Urteil des BAG vom 15.01.2014

Wettbewerbsverbot - Entschädigung nach Ermessen

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.1.2014, 10 AZR 243/13
Wettbewerbsverbot - Entschädigung nach Ermessen
Leitsätze
Wird bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die Höhe der Entschädigung in das
Ermessen des Arbeitgebers gestellt, ohne dass eine Mindesthöhe iSv. § 74 Abs. 2 HGB
vereinbart wird, ist das Wettbewerbsverbot für den Arbeitnehmer unverbindlich.
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. Januar 2013 -
16 Sa 563/12 - wird zurückgewiesen.
2. Der Streithelfer trägt die Kosten der Streithilfe. Der Beklagte
hat die übrigen Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung für die Monate
September und Oktober 2010.
2 Der Beklagte produziert und vertreibt Futter- und Pflegemittel für Pferde. Der Kläger war
bei ihm seit dem 1. Januar 2008 als Exportvertriebsmitarbeiter angestellt. Er bezog ein
Monatsgehalt von 7.500,00 Euro brutto; die private Pkw-Nutzung wurde iHv. 1.089,20 Euro
brutto als geldwerter Vorteil bewertet.
3 Der Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 enthält ua. folgende Regelung:
§ 15 Wettbewerbsvereinbarung
(1) Der Mitarbeiter verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für
die Dauer von 2 Jahren für kein Konkurrenzunternehmen selbstständig oder
unselbstständig tätig zu werden.
(2) Die Firma verpflichtet sich, dem Mitarbeiter für die Dauer des
Wettbewerbsverbotes eine Entschädigung zu zahlen, die in ihr Ermessen gestellt
wird. Die Karenzentschädigung ist fällig am Ende eines jeden Monats.
(3) Auf die Karenzentschädigung wird alles angerechnet, was der Mitarbeiter durch
anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig
unterlässt.
(4) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, während der Dauer des Wettbewerbsverbotes auf
(4) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, während der Dauer des Wettbewerbsverbotes auf
Verlangen Auskunft über die Höhe seiner Bezüge zu geben und die Anschriften
seines jeweiligen Arbeitgebers mitzuteilen. Am Schluss eines Kalenderjahres ist er
verpflichtet, seine Lohnsteuerbescheinigung vorzulegen.“
4 Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich „aus betriebswirtschaftlichen
Gründen“ zum 31. August 2010. Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 31. August 2010,
er werde sich an das vertragliche Wettbewerbsverbot halten und erwarte bis zum
15. September 2010 eine Bestätigung, in welcher Höhe der Beklagte die monatliche
Karenzentschädigung zahlen werde, mindestens sei sie jedoch in der gesetzlichen Höhe
zu leisten.
5 Der Beklagte focht daraufhin mit Schreiben vom 8. September 2010 den Arbeitsvertrag an.
Zur Begründung führte er aus, dass er von dem Kläger über die von ihm erzielbaren
Umsätze arglistig getäuscht worden sei. Das Wettbewerbsverbot sei unbestimmt und
nichtig. In jedem Fall sei es für ihn unverbindlich. Nur hilfsweise nehme er eine
Ermessensausübung vor. Wegen der geringen Umsätze des Klägers sei eine
Karenzentschädigung von allenfalls 20 % des letzten Entgelts angemessen.
6 Der Kläger bezog vom 1. September bis 7. November 2010 Arbeitslosengeld iHv.
74,75 Euro täglich. Den entsprechenden Leistungsbescheid hat er dem Beklagten ebenso
übermittelt wie eine Lohnsteuerbescheinigung seines neuen Arbeitgebers für den
Zeitraum von 8. November bis 31. Dezember 2010.
7 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das zwischen den Parteien schriftlich vereinbarte
Wettbewerbsverbot enthalte eine Entschädigungsregelung und sei deshalb nicht nichtig.
Sei die Höhe der Karenzentschädigung zu niedrig, sei das Wettbewerbsverbot lediglich
unverbindlich; er habe sich für dessen Einhaltung entschieden. Bei der zu treffenden
Ermessensentscheidung sei der Beklagte nicht völlig frei, sondern müsse sich an die
gesetzliche Mindesthöhe halten. Ein Recht auf Lossagung vom Wettbewerbsverbot in
entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB habe dem Beklagten nicht
zugestanden. Jedenfalls habe er ein solches Recht nicht wirksam ausgeübt, da ein
Anfechtungsgrund nicht bestehe und die Monatsfrist des § 75 Abs. 1 HGB nicht gewahrt
sei.
8 Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Karenzentschädigung 4.294,50 Euro brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Oktober
2010 und weitere 4.294,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2010 zu zahlen.
9 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, das
Wettbewerbsverbot sei nichtig. Eine Karenzentschädigung, die in das Ermessen des
Arbeitgebers gestellt werde, genüge dem Schriftformerfordernis des § 74 Abs. 1 HGB
nicht, da sie nicht hinreichend bestimmt sei. Auf das Gesetz verweise das Verbot gerade
nicht. Eine ergänzende Auslegung, die zu einer Entschädigung in gesetzlicher Höhe
führe, finde nicht statt. Aus diesem Grund verbiete sich auch im Rahmen der
Ermessensausübung nach § 315 BGB ein Rückgriff auf die Wertung des § 74 Abs. 2 HGB.
Die vorsorglich getroffene Ermessensausübung sei rechtsfehlerfrei; aufgrund der
schlechten Leistung des Klägers sei eine Karenzentschädigung in Höhe von 20 % des
bisherigen Verdienstes angemessen. Im Übrigen habe sich der Beklagte wirksam von
dem Wettbewerbsverbot losgesagt; die Gesamtumstände der Anfechtung des
Arbeitsvertrags seien ihm erstmals durch das Schreiben des Klägers vom 31. August 2010
bekannt geworden. Letztlich stehe ihm ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB
iVm. § 74c HGB zu. Der Kläger habe weder seinen aktuellen Arbeitsvertrag noch eine
Steuerbescheinigung am Schluss des Vierteljahres vorgelegt.
10 Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren
Abweisung. Der Streithelfer ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 2
Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 24. September 2007 iVm. § 315 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BGB
einen Anspruch auf die begehrte Karenzentschädigung iHv. je 4.294,50 Euro brutto für die
Monate September und Oktober 2010 nebst Zinsen.
12 I. § 15 des Arbeitsvertrags enthält ein wirksames, aber für den Kläger unverbindliches
Wettbewerbsverbot iSd. § 74 ff. HGB, für dessen Einhaltung er sich entschieden hat.
13 1. Das Wettbewerbsverbot sieht in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags eine Entschädigung vor
(§ 74 Abs. 2 HGB) und ist deshalb nicht nichtig; das gesetzliche Schriftformerfordernis
(§ 74 Abs. 1 HGB) ist eingehalten.
14 a) Wettbewerbsverbote, die entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung
vorsehen, sind nichtig (st. Rspr., zuletzt zB BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 - Rn. 11
mwN). Weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber können aus einer solchen Abrede
Rechte herleiten. Zwar sieht § 74 Abs. 2 HGB vor, das Wettbewerbsverbot sei ohne eine
der Höhe nach ausreichende Entschädigungszusage „unverbindlich“. Wird überhaupt
keine Karenzentschädigung vereinbart, sind Unverbindlichkeit und Nichtigkeit aber
identisch, weil der Arbeitnehmer auch dann, wenn er das Wettbewerbsverbot einhalten
würde, keine Zahlungsansprüche daraus herleiten könnte (BAG 13. September 1969 -
3 AZR 138/68 - Teil I: III 3 der Gründe, BAGE 22, 125).
15 b) Die Parteien haben einen Anspruch des Klägers auf eine Entschädigung vereinbart.
Dass ihre Höhe in das Ermessen des Beklagten gestellt wurde, bedeutet nicht, dass keine
Entschädigung zugesagt wurde. Dies ergibt eine Auslegung von § 15 Abs. 2 des
Arbeitsvertrags.
16 aa) Bei der Regelung in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags handelt es sich um eine typische
Vertragsregelung, deren Auslegung durch das Revisionsgericht uneingeschränkt
kontrollierbar ist (vgl. dazu zuletzt zB BAG 13. Juni 2012 - 10 AZR 313/11 - Rn. 24 mwN).
17 bb) Durch § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags hat sich der Beklagte - wie schon der
eindeutige Wortlaut ergibt - verpflichtet, dem Kläger für die Dauer des Wettbewerbsverbots
eine Entschädigung zu zahlen. Damit wird ein Anspruch des Klägers begründet, wenn er
seine Verpflichtungen aus dem Wettbewerbsverbot einhält. Daran ändert sich durch den
Relativsatz, wonach die Entschädigung in das Ermessen der Firma gestellt wird, nichts.
Diese Formulierung betrifft die Höhe des Entschädigungsanspruchs, nicht den Anspruch
selbst. Einen übereinstimmenden anderslautenden Willen beider Vertragsparteien oder
sonstige Umstände, die darauf hindeuten würden, dass die Parteien entgegen § 74 Abs. 2
HGB ein entschädigungsloses Wettbewerbsverbot vereinbaren wollten (vgl. dazu auch
BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 - Rn. 14), behauptet auch der Beklagte nicht.
Entgegen dessen Annahme ergibt sich eine Nichtigkeit der Vereinbarung auch nicht
daraus, dass er - wie er meint - die Karenzentschädigung auf „Null“ festsetzen könnte.
Eine solche Festsetzung wäre schon wegen § 74 Abs. 2 HGB unbillig iSv. § 315 Abs. 1
und Abs. 3 BGB, sodass durch Urteil ein angemessener Entschädigungsanspruch zu
bestimmen wäre, der auf § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags beruht (vgl. im Einzelnen unten
zu III). Dem Kläger wird daher in jedem Fall - im Rahmen des § 74c HGB - eine
Karenzentschädigung gewährt, wenn er seine aus dem Wettbewerbsverbot folgenden
Verpflichtungen einhält.
18 c) Die Parteien haben das gesetzliche Schriftformerfordernis (§ 74 Abs. 1 HGB)
eingehalten.
19 aa) Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot bedarf der Schriftform (§ 74 Abs. 1 HGB iVm.
§ 126 Abs. 2 BGB). Das Schriftformerfordernis hat neben der Klarstellungs- und
Beweisfunktion vor allem eine Warnfunktion. Es sollen nicht nur Streitigkeiten darüber
vermieden werden, ob und mit welchem Inhalt eine Wettbewerbsvereinbarung
geschlossen wurde. Vielmehr soll der Arbeitnehmer vor übereilten Entschlüssen im
Hinblick auf sein künftiges berufliches Fortkommen möglichst bewahrt werden (BAG
14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 29, BAGE 135, 116; 24. Oktober 1972 - 3 AZR
102/72 - zu I 3 der Gründe). Ein unter Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform
vereinbartes Wettbewerbsverbot ist gemäß § 125 BGB nichtig (BAG 14. Juli 2010 -
10 AZR 291/09 - Rn. 28 mwN, aaO). Auf eine nichtige Vereinbarung können sich beide
Vertragsparteien nicht berufen.
20 bb) Ist durch Gesetz Schriftform vorgeschrieben, muss die Urkunde eigenhändig durch
Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet
werden (§ 126 Abs. 1 BGB). Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien auf
derselben Urkunde erfolgen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB). Nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB
genügt es, dass jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet,
wenn über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden.
21 cc) Der von beiden Parteien unterzeichnete Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 erfüllt
die genannten Voraussetzungen. Er enthält in seinem § 15 die vollständige
Wettbewerbsvereinbarung einschließlich des Anspruchs des Klägers auf eine
Karenzentschädigung. Entgegen der Auffassung des Beklagten verlangt das
Schriftformgebot nicht, dass die Karenzentschädigung der Höhe nach bereits festgelegt
wäre (BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 - Rn. 16; 14. August 1975 - 3 AZR 333/74 - zu
1 d der Gründe). Entscheidend ist vielmehr, dass der wesentliche Inhalt des der Schriftform
unterliegenden Rechtsgeschäfts sich aus der Urkunde ergibt (BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR
291/09 - Rn. 33, BAGE 135, 116 [zu einer zusammengesetzten Urkunde]). Dies ist der
Fall.
22 2. Das vereinbarte Wettbewerbsverbot war für den Kläger unverbindlich, da aus ihm nicht
klar erkennbar war, dass die Höhe der Entschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB erreicht wird.
23 a) Ist in einem Wettbewerbsverbot eine gegenüber der Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB zu
niedrige Karenzentschädigung vereinbart, ist dieses nicht nichtig, sondern lediglich
unverbindlich. In der Konsequenz kann sich der Arbeitnehmer entscheiden, ob er sich an
das Wettbewerbsverbot hält (st. Rspr., zB BAG 18. Januar 2000 - 9 AZR 929/98 - zu II a
der Gründe; 13. September 1969 - 3 AZR 138/68 - zu Teil I: III 3 der Gründe, BAGE 22,
125; vgl. auch für den Fall des unzulässig bedingten Wettbewerbsverbots oder des
unverbindlichen Vorvertrags: 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 18 ff. mwN, BAGE 135,
116). Über den Fall einer konkret zu niedrigen Karenzentschädigung hinaus tritt die
Unverbindlichkeit aber auch ein, wenn aus dem Wettbewerbsverbot selbst unklar bleibt,
ob die gesetzliche Entschädigungshöhe erreicht wird (Bauer/Diller Wettbewerbsverbote
6. Aufl. Rn. 454 [„angemessene Entschädigung“]; Oetker/Kotzian-Marggraf HGB 3. Aufl.
§ 74 Rn. 27; vgl. zur Gefahr der Unklarheit bei der Zusage fester Entschädigungssummen:
Preis/Stoffels Der Arbeitsvertrag 4. Aufl. II W 10 Rn. 59). In diesem Fall kann der
Arbeitnehmer nämlich nicht bereits bei Abschluss des Wettbewerbsverbots beurteilen, ob
ihm eine Karenzentschädigung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zugesagt ist (BAG
14. Juli 1981 - 3 AZR 414/80 - zu I 1 b der Gründe) und er sich des Wettbewerbs zwingend
enthalten muss (vgl. zu diesem Gedanken BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 14,
aaO).
24 b) Ein solcher Fall der Ungewissheit über die Höhe der Entschädigung liegt hier vor. § 15
Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags sieht zwar einen Anspruch auf Entschädigung vor.
Weder wird jedoch in der Vereinbarung eine konkrete Summe genannt, noch wird durch
eine Verweisung auf die gesetzlichen Vorschriften (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung:
BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 -; 14. August 1975 - 3 AZR 333/74 -) für den
Arbeitnehmer hinreichend deutlich gemacht, dass eine Karenzentschädigung mindestens
in der gesetzlich geforderten Höhe geschuldet wird.
25 3. Der Anspruch auf Karenzentschädigung aus einem unverbindlichen Wettbewerbsverbot
setzt voraus, dass der Arbeitnehmer sich zu Beginn der Karenzzeit für die Einhaltung des
Wettbewerbsverbots entscheidet. Mit Schreiben vom 31. August 2010 hat der Kläger
ausdrücklich gegenüber dem Beklagten erklärt, sich an das Wettbewerbsverbot halten zu
wollen, und damit sein Wahlrecht ausgeübt. Mit der Wettbewerbsenthaltung entsteht der
Anspruch auf Entschädigung (BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 22, BAGE 135,
116).
26 II. Der Beklagte hat sich nicht wirksam in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1
HGB vom Wettbewerbsverbot losgesagt.
27 1. Der Arbeitgeber kann sich nach § 75 Abs. 1 HGB analog binnen eines Monats von dem
Wettbewerbsverbot lossagen, wenn er das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund
gekündigt hat (BAG 23. November 2004 - 9 AZR 595/03 - zu A I 3 der Gründe, BAGE 112,
376; 19. Mai 1998 - 9 AZR 327/96 -) oder die Parteien aus gleichem Grund das
Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst haben (BAG 26. Januar 1973 - 3 AZR 233/72 -
). Gleiches gilt, wenn zwar nur eine ordentliche Kündigung erklärt wurde, aber für den
Arbeitnehmer erkennbar ist, dass diese nur das mildere Mittel gegenüber der
außerordentlichen Kündigung darstellt (BAG 18. November 1967 - 3 AZR 471/66 - BAGE
20, 162). Eine Erklärung nach § 75 Abs. 1 HGB verfolgt das Ziel, dass alle beiderseitigen
Rechte und Pflichten aus einer Wettbewerbsvereinbarung wegfallen sollen. Will sich ein
Arbeitgeber in dieser Weise von der vereinbarten Konkurrenzklausel lossagen, muss er
klar zum Ausdruck bringen, dass er nicht nur selbst keine Karenzentschädigung zahlen,
sondern auch den Arbeitnehmer von dessen Unterlassungspflicht entbinden will (BAG
13. April 1978 - 3 AZR 822/76 - zu II 2 der Gründe). Die Lossagung muss eindeutig
erfolgen (ErfK/Oetker 14. Aufl. § 75 HGB Rn. 5).
28 2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine Kündigung aus wichtigem Grund hat der
Beklagte mit Schreiben vom 30. Juli 2010 nicht ausgesprochen, sondern eine ordentliche
Kündigung aus „betriebswirtschaftlichen Gründen“. Im Übrigen ist im Hinblick auf diese
Kündigung innerhalb der Monatsfrist des § 75 Abs. 1 HGB keine Erklärung zum
Wettbewerbsverbot abgegeben worden.
29 Ob eine erfolgreiche Anfechtung des Arbeitsvertrags nach § 123 BGB den Beklagten in
entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB ebenfalls zur Lossagung berechtigt
hätte (so LAG München 19. Dezember 2007 - 11 Sa 294/07 -; zustimmend Bauer/Diller
Rn. 653), kann dahinstehen. Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig festgestellt, dass
der Arbeitsvertrag durch den Beklagten mangels Anfechtungsgrund nicht wirksam
angefochten wurde. Im Übrigen dürfte das Schreiben vom 8. September 2010 nicht die
Anforderungen an eine Lossagungserklärung erfüllen; im Wesentlichen hat der Beklagte
sich dort nur auf die vermeintliche Nichtigkeit des Wettbewerbsverbots berufen.
30 III. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags iVm. § 74 Abs. 2 HGB, § 315
Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 BGB einen Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. 50 %
seiner zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen. Für die streitgegenständlichen
Monate ergibt dies den von ihm beanspruchten Betrag von jeweils 4.294,50 Euro brutto.
31 1. Entschließt sich der Arbeitnehmer zur Einhaltung eines für ihn unverbindlichen
Wettbewerbsverbots, hat er Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Entschädigung, nicht
hingegen auf die Mindestentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB (vgl. BAG 14. Juli 2010 -
10 AZR 291/09 - Rn. 38, BAGE 135, 116; 18. Januar 2000 - 9 AZR 929/98 - zu II a der
Gründe).
32 2. Vertraglich vereinbart haben die Parteien eine Entschädigung, deren Höhe in das
Ermessen des Beklagten gestellt wurde. Stellen die Parteien eine Leistung in das
Ermessen einer Vertragspartei, hat die Leistungsbestimmung mangels abweichender
Anhaltspunkte gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen (BAG
12. Oktober 2011 - 10 AZR 746/10 - Rn. 25, BAGE 139, 283 [zur Höhe eines Bonus]).
33 a) Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen
Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen
berücksichtigt worden sind. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt
eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und
gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der
Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In
die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Welche Umstände dies
im Einzelnen sind, hängt auch von der Art der Leistungsbestimmung ab, die der
Berechtigte zu treffen hat (BAG 10. Juli 2013 - 10 AZR 915/12 - Rn. 28). Maßgeblich ist der
Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Die
Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht,
hat der Bestimmungsberechtigte zu tragen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach
§ 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach
billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem
Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen
(st. Rspr., zuletzt zB BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 679/12 - Rn. 34 mwN).
34 b) Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen
Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. BAG 23. Januar 2007 - 9 AZR 624/06 - Rn. 29).
Diese Sachentscheidung ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls
vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten (BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 679/12 -
Rn. 35 mwN). Welche Folgen hieraus für die Reichweite der Überprüfung durch das
Revisionsgericht zu ziehen sind, kann dahinstehen (vgl. dazu BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR
182/09 - Rn. 92 mwN, BAGE 135, 128). Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung hält
auch einer uneingeschränkten Überprüfung stand.
35 3. Die durch den Beklagten mit Schreiben vom 8. September 2010 getroffene Bestimmung
der Karenzentschädigung auf 20 % der vom Kläger zuletzt bezogenen Entgelte entspricht
nicht billigem Ermessen iSd. § 315 Abs. 1 BGB.
36 a) Durch die Karenzentschädigung sollen die Nachteile ausgeglichen werden, die dem
Arbeitnehmer durch die Einschränkung seines Erwerbslebens infolge der Karenz
entstehen (BAG 14. September 2011 - 10 AZR 198/10 - Rn. 11; 22. Oktober 2008 - 10 AZR
360/08 - Rn. 14). Umgekehrt soll das Wettbewerbsverbot den Arbeitgeber davor schützen,
dass Betriebsgeheimnisse bekannt werden oder der Arbeitnehmer sein Wissen um
betriebliche Abläufe und Geschäftsverbindungen für eine Konkurrenztätigkeit ausnutzt
(vgl. BAG 26. Mai 1992 - 9 AZR 27/91 - zu 3 der Gründe; 19. Mai 1983 - 2 AZR 171/81 -
zu B II 2 der Gründe) und in den Kunden- und Lieferantenkreis des Arbeitgebers einbricht
(BAG 21. April 2010 - 10 AZR 288/09 - Rn. 15, BAGE 134, 147). Dementsprechend
können grundsätzlich alle Umstände Berücksichtigung finden, die mit dem Schutz
berechtigter geschäftlicher Interessen des Arbeitgebers einerseits und der Erschwerung
des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers andererseits in Zusammenhang stehen.
37 b) Darüber hinaus ist aber die gesetzgeberische Entscheidung des § 74 Abs. 2 HGB zu
beachten, wonach die Entschädigung mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen
vertragsgemäßen Leistungen erreichen muss. Der Gesetzgeber hat den dort bestimmten
Mindestbetrag als angemessen angesehen, um die gegenseitigen Interessen im Regelfall
in Einklang zu bringen. Dieses Mindestmaß an Entschädigung muss gewahrt bleiben,
auch wenn die Wettbewerbsbeschränkung nur ein geringes Maß erreicht (BAG
18. November 1967 - 3 AZR 471/66 - zu III der Gründe, BAGE 20, 162;
MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene 3. Aufl. § 74 Rn. 43). In Fällen, in denen das
berufliche Fortkommen besonders stark beeinträchtigt wird, kann eine höhere
Karenzentschädigung erforderlich sein, damit das Wettbewerbsverbot nicht als
unverbindlich iSv. § 74a Abs. 1 Satz 2 HGB anzusehen ist (vgl. zum Verhältnis von § 74a
Abs. 1 Satz 1 zu Satz 2 und zu den Rechtsfolgen: BAG 21. April 2010 - 10 AZR 288/09 -
BAGE 134, 147; Bauer/Diller Rn. 346). Die Festlegung einer geringeren Entschädigung
scheidet hingegen aus. Anders als die Revision annimmt, bedeutet dies nicht, dass im Fall
eines unverbindlichen Wettbewerbsverbots eine Karenzentschädigung, die unterhalb der
von § 74 Abs. 2 HGB vorgeschriebenen Höhe liegt, stets auf diesen Betrag zu erhöhen
wäre. Der Arbeitnehmer weiß in diesem Fall, welche Entschädigung ihm zusteht, wenn er
sein Wahlrecht zugunsten einer Einhaltung des für ihn unverbindlichen
Wettbewerbsverbots ausübt und ist dadurch geschützt. Ist aber eine
Ermessensentscheidung nach § 315 BGB zu treffen, kann diese nicht ohne Beachtung
des vom Gesetzgeber festgelegten Mindestwertes erfolgen.
38 c) Danach ist die vom Beklagten vorgenommene Leistungsbestimmung schon deshalb
unbillig, weil sie den in § 74 Abs. 2 HGB festgelegten Wert unterschreitet.
39 4. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Bestimmung der Höhe der
Karenzentschädigung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB auf die Hälfte der zuletzt
bezogenen Vergütung ist danach nicht zu beanstanden. Sie berücksichtigt die Vorgabe
des § 74 Abs. 2 HGB. Eine höhere Entschädigung begehrt der Kläger nicht, sodass
dahinstehen kann, welche berechtigten Interessen beider Parteien darüber hinaus
Berücksichtigung finden müssten.
40 5. Die Karenzentschädigung ist auch der Höhe nach zutreffend berechnet. Der Kläger
erhielt ein Festgehalt von 7.500,00 Euro brutto monatlich; die private Nutzung des ihm
überlassenen Kfz wurde als geldwerter Vorteil iHv. 1.089,20 Euro brutto angesetzt (zur
Berücksichtigung dieses Sachbezugs bei der Ermittlung der Karenzentschädigung: BAG
17. Juni 1997 - 9 AZR 801/95 - zu II 2 der Gründe). Hieraus folgt grundsätzlich ein
Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. 4.294,60 Euro brutto.
41 Ob eine Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung im Wege der
Auslegung oder analogen Anwendung des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB überhaupt in Betracht
kommt, kann dahinstehen (kritisch BAG 14. September 2011 - 10 AZR 198/10 - Rn. 20 f.).
Selbst wenn man zugunsten des Beklagten eine Anrechnungsmöglichkeit unterstellt, kann
nur der tatsächliche Auszahlungsbetrag, nicht jedoch ein fiktiv aus dem Arbeitslosengeld
hochgerechneter Bruttobetrag angerechnet werden (BAG 14. September 2011 - 10 AZR
198/10 - Rn. 22 ff. mwN). Das Arbeitslosengeld iHv. 2.242,50 Euro monatlich überschreitet
zusammen mit der Karenzentschädigung iHv. 4.294,60 Euro die in den
streitgegenständlichen Monaten relevante Grenze von 110 % des vorhergehenden
Bruttoentgelts nicht.
42 Gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergibt sich für die Monate September und Oktober 2010
jeweils ein Anspruch in Höhe von 4.294,50 Euro brutto. Der Zinsanspruch folgt aus § 288
Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 74b Abs. 1 HGB.
43 IV. Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB iVm. § 74c
Abs. 2 HGB zu (vgl. dazu BAG 23. November 2004 - 9 AZR 595/03 - zu A II der Gründe,
BAGE 112, 376; 12. Januar 1978 - 3 AZR 57/76 -). Der Kläger hat dessen
Auskunftsanspruch durch Vorlage der Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2010 und
des Leistungsbescheids der Agentur für Arbeit erfüllt. Aus diesen Unterlagen ergeben sich
alle erforderlichen Angaben zur Berechnung der Höhe der Karenzentschädigung im
Streitzeitraum. Die vom Beklagten behauptete Verpflichtung zur Vorlage einer
Lohnsteuerbescheinigung am Schluss eines jeden Kalendervierteljahres ergibt sich weder
aus § 15 des Arbeitsvertrags noch aus § 74c HGB. Im Übrigen sah § 41b Abs. 1 EStG in
der im Streitzeitraum anwendbaren Fassung eine solche Bescheinigung nicht vor.
44 V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.
Mikosch
Schmitz-
Scholemann
W.
Reinfelder
D.
Kiel
W.
Guthier