Urteil des BAG vom 13.03.2013

Betriebsratswahl - Minderheitengeschlecht - kein Ausschluss Überrepräsentanz - Wahlanfechtung

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 13.3.2013, 7 ABR
67/11
Betriebsrat - Minderheitengeschlecht
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. Juni 2011 - 4 TaBV 86/10 -
aufgehoben.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Oberhausen vom 15. Oktober 2010 - 3 BV 37/10 - wird
zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Antragstellerin ist
eine im Betrieb der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft.
2 Die Arbeitgeberin beschäftigt 643 Arbeitnehmer. Mit Wahlausschreiben vom 24. März
2010 leitete der Wahlvorstand das Verfahren zur Wahl des Betriebsrats ein. In dem - teils
handschriftlich vervollständigten - Wahlausschreiben heißt es auszugsweise:
„Der Wahlvorstand hat beschlossen, dass die
Betriebsratswahl
17.05.2010 in der Zeit von: 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr im Wahllokal O.
Der künftige Betriebsrat besteht aus 11 Mitgliedern.
Im Betrieb sind 515 Frauen und 124 Männer als Arbeitnehmer einschließlich der
Auszubildenden beschäftigt. Leitende Mitarbeiter wurden nicht berücksichtigt.
Gemäß § 15 Abs. 2 BetrVG muss das Geschlecht, das im Betrieb in der Minderheit
ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis in der Belegschaft
vertreten sein. In der Minderheit sind Frauen Männer (nicht Zutreffendes streichen).
Danach müssen mindestens 9 Frauen / 2 Männer (nicht Zutreffendes streichen)
dem Betriebsrat angehören.
...“
3 Der Wahlvorstand ließ zwei Vorschlagslisten zur Wahl zu. An der Wahl nahmen 329
Arbeitnehmer teil. Das Wahlergebnis wurde am 17. Mai 2010 - dem Tag der
Betriebsratswahl - bekannt gemacht. Aus der Wahl ging der zu 3. beteiligte elfköpfige
Betriebsrat hervor.
4 Mit am 31. Mai 2010 bei Gericht eingegangener Antragsschrift hat die Gewerkschaft die
Wahl aus mehreren Gründen angefochten. Sie hat unter anderem die Auffassung
vertreten, das Wahlausschreiben sei fehlerhaft, weil die Anzahl der auf das Geschlecht in
der Minderheit entfallenden Mindestsitze im Betriebsrat fehlerhaft angegeben worden sei.
Es seien nicht mindestens neun Frauen, sondern mindestens zwei Männer zu wählen
gewesen. Das fehlerhafte angegebene Mindestquorum von neun Frauen habe
möglicherweise dazu geführt, dass weitere geeignete Wahlvorschläge nicht eingebracht
worden seien.
5 Die Antragstellerin hat beantragt,
die Betriebsratswahl vom 17. Mai 2010 für unwirksam zu erklären.
6 Arbeitgeberin und Betriebsrat haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Ihrer Ansicht nach
sind die behaupteten Verstöße jedenfalls nicht geeignet, um das Wahlergebnis zu
beeinflussen.
7 Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen und die Wahl für unwirksam erklärt. Auf
die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss
abgeändert und den Antrag abgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt die Gewerkschaft ihren Anfechtungsantrag weiter, während die Arbeitgeberin die
Zurückweisung der Rechtsbeschwerde begehrt.
8 B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Wahlanfechtungsantrag der
Gewerkschaft Erfolg.
9 I. Der Wahlanfechtungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist als eine im Betrieb der
Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BetrVG
anfechtungsberechtigt. Die Betriebsratswahl wurde rechtzeitig binnen zwei Wochen nach
Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 17. Mai 2010 angefochten. Unschädlich ist, dass
die am 31. Mai 2010 beim Arbeitsgericht eingegangene Antragsschrift den weiteren
Beteiligten erst am 4. Juni 2010 und damit nach Ablauf von zwei Wochen nach
Bekanntgabe des Wahlergebnisses förmlich zugestellt wurde. Es genügt, dass die
Antragsschrift innerhalb der Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG beim
Arbeitsgericht eingeht, wenn die Zustellung - wie hier - demnächst iSd. § 167 ZPO erfolgt
(vgl. BAG 25. Juni 1974 - 1 ABR 68/73 - zu II 3 b der Gründe mwN).
10 II. Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet. Die Betriebsratswahl vom 17. Mai 2010 ist
unwirksam. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass die „Verteilung“ der
Mindestsitze auf Frauen und Männer im Wahlausschreiben zutreffend erfolgt ist, hält einer
rechtsbeschwerderechtlichen Prüfung nicht stand. Das Wahlausschreiben verstößt gegen
§ 3 Abs. 2 Nr. 5 Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes
(Wahlordnung - WO) vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3494). Hierbei handelt es sich
um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren. Der Verstoß war geeignet, das
Wahlergebnis zu beeinflussen.
11 1. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen
wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren
verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den
Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
12 a) Eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren enthält § 3 Abs. 2 Nr. 5 WO.
Danach muss das Wahlausschreiben ua. die Angabe der „auf das Geschlecht in der
Minderheit entfallenden Mindestsitze im Betriebsrat (§ 15 Abs. 2 des Gesetzes)“ enthalten.
Eine insoweit unzutreffende Angabe ist geeignet, die Anfechtung der Wahl zu rechtfertigen
(vgl. BAG 10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 3 der Gründe, BAGE 110, 27; Fitting
26. Aufl. § 3 WO 2001 Rn. 11). Nach § 15 Abs. 2 BetrVG muss das Geschlecht, das in der
Belegschaft in der Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen
Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus drei oder mehr Mitgliedern
besteht. Mit der Regelung schützt das Gesetz die Minderheit im Betriebsrat, ohne dessen
Überrepräsentanz auszuschließen (vgl. BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu
B III 3 a cc (2) der Gründe, BAGE 114, 119; Fitting § 15 Rn. 11 mwN). Die Vorschrift wurde
durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I
S. 1852, 2518 ff.) in das BetrVG eingefügt. § 15 Abs. 2 BetrVG-RegE war zunächst
dahingehend gefasst, dass die Geschlechter entsprechend ihres zahlenmäßigen
Verhältnisses im Betriebsrat vertreten sein müssen (BT-Drucks. 14/5741 S. 9 und S. 37).
Die anfänglich vorgesehene „starre Geschlechterquote“ wurde im Verlauf des
Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
zugunsten der nunmehr in § 15 Abs. 2 BetrVG normierten sog. „Mindest-Klausel“
aufgegeben (vgl. BT-Drucks. 14/6352 S. 10 und S. 54). Die Mindestsitzzahl für das
Minderheitengeschlecht wird gemäß § 5 Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 2 WO nach dem
Grundsatz der Verhältniswahl auf der Grundlage des d´Hondtschen Höchstzahlverfahrens
ermittelt.
13 b) Danach mussten vorliegend nach § 15 Abs. 2 BetrVG, § 5 WO bei einer Belegschaft
von 515 Frauen und 124 Männern die Männer mit mindestens zwei Sitzen im Betriebsrat
vertreten sein. Hierauf - aber auch nur hierauf - hätte das Wahlausschreiben gemäß § 3
Abs. 2 Nr. 5 WO hinweisen müssen. Es durfte insoweit nur die Angabe enthalten, dass
mindestens zwei Sitze im Betriebsrat auf Männer entfallen. Im vorliegenden
Wahlausschreiben heißt es dagegen, „danach müssen mindestens 9 Frauen/2 Männer
(nicht Zutreffendes streichen) dem Betriebsrat angehören“. Zu wählen waren aber nicht
„mindestens 9 Frauen“. Richtigerweise hätte der Wahlvorstand in dem formularmäßigen
Wahlausschreiben bei Frauen, die im zahlenmäßigen Verhältnis in der Belegschaft stärker
vertreten sind, nicht die Zahl neun einfügen dürfen, sondern statt dessen den Passus
„mindestens … Frauen“ streichen müssen. Der Hinweis, es müssten „mindestens
9 Frauen/2 Männer“ dem Betriebsrat angehören, konnte aus Sicht der wahlberechtigten
Arbeitnehmer des Betriebes auch im Zusammenhang mit dem vorstehenden Satz nicht mit
der erforderlichen Eindeutigkeit dahin verstanden werden, dass sich der
Minderheitenschutz nicht auf die zu wählenden Frauen, sondern nur auf die zu wählenden
Männer beziehen soll. Das Wort „mindestens“ kann auch nicht so verstanden werden,
dass es sich sowohl auf „Frauen“ als auch auf „Männer“ bezieht, denn dann wäre es
sinnentleert. Im Übrigen verstieße ein solches Verständnis gegen § 15 Abs. 2 BetrVG, der
die Gruppe des Geschlechts in der Minderheit schützt, ohne dessen verhältnismäßige
Überrepräsentation auszuschließen.
14 2. Der Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 5 WO war geeignet, das Wahlverhalten der
Arbeitnehmer und damit das Ergebnis der Betriebsratswahl zu beeinflussen.
15 a) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche
Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn sie das Wahlergebnis
objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob eine Wahl
ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände bei einer
hypothetischen Betrachtung zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte. Eine
verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich
konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes
Wahlergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt
es bei der Unwirksamkeit der Wahl (st. Rspr., vgl. etwa BAG 21. Januar 2009 - 7 ABR
65/07 - Rn. 29).
16 b) Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Vorschlagslisten
eingebracht worden wären, wenn das Wahlausschreiben nicht den fehlerhaften Hinweis
enthalten hätte, dass mindestens neun Frauen in den Betriebsrat zu wählen sind. Es ist
insbesondere keineswegs fernliegend, dass durch den unzutreffenden Hinweis männliche
Bewerber von einer - als wenig aussichtsreich erscheinenden - Kandidatur abgehalten
wurden.
17 3. Auf mögliche weitere Anfechtungsgründe kam es nicht an.
Linsenmaier
Schmidt
Kiel
Bea
Strippelmann