Urteil des BAG vom 15.10.2013

Kürzung der Urlaubsdauer wegen Krankheit

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.10.2013, 9 AZR 374/12
Kürzung der Urlaubsdauer wegen Krankheit
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. März 2012 -
11 Sa 647/11 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Jahr 2011 arbeitsvertraglichen Mehrurlaub
wegen krankheitsbedingter Fehltage des Klägers kürzen durfte.
2 Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Mai 2007 - zunächst aufgrund des
Arbeitsvertrags vom 19. März 2007 - als Polsterer beschäftigt. Nach § 5 des weiteren
Arbeitsvertrags vom 29. April 2008 erhält der Kläger „einen kalenderjährlichen
Erholungsurlaub von 20 Arbeitstagen (= 4 Wochen)“ sowie unter den „in der
Rahmenvereinbarung zum Beschäftigungsverhältnis festgelegten Voraussetzungen einen
zusätzlichen freiwilligen Urlaub von 7 Arbeitstagen (1,4 Wochen)“.
3 Die von den Parteien ebenfalls bereits am 19. März 2007 unterzeichnete
„Rahmenvereinbarung zum Beschäftigungsverhältnis“ (Rahmenvereinbarung) enthält ua.
die folgenden Regelungen:
VIII. Urlaub
1.
Der Mitarbeiter erhält unter Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche (in
Anlehnung an das BUrlG) einen kalenderjährlichen Erholungsurlaub von
20 Arbeitstagen (= 4 Wochen).
2.
Zusätzlich wird ein freiwilliger betrieblicher Urlaub von 7 Arbeitstagen (= 1,4
Wochen) gewährt.
4.
Der Anspruch auf den über den gesetzlichen Urlaubsanspruch
hinausgehenden zusätzlichen Urlaub entfällt
a)
Für krankheitsbedingte Fehltage gilt folgende Staffel
Vom 4. - 7.
Krankheitstag
1 Urlaubstag
Vom 8. - 11.
Krankheitstag
2 Urlaubstage
Vom 24. - 27.
Krankheitstag
6 Urlaubstage
Vom 28. - 31.
Krankheitstag
7 Urlaubstage
5.
Die für den vorzeitig und zu viel gewährten Urlaub gewährte
Urlaubsvergütung gilt als Entgeltvorschuss. Diesen kann die Firma
zurückfordern und mit Zahlungsforderungen verrechnen.
X. Zusätzliches Urlaubsgeld
1.
Das zusätzliche Urlaubsgeld beträgt für jeden Tag Erholungsurlaub
EUR 20,45. Es ist eine freiwillige Zahlung; auch eine wiederholte
Gewährung begründet keinen Rechtsanspruch.
XI. Sonderzahlungen
1.
Die Gewährung einer Sonderzahlung wird vom Betriebsergebnis abhängig
gemacht und jährlich neu geprüft. Sie ist eine einmalige freiwillige Zahlung;
auch eine wiederholte Gewährung begründet keinen Rechtsanspruch.
3.
Für den Fall der Erkrankung wird pro Tag ein Dreißigstel der Sonderzahlung
abgezogen. Sofern die Sonderzahlung durch die Kürzung voll aufgezehrt
wird, entfällt der Anspruch.
…“
4 Der Kläger war ua. in der Zeit vom 1. bis zum 11. Februar 2011, am 20. Mai 2011 und vom
14. bis zum 24. Juni 2011 arbeitsunfähig erkrankt. Nach den Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts fehlte der Kläger im Jahr 2011 krankheitsbedingt an insgesamt
27 Arbeitstagen. Die Beklagte kürzte deshalb den Mehrurlaub des Klägers für das Jahr
2011 um insgesamt sechs Tage und zahlte ihm auch ein um 122,70 Euro brutto
(= 6 Tage x 20,45 Euro/Tag) geringeres Urlaubsgeld.
5 Mit seiner Klage hat der Kläger verlangt, seinem Urlaubskonto vier Urlaubstage
gutzuschreiben. Die weiteren zwei Urlaubstage für das Jahr 2011, um die die Beklagte den
Mehrurlaubsanspruch gekürzt hat, sind Gegenstand eines anderen Rechtsstreits.
6 Das Kläger ist der Ansicht, dass die Regelungen der Rahmenvereinbarung gegen § 305 ff.
BGB verstoßen. Sie seien als Allgemeine Geschäftsbedingungen intransparent. Zudem
läge eine unangemessene Benachteiligung vor, weil nicht nach den Ursachen der
Arbeitsunfähigkeit (zB aufgrund eines Arbeitsunfalls) differenziert würde.
7 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, seinem Urlaubskonto vier Tage Urlaub gutzuschreiben.
8 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Regelung in Abschn. VIII
Ziff. 4 der Rahmenvereinbarung für wirksam.
9 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die
Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage
stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
10 A. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat
die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers vier
Urlaubstage aus dem Jahr 2011 gutzuschreiben und damit nachträglich zu gewähren.
11 I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger verlangt in Form der Leistungsklage, dass die
Beklagte seinem Urlaubskonto vier Urlaubstage gutschreibt. Der Arbeitnehmer hat
Anspruch darauf, dass sein Urlaubs- und Arbeitszeitkonto richtig geführt wird. Das
Klageziel richtet sich darauf, dem Urlaubskonto vier Tage gutzuschreiben und damit diese
Urlaubstage nachzugewähren (BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 9, BAGE 138, 58).
12 II. Die Klage ist auch begründet. Der Anspruch folgt aus § 275 Abs. 1 und 4, § 280 Abs. 1
und 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB.
Die Beklagte war nicht berechtigt, den Urlaubsanspruch des Klägers wegen der Regelung
in § 5 des Arbeitsvertrags iVm. Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung zu
kürzen. Die Kürzungsregelung hält einer Kontrolle nach dem Recht der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen gemäß § 305 ff. BGB nicht stand. Sie ist wegen Verstoßes gegen
das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB unwirksam.
13 1. Die Kürzungsregelung ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1
Satz 1 iVm. Satz 2 BGB. Sowohl die Rahmenvereinbarung, die gemäß § 5 des
Arbeitsvertrags vom 29. April 2008 bei der näheren Ausgestaltung des Anspruchs des
Klägers auf Mehrurlaub zu berücksichtigen ist, als auch die Bezugnahmeklausel in § 5 des
Arbeitsvertrags sind von der Beklagten vorformulierte Vertragsbedingungen, die sie nach
dem äußeren Erscheinungsbild mehrfach verwendet hat und die sie als Verwenderin dem
Kläger bei Vertragsschluss stellte. Der Text der Rahmenvereinbarung, die insgesamt acht
Seiten umfasst, sowie der Arbeitsvertrag enthalten über die persönlichen Daten des
Klägers zu Beginn des jeweiligen Textes hinaus keine individuellen Besonderheiten.
Individuelle Vereinbarungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB, insbesondere im Hinblick auf
die Kürzungsregelung in Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung, sind vom
Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden.
14 2. Die Kürzungsregelung in § 5 des Arbeitsvertrags iVm. Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der
Rahmenvereinbarung verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm.
Satz 1 BGB und ist deshalb unwirksam.
15 a) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB sind Verwender von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet,
Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen.
Dazu gehört auch, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen wirtschaftliche Nachteile und
Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden
kann (BAG 3. April 2007 - 9 AZR 867/06 - Rn. 29, BAGE 122, 64). Sinn des
Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Arbeitnehmer von der
Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. In der Gefahr, dass er wegen unklar
abgefasster Allgemeiner Geschäftsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine
unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (BAG 24. März 2009 -
9 AZR 983/07 - Rn. 96 mwN, BAGE 130, 119).
16 b) Hieran gemessen ist die Kürzungsregelung intransparent. Sie zeigt dem Arbeitnehmer
nicht hinreichend klar auf, in welchem Umfang sein vertraglicher Mehrurlaubsanspruch bei
Arbeitsunfähigkeit gekürzt wird. Hierdurch kann er gehindert werden, seinen (ungekürzten)
Mehrurlaubsanspruch geltend zu machen.
17 aa) Die Beklagte verwendet in Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung die
Begriffe „krankheitsbedingte Fehltage“ und „Krankheitstage“, ohne dass deutlich wird, ob
beide Begriffe identisch angewandt werden sollen. Es ist damit nicht erkennbar, ob jeder
„Krankheitstag“ zur Kürzung führen kann oder nur die „Krankheitstage“, an denen der
Arbeitnehmer an sich seine Arbeitsleistung schuldet. Ausgehend davon, dass in ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen iSv. § 5 Abs. 1 EFZG die voraussichtliche Dauer der
Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anzugeben ist, schließt der Begriff „Krankheitstage“
sämtliche Tage ein, an denen der betroffene Arbeitnehmer erkrankt ist. Begrifflich können
somit auch Samstage, Sonntage, gesetzliche Feiertage und „Krankheitstage“ während
eines gewährten Urlaubs erfasst sein. Soweit die Beklagte mit dem Begriff
„Krankheitstage“ beispielsweise Arbeitstage gemeint haben sollte, an denen eine durch
eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit bestand und
grundsätzlich eine Arbeitsleistung geschuldet war, kommt dies nicht einmal ansatzweise
im Wortlaut der Klausel zum Ausdruck.
18 bb) Schließlich ist auch die Kürzungsstaffelung als solche intransparent. So ist unklar, ob
für die Berechnung des Kürzungsumfangs sämtliche Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit
summiert werden (jährliche Gesamterkrankungsdauer) oder ob es ausschließlich auf die
Dauer jeder einzelnen Erkrankung ankommt (Teilerkrankungsdauer). Im letztgenannten
Fall würde eine Kürzung des Mehrurlaubs unterbleiben, wenn die einzelne Erkrankung
eines Arbeitnehmers maximal drei Arbeitstage andauert, da die erste Kürzungsstaffel erst
bei vier „Krankheitstagen“ beginnt. Somit wäre es möglich, dass ein Arbeitnehmer, der zB
drei Mal jeweils drei Arbeitstage arbeitsunfähig erkrankt ist, keine Kürzung seines
Mehrurlaubs hinnehmen müsste, während ein anderer Arbeitnehmer, der neun Arbeitstage
(Gesamterkrankungsdauer) erkrankt war, eine Kürzung seines Mehrurlaubsanspruchs um
zwei Tage hinnehmen müsste. Da zudem angesichts von Abschn. VIII Ziff. 5 der
Rahmenvereinbarung etwaig zu viel gezahltes Urlaubsentgelt als Entgeltvorschuss
behandelt wird, zeigt die Beklagte als Verwenderin der streitgegenständlichen Klausel
den Arbeitnehmern im Ergebnis nicht hinreichend auf, in welchem Umfang ggf. der
Mehrurlaub gekürzt wird und eine etwaige Überzahlung des Urlaubsentgelts nachträglich
auszugleichen ist.
19 c) Da die Kürzung des Mehrurlaubs bereits wegen der Unwirksamkeit der
Kürzungsregelung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB unberechtigt erfolgte,
kommt es auf die vom Landesarbeitsgericht aufgeworfene Frage, ob und inwieweit eine
Kürzung von arbeitsvertraglichen Mehrurlaubsansprüchen aufgrund von Arbeitsunfähigkeit
am Maßstab des § 4a EFZG zu messen ist, nicht mehr an.
20 3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus Verzug
liegen vor. Der Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch um, der
auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber
den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung
verfällt (BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 24).
21 a) Dieser Urlaubsanspruch für 2011 war nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens mit
Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 2012 verfallen.
22 b) Zwar ist nicht festgestellt, dass der Kläger gegenüber der Beklagten die Gewährung
dieser vier Urlaubstage vor Verfall verlangte. Der Verzug ergibt sich hier schon daraus,
dass die Beklagte mit der Kürzung im Urlaubsjahr 2011 zu erkennen gab, die gekürzten
Urlaubstage nicht gewähren zu wollen. Darin lag ihre ernsthafte und endgültige
Erfüllungsverweigerung als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2
Nr. 3 BGB eine Mahnung des Klägers entbehrlich macht (BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR
197/10 - Rn. 14, BAGE 138, 58). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob der
Arbeitgeber aus dem Unionsrecht verpflichtet ist, auch ohne Aufforderung des
Arbeitnehmers von sich aus den vollen Urlaubsanspruch im Urlaubsjahr zu erfüllen (vgl.
LAG Hamm 14. Februar 2013 - 16 Sa 1511/12 - zu C II 4 der Gründe, anhängig beim
EuGH unter - C-118/13 - [Bollacke]).
23 B. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen.
Brühler
Klose
Krasshöfer
Kranzusch
Martin Lücke