Urteil des BAG vom 07.02.2012

Zulässigkeit eines Feststellungsantrags - Tendenzträgereigenschaft von erzieherisch tätigwerdenden Ausbildern

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 7.2.2012, 1 ABR 58/10
Zulässigkeit eines Feststellungsantrags - Tendenzträgereigenschaft von erzieherisch
tätigwerdenden Ausbildern
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 19. August 2010 - 7 TaBV 5/09 -
teilweise aufgehoben, soweit es die Beschwerde des Betriebsrats gegen
die zu Ziff. 2 des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hamburg vom
7. Oktober 2008 - 20 BV 15/07 - getroffene Feststellung, dass es sich bei
den von der Arbeitgeberin beschäftigten Ausbildern um Tendenzträger
handelt, zurückgewiesen hat.
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der genannte Beschluss des
Arbeitsgerichts Hamburg teilweise abgeändert und der Widerantrag der
Arbeitgeberin abgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Tendenzträgereigenschaft der bei der Arbeitgeberin
beschäftigten Ausbilder.
2 Die Arbeitgeberin ist ein Bildungsträger. Weiterer Beteiligter ist der bei ihr gebildete
Betriebsrat. Die Arbeitgeberin befasst sich mit der beruflichen und gesellschaftlichen
Eingliederung entwicklungsverzögerter Jugendlicher und junger Erwachsener. Sie führt
die praktische Berufsausbildung in 16 Berufsfeldern durch. Daneben betreibt sie
Berufsvorbereitungsmaßnahmen zur Herstellung der Ausbildungsfähigkeit. Von den etwa
120 bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern sind 46 Ausbilder, die weiteren Mitarbeiter sind
überwiegend Sozialpädagogen, Sonderpädagogen, Sportpädagogen und Psychologen.
Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass es sich bei der Arbeitgeberin um
ein Tendenzunternehmen handelt.
3 In einem Qualitätsmanagement-Handbuch der Arbeitgeberin sind die betrieblichen
Abläufe, Verantwortungen und Aufgaben der Mitarbeiter beschrieben. Danach erfolgt die
systematische und interdisziplinäre Förderung der Rehabilitanden in Lerngruppenteams.
Diesen gehören neben dem jeweiligen Ausbilder in der Regel Sozialpädagogen und der
jeweilige Klassenlehrer an sowie bei Bedarf Sonderpädagogen, Sportpädagogen und
Psychologen. Die Arbeiten im Lerngruppenteam werden vom beteiligten Sozialpädagogen
geplant, organisiert, dokumentiert und überprüft. Das Lerngruppenteam übernimmt und
begleitet die Ausbildungsgruppe während der gesamten Ausbildung. Zu den Aufgaben der
Ausbilder gehört ua. das Erstellen und Fortschreiben der betrieblichen Ausbildungspläne
und individuellen Förder- und Integrationspläne sowie die Entwicklung und Anwendung
von Bildungsbausteinen bzw. Lernaufgaben im Rahmen der praktischen Tätigkeit.
Daneben sind die Ausbilder Vorgesetzte der Rehabilitanden, verantwortlich für Lern- und
Übungsaufgaben, die Erfolgskontrolle, Einsatzplanung, Akquise von Plätzen für
betriebliche Ausbildungsabschnitte und die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt.
4 Die Arbeitgeberin beschäftigt als Ausbilder festangestellte Mitarbeiter sowie kurzzeitig für
mehrere Wochen oder Monate eingesetzte Leiharbeitnehmer. Die als Ausbilder
eingesetzten Beschäftigten verfügen „in der Regel“ über eine pädagogisch-didaktische
Zusatzausbildung.
5 Nach einer bei der Arbeitgeberin geltenden Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1981
erhält der Betriebsrat bei Einstellungen eine Woche vor Beginn der Einstellungsgespräche
die Unterlagen aller Bewerber. Zu den Einstellungsgesprächen wird er eingeladen. Im
August 2007 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie werde dessen Zustimmung
bei personellen Einzelmaßnahmen nur noch für Mitarbeiter ohne
Tendenzträgereigenschaft einholen. In Umsetzung dieser Ankündigung hat die
Arbeitgeberin vor der Einstellung von zwei Ausbildern und einer „Assistentin der
Ausbilder“ nicht die Zustimmung des Betriebsrats beantragt.
6 Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, alle als Ausbilder eingesetzten Beschäftigten
seien Tendenzträger. Unabhängig von den Zeitanteilen und unabhängig davon, ob die
Berufsausbildung intern oder extern durchgeführt werde, sei die Tätigkeit der Ausbilder
nicht allein auf die Vermittlung von Fachwissen bezogen, sondern habe aufgrund der zu
betreuenden Rehabilitanden stets erzieherischen Charakter.
7 Die Arbeitgeberin hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt
festzustellen,
dass es sich bei den von ihr beschäftigten Ausbildern um Tendenzträger handelt.
8 Der Betriebsrat hat die Abweisung des Antrags begehrt.
9 Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Die dort noch
anhängigen Anträge des Betriebsrats, mit denen dieser die Aufhebung näher bezeichneter
personeller Einzelmaßnahmen sowie die Feststellung, dass die befristete Einstellung von
Zeit- und Leiharbeitnehmern der Zustimmung des Betriebsrats bedürfe, begehrt hat, sind
vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig abgewiesen worden. Mit der Rechtsbeschwerde
verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter.
10 B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Antrag der Arbeitgeberin ist unzulässig.
11 I. Der Antrag der Arbeitgeberin bedarf der Auslegung.
12 1. Bei einem wörtlichen Verständnis des arbeitgeberseitig gestellten Antrags wäre
Gegenstand der begehrten Feststellung nicht ein Rechtsverhältnis. Ob Mitarbeiter der
Arbeitgeberin in einer bestimmten Position unmittelbar und überwiegend erzieherischen
Bestimmungen gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dienen und damit Tendenzträger
sind, betrifft eine Vorfrage eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Diese ist
nicht geeignet, das zwischen den Beteiligten bestehende betriebsverfassungsrechtliche
Rechtsverhältnis zu klären. Auch wenn dem Antrag entsprochen würde, müsste in jedem
Einzelfall geprüft werden, inwieweit Mitbestimmungsrechte aufgrund des
Tendenzschutzes Einschränkungen erfahren (vgl. BAG 14. Dezember 2010 - 1 ABR
93/09 - Rn. 14, EzA ZPO 2002 § 256 Nr. 10).
13 2. Der Antrag der Arbeitgeberin kann jedoch unter Berücksichtigung des bisherigen
Vorbringens einschränkend dahin ausgelegt werden, dass mit ihm die Feststellung des
Nichtbestehens eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bei der
Einstellung von Ausbildern begehrt wird. Ein solches Antragsverständnis liegt nahe, weil
die Beteiligten von Anfang an über diese Frage gestritten haben. Die Arbeitgeberin
möchte erkennbar losgelöst von konkreten Einzelfällen klären lassen, ob die Einstellung
von Ausbildern nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist. Das Bestehen eines
betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechts ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats ein der gerichtlichen Feststellung zugängliches
Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO(BAG 15. April 2008 - 1 ABR 14/07 - AP BetrVG
1972 § 95 Nr. 54).
14 II. Der so verstandene Antrag ist nicht hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
15 1. Nach dem auch im Beschlussverfahren anzuwendenden § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss
eine Klageschrift ua. einen „bestimmten Antrag“ enthalten. Dieser unterliegt im
Beschlussverfahren denselben Anforderungen wie im Urteilsverfahren. Der betriebliche
Vorgang, hinsichtlich dessen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats streitig ist, muss
deshalb so genau bezeichnet werden, dass mit der Entscheidung über den Antrag
feststeht, für welche Maßnahmen oder Vorgänge das Mitbestimmungsrecht bejaht oder
verneint worden ist. Dafür muss der jeweilige Streitgegenstand so konkret umschrieben
werden, dass die Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Betriebsparteien
entschieden werden kann (BAG 18. August 2009 - 1 ABR 45/08 - Rn. 14).
16 2. Diesen Anforderungen wird der Antrag der Arbeitgeberin nicht gerecht. Der Begriff
„Ausbilder“ ist nicht hinreichend bestimmt.
17 a) Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine konkreten Feststellungen getroffen. Dem
Vortrag der Arbeitgeberin ist nicht mit der gebotenen Klarheit zu entnehmen, wer Ausbilder
iSd. Antragstellung ist. Nach dem von ihr verfassten Qualitätsmanagement-Handbuch
gehört zu den Aufgaben der Ausbilder insbesondere das Erstellen und Fortschreiben des
betrieblichen Ausbildungsplans sowie der individuellen Förder- und Integrationspläne, die
Entwicklung und Anwendung von Bildungsbausteinen und Lernaufgaben im Rahmen der
praktischen Tätigkeit und die Durchführung von berufsübergreifenden
Ausbildungsprojekten. Sitzungen des Lerngruppenteams, in dem die Ausbilder mitwirken
und systematisch und interdisziplinär gemeinsam mit den anderen Mitarbeitern die
Ausbildung begleiten, finden in einem regelmäßigen Rhythmus viermal im Jahr statt. Da
jedoch nach Auffassung der Arbeitgeberin auch Aushilfen, die nur zwei bis drei Monate
oder noch kürzer eingesetzt werden, Ausbilder sein sollen und nicht ansatzweise
aufgezeigt worden ist, wie diese in der kurzen Zeit ihrer Beschäftigung die beschriebenen
Aufgaben durchführen, prägenden Einfluss auf die erzieherische Konzeption nehmen und
an den Sitzungen des Lerngruppenteams teilnehmen können, geht die Arbeitgeberin
offenbar von anderen Tätigkeitsmerkmalen aus, die jedoch nicht näher dargelegt sind. So
begreift die Arbeitgeberin auch die Arbeit von Assistenten der Ausbilder als
Ausbildertätigkeit und stuft deshalb diese Personen als Tendenzträger ein, wie in dem an
den Betriebsrat gerichteten Schreiben vom 24. Oktober 2007 zur beabsichtigten
Einstellung von Frau M für die Zeit vom 5. November 2007 bis zum 21. Dezember 2007
deutlich wird. Auch hat die Arbeitgeberin Herrn H vorübergehend für die Dauer von etwa
dreieinhalb Monaten als Koch eingestellt und mit der Herstellung des Mensa-Essens
betraut. Zugleich sollte er dabei als Ausbilder tätig sein. Wie hierbei die im
Qualitätsmanagement-Handbuch beschriebenen Aufgaben eines Ausbilder ausgeübt
werden konnten, bleibt allerdings unklar. Überdies ergibt sich weder aus dem
Qualitätsmanagement-Handbuch noch aus dem Vortrag der Arbeitgeberin, welche
fachlichen, insbesondere pädagogischen Anforderungen sie an die von ihr eingestellten
Ausbilder stellt. In den Vorinstanzen hat sie hierzu lediglich ausgeführt, die Ausbilder
verfügten „in der Regel“ über pädagogisch-didaktische Zusatzausbildungen. Wie sich
Ausbilder von sonstigem Hilfspersonal unterscheiden, bleibt jedoch unklar.
18 b) Die von der Arbeitgeberin begehrte Feststellung ist daher wegen der fehlenden Klarheit
des Begriffs „Ausbilder“ nicht geeignet zu klären, für welche Einstellungen das
Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG nicht bestehen soll. Der zwischen den
Betriebsparteien bestehende Streit kann nicht abschließend entschieden werden. Es ist
vielmehr davon auszugehen, dass auch bei einer Sachentscheidung in der Zukunft
weiterhin darüber gestritten wird, ob die einzustellende Person tatsächlich „Ausbilder“ ist
oder ein sonstiger Mitarbeiter.
Schmidt
Koch
Linck
Hayen
Hann