Urteil des BAG vom 31.08.2010

Verweisungsbeschluss ohne Gründe - Insolvenzanfechtung - Inkongruenz

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluß vom 31.8.2010, 3 ABR 139/09
Verweisungsbeschluss ohne Gründe - Insolvenzanfechtung - Inkongruenz
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des
Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. September 2009 - 9 TaBV 58/09 -
wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller vom Beteiligten zu 2) im Wege der
Insolvenzanfechtung die Rückzahlung einer im Zusammenhang mit der Ausbringung einer
Pfändung in ein Bankkonto erlangten Geldleistung an die Masse verlangen kann.
2 Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der T GmbH. Bei dieser bestand ein
Betriebsrat. Eines seiner Mitglieder nahm an einer Schulungsveranstaltung des zu 2) beteiligten
Anfechtungsgegners teil. Da die Insolvenzschuldnerin die Kosten der Schulungsteilnahme nicht
zahlte, machte der Anfechtungsgegner diese Kosten aus abgetretenem Recht im
arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geltend. Er setzte seine Forderung nach Obsiegen in
zwei Instanzen im Wege der Zwangsvollstreckung durch.
3 Ebenfalls aus abgetretenem Recht des Betriebsratsmitglieds machte der Anfechtungsgegner
sodann die durch dieses Beschlussverfahren entstandenen Anwaltskosten in einem weiteren
Beschlussverfahren geltend. Die Insolvenzschuldnerin wurde verpflichtet, dem
Anfechtungsgegner 437,58 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Aufgrund dieses Titels ließ der
Anfechtungsgegner der Postbank, bei der die Insolvenzschuldnerin ein Konto führte, unter dem
21. März 2007 ein vorläufiges Zahlungsverbot zustellen. Gleichzeitig beantragte er den Erlass
eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hinsichtlich der Forderungen der
Insolvenzschuldnerin aus der laufenden Kontoverbindung. Am 4. April 2007 teilte die Postbank
dem Anfechtungsgegner mit, die Insolvenzschuldnerin sei zur Zahlung bereit. Unter dem 12. April
2007 erfolgte eine Überweisung in Höhe von 563,53 Euro an den Anfechtungsgegner. Der
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erging am 16. April 2007. Auf Antrag vom 9. Mai 2007
eröffnete das Amtsgericht am 1. August 2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin und bestellte den Antragsteller zum Insolvenzverwalter. Von finanziellen
Schwierigkeiten der Insolvenzschuldnerin erfuhr der Anfechtungsgegner erstmals zu einem
späteren Zeitpunkt.
4 Der Insolvenzverwalter hat die Auffassung vertreten, der Masse stehe ein Anspruch auf
Rückzahlung des ausgezahlten Betrages in Höhe von 563,53 Euro zu. Die Voraussetzungen einer
Anfechtung nach § 131 InsO lägen vor, da der Anfechtungsgegner durch die im Hinblick auf die
drohende Zwangsvollstreckung erfolgte Zahlung eine inkongruente Deckung erlangt habe.
Anfechtbar seien sowohl das durch die Pfändung erlangte Pfandrecht als auch die tatsächlich
durchgeführte Zahlung. Er habe zudem Anspruch auf Zinsen ab Eröffnung des
Insolvenzverfahrens in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
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5 Der Insolvenzverwalter hat sinngemäß beantragt,
dem Anfechtungsgegner aufzugeben, an ihn 563,53 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. August 2007 zu zahlen.
6 Der Anfechtungsgegner hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
7 Er hat die Auffassung vertreten, ein Fall der inkongruenten Deckung liege nicht vor. Im Wege der
Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheiten oder Befriedigungen seien nicht inkongruent.
8 Der Insolvenzverwalter hat zunächst Klage zum Amtsgericht erhoben. Das Amtsgericht hat den
Rechtsstreit mit einem am 11. Juli 2008 verkündeten, nicht angefochtenen Beschluss wegen der
„sachlichen“ Zuständigkeit „gemäß § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG“ an das Arbeitsgericht verwiesen. Die
Unterschrift des Richters befindet sich unter dem Beschlusstenor. Hinsichtlich der Begründung
des Beschlusses ist auf eine nicht unterzeichnete Anlage Bezug genommen. So wurde der
Beschluss den Beteiligten als Parteien des zivilgerichtlichen Verfahrens auch zugestellt. Das
Arbeitsgericht hat das Verfahren zunächst als Urteilsverfahren geführt, es jedoch durch ebenfalls
nicht angegriffenen Beschluss vom 11. November 2008 in das arbeitsgerichtliche
Beschlussverfahren verwiesen. Es hat sodann den Zahlungsantrag abgewiesen. Auf die
Beschwerde des Insolvenzverwalters hat ihm das Landesarbeitsgericht stattgegeben. Mit seiner
Rechtsbeschwerde verfolgt der Anfechtungsgegner weiter das Ziel der Abweisung des Antrags.
Der Insolvenzverwalter begehrt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
9 B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
10 I. Prozessuale Hindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen.
11 1. Nachdem das Amtsgericht den Rechtsstreit durch nicht angefochtenen Beschluss an das
Arbeitsgericht verwiesen hat, ist die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für
Arbeitssachen im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr zu überprüfen (§ 93 Abs. 2, § 65
ArbGG).
12 a) Der Beschluss des Amtsgerichts ist rechtswirksam, obwohl er entgegen § 48 Abs. 1 ArbGG,
§ 17a Abs. 4 Satz 2 GVG keine Gründe enthält. Der erkennende Richter hat lediglich den Tenor
des Beschlusses unterzeichnet, nicht jedoch die Gründe. Diese sind dem Beschluss nur als nicht
unterzeichnete Anlage beigefügt. Durch die Anheftung der Gründe an den Beschluss ist nicht
sichergestellt, dass sie von der Unterschrift des entscheidenden Richters gedeckt sind. Sie sind
deshalb nicht als Teil des Beschlusses zu behandeln (vgl. für den gleich gelagerten Fall der
Rechtsmittelbelehrung: BAG 30. September 1998 - 5 AZR 690/97 - zu I der Gründe, AP BBiG § 10
Nr. 8 = EzA BBiG § 10 Nr. 4). Dieser Verfahrensfehler führt jedoch nicht zur Nichtigkeit, sondern
allenfalls zur Anfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. zB OLG Nürnberg 25. Januar 2001 - 4 W
4558/00 - MDR 2001, 893).
13 b) Da der Verweisungsbeschluss nicht angefochten wurde, ist nicht zu prüfen, ob für
Rechtsstreitigkeiten, die die Insolvenzanfechtung von Leistungen arbeitsrechtlicher Art zum
Gegenstand haben, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist (§ 93 Abs. 2, §
65 ArbGG; vgl. zur Anfechtung von Vergütungszahlungen BAG 27. Februar 2008 - 5 AZB 43/07 -
BAGE 126, 117 sowie 31. März 2009 - 5 AZB 98/08 - ZIP 2009, 831 einerseits und BGH 2. April
2009 - IX ZB 182/08 - AP ArbGG 1979 § 3 Nr. 10 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 73 andererseits,
dazu wiederum: BAG 15. Juli 2009 - GmS-OGB 1/09 - AP ArbGG 1979 § 3 Nr. 9 = EzA ArbGG
1979 § 2 Nr. 74).
14 2. Nachdem das Arbeitsgericht die Sache in das Beschlussverfahren verwiesen hat, ist auch nicht
mehr zu prüfen, ob das Beschlussverfahren die richtige Verfahrensart ist (§ 93 Abs. 2, § 65
ArbGG).
15 II. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Insolvenzverwalters unter Abänderung des
arbeitsgerichtlichen Beschlusses zu Recht stattgegeben. Der Insolvenzverwalter hat nach § 143
Abs. 1 Satz 1 iVm. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO Anspruch auf Rückzahlung des an den
Anfechtungsgegner geleisteten Betrages an die Masse. Die geleistete Zahlung ist als inkongruente
Deckung anfechtbar.
16 1. Eine durch Zwangsvollstreckung oder Drohung mit Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit
oder Befriedigung ist wegen der damit verbundenen Inanspruchnahme staatlichen Zwangs eine
Sicherung oder Befriedigung, die der Gläubiger „nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit“ zu
beanspruchen hatte und damit inkongruent iSv. § 131 Eingangssatz InsO. Sie ist deshalb unter
den in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Vorschrift genannten Voraussetzungen anfechtbar. Dies entspricht
der inzwischen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa 9. September 1997
- IX ZR 14/97 - BGHZ 136, 309; 11. April 2002 - IX ZR 211/01 - zu II 2 der Gründe, NJW 2002,
2568).
17 a) Nach dieser Rechtsprechung wird das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende
Prioritätsprinzip durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt,
wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des
Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe
hoheitlicher Zwangsmaßnahmen eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen
fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück (BGH
11. April 2002 - IX ZR 211/01 - zu II 2 a der Gründe, NJW 2002, 2568). Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs seit dem Urteil vom 9. September 1997 (- IX ZR 14/97 - BGHZ 136, 309)
verdrängt § 131 InsO bereits in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger.
Rechtshandlungen, die während des von dieser Vorschrift erfassten Zeitraums auf hoheitlichem
Zwang beruhen, können danach nicht mit der Erwägung als kongruent angesehen werden, dem
Anfechtungsgegner habe ein fälliger Anspruch zugestanden, für den die Rechtsordnung das
Instrumentarium der Einzelzwangsvollstreckung zur Verfügung stelle (BGH 11. April 2002 - IX ZR
211/01 - zu II 2 b der Gründe, aaO). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es
für die Anfechtbarkeit nicht darauf an, ob die Zwangsvollstreckung bereits begonnen hat. Vielmehr
ist eine Sicherung oder Befriedigung auch dann inkongruent, wenn diese unter dem Druck einer
unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung gewährt wurde (11. April 2002 - IX ZR 211/01 - zu
II 2 c der Gründe, aaO).
18 b) Es kann dahinstehen, ob es sich bei dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst
- soweit sie die durch (Drohung mit) Zwangsvollstreckung erlangte Erfüllung betrifft - um
gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung (zu Begriff und Voraussetzungen BAG
7. Juli 2010 - 4 AZR 549/08 - Rn. 38 mwN, NZA 2010, 1068) gehandelt hat (verneinend BGH
15. Mai 2003 - IX ZR 194/02 - zu II 1 der Gründe, NJW-RR 2003, 1201; vgl. auch LG Köln 21. Juli
2010 - 13 S 89/10 - mwN, ZIP 2010, 2060). Diese Rechtsprechung ist jedenfalls zwischenzeitlich
durch das Gesetzgebungsverfahren des Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom
26. März 2007 (BGBl. I S. 368) legitimiert.
19 aa) § 131 InsO wurde „in Anlehnung“ an das Konkursrecht geschaffen (BT-Drucks. 12/2443
S. 158; abweichend insoweit der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht aus dem Jahre
1985, Leitsatz 5.2.2). Nach der Rechtsprechung zu der in den maßgeblichen Teilen im
Wesentlichen gleichlautenden Vorgängerregelung in § 30 Nr. 2 KO wurden nur im Wege der
Zwangsvollstreckung erlangte Sicherungen als inkongruente Deckung angesehen, nicht jedoch die
durch Zwangsvollstreckung erlangte Erfüllung, sofern diese nicht durch die Verwertung anfechtbar
erlangter Sicherungsrechte erfolgte (vgl. etwa BGH 26. Februar 1969 - VIII ZR 41/67 - zu 3 b der
Gründe, MDR 1970, 41).
20 Diese Rechtsprechung beruhte wesentlich auf einem Urteil der Vereinigten Zivilsenate des
Reichsgerichts vom 6. Dezember 1883 (- II 213/83 - RGZ 10, 33). Unter Berücksichtigung der
Entstehungsgeschichte der Konkursordnung haben die Vereinigten Zivilsenate dabei
angenommen, eine „Rechtshandlung“ iSd. Vorgängerregelung zu § 131 InsO sei nicht nur eine
solche des Gemeinschuldners, sondern auch eine solche Dritter, etwa von
Vollstreckungsgläubigern. Damit wurde zugleich der § 141 InsO entsprechenden Bestimmung der
KO Rechnung getragen. Die Anfechtung war somit nicht deshalb ausgeschlossen, weil der
Gläubiger über einen vollstreckungsfähigen Titel verfügte. Ein Titel wirkte vielmehr
anfechtungsrechtlich neutral und die Zwangsvollstreckung als solche führte nicht zur Erweiterung
von Anfechtungsmöglichkeiten.
21 Demgegenüber subsumierte der Bundesgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung vom
9. September 1997 (- IX ZR 14/97 - BGHZ 136, 309; aA BAG 17. Juni 1997 - 9 AZR 753/95 - zu
II 2 a bb der Gründe, AP KO § 106 Nr. 1 = EzA KO § 106 Nr. 1), die nach Erlass, aber vor
Inkrafttreten der Insolvenzordnung noch zur Konkursordnung erging, die Zwangsvollstreckung
nicht mehr nur unter das Tatbestandsmerkmal „Rechtshandlung“ iSd. Anfechtungsrechts bei
inkongruenter Deckung mit der Folge, dass sie grundsätzlich zu einer Anfechtung führen kann.
Vielmehr nahm er nunmehr an, die Inanspruchnahme des gesetzlich vorgesehenen staatlichen
Zwangs sei stets etwas, das der Gläubiger im Sinne der weiteren Tatbestandsvoraussetzung für
eine inkongruente Deckung „nicht in dieser Art“ zu beanspruchen habe; damit unterliege auch die
mit Hilfe der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung den Regeln über die Anfechtung wegen
inkongruenter Deckung.
22 bb) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 131 InsO hat im Gesetzgebungsverfahren
des Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge eine Bestätigung erfahren und ist
jedenfalls deshalb legitimiert.
23 Diesem Gesetz liegt der Entwurf eines „Gesetz(es) zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und
zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung“ der Bundesregierung zugrunde (BT-Drucks.
16/886 S. 5). Art. 2 des Entwurfs enthielt Vorschriften, die die Insolvenzanfechtung erschwert
hätten. Nr. 4 sah die Ergänzung des § 131 Abs. 1 InsO durch einen weiteren Satz vor, nach dem
eine Rechtshandlung „nicht allein dadurch zu einer solchen nach Satz 1“ wird, dass „der Gläubiger
die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangt“. In der Begründung dieses
Entwurfs äußerte die Bundesregierung dabei Zweifel an der von der Rechtsprechung
vorgenommenen Auslegung der insolvenzrechtlichen Vorschriften, wonach eine in der „Krise“
durch Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung inkongruent sein soll (BT-
Drucks. 16/886 S. 12). Die geplanten Änderungen des Rechts der Insolvenzanfechtung sind
aufgrund einer bewussten Entscheidung im parlamentarischen Verfahren jedoch nicht Gesetz
geworden, weil sie als mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung nicht vereinbar
angesehen wurden (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestags, BT-Drucks. 16/3844 S. 11). Wird in dieser Weise eine höchstrichterliche
Rechtsprechung in einem Gesetzgebungsverfahren, das mit einem Gesetzesbeschluss endet,
bestätigt, schafft dies eine Legitimation dafür, diese Rechtsprechung aufrechtzuerhalten (vgl. BAG
12. Dezember 2006 - 3 AZR 716/05 - Rn. 35, AP BetrAVG § 1 Berechnung Nr. 32 = EzA BetrAVG
§ 1 Nr. 88; für die hier in Frage stehende Problematik ebenso LG Köln 21. Juli 2010 - 13 S 89/10 -
Juris-Rn. 23 f., ZIP 2010, 2060).
24 An dieser Schlussfolgerung ist der Senat nicht durch das Urteil des Neunten Senats des
Bundesarbeitsgerichts vom 17. Juni 1997 (- 9 AZR 753/95 - AP KO § 106 Nr. 1 = EzA KO § 106
Nr. 1) gehindert. Diese Entscheidung erging vor dem die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
bestätigenden Gesetzgebungsverfahren. Sie betraf deshalb eine andere Rechtslage.
25 c) Gegen die Annahme, eine unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder
Befriedigung sei inkongruent, bestehen auch sonst keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
26 aa) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht dadurch verletzt, dass lediglich die
Erfüllung mit Hilfe oder durch Androhung der Zwangsvollstreckung, nicht jedoch die freiwillige
Erfüllung von Forderungen durch den späteren Insolvenzschuldner die Anfechtbarkeit begründet.
Für die Ungleichbehandlung bestehen ausreichende Differenzierungsgründe. Der der
Insolvenzordnung zugrunde liegende Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1
InsO) setzt notwendig voraus, einen Zeitpunkt festzulegen, zu dem das die
Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip, wie es zB in § 804 Abs. 3 ZPO
Ausdruck findet, zurückzutreten hat. Es ist also zu bestimmen, wie lange der Staat seine
Zwangsmittel zur Verfügung stellt, um Sicherungen und Befriedigungen zu ermöglichen, die einer
gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung entgegenstehen. Mit der erleichterten Anfechtbarkeit werden
zudem im Zeitpunkt materieller Insolvenz, die an sich eine Anwendung des Grundsatzes der
gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung erfordert, aus der Vollstreckungsmöglichkeit resultierende
Sondervorteile beseitigt (vgl. hierzu bereits BGH 9. September 1997 - IX ZR 14/97 - zu II 1 der
Gründe, BGHZ 136, 309). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es von Zufälligkeiten -
beispielsweise im gerichtlichen Verfahren - abhängt, ob ein Gläubiger bereits einen
vollstreckbaren Titel erlangen konnte oder nicht.
27 bb) Es liegt auch kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie in Art. 14 GG, sondern eine zulässige
Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums vor.
28 d) Entgegen der Rechtsbeschwerde gebieten auch arbeitsrechtliche Besonderheiten keine
abweichende Beurteilung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren bestehen zwar Abweichungen vom
Verfahren der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit. Dies betrifft die Kostentragungspflicht für den
eigenen Bevollmächtigten in erster Instanz (§ 12a ArbGG) oder den Ausschluss der prozessualen
Möglichkeit der Kostenfestsetzung im Beschlussverfahren (dazu BAG 2. Juni 2008 - 3 AZB
24/08 - Rn. 11, AP ArbGG 1979 § 85 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 23 Nr. 2). Auf derartige
Besonderheiten kommt es jedoch nach der Konzeption der Insolvenzordnung, der der Grundsatz
der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zugrunde liegt, nicht an.
29 2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen inkongruenter Deckung nach
§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Der Anfechtungsgegner hat die erlangte Zahlung verzinst der Masse
zuzuführen.
30 a) Die Insolvenzschuldnerin hat die angefochtene Leistung bewirkt, nachdem der
Anfechtungsgegner eine Vorpfändung ausgebracht und damit das Verfahren der
Zwangsvollstreckung eingeleitet hatte. Da die Zahlung innerhalb eines Monats vor dem Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag, ist sie - ohne dass weitere Voraussetzungen vorliegen
müssten - nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar.
31 Die Zahlung ist auch nicht aufgrund eines Pfandrechts erfolgt, das seinerseits anfechtungs- und
auch sonst insolvenzfest gewesen wäre, so dass mangels Gläubigerbenachteiligung die
Anfechtbarkeit der Befriedigung ausgeschlossen wäre (§ 129 Abs. 1, § 47 InsO; vgl. dazu BGH
21. März 2000 - IX ZR 138/99 - zu II 2 der Gründe, DB 2000, 1660). Für die Beurteilung der
Anfechtbarkeit einer durch einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlangten Sicherheit
kommt es nicht auf die Vorpfändung, sondern auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss an
(vgl. BGH 23. März 2006 - IX ZR 116/03 - BGHZ 167, 11). Dieser wurde erst im letzten Monat vor
dem Antrag auf Insolvenzeröffnung erlassen und wurde deshalb innerhalb des in § 88 InsO
genannten Zeitraums zugestellt. Die durch ihn erlangte Sicherheit wurde daher mit
Verfahrenseröffnung unwirksam.
32 b) Die vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz ab Insolvenzeröffnung stehen der Masse nach § 143 Abs. 1 Satz 2
InsO iVm. § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 291 BGB zu (BGH 1. Februar 2007 - IX ZR 96/04 - Rn. 11
ff., BGHZ 171, 38).
Gräfl
Zwanziger
Schlewing
Stemmer
Heuser