Urteil des BAG vom 16.11.2011

Leistungsbeurteilung nach § 7 Ziff 2 ERA-TV für die bayerische Metall- und Elektroindustrie - Regelungssperre des § 77 Abs 3 Satz 1 BetrVG

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 16.11.2011, 7 ABR
27/10
Leistungsbeurteilung nach § 7 Ziff 2 ERA-TV für die bayerische Metall- und Elektroindustrie -
Regelungssperre des § 77 Abs 3 Satz 1 BetrVG
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Landesarbeitsgerichts München vom 25. Februar 2010 - 3 TaBV 104/09 -
wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung einer
Betriebsvereinbarung.
2 Die Arbeitgeberin ist aufgrund ihrer Verbandsmitgliedschaft an den
Entgeltrahmentarifvertrag für die bayerische Metall- und Elektroindustrie vom 1. November
2005 (ERA-TV) gebunden. Antragsteller ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.
3 Der ERA-TV legt für das Grundentgelt die Eingruppierung der Arbeitnehmer in einer
Entgeltgruppe fest (vgl. § 2 Ziff. 1 ERA-TV). Es sind zwölf Entgeltgruppen vorgesehen (vgl.
§ 3 ERA-TV). Daneben enthält der ERA-TV in seinem Abschnitt III Bestimmungen über die
Zahlung eines leistungsabhängigen Entgelts, mit dem eine über der Bezugsleistung
liegende Leistung abgegolten wird (vgl. § 6 Ziff. 1 Satz 3 ERA-TV). Das Leistungsergebnis
ist bei Zeitentgelt mit der Methode der Leistungsbeurteilung zu ermitteln (vgl. § 6 Ziff. 2
Satz 1 Buchst. a). Die Bestimmungen des ERA-TV zur Leistungsbeurteilung haben
auszugsweise folgenden Wortlaut:
Zeitentgelt
§ 7 Leistungsbeurteilung
2.
Bei Neueingestellten bzw. aus dem Berufsausbildungsverhältnis
Übernommenen erfolgt die Leistungsbeurteilung spätestens zum Ablauf des
3. Monats nach der Einstellung bzw. der Übernahme. Diese Frist kann in
den Entgeltgruppen 6 bis 12 durch freiwillige Betriebsvereinbarung bis zum
Ablauf des 6. Monats verlängert werden.
9.
Bei Übernahme einer höherwertigen Tätigkeit und entsprechender
Höhergruppierung erfolgt eine neue Leistungsbeurteilung analog Ziff. 2. Bis
zur Neufestsetzung der Leistungszulage ist der bisherige Geldbetrag weiter
zu gewähren.“
4 Am 9. Januar 2007 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung
„Leistungsabhängiges Entgelt“ (BV). Darin ist ua. bestimmt:
„3
(5) Bei Neueingestellten bzw. aus dem Berufsausbildungsverhältnis
Übernommenen erfolgt die Leistungsbeurteilung grundsätzlich zum
Ablauf des 3. Monats der Einstellung bzw. Übernahme. In den
Entgeltgruppen 6 bis 12 erfolgt die Leistungsbeurteilung abweichend
von Satz 1 zum Ablauf des 6. Monats der Einstellung bzw.
Übernahme.
(6) ... (Satz 3) Die Erstbeurteilung im Rahmen der Einführung des ERA-
Tarifvertrages erfolgt bis spätestens 31. Mai 2007.“
5 Im Fall der Höhergruppierung von Arbeitnehmern in die Entgeltgruppen 6 bis 12 des ERA-
TV erstellt die Arbeitgeberin - zumindest gelegentlich - Leistungsbeurteilungen vor Ablauf
von sechs Monaten nach der Umgruppierung.
6 Der Betriebsrat hat in dem von ihm beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren
die Ansicht vertreten, die Praxis der Arbeitgeberin, Leistungsbeurteilungen bereits vor
Ablauf von sechs Monaten nach einer Höhergruppierung vorzunehmen, verstoße gegen
Ziff. 3 Abs. 5 BV.
7 Er hat zuletzt beantragt,
1. der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Leistungsbeurteilungen in
den Entgeltgruppen 6 bis 12 des ERA-TV früher als sechs Monate nach einer
Höhergruppierung vorzunehmen;
2. die Arbeitgeberin zu verpflichten, im Falle von Höhergruppierungen die
bisherige Leistungszulage für den Zeitraum von sechs Monaten bis zur neuen
Leistungsbeurteilung gemäß der Betriebsvereinbarung vom 9. Januar 2007
zum leistungsabhängigen Entgelt abzurechnen.
8 Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat gemeint, die
Öffnungsklausel des § 7 Ziff. 2 Satz 2 ERA-TV erlaube nur eine Verlängerung des
Beurteilungszeitraums durch eine Betriebsvereinbarung und keine Festlegung eines
Beurteilungszeitpunkts. Ziffer 3 Abs. 5 BV sei daher unwirksam und trage das vom
Betriebsrat beanspruchte Unterlassungsbegehren nicht.
9 Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die
Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der
Betriebsrat die Anträge weiter. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde
zurückzuweisen.
10 B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das
Landesarbeitsgericht hat zwar rechtsfehlerhaft angenommen, Ziff. 3 Abs. 5 BV sei wegen
Verstoßes gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig
dar, § 561 ZPO. Der zulässige Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist unbegründet. Der
für den Fall des Obsiegens mit dem Unterlassungsbegehren gestellte
Verpflichtungsantrag fällt nicht zur Entscheidung an.
11 I. Das zulässige Unterlassungsbegehren hat keinen Erfolg.
12 1. Der Antrag zu 1. ist zulässig.
13 a) Er ist - nach der gebotenen Auslegung - hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO.
14 aa) Ein Unterlassungsantrag muss - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - eindeutig
erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. Soll der Schuldner zur künftigen
Unterlassung einzelner Handlungen verpflichtet werden, müssen diese so genau
bezeichnet sein, dass kein Zweifel besteht, welche Handlungen im Einzelnen betroffen
sind. Für den Schuldner muss aufgrund des Unterlassungstitels erkennbar sein, welche
Handlungen er künftig zu unterlassen hat, um sich rechtmäßig verhalten zu können (vgl.
BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - Rn. 13 mwN, BAGE 133, 342).
15 bb) Diesen Anforderungen genügt der Antrag zu 1. Der Antrag beschreibt die Maßnahmen,
die die Arbeitgeberin unterlassen soll, mit der Wendung: „Leistungsbeurteilungen in den
Entgeltgruppen 6 bis 12 des ERA-TV früher als sechs Monate nach einer
Höhergruppierung vorzunehmen“. Dies bezieht sich auf die (unstreitige) Praxis der
Arbeitgeberin, nach einer Höhergruppierung von Arbeitnehmern in den Entgeltgruppen 6
bis 12 nach § 3 ERA-TV die die Festsetzung der Leistungszulage bestimmende
Leistungsbeurteilung - zumindest gelegentlich - vor Ablauf von sechs Monaten nach der
Höhergruppierung zu erstellen. Dies beanstandet der Betriebsrat als
betriebsvereinbarungswidrig und hierauf bezieht er sein Unterlassungsbegehren. Damit
steht dessen Gegenstand hinreichend fest. Für die Arbeitgeberin ist erkennbar, was von
ihr verlangt wird: Sie soll sich bei in bestimmte Entgeltgruppen höhergruppierten
Arbeitnehmern einer für die Neufestsetzung der Leistungszulage erforderlichen
Leistungsbeurteilung vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der
Höhergruppierung enthalten. Dass es dabei um die „Leistungsbeurteilung“ nach § 7 ERA-
TV geht, ist nicht zweifelhaft.
16 b) Der Betriebsrat ist antragsbefugt. Er hat geltend gemacht, selbst Träger des
streitbefangenen Rechts zu sein. Nach seinem Vorbringen verfolgt er nicht die
Individualinteressen einzelner Arbeitnehmer, sondern begehrt die Durchsetzung eines von
ihm behaupteten eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Durchführungsanspruchs.
17 2. Der Unterlassungsantrag ist unbegründet. Die Arbeitgeberin verstößt durch die vom
Betriebsrat beanstandete Praxis nicht gegen Ziff. 3 Abs. 5 BV.
18 a) Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung im
Betrieb durchzuführen. Der Betriebsrat hat in diesem Zusammenhang (auch) einen
Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber gegen eine Betriebsvereinbarung verstoßende
Maßnahmen unterlässt (vgl. BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B IV 2 a bb (1) der
Gründe, BAGE 110, 252; 27. Oktober 1998 - 1 ABR 3/98 - zu B I 3 a der Gründe mwN,
BAGE 90, 76). Der Betriebsrat kann die Durchführung einer Betriebsvereinbarung vom
Arbeitgeber unabhängig davon verlangen, ob ein grober Pflichtenverstoß iSv. § 23 Abs. 3
BetrVG vorliegt (BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - aaO).
19 b) Vorliegend fehlt es an einem Verstoß der Arbeitgeberin gegen die einschlägige
Vereinbarung der Betriebsparteien.
20 aa) Dies folgt allerdings nicht aus der vom Landesarbeitsgericht angenommenen
Unwirksamkeit der Ziff. 3 Abs. 5 BV. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zutreffend erkannt,
dass der Betriebsrat vom Arbeitgeber nicht die Durchführung einer tarifvertragswidrigen
Betriebsvereinbarung verlangen könne. Rechtsfehlerhaft nimmt es aber an, dass der für
das Unterlassungsbegehren einzig in Betracht kommenden Bestimmung der Ziff. 3 Abs. 5
BV die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegenstehe.
21 (1) Voraussetzung für den Durchführungsanspruch aus einer Betriebsvereinbarung ist
deren Wirksamkeit. Die Betriebsvereinbarung darf insbesondere nicht gegen § 77 Abs. 3
Satz 1 BetrVG verstoßen. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und
sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise
geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Vorschrift
gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Dazu räumt sie den
Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Diese
Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien
ausgehöhlt werden können. Eine gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1
BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Etwas anderes gilt nach § 77
Abs. 3 Satz 2 BetrVG dann, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender
Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt (vgl. BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu
B II 2 a der Gründe mwN, BAGE 110, 252).
22 (2) Ziffer 3 Abs. 5 BV verstößt nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1
BetrVG.
23 (a) Gegenstand der Betriebsvereinbarungsbestimmung ist keine durch den ERA-TV
geregelte Arbeitsbedingung. Während § 7 Ziff. 2 ERA-TV für die
Leistungsbeurteilungsvornahme einen Zeitraum vorgibt, legt Ziff. 3 Abs. 5 BV hierfür einen
innerhalb dieses Zeitraums liegenden Zeitpunkt fest. Eine solche Zeitpunktfestlegung ist
durch die tarifliche Vorgabe nicht gesperrt.
24 (aa) § 7 Ziff. 2 Satz 1 und Satz 2 ERA-TV legt für die Vornahme der Leistungsbeurteilung
(nur) einen Zeitraum fest, der in bestimmten Entgeltgruppen durch Betriebsvereinbarung
verlängert werden kann. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.
25 (aaa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln (BAG 24. August 2011 - 4 ABR 122/09 - Rn. 15 mwN). Danach ist vom
Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist,
ohne am Buchstaben der Tarifnorm zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortsinn ist der
wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen
Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist dabei stets auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der
Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt
werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die
Gerichte für Arbeitssachen - ohne Bindung an eine Reihenfolge - weitere Kriterien, wie die
Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags oder die praktische Tarifübung, ergänzend
heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu
berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer
vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung
führt (vgl. zB BAG 4. April 2001 - 4 AZR 180/00 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 97, 271).
26 (bbb) Bereits dem Wortlaut nach regelt § 7 Ziff. 2 ERA-TV keine Zeitpunkte, sondern
Zeiträume. Sowohl das Wort „spätestens“ in § 7 Ziff. 2 Satz 1 ERA-TV als auch der Begriff
„Frist“ in § 7 Ziff. 2 Satz 2 ERA-TV deuten auf die Festlegung einer Zeitspanne. Hätten die
Tarifvertragsparteien einen (bestimmten oder bestimmbaren) Termin regeln wollen, an
oder zu dem die Leistungsbeurteilung genau erfolgen soll, hätte es keinen Sinn gemacht,
das Adverb „spätestens“ zu verwenden. Verstärkt wird diese Interpretation durch den
Gebrauch des Worts „verlängern“ in Bezug auf die Frist, vgl. § 7 Ziff. 2 Satz 2 ERA-TV. Ein
Zeitpunkt kann, wie auch das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht verlängert
werden. Ein solcher wird „verschoben“ oder „verlegt“. Schließlich spricht die juristische
Terminologie für eine entsprechende Verwendung der Begrifflichkeiten. Termin iSd. BGB
ist ein bestimmter Zeitpunkt, an dem etwas geschehen soll oder eine Rechtswirkung
eintritt. Bei einer Frist handelt es sich um eine abgegrenzte - bestimmte oder
bestimmbare - Zeitspanne (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 70. Aufl. § 186 Rn. 3 f. mwN).
Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien von diesem grundsätzlichen
Begriffsverständnis abweichen wollten, haben im Tarifvertrag keinen Niederschlag
gefunden. Das Verständnis wird von der Entstehungsgeschichte der Tarifnorm gestützt.
Die Formulierung der Vorgängerregelung des § 7 Ziff. 2 des Lohn- und
Gehaltsrahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer, für die Angestellten und für
die Auszubildenden der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 24. Mai 2002
deutete noch auf eine „Termin“festlegung für die Leistungsbeurteilung („… erfolgt die
Leistungsbeurteilung erstmals zum Ablauf des 3. Monats …“). Nach dem Vorbringen der
Arbeitgeberin haben die Tarifvertragsparteien schon diese Regelung dahingehend
verstanden, dass eine Leistungsbeurteilung grundsätzlich vor Ablauf des 3. Monats
erfolgen dürfe. Jedenfalls hätten sich die Tarifvertragsparteien aber veranlasst gesehen,
mit dem Wortlaut des § 7 Ziff. 2 Satz 1 und Satz 2 ERA-TV die „Fristen“regelung deutlich
zu machen. Diesem Vorbringen ist der Betriebsrat nicht entgegengetreten. Für das
Verständnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung sowie Gesichtspunkte einer
vernünftigen, praktikablen Handhabung. Den Tarifvertragsparteien ging es ersichtlich nicht
darum, einen genauen Termin für die Leistungsbeurteilung zu bestimmen, sondern einen
Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen sie zu erfolgen hat.
27 (bb) Demgegenüber legt die Betriebsvereinbarung in Ziff. 3 Abs. 5 für die
Leistungsbeurteilung keinen Zeitraum, sondern einen Zeitpunkt fest. Dies ergibt deren
Auslegung.
28 (aaa) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge
und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem
durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der
wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu
berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben.
Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der
Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem
sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen
Verständnis der Bestimmung führt (vgl. zuletzt BAG 18. Oktober 2011 - 1 AZR 376/10 -
Rn. 15 mwN).
29 (bbb) Bereits der Wortlaut von Ziff. 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BV drückt deutlich die
Festlegung eines Termins für die Leistungsbeurteilung aus. Abweichend von § 7 Ziff. 2
Satz 1 ERA-TV fehlt bei Ziff. 3 Abs. 5 Satz 1 BV das Wort „spätestens“. Damit wird
deutlich, dass es hier nicht um einen Zeitraum, sondern um einen Zeitpunkt geht. Ziffer 3
Abs. 6 Satz 3 BV zeigt zudem, dass die Betriebsparteien in der Wahl ihrer
Sprachwendungen durchaus differenziert haben. Im Zusammenhang mit der Einführung
des ERA-TV ist in Ziff. 3 Abs. 6 Satz 3 BV bestimmt, dass die Erstbeurteilung „bis
spätestens 31. Mai 2007“ erfolgen soll. Mit der dort gegenüber Ziff. 3 Abs. 5 Satz 1 und
Satz 2 BV anders gewählten Formulierung („bis“) ist kenntlich gemacht, einen Zeitraum
regeln zu wollen. Es hätte nahegelegen, den sprachlichen Ausdruck „bis“ auch für die
Regelung der Ziff. 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BV zu wählen, wenn es den
Betriebsparteien allein um die Festlegung einer Zeitspanne gegangen wäre.
30 (cc) Wegen der unterschiedlichen inhaltlichen Sachregelungen nach § 7 Ziff. 2 ERA-TV
und nach Ziff. 3 Abs. 5 BV greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht
ein. Gegenstand von Ziff. 3 Abs. 5 BV ist nicht etwas, was bereits durch § 7 Ziff. 2 ERA-TV
geregelt wäre. Es handelt sich bei Ziff. 3 Abs. 5 BV insoweit auch nicht etwa um eine
ergänzende Betriebsvereinbarungsbestimmung iSd. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Auf die
Öffnungsklausel des § 7 Ziff. 2 Satz 2 ERA-TV kommt es nicht an. Selbst ohne diese
Öffnungsklausel wäre den Betriebsparteien die Festlegung eines Zeitpunkts für die
Leistungsbeurteilung durch (freiwillige) Betriebsvereinbarung nicht verwehrt, solange der
Zeitpunkt - wie vorliegend - innerhalb der tarifvertraglich festgelegten Zeitspanne liegt.
31 (b) Ziffer 3 Abs. 5 BV betrifft auch keine Arbeitsbedingung, die iSv. § 77 Abs. 3 Satz 1
BetrVG üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt ist. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass
ein Zeitpunkt für das Erstellen der Leistungsbeurteilung typischerweise oder herkömmlich
im einschlägigen Tarifvertrag geregelt worden ist oder geregelt wird. Der ERA-TV enthält
überhaupt keine Regelungen hierzu. Der bis zum Inkrafttreten des ERA-TV geltende Lohn-
und Gehaltsrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer, für die Angestellten und
für die Auszubildenden der bayerischen Metall- und Elektroindustrie legte einen solchen
Termin - jedenfalls im Verständnis der Tarifvertragsparteien - gleichfalls nicht fest. Von
einer Tarifüblichkeit kann daher nicht ausgegangen werden.
32 (c) Auf die Frage, ob die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG deshalb aufgehoben
ist, weil es sich bei Ziff. 3 Abs. 5 BV um Angelegenheiten der erzwingbaren
Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG handeln würde, für die der Tarifvorrang nach § 77
Abs. 3 BetrVG nicht gilt (vgl. dazu BAG GS 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - zu C I der
Gründe, BAGE 69, 134; 24. Januar 1996 - 1 AZR 597/95 - zu I 2 der Gründe, BAGE 82,
89), kommt es daher nicht entscheidend an.
33 bb) Die angefochtene Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig,
§ 561 ZPO. Ziffer 3 Abs. 5 BV vermag den verfahrensgegenständlichen
Unterlassungsanspruch nicht zu begründen. Die Norm bestimmt einen Zeitpunkt für die
Leistungsbeurteilung bei „Neueingestellten bzw. aus dem Berufsausbildungsverhältnis
Übernommenen“, der für diese Arbeitnehmer bei den Entgeltgruppen 6 bis 12 des ERA-TV
anders (später) festgelegt ist. Das Unterlassungsbegehren bezieht sich demgegenüber
allein auf - in bestimmte Entgeltgruppen - höhergruppierte, also nicht „neu eingestellte“
oder „übernommene“ Arbeitnehmer.
34 (1) Ziffer 3 Abs. 5 BV legt nur für die Vornahme der Leistungsbeurteilungen bei neu
eingestellten oder aus dem Berufsausbildungsverhältnis übernommenen Arbeitnehmern
einen Zeitpunkt fest. Die Regelung betrifft nicht die in die Entgeltgruppen 6 bis 12 des
ERA-TV höhergruppierten Arbeitnehmer und deren Leistungsbeurteilungen nach der
Höhergruppierung. Für ein solches Verständnis geben Wortlaut und
Regelungszusammenhang der Bestimmung nichts her. Ziffer 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2
BV betreffen „Neueingestellte“ sowie „aus dem Berufsausbildungsverhältnis Übernomme“
und knüpfen an die „Einstellung bzw. Übernahme“ an. Höhergruppierungen bereits
beschäftigter Arbeitnehmer werden hierdurch nicht geregelt.
35 (2) Ein auch auf die in die Entgeltgruppen 6 bis 12 nach dem ERA-TV bezogener
Regelungsinhalt von Ziff. 3 Abs. 5 BV ist entgegen der Ansicht des Betriebsrats nicht
durch den Verweis des § 7 Ziff. 9 Satz 1 ERA-TV auf § 7 Ziff. 2 „vermittelt“. § 7 Ziff. 2 Satz 1
und Satz 2, Ziff. 9 Satz 1 ERA-TV treffen fristbestimmte Regelungen zum Erstellen der
Leistungsbeurteilungen. Nur für diese Fristen haben die Tarifvertragsparteien einen
„Gleichlauf“ bei Neueingestellten und aus dem Berufsausbildungsverhältnis
Übernommenen einerseits und in bestimmte Entgeltgruppen höhergruppierten
Arbeitnehmern andererseits sicherstellen wollen. Daher mag eine nach § 7 Ziff. 2 Satz 2
ERA-TV durch Betriebsvereinbarung getroffene „bloße“ Fristverlängerung für die
Leistungsbeurteilungen neu eingestellter Arbeitnehmer in den Entgeltgruppen 6 bis 12 des
ERA-TV nach § 7 Ziff. 9 Satz 1 ERA-TV auch für in diese Entgeltgruppen höhergruppierte
Arbeitnehmer gelten. Für die Annahme, die Betriebsparteien hätten in Ziff. 3 Abs. 5 BV den
Zeitpunkt der Leistungsbeurteilung auch für Fälle der Höhergruppierung regeln wollen,
fehlt es aber an hinreichend deutlichen Anhaltspunkten in der Betriebsvereinbarung.
36 II. Der Verpflichtungsantrag zu 2. fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist
ersichtlich nur für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. gestellt. Der Betriebsrat hat
das in der Anhörung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt.
Linsenmaier
Kiel
Schmidt
Coulin
M. Zwisler