt einmal, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich schweigt, kann aber
selbst bei unfreiwilligem Schweigen gelten. Ist etwa der Arbeitnehmer krankheitsbedingt
nicht nur an einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer
schriftlichen Stellungnahme auf ihm übermittelte Fragen verhindert, muss der Arbeitgeber
nicht notwendig die Zeit abwarten, zu der sich der Arbeitnehmer wieder äußern kann.
Zwar mag die Frist des § 626 Abs. 2 BGB noch nicht zu laufen beginnen, solange der
Arbeitgeber entsprechend zuwartet (vgl. dazu LAG Köln 25. Januar 2001 - 6 Sa 1310/00 -;
Hessisches LAG 8. Oktober 1979 - 11 Sa 544/79 -). Wartet der Arbeitgeber diesen
Zeitpunkt aber nicht ab, führt das nicht automatisch dazu, dass ihm eine Verletzung seiner
Aufklärungspflicht vorzuwerfen wäre.
27 aa) Wartet der Arbeitgeber, dem der Arbeitnehmer mitteilt, er könne sich wegen einer
Erkrankung nicht, auch nicht schriftlich äußern, dessen Gesundung ab, um ihm eine
Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, liegen in der Regel hinreichende
besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB
entsprechend lange hinausgeschoben wird. Dem Arbeitgeber, der die Möglichkeit einer
weiteren Aufklärung durch den Arbeitnehmer trotz der Zeitverzögerung nicht ungenutzt
lassen möchte, wird regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht werden können, er betreibe
keine hinreichend eilige Aufklärung, insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitnehmer
selbst um eine Fristverlängerung gebeten hat (ebenso Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203,
2206; Mennemeyer/Dreymüller NZA 2005, 382). Dies dient nicht zuletzt dem Interesse des
Arbeitnehmers an der Vermeidung einer vorschnell, ohne Rücksicht auf mögliche
Entlastungen erklärten Kündigung (vgl. dazu BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 -
Rn. 23, 34).
28 bb) Umgekehrt verletzt der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht notwendig seine
Aufklärungspflicht aus § 626 Abs. 1 BGB, wenn er von einem weiteren Zuwarten absieht.
Ihm kann - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - eine weitere Verzögerung
unzumutbar sein. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen darf, der
Arbeitnehmer werde sich in absehbarer Zeit nicht äußern (können). Hat etwa der
Arbeitnehmer mehrmals um eine Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme
gebeten und hat sich seine Prognose, wann er sich werde äußern können, wiederholt als
unzutreffend erwiesen, wird dem Arbeitgeber ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten sein.
Mehrfache ergebnislose Fristverlängerungen können überdies die Annahme rechtfertigen,
der Arbeitnehmer wolle sich in Wirklichkeit ohnehin nicht äußern. Einige weitere Tage
warten zu müssen, wird der Arbeitgeber dabei in der Regel eher hinzunehmen haben als
eine Wartezeit von mehreren Wochen. Es kann wiederum auch das Ende eines längeren
Zeitraums abzuwarten sein, wenn schon die bisherigen Aufklärungsmaßnahmen längere
Zeit in Anspruch genommen haben und keine Ansprüche des Arbeitnehmers aus
Annahmeverzug drohen.
29 2. Danach ist das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen
Feststellungen rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, es habe an der erforderlichen
Anhörung des Klägers gefehlt.
30 a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe nicht annehmen dürfen, der
Kläger wolle sich einer Anhörung entziehen. Der Kläger habe seine Mitwirkung bei der
Anhörung angekündigt, seine Prozessbevollmächtigten hätten sie für Mitte Januar 2011 in
Aussicht gestellt. Der Kläger sei psychisch erkrankt gewesen und habe sich in einer Reha-
Maßnahme befunden. „Hierüber“ habe er die Beklagte unverzüglich in Kenntnis gesetzt.
31 b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle relevanten Umstände in seine Prüfung mit
einbezogen. Die bislang festgestellten Tatsachen tragen seine Begründung nicht.
32 aa) Das Landesarbeitsgericht hat nicht gewürdigt, dass der Kläger zunächst ohne einen
Hinweis auf zeitliche Einschränkungen durch die Reha-Maßnahme um eine schriftliche
Anhörung gebeten hatte. Erst anschließend stellten seine Prozessbevollmächtigten eine
Äußerung für eine geraume Zeit später und zu einem recht vagen Zeitpunkt in Aussicht.
Sie kündigten diese nicht für „Mitte Januar 2011“ an - wovon das Landesarbeitsgericht
ausgegangen ist - sondern kündigten an, sie würde „im Laufe des Januar 2011“ erfolgen.
Die Prozessbevollmächtigten erläuterten überdies nicht, warum nicht schon während der
noch laufenden Reha-Maßnahme eine Besprechung mit dem Kläger möglich wäre. Ob
sich der Kläger dazu gesundheitlich nicht in der Lage sah, ob er möglicherweise
überhaupt nicht äußerungsfähig war oder ob es nur Terminprobleme bzw. sonstige
organisatorische Schwierigkeiten gab, die dem entgegenstünden, wird aus ihren
Schreiben nicht ersichtlich.
33 bb) Dafür, dass die Beklagte aus der Art der Erkrankung des Klägers Rückschlüsse auf
das Fehlen seiner Fähigkeit hätte ziehen können, sich - und sei es schriftlich - zu äußern,
gibt es nach den bisherigen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es ist
unklar, ob das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Kläger habe die Beklagte nicht
nur über seinen Aufenthalt in einer Reha-Klinik, sondern auch über die Art seiner
Erkrankung informiert. In der E-Mail vom 12. Dezember 2010 hatte der Kläger lediglich
mitgeteilt, er befinde sich bis zum 11. Januar 2011 in der Klinik, sei gesundheitlich nicht in
der Lage, an der Anhörung in den Räumen der Beklagten teilzunehmen, und bitte um eine
schriftliche Anhörung. In den Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten werden zur Art
seiner Erkrankung keine Angaben gemacht.
34 c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger sei es wegen seiner Erkrankung
und der Durchführung der Reha-Maßnahme nicht möglich gewesen, den Fragenkatalog
innerhalb der gesetzten Frist angemessen zu beantworten, beruht ebenfalls nicht auf
hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Sie rechtfertigt deshalb nicht die Würdigung, die
Beklagte habe, weil sie dem Kläger keine längere Frist zur Stellungnahme gewährt habe,
ihre Aufklärungspflicht verletzt.
35 aa) Das Landesarbeitsgericht stellt darauf ab, der Kläger sei von den betrieblichen
Informationsquellen abgeschnitten gewesen, die ihm möglicherweise Entlastungsmaterial
hätten liefern können. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger darauf - insbesondere
gegenüber der Beklagten - überhaupt berufen hätte. Abgesehen davon hätte er in seiner
Antwort auf diesen Umstand hinweisen können.
36 bb) Soweit das Landesarbeitsgericht annimmt, die zeitliche Beanspruchung des Klägers
durch Therapieeinheiten habe die ihm zur Verfügung stehende Zeit zur Stellungnahme
erheblich eingeschränkt, fehlt es an Feststellungen zum konkreten zeitlichen Umfang
dieser Einheiten. Ebenso wenig ist festgestellt, dass die Beklagte von dieser
Beanspruchung Kenntnis gehabt hätte und sie bei ihrer Entscheidung, dem Kläger keine
Nachfrist zu gewähren, hätte in Rechnung stellen müssen.
37 d) Unerheblich ist, ob die Beklagte das Gebot der zügigen Aufklärung aus § 626 Abs. 2
BGB verletzt hätte, wenn sie dem Kläger eine Nachfrist jedenfalls bis Mitte Januar 2011
gesetzt hätte. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, folgt allein daraus - entgegen der
Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht, dass sie ihre Aufklärungspflicht nach § 626
Abs. 1 BGB verletzt hat, weil sie dem Kläger eine solche Frist nicht gewährte.
38 3. Das Landesarbeitsgericht wird - falls es darauf ankommt - die Frage, ob der Kläger vor
Ausspruch der Verdachtskündigung im Rahmen des der Beklagten Zumutbaren
Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hatte, unter
Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen und aller relevanten Umstände des
Streitfalls erneut zu prüfen haben.
Kreft
Berger
Rachor
Perreng
Wolf