Urteil des BAG vom 13.03.2013

Gesamtvergleich - Arbeitnehmerüberlassung - Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay")

Siehe auch:
Pressemitteilung Nr. 17/13 vom 13.3.2013
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.3.2013, 5 AZR 294/12
Gesamtvergleich - Arbeitnehmerüberlassung - Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal
pay")
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Hamm vom 25. Januar 2012 - 3 Sa 1544/11 - wird zurückgewiesen.
2. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Hamm vom 25. Januar 2012 - 3 Sa 1544/11 - insoweit aufgehoben, als es
die Klage abgewiesen hat.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.
2 Der 1967 geborene Kläger ist seit 2002 bei der Beklagten, die gewerblich
Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt und seitdem einem Unternehmen des RWE-
Konzerns als Mitarbeiter im sog. Kombi-Außendienst überlassen. Bei einer regelmäßigen
tatsächlichen Arbeitszeit von 165 Monatsstunden erhielt der Kläger im Jahr 2007 einen
Bruttostundenlohn von 8,88 Euro, ab Januar 2008 von 9,13 Euro, ab November 2008 von
9,48 Euro, ab Januar 2009 von 9,85 Euro, ab Januar 2010 von 10,07 Euro und ab
November 2010 von 10,41 Euro. Außerdem zahlte die Beklagte dem Kläger für die
Benutzung seines Privat-PKWs ab April 2010 eine Fahrtkostenerstattung iHv. 0,20 Euro pro
im Einsatz gefahrenen Kilometer.
3 Dem Arbeitsverhältnis lag zuletzt ein Formulararbeitsvertrag vom 18. Februar/17. Mai 2005
zugrunde, in dem es ua. heißt:
„1. Gegenstand und Bezugnahme auf Tarifvertrag
Der Mitarbeiter ist eingestellt als
Außendienstmitarbeiter.
Der Mitarbeiter wird aufgrund der notwendigen Qualifikation für die im
Kundeneinsatz ausgeübte Tätigkeit entsprechend des nachfolgend genannten
Entgeltrahmentarifvertrages wie folgt eingruppiert:
Entgeltgruppe AWE5+
Die Rechte und Pflichten der Parteien dieses Arbeitsvertrages bestimmen sich nach
den nachstehenden Regelungen sowie nach den zwischen der
Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen e. V. (INZ) und der
Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP)
geschlossenen Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung, derzeit bestehend aus
Manteltarifvertrag (MTV), Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag (ETV)
und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeschSiTV).
Der Arbeitgeber ist berechtigt, durch schriftliche Erklärung gegenüber dem
Mitarbeiter die vorgenannten Tarifverträge jeweils für die Zukunft durch solche zu
ersetzen, die von einem anderen für den Arbeitgeber zuständigen
Arbeitgeberverband geschlossen wurden (Tarifwechsel kraft Inbezugnahme). Dies
gilt insbesondere bei einer Fusion der Interessengemeinschaft Nordbayerischer
Zeitarbeitsunternehmen e. V. (INZ). In diesem Fall treten die von diesem anderen
Arbeitgeberverband geschlossenen Tarifverträge hinsichtlich sämtlicher Regelungen
dieses Arbeitsvertrages an die Stelle der vorgenannten Tarifverträge.
14. Ausschluss von Ansprüchen
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in
Verbindung stehen, sind ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von zwei
Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend
gemacht worden sind; dies gilt nicht, wenn die in 1. genannten Tarifverträge eine
abweichende Regelung enthalten.
Unberührt hiervon bleiben Ansprüche aus unerlaubter Handlung.
Lehnt die Gegenpartei die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ab oder erklärt sie sich
nicht innerhalb von einem Monat nach der Geltendmachung des Anspruchs, so
verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von einem Monat nach Ablehnung oder
Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird; dies gilt nicht, wenn die in 1. genannten
Tarifverträge eine abweichende Regelung enthalten.“
4 Eine von der Beklagten im April 2010 angetragene vorformulierte Änderung der
Bezugnahmeklausel lehnte der Kläger ab. Daraufhin wandte sich die Beklagte mit
Schreiben vom 29. Juni 2010 an den Kläger:
„Sehr geehrter Herr B,
hiermit teilen wir Ihnen mit, dass ab dem 01.01.2010 auf das bestehende
Arbeitsverhältnis die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband
mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und den Einzelgewerkschaften des
Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB) in der jeweils gültigen Fassung
Anwendung finden. Diese bestehen derzeit aus Manteltarifvertrag (MTV),
Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag (ETV) und
Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeschSiTV). Der Tarifpartner CGB tritt somit
an die Stelle der unter Ziffer 1. des geschlossenen Arbeitsvertrages genannten
Tarifvertragspartei Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA
(CGZP).“
5 Die Entleiherin erteilte dem Kläger unter dem 17. Juni 2011 folgende Auskunft:
„Herr B ist im Wege der Arbeitnehmerüberlassung als Kombi-
Außendienstmonteur eingesetzt.
Wenn wir die Aufgabe hätten, Herrn B einzugruppieren, entspräche
seine aktuelle Tätigkeit der Eingruppierung B 2 / Basis nach MTV.
Tarifgruppe
Grundvergütung
Sonderzahlung
B 2 / Basis
2.831,00 EUR
353,00 EUR
Die Grundvergütung wird 13-mal je Jahr gezahlt, zudem gibt es die
Sonderzahlung einmalig je Jahr.
Die Spesen und Fahrtkosten werden entsprechend der individuellen
Aufwendungen nach der gültigen Reisekostenregelung der RWE
vergütet.
Zur Einsicht haben wir eine Abschrift des MTV der Tarifgruppe RWE
vom 27. März 2006 sowie den aktuellen Vergütungstarifvertrag und
die Reisekostenordnung der RWE als Anlage beigefügt.“
6 Mit der am 27. Dezember 2010 eingereichten Klage hat der Kläger zuletzt für den Zeitraum
Januar 2007 bis Juli 2011 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der
von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin im
Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, verlangt und
geltend gemacht, er habe eine Ausschlussfrist nicht einhalten müssen. Zur Höhe des
Anspruchs hat sich der Kläger auf die Auskunft der Entleiherin berufen und vorgetragen,
vergleichbare Stammarbeitnehmer mit entsprechender Betriebszugehörigkeit würden nach
der Tarifgruppe B 2 Erfahrungsstufe 3 des Manteltarifvertrags der Tarifgruppe RWE vom
27. März 2006 (fortan: MTV RWE) nebst 13. Monatsgehalt und jährlicher Sonderzuwendung
vergütet. Sie erhielten Spesen in Form eines Tagegeldes von 6,90 Euro bei einer
Abwesenheitszeit von mehr als sechs und bis zu acht Stunden täglich und eine
Fahrtkostenerstattung iHv. 0,33 Euro je Kilometer.
7 Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 83.200,84 Euro brutto nebst Zinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter betragsmäßiger und
zeitlicher Staffelung zu zahlen.
8 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die fehlende
Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung führe nur zur Unwirksamkeit vollzogener
Tarifverträge ex nunc, zumindest habe sie auf die Wirksamkeit der von der CGZP
geschlossenen Tarifverträge vertrauen dürfen. Ab dem 1. Januar 2010 habe sie aufgrund
der Inbezugnahme des mehrgliedrigen Tarifvertrags zwischen dem Arbeitgeberverband
Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) und Einzelgewerkschaften des
Christlichen Gewerkschaftsbunds vom 15. März 2010 von dem Gebot der
Gleichbehandlung abweichen dürfen. Zudem seien Ansprüche des Klägers wegen nicht
rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Zur Höhe des Anspruchs hat die Beklagte geltend
gemacht, die Auskunft der Entleiherin verhalte sich nicht über vergleichbare
Stammarbeitnehmer und deren Vergütung. Aufwendungsersatz sei weder Arbeitsentgelt
noch eine wesentliche Arbeitsbedingung. Schließlich sei der Kläger ab Juli 2011 im
Rahmen eines Werkvertrags eingesetzt worden.
9 Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist -
stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage bis
auf einen Betrag von 7.010,61 Euro brutto nebst Zinsen abgewiesen. Mit der vom
Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehren die Beklagte die vollständige
Klageabweisung, der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers begründet. Die Beklagte ist
nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der
Überlassung an ein Unternehmen des RWE-Konzerns das gleiche Arbeitsentgelt zu
zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt (I.). Der
Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen einzuhalten (II.). In welcher Höhe dem Kläger
Differenzvergütung über den vom Landesarbeitsgericht ausgeurteilten Betrag hinaus
zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts
nicht entscheiden. Das führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und
Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, soweit dieses die Klage
abgewiesen hat, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO (III.).
11 I. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verpflichtet den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer
das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, das der Entleiher vergleichbaren
Stammarbeitnehmern gewährt („equal pay“). Von diesem Gebot der Gleichbehandlung
erlaubt das AÜG ein Abweichen durch Tarifvertrag, wobei im Geltungsbereich eines
solchen Tarifvertrags nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung
der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbaren können (§ 9 Nr. 2 AÜG) mit der
Folge, dass der Entleiher grundsätzlich nur das tariflich vorgesehene Arbeitsentgelt
gewähren muss (§ 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG). Eine solche zur Abweichung vom Gebot der
Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Nr. 1
Arbeitsvertrag verweist auf unwirksame Tarifverträge. Die CGZP konnte keine wirksamen
Tarifverträge schließen. Andere tarifliche Regelungen sind nicht wirksam in Bezug
genommen.
12 1. Nach den Entscheidungen des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom
14. Dezember 2010 (- 1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302), dem Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 (- 24 TaBV 1285/11 ua. -)
sowie der Zurückweisung der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde (BAG
22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 -) ist rechtskräftig und mit bindender Wirkung gegenüber
jedermann festgestellt, dass die CGZP seit ihrer Gründung und jedenfalls bis zum
14. Dezember 2010 nicht tariffähig war (vgl. BAG 23. Mai 2012 - 1 AZB 58/11 - Rn. 12;
23. Mai 2012 - 1 AZB 67/11 - Rn. 7).
13 2. Fehlt einer Tarifvertragspartei die Tariffähigkeit, kann sie allenfalls eine
Kollektivvereinbarung ohne normative Wirkung, aber keinen Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1
TVG abschließen (zur fehlenden Tarifzuständigkeit: BAG 17. April 2012 - 1 ABR 5/11 -
Rn. 69). Trotz fehlender Tariffähigkeit abgeschlossene „Tarifverträge“ sind deshalb von
Anfang an unwirksam (BAG 15. November 2006 - 10 AZR 665/05 - Rn. 21 mwN,
BAGE 120, 182; 27. November 1964 - 1 ABR 13/63 - zu B I der Gründe, BAGE 16, 329;
ErfK/Franzen 13. Aufl. § 2 TVG Rn. 5; Schaub/Treber Arbeitsrechts-Handbuch 14. Aufl.
§ 198 Rn. 4). Davon geht auch § 97 Abs. 5 ArbGG aus. Die gesetzliche Anordnung, einen
Rechtsstreit, der davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder deren
Tarifzuständigkeit gegeben ist, bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a
Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wäre sinnlos, wenn die fehlende Tariffähigkeit oder die
fehlende Tarifzuständigkeit lediglich zu einer Unwirksamkeit des Tarifvertrags ex nunc
führen würde. Dementsprechend wird in dem als besonderes Beschlussverfahren
ausgestalteten Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG nicht eine ursprünglich
bestehende Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit „abgesprochen“, sondern lediglich das
Fehlen der Fähigkeit oder der Zuständigkeit zum Abschluss eines Tarifvertrags
festgestellt.
14 3. Die These vom fehlerhaften Tarifvertrag (HWK/Henssler 5. Aufl. § 1 TVG Rn. 21a), die
in Anlehnung an die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft und des fehlerhaften
Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung einer Rückabwicklung die Unwirksamkeit
vollzogener Tarifverträge ex nunc annimmt, ist bei der Vereinbarung tariflicher
Regelungen gemäß § 9 Nr. 2 AÜG ungeeignet. Denn es geht in diesem Falle nicht um die
Rückabwicklung vollzogener Tarifverträge, sondern um die Rechtsfolge des Scheiterns
einer vom Gesetz nach § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG eröffneten
Gestaltungsmöglichkeit. Dabei muss nichts rückabgewickelt werden. Der Arbeitnehmer
behält die bezogene Vergütung aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung und erwirbt
darüber hinaus nach § 10 Abs. 4 AÜG einen Anspruch auf die Differenz zu dem Entgelt,
das er erhalten hätte, wenn das Gebot der Gleichbehandlung von Anfang an beachtet
worden wäre. Dazu räumt § 13 AÜG dem Leiharbeitnehmer einen Auskunftsanspruch
gegenüber dem Entleiher ein.
15 4. Ein etwaiges Vertrauen der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt.
16 Der aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es,
obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare
Rechtsbindung erzeugen, gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten
Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen
Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im
Einzelfall Rechnung zu tragen (BVerfG 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 - Rn. 85,
BVerfGE 122, 248; vgl. dazu auch BAG 19. Juni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 27 mwN). Die
Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren nicht mit einer
Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das Bundesarbeitsgericht noch
Instanzgerichte haben in dem dafür nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG vorgesehenen
Verfahren jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. Die bloße Erwartung, das
Bundesarbeitsgericht werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem
bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen,
entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch SR 2012, 159,
161 mwN).
17 Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der
Bundesagentur für Arbeit oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die
Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der CGZP wurde bereits
nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich
diskutiert (vgl. Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 107 ff. mwN; Ulber
NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch RdA 2011, 375). Wenn
ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer
von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbart hat, bevor die
dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden
hatten, ist er ein Risiko eingegangen, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen
zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisiert hat.
18 5. Die von der Beklagten angetragene Änderung der Bezugnahmeklausel hat der Kläger
abgelehnt. Nr. 1 Arbeitsvertrag erfasst nicht die Geltung der vom Arbeitgeberverband
Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) und - neben der CGZP - einer Reihe
von christlichen Arbeitnehmervereinigungen geschlossenen Tarifverträge vom 15. März
2010 (im Folgenden: AMP-TV 2010). Unbeschadet der Frage, ob ein einseitiger
„Austausch“ der für das Leiharbeitsverhältnis maßgeblich sein sollenden Tarifwerke eine
Vereinbarung tariflicher Regelungen iSv. § 9 Nr. 2 AÜG sein kann, berechtigt die Klausel
allenfalls zu einem Tarifwechsel bei Wechsel des Arbeitgeberverbands. Sie ermöglicht es
aber der Beklagten nicht, von anderen Arbeitnehmervereinigungen abgeschlossene
Tarifverträge einseitig zur Anwendung zu bringen (zur Funktion der Tarifwechselklausel,
vgl. BAG 22. Oktober 2008 - 4 AZR 784/07 - Rn. 21 ff., BAGE 128, 165). Das hat das
Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Im Übrigen wäre die Klausel mit dem von der
Beklagten gewollten Inhalt intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam
(vgl. dazu BAG 13. März 2013 - 5 AZR 954/11 - Rn. 26 ff.).
19 II. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen.
20 1. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der
CGZP oder aus dem nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen AMP-TV 2010
einzuhalten. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob Regelungen zu Ausschlussfristen
in Tarifverträgen der Arbeitnehmerüberlassungsbranche überhaupt den Anspruch auf
gleiches Entgelt erfassen (vgl. dazu LAG Düsseldorf 29. August 2012 - 12 Sa 576/12 -
Rn. 132, rkr.).
21 Eine Ausschlussfristenregelung in einem unwirksamen CGZP-Tarifvertrag ist auch nicht
kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags
geworden (aA Löwisch SAE 2013, 11). Arbeitsvertragsparteien sind zwar grundsätzlich
frei, ein kollektives Regelwerk in Bezug zu nehmen, ohne dass es auf dessen normative
Wirksamkeit ankommt. Eine derartige Abrede scheidet jedoch aus, wenn Anhaltspunkte
dafür vorliegen, nur ein wirksamer Tarifvertrag habe vereinbart werden sollen (BAG
14. Dezember 2011 - 4 AZR 26/10 - Rn. 43). Das ist vorliegend der Fall. Nur mit einer
Bezugnahme auf einen wirksamen Tarifvertrag konnte die Beklagte als
Klauselverwenderin den Zweck der Bezugnahme - das Abweichen vom Gebot der
Gleichbehandlung nach § 9 Nr. 2 AÜG - erreichen.
22 2. Ob Nr. 14 Arbeitsvertrag eine eigenständige, bei Unwirksamkeit der in Bezug
genommenen „Tarifverträge“ zum Tragen kommende vertragliche
Ausschlussfristenregelung enthält, kann dahingestellt bleiben. Als solche würde sie einer
AGB-Kontrolle nicht standhalten. Die Kürze der Fristen auf beiden Stufen benachteiligte
den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 307 Abs. 1
Satz 1 BGB (vgl. dazu BAG 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66; 25. Mai
2005 - 5 AZR 572/04 - BAGE 115, 19).
23 III. Dem Kläger steht als Differenzvergütung zumindest der vom Landesarbeitsgericht
ausgeurteilte Betrag zu. In welcher Höhe darüber hinaus die Klage begründet ist, kann der
Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht
entscheiden.
24 1. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG
ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, der
mit jeder Überlassung entsteht und jeweils für die Dauer der Überlassung besteht. Er
richtet sich nach dem im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer
geltenden Arbeitsentgelt. Der Anspruch setzt dabei nicht stets voraus, dass während der
Überlassung auch tatsächlich vergleichbare Stammarbeitnehmer beschäftigt sind. Wendet
der Entleiher in seinem Betrieb ein allgemeines Entgeltschema an, kann auf die fiktive
Eingruppierung des Leiharbeitnehmers in dieses Entgeltschema abgestellt werden.
Maßstab ist in diesem Falle das Arbeitsentgelt, das der Leiharbeitnehmer erhalten hätte,
wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre. Das gebietet
schon die unionsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 4 AÜG im Lichte des Art. 5
Abs. 1 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November
2008 über Leiharbeit (fortan: RL). Es fehlt zudem jeglicher Anhaltspunkt, dass nach
nationalem Recht der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt entfallen soll, wenn der
Entleiher für eine bestimmte Tätigkeit nur noch Leih-, aber keine Stammarbeitnehmer mehr
beschäftigt (im Ergebnis hM, vgl. ErfK/Wank 13. Aufl. § 3 AÜG Rn. 15 f. mwN;
Pelzner/Kock in Thüsing AÜG 3. Aufl. § 3 Rn. 79 mwN; Schüren in Hamann/Schüren AÜG
4. Aufl. § 9 Rn. 121 ff. mwN; J. Ulber in Ulber AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 66 ff. mwN).
25 Deshalb kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, ob die
Entleiherin im Streitzeitraum eigene Arbeitnehmer im Kombi-Außendienst eingesetzt hatte.
Nach nicht angegriffener Feststellung des Landesarbeitsgerichts wendet die Entleiherin -
entsprechend ihrer Auskunft - ein allgemeines Entgeltschema, nämlich die Tarifverträge
der Tarifgruppe RWE, an. Maßgeblich ist damit das Entgelt, das der Kläger nach den
einschlägigen tariflichen Bestimmungen erhalten hätte, wenn er als Mitarbeiter im Kombi-
Außendienst bei der Entleiherin angestellt gewesen wäre.
26 2. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4
AÜG ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen (BAG
23. März 2011 - 5 AZR 7/10 - Rn. 35 f., BAGE 137, 249).
27 a) Der Begriff des Arbeitsentgelts in § 10 Abs. 4 AÜG ist national zu bestimmen (Art. 3
Abs. 2 RL) und, wie die beispielhafte Aufzählung in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks.
15/25 S. 38) belegt, weit auszulegen. Zu ihm zählt nicht nur das laufende Arbeitsentgelt,
sondern jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird bzw.
aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss (im Ergebnis
ganz hM, vgl. etwa ErfK/Wank 13. Aufl. § 10 AÜG Rn. 13 f. mwN; Pelzner/Kock in Thüsing
AÜG 3. Aufl. § 3 Rn. 70 ff. mwN; J. Ulber in Ulber AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 46 ff. mwN).
Zutreffend hat deshalb das Landesarbeitsgericht in den von ihm angestellten
Gesamtvergleich Leistungen wie ein 13. Monatsgehalt und eine tarifliche Sonderzahlung
berücksichtigt und die Ansprüche auf Urlaubsvergütung sowie Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfalle und an Feiertagen in den Gesamtvergleich einbezogen.
28 Den Einwand der Beklagten, der Kläger sei seit Juli 2011 im Rahmen eines Werkvertrags
bei der Entleiherin tätig gewesen, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht als
unsubstanttiert erachtet. Der Übergang von der Arbeitnehmerüberlassung zu einem
Fremdfirmeneinsatz im Rahmen eines Werkvertrags setzt regelmäßig eine Änderung des
Arbeitsvertrags oder - sofern der Arbeitsvertrag beide Einsatzmöglichkeiten eröffnet - eine
Neuausübung des Direktionsrechts und dessen ständige Wahrnehmung voraus. Dazu hat
die Beklagte nichts vorgetragen.
29 b) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht dem Gesamtvergleich - abweichend von der
Auskunft der Entleiherin - eine fiktive Eingruppierung des Klägers nur in die - tariflich
niedrigste - Vergütungsgruppe A 1 MTV RWE zugrunde gelegt.
30 aa) Der Leiharbeitnehmer genügt zunächst der ihm obliegenden Darlegungslast für die
Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt, wenn er sich auf eine ihm nach § 13
AÜG erteilte Auskunft beruft und diese in den Prozess einführt. Denn die -
ordnungsgemäße - Auskunft des Entleihers über das einem vergleichbaren
Stammarbeitnehmer gewährte Arbeitsentgelt ist das gesetzlich vorgesehene Mittel, das
dem Leiharbeitnehmer ermöglichen soll, die Einhaltung des Gebots der Gleichbehandlung
zu überprüfen und die Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG zu berechnen (vgl. BT-
Drucks. 15/25 S. 39; Brors in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 13 Rn. 1 mwN). Es obliegt
sodann im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast dem Verleiher, die maßgeblichen
Umstände der Auskunft in erheblicher Art und im Einzelnen zu bestreiten. Trägt er nichts
vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt der Inhalt der vom Leiharbeitnehmer
vorgetragenen Auskunft als zugestanden.
31 bb) Nach der Auskunft der Entleiherin hätte diese den Kläger nach der von ihm
ausgeübten Tätigkeit in die Vergütungsgruppe B 2 MTV RWE eingruppiert. Der Auskunft
beigefügt war das entsprechende allgemeine Entgeltschema - die
Eingruppierungssystematik nach dem MTV RWE - und ein Aufgabenprofil der Tätigkeit
des Klägers.
32 Die Beklagte hat diese Auskunft der Entleiherin nicht erschüttert. Sie hat keine Tatsachen
vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, das der Auskunft zugrunde gelegte
Aufgabenprofil sei fehlerhaft und entspräche nicht der vom Kläger im Streitzeitraum
ausgeübten Tätigkeit. Ebenso wenig hat die Beklagte substantiiert dargelegt, dass und
aus welchen Gründen die im Aufgabenprofil festgehaltenen Tätigkeiten eine
Eingruppierung des Klägers in die Vergütungsgruppe B 2 MTV RWE nicht rechtfertigen
können. Der Einwand der Revision, der Kläger verfüge über keine abgeschlossene
Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf in einer einschlägigen Fachrichtung,
ist unerheblich. Die Protokollnotiz zu § 16 Nr. 1 MTV RWE erläutert, dass die in den
Voraussetzungen aufgeführten Berufs- und Ausbildungsabschlüsse keine unabdingbaren
Voraussetzungen für die Eingruppierung sind und die entsprechenden Qualifikationen
auch auf anderen Wegen - wie zB externen oder betrieblichen
Qualifizierungsmaßnahmen, einschlägigen Berufserfahrungen - erworben werden können.
Dass es dem Kläger daran mangelte, hat die Beklagte nicht behauptet. Sie hat vielmehr
selbst im Arbeitsvertrag den Kläger einer Entgeltgruppe zugeordnet, die eine einschlägige
Berufsausbildung mit Berufserfahrung oder eine spezielle Berufsfortbildung mit
mehrjähriger Berufserfahrung verlangt.
33 cc) Bei der fiktiven Eingruppierung des Klägers in die Vergütungsgruppe B 2 MTV RWE
sind die Absenkung nach § 16 Nr. 2 MTV RWE und die jeweilige Verweildauer in der
Starteingruppierung, der Basisvergütung und den Erfahrungsstufen, § 16 Nr. 1 bis Nr. 3
MTV RWE, zu beachten. Danach hätte der Kläger, ausgehend von einer fiktiven
Betriebszugehörigkeit seit Beginn der Überlassung, im Streitzeitraum ab dem 1. November
2007 die Erfahrungsstufe 1 und ab dem 1. November 2010 die Erfahrungsstufe 2 erreicht.
Dagegen hat der Kläger keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen
könnten, die Entleiherin würde bei ihren eigenen Mitarbeitern nach einem
generalisierenden Prinzip von der in § 16 Nr. 4 MTV RWE eröffneten Möglichkeit der
Verkürzung der Verweildauer Gebrauch machen.
34 3. Die Berücksichtigung von Aufwendungsersatz beim Gesamtvergleich bemisst sich
danach, ob damit - wenn auch in pauschalierter Form - ein dem Arbeitnehmer tatsächlich
entstandener Aufwand, zB für Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten, erstattet
werden soll (echter Aufwendungsersatz) oder die Leistung Entgeltcharakter hat.
35 a) Echter Aufwendungsersatz ist kein Arbeitsentgelt. Er ist auch keine wesentliche
Arbeitsbedingung iSv. § 10 Abs. 4 AÜG. Solche sind ausschließlich die in Art. 3 Abs. 1
Buchst. f, i, ii RL genannten Regelungsgegenstände (BAG 23. März 2011 - 5 AZR 7/10 -
Rn. 29, BAGE 127, 249). Dazu gehört Aufwendungsersatz nicht.
36 Ob der Leiharbeitnehmer in entsprechender Anwendung des § 670 BGB gegen den
Entleiher aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Sonderbeziehung mit
arbeitsrechtlichem Charakter (vgl. BAG 15. März 2011 - 10 AZB 49/10 - Rn. 9, BAGE 137,
215) einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen hat, die ihm infolge von
Arbeitsanweisungen des Entleihers entstehen, ist nicht Streitgegenstand.
37 b) Soweit sich Aufwendungsersatz als „verschleiertes“ und damit steuerpflichtiges
Arbeitsentgelt darstellt, ist er beim Gesamtvergleich der Entgelte zu berücksichtigen. Das
Landesarbeitsgericht wird deshalb im erneuten Berufungsverfahren - ggf. nach
ergänzendem Sachvortrag der Parteien - feststellen müssen, ob die vom Kläger in die
Berechnung der Klageforderung einbezogenen Spesen und Fahrtkosten von der
Entleiherin ihren Beschäftigten im Streitzeitraum steuerlich privilegiert gewährt wurden
und, sollte dies der Fall gewesen sein, dabei Steuerrecht nicht verletzt wurde.
Müller-Glöge
Laux
Biebl
A. Christen
Busch