Urteil des BAG vom 23.01.2014

Krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 23.1.2014, 2 AZR 582/13
Krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung
Leitsätze
Häufige Kurzerkrankungen können ein Dauertatbestand sein, der den Lauf der Frist des § 626
Abs. 2 BGB ständig neu in Gang setzt, sobald und solange wie sie den Schluss auf eine
dauerhafte Krankheitsanfälligkeit zulassen und damit eine negative Gesundheitsprognose
begründen.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 16. April 2013 - 2 Sa
107/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung unter
Einhaltung einer sozialen Auslauffrist.
2 Die im Jahr 1959 geborene Klägerin ist seit dem Jahr 1981 bei der Beklagten beschäftigt.
Sie ist aufgrund tarifvertraglicher Regelungen ordentlich unkündbar. Seit dem Jahr 2000
war sie überwiegend als Hilfsgärtnerin tätig. Ihre Arbeitsverpflichtung erstreckt sich auf die
Tage Montag bis Donnerstag bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 31,59 Stunden. Ihre
durchschnittliche Bruttomonatsvergütung beträgt 2.075,00 Euro.
3 Die Beklagte betreibt Friedhöfe. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.
Bei ihr ist ein Personalrat gebildet.
4 Seit dem Jahr 2000 war die Klägerin wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt
arbeitsunfähig. Sie stellte sich mehrfach beim Personalärztlichen Dienst der Stadt vor.
Dieser attestierte ihr jeweils eine positive Prognose. Die Parteien führten zudem
zahlreiche Krankengespräche. Am 6. Oktober 2011 führte die Beklagte mit der Klägerin
unter Beteiligung des Vorsitzenden des Personalrats ein betriebliches
Eingliederungsmanagement durch. Zuletzt war die Klägerin in der Zeit vom 16. November
bis zum 19. Dezember 2011 arbeitsunfähig erkrankt. Die Krankheitsursache ist zwischen
den Parteien streitig.
5 Mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie
nunmehr abschließend entschieden habe, das Arbeitsverhältnis zu kündigen; der
Personalratsvorsitzende sei bereits vorab informiert worden. Gleichzeitig unterbreitete sie
ihr ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Dieses halte sie bis zum 6.
Januar 2012 aufrecht. Die Klägerin nahm das Angebot nicht an.
6 Am 16. Januar 2012 beantragte die Beklagte beim Personalrat die Zustimmung zur
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist.
Der Personalrat teilte mit Schreiben vom 19. Januar 2012 mit, dass er seine Zustimmung
verweigert habe. Mit Schreiben vom 2. Februar 2012 rief die Beklagte die Einigungsstelle
an. Diese ersetzte die Zustimmung am 27. März 2012. Ausfertigungen ihres Beschlusses
gingen dem Personalrat und der Beklagten am 28. März 2012 zu.
7 Mit Schreiben vom selben Tage kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien
außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2012, hilfsweise zum
nächstmöglichen Zeitpunkt. Dagegen hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie
hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2
BGB nicht gewahrt. Auch sei ein wichtiger Grund nicht gegeben. Die Erkrankungen ihres
Bewegungsapparats seien nach Durchführung von Operationen ausgeheilt. Es bestehe
keine Gefahr, dass eine der verschiedenen Infektionskrankheiten künftig wieder auftrete.
Im Übrigen könne sie als Friedhofsbetreuerin leidensgerecht beschäftigt werden.
8 Die Klägerin hat beantragt
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis
der Parteien durch die Kündigung vom
28. März 2012 nicht beendet worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu
unveränderten Arbeitsbedingungen als
Hilfsgärtnerin weiter zu beschäftigen.
9 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die außerordentliche
Kündigung mit sozialer Auslauffrist für wirksam gehalten. Die Klägerin habe - was mit
Ausnahme von zwölf einzelnen Tagen unstreitig ist - in den Jahren von 2000 bis 2011
jeweils zwischen 19 und 163, im Durchschnitt an 75,25 Arbeitstagen krankheitsbedingt
gefehlt. In den Jahren 2006 bis 2011 habe sie - die Beklagte - Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall in Höhe von 34.432,82 Euro geleistet. Sie habe von einer negativen
Prognose ausgehen dürfen, die auch weiterhin außerordentlich hohe wirtschaftliche
Belastungen und massive Betriebsablaufstörungen erwarten lasse. Zu ihren Gunsten sei
zu berücksichtigen, dass sie durch Krankengespräche und Umsetzungen der Klägerin
versucht habe, deren Fehlzeiten zu reduzieren. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB habe sie
gewahrt. Kündigungsgrund sei die Gesamtheit der Krankheiten der vergangenen mehr als
zehn Jahre und die sich daraus ergebende - fortbestehende - Anfälligkeit für
Kurzerkrankungen. Dabei handele es sich um einen Dauertatbestand.
10 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr
Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage zwar nicht mit
der von ihm gegebenen Begründung stattgeben. Seine Entscheidung stellt sich jedoch
aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
12 I. Das Feststellungsbegehren ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch
die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. März 2012 nicht aufgelöst worden.
13 1. Allerdings hat die Beklagte, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die
Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
14 a) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist auch im Fall einer außerordentlichen
Kündigung mit Auslauffrist einzuhalten. Sie beginnt regelmäßig, sobald der
Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der
für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber
ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen will oder nicht (BAG 26. September 2013
- 2 AZR 741/12 - Rn. 22). Uneingeschränkt gilt dies bei in der Vergangenheit liegenden,
vollständig abgeschlossenen Kündigungssachverhalten, mögen diese auch - etwa als
Vertrauensverlust - noch fortwirken. Bei Dauertatbeständen, die dadurch gekennzeichnet
sind, dass sich der Kündigungssachverhalt und seine betrieblichen Auswirkungen
fortwährend neu verwirklichen, lässt sich der Fristbeginn nach § 626 Abs. 2 BGB nicht
eindeutig fixieren. Liegt ein solcher Tatbestand vor, reicht es zur Fristwahrung aus, dass
die Umstände, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt, auch noch bis mindestens
zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren (BAG 26. November 2009 -
2 AZR 272/08 - Rn. 15, BAGE 132, 299; 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu C II 2 der
Gründe).
15 b) Im Fall einer lang andauernden - durchgehenden - Arbeitsunfähigkeit liegt ein solcher
Dauertatbestand vor (BAG 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe; 21. Mai 1996 -
2 AZR 455/95 - zu II 1 b bb der Gründe). Der Kündigungsgrund entsteht fortlaufend neu.
Der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist deshalb nicht eindeutig zu fixieren. Selbst
wenn die zum Kündigungsgrund zählende negative Prognose zeitlich näher bestimmbar
sein sollte, gilt dies jedenfalls nicht für die weiter erforderliche erhebliche Beeinträchtigung
betrieblicher Interessen (BAG 21. Mai 1996 - 2 AZR 455/95 - zu II 1 b bb der Gründe).
16 c) Auch häufige Kurzerkrankungen können einen Dauertatbestand darstellen (vgl. BAG
27. November 2003 - 2 AZR 601/02 - zu B I 1 b der Gründe; 18. Oktober 2000 - 2 AZR
627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65).
17 aa) Kündigungsgrund ist dabei - wie im Fall einer lang andauernden Erkrankung - nicht
die Erkrankung als solche, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus
resultierende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Sie kann sowohl
auf einer einheitlichen Krankheitsursache als auch auf unterschiedlichen prognosefähigen
Erkrankungen beruhen. Die verschiedenen Erkrankungen können den Schluss auf eine
dauerhafte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative
Prognose begründen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24 f.). Der
Dauertatbestand beginnt in dem Zeitpunkt, zu welchem die bis dahin aufgetretenen
Kurzerkrankungen einen solchen Schluss zum ersten Mal zulassen. Er endet in dem
Zeitpunkt, zu welchem die zurückliegenden Kurzerkrankungen zum ersten Mal eine
entsprechende negative Prognose nicht mehr stützen, die Vergangenheit also nicht mehr
als Prognosegrundlage taugt - etwa weil die letzte Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit so
lange zurückliegt, dass von dauerhafter, durchgehender Krankheitsanfälligkeit nicht mehr
die Rede sein kann. Das Ende des Dauertatbestands tritt folglich nicht schon - gleichsam
retrospektiv - mit dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeit ein, an die sich ein
entsprechend langer Zeitraum ohne Ausfälle anschließt. Es tritt erst mit dem Erreichen
einer ausreichenden Länge eben dieses Zeitraums ein, weil erst dieser die
Prognosetauglichkeit der Vergangenheit beendet.
18 bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt damit die Annahme eines
Dauertatbestands auch dann in Betracht, wenn die Fehlzeiten nicht auf ein und dasselbe
Grundleiden zurückzuführen sind. Aus der Entscheidung des Senats vom 18. Oktober
2000 (- 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65) ergibt sich nichts anderes. Dort
heißt es, bei einer „noch dazu auf demselben Grundleiden beruhenden, dauernden
Krankheitsanfälligkeit“ liege ein Dauertatbestand vor. Das bedeutet nicht, dass ein
einheitliches Grundleiden zwingende Voraussetzung für die Annahme eines solchen
Tatbestands wäre. Ebenso wenig besteht ein Widerspruch zur Senatsentscheidung vom
9. September 1992 (- 2 AZR 190/92 - dort zu II 4 der Gründe). Zwar war dort die
außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Vorlage einer bis dahin
letzten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erklärt worden und wurde die Frist des § 626
Abs. 2 BGB mit dieser Begründung als gewahrt angesehen. Ob davon nicht zudem
aufgrund des Vorliegens eines Dauertatbestands hätte ausgegangen werden können,
wurde aber nicht erörtert. Die Entscheidung handelt dementsprechend von einer
hinreichenden, nicht von einer notwendigen Bedingung.
19 d) Da der Arbeitnehmer in den Fällen häufiger Kurzerkrankungen typischerweise über
einen längeren Zeitraum hinweg teilweise gesund, teilweise arbeitsunfähig erkrankt ist,
kommt es für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht darauf an, ob der
Arbeitnehmer bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung - zufällig -
arbeitsunfähig war. Maßgebend ist vielmehr allein, ob der Kündigungsgrund, dh. die auf
der fortbestehenden Krankheitsanfälligkeit beruhende negative Prognose sowie die sich
daraus ergebende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen, noch bis
mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung fortbestanden hat. Eine
Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit steht dem nicht zwangsläufig entgegen. Der
Dauertatbestand endet erst, wenn der Kündigungsgrund als solcher entfällt.
20 e) Liegt ein Dauertatbestand vor, beginnt die Ausschlussfrist nicht einmalig, sobald der
Arbeitgeber - erstmals - Kenntnis von der für den Kündigungsentschluss relevanten
negativen Prognose und den daraus resultierenden erheblichen Beeinträchtigungen
betrieblicher Interessen hat. Die Frist beginnt vielmehr fortlaufend neu.
21 aa) Zu den für den Kündigungsentschluss maßgebenden Tatsachen, auf deren Kenntnis §
626 Abs. 2 Satz 2 BGB für den Fristbeginn abstellt, gehören nicht nur die
krankheitsbedingten Fehlzeiten und die aus ihnen folgenden erheblichen
Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen, sondern auch deren - zunehmende - Dauer
(KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 327; aA APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB
Rn. 138; KDZ/Däubler 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 215). Andernfalls würde der Arbeitgeber zur
möglichst frühzeitigen Erklärung der Kündigung angehalten. Dies liefe den Interessen des
Arbeitnehmers zuwider. Es würde den Bestandsschutz des ordentlich unkündbaren
Arbeitnehmers schmälern und nicht - wie durch den Ausschluss der ordentlichen
Kündigung bezweckt - verbessern (vgl. BAG 21. März 1996 - 2 AZR 455/95 - zu II 1 b bb
der Gründe).
22 bb) Sinn und Zweck von § 626 Abs. 2 BGB stehen dem nicht entgegen. Die Vorschrift ist
ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand. Ihr Ziel ist es, dem Arbeitnehmer
rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen bestimmten
Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt (BAG 25. November
2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15; 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 23). In Fällen
krankheitsbedingter Fehlzeiten besteht ein solches Interesse an schneller Klärung nicht.
Im Gegenteil dient es den Belangen des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die weitere
Entwicklung beobachtet und mit einer möglichen Kündigung noch zuwartet, um die
Chance einer Prognoseänderung offen zu halten (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626
BGB Rn. 327). Der Arbeitnehmer hat in einer solchen Situation keinen berechtigten Anlass
zu der Annahme, der Arbeitgeber werde aus der andauernden negativen Prognose und
den fortbestehenden betrieblichen Beeinträchtigungen auch künftig keine
arbeitsrechtlichen Konsequenzen herleiten.
23 cc) Im Streitfall gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Beklagte der Klägerin am
9. Dezember 2011 mitgeteilt hat, sie „habe nunmehr abschließend entschieden“, das
Arbeitsverhältnis zu kündigen. Die Erklärung ändert nichts daran, dass sich auch dann der
Kündigungsgrund, sollte er bestehen, fortlaufend neu verwirklicht. Im Übrigen gibt das
Schreiben inhaltlich keinen Anlass zu der Annahme, die Beklagte werde nach Ablauf
weiterer zwei Wochen aus den krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin keine
arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr ziehen. Aus dem gleichzeitig unterbreiteten und
bis zum 6. Januar 2012 aufrecht erhaltenen Auflösungsangebot konnte die Klägerin
ersehen, dass die Beklagte vor diesem Zeitpunkt eine Kündigung nicht erklären würde.
Dem Hinweis darauf, der Vorsitzende des Personalrats sei vorab informiert worden, ist
nicht zu entnehmen, dass die Beklagte das förmliche Mitbestimmungsverfahren bereits
eingeleitet hätte. Da die Beklagte den Personalrat bereits am 16. Januar 2012 um
Zustimmung zur nunmehr beabsichtigten Kündigung ersucht hat, durfte die Klägerin auch
nach dem Ablauf der Frist zur Annahme des Angebots am 6. Januar nicht darauf
vertrauen, die Beklagte werde von einer Kündigung Abstand nehmen.
24 f) Ob im Streitfall der Kündigungsgrund - eine berechtigte negative Prognose - noch bis
zwei Wochen vor Zugang der Kündigung vorgelegen hat, kann der Senat nicht
abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat dazu - aus seiner Sicht
folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
25 2. Die Revision ist gleichwohl zurückzuweisen. Die Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die
Kündigung ist unwirksam, da es selbst auf der Grundlage des als wahr unterstellten
Vortrags der Beklagten an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB fehlt.
26 a) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB
sein. Grundsätzlich ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist
zuzumuten, und schon an eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit ist ein
strenger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in eng
begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund
tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist (BAG
20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu II 3 der
Gründe, BAGE 96, 65).
27 b) Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen
Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im
Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer
Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der
Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen -
erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine
krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen
Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben
Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende,
einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende
Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen - zweite Stufe. Ist
dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese
Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden
müssen - dritte Stufe (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361;
23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 18).
28 c) Bei einer außerordentlichen Kündigung ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei
Stufen erheblich strenger. Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an
eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 -
zu II 4 b der Gründe). Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich aus ihnen ergebende
Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß
hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte. Es
bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Ein
solches ist gegeben, wenn zu erwarten steht, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses - ggf. über Jahre hinweg - erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen
hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüberstände (vgl. BAG
12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 27; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 4 c cc der
Gründe). Auch können Häufigkeit und Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten im
Einzelfall dazu führen, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und
verlässlich geplant werden kann und dieser damit zur Förderung des Betriebszwecks
faktisch nicht mehr beiträgt (vgl. BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 4 c bb der
Gründe). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnisses
kann dem Arbeitgeber auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers
unzumutbar sein (vgl. BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 27; 18. Januar 2001 -
2 AZR 616/99 - zu II 4 c cc der Gründe).
29 d) Danach ist der Beklagten auch auf der Basis ihres eigenen Vorbringens die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.
30 aa) Die Beklagte hat vorgetragen, aufgrund der - im Einzelnen bezeichneten - erheblichen
krankheitsbedingten Fehlzeiten in den vergangenen mehr als zehn Jahren sei auch in
Zukunft damit zu rechnen, dass die Klägerin in erheblichem Maße krankheitsbedingt
fehlen werde. Die den Fehlzeiten in der Vergangenheit zugrunde liegenden Erkrankungen
seien nicht ausgeheilt. Jedenfalls bestehe eine „generelle Anfälligkeit“ der Klägerin für
bestimmte Erkrankungen. In den Jahren von 2006 bis 2011 habe sie - die Beklagte -
insgesamt mehr als 34.000,00 Euro an Entgeltfortzahlung geleistet. Die Fehlzeiten der
Klägerin hätten überdies zu Betriebsablaufstörungen geführt. Aufgrund der Ungewissheit,
ob und wie lange die Klägerin krankheitsbedingt ausfallen würde, habe sie keine
Vertretungskräfte einstellen können. Die Vertretung habe von den übrigen Kollegen
übernommen werden müssen. Diese seien dadurch einer auf Dauer nicht zu
bewältigenden Arbeitsbelastung ausgesetzt gewesen. Das habe zu einer Verzögerung der
Grabpflegearbeiten und in der Folge zu Kundenbeschwerden geführt.
31 bb) Die dargelegten Umstände genügen den Anforderungen an das Vorliegen eines
wichtigen Grundes nicht.
32 (1) Der von der Beklagten vorgetragene Verlauf der krankheitsbedingten Fehlzeiten
rechtfertigt nicht die Prognose, die Klägerin werde künftig im gleichen Maße fehlen wie in
den vergangenen mehr als zehn Jahren. In dem - als Grundlage für eine Prognose
geeigneten - Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung sind deren Ausfallzeiten
deutlich zurückgegangen (zur Relevanz steigender, gleichbleibender oder fallender
Fehlzeiten vgl. BAG 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B II 2 a der Gründe). Sie
betrugen 19, 67 und 55 Arbeitstage. Dies entspricht bei einer Vier-Tage-Woche einer
durchschnittlichen jährlichen Fehlzeit von 11,75 Wochen. Anhaltspunkte dafür, dass die
Ausfallzeiten künftig wieder ansteigen könnten, hat die Beklagte nicht dargelegt.
Tatsächlich war die Klägerin nach dem 19. Dezember 2011 bis zum Zugang der
Kündigung am 28. März 2012 nicht mehr arbeitsunfähig krank. Die fallende Tendenz der
krankheitsbedingten Fehlzeiten wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin nach Zugang der
Kündigung noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist durchgehend arbeitsfähig war. Dies
ist zwar nicht entscheidend. Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung kommt
es auf den Zeitpunkt ihres Zugangs an. Es ist aber - insbesondere, wenn dem
Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt - nicht unzulässig, die spätere
Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie - wie hier - die Prognose bestätigt (BAG
13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu III der Gründe; vgl. für den Fall der betriebsbedingten
Kündigung BAG 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 109,
40).
33 (2) Die künftig zu erwartenden Fehlzeiten der Klägerin führen auch dann nicht zu einer
unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Beklagten, wenn diese für sämtliche
Krankheitszeiten das Entgelt fortzahlen müsste. Der Jahreslohnsumme auf Seiten der
Beklagten steht nach wie vor eine nennenswerte Arbeitsleistung auf Seiten der Klägerin
gegenüber. Das gilt nicht nur mit Blick auf mögliche Fehlzeiten von 11,75 Wochen pro
Jahr. Das Arbeitsverhältnis wäre auch dann noch nicht „sinnentleert“, wenn künftig
Fehlzeiten in dem von der Beklagten prognostizierten Umfang von jährlich 18,81 Wochen
einträten. Auch in diesem Fall wäre die Klägerin noch zu fast zwei Dritteln ihrer
Jahresarbeitszeit arbeitsfähig. Der Vortrag der Beklagten lässt zudem nicht erkennen,
dass die prognostizierten Fehlzeiten zu nicht mehr hinnehmbaren
Betriebsablaufstörungen führen werden. Die Klägerin kann den weitaus größeren Teil des
Jahres sinnvoll eingesetzt werden. Der Umstand, dass die möglichen Ausfallzeiten zu
Vertretungsbedarf und ggf. zu Verzögerungen im Betriebsablauf führen, ist nicht
außergewöhnlich. Dies liegt in der Natur der Sache und macht als solches der Beklagten
die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.
34 (3) Im Übrigen müsste auch eine Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausfallen.
Zwar wäre auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen, dass diese über einen Zeitraum
von mehr als zehn Jahren erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten der Klägerin
hingenommen hat, ohne eine Kündigung in Erwägung zu ziehen. Sie hat zudem durch
zahlreiche Krankengespräche und die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes versucht,
zu einer Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin beizutragen.
Gleichwohl überwiegen die Belange der Klägerin. Ihrer Betriebszugehörigkeit von mehr
als drei Jahrzehnten, ihrem Alter von seinerzeit 52 Jahren und den mit beidem
verbundenen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt käme erhebliches Gewicht zu. Wenn
ferner berücksichtigt würde, dass die Fehlzeiten der Klägerin in den letzten drei Jahren vor
Zugang der Kündigung deutlich zurückgegangen sind, vermöchten die Belange der
Beklagten das Interesse der Klägerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht zu
überwiegen.
35 3. Ob die Kündigung nicht nur mangels wichtigen Grundes, sondern auch aufgrund von
Mängeln in der Beteiligung des Personalrats unwirksam ist, bedarf keiner Entscheidung.
36 II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er
ist als Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur Erledigung des Rechtsstreits zu verstehen.
Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.
37 III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Kreft
Rachor
Kreft
Beckerle
B. Schipp