Urteil des BAG vom 17.01.2012

Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz - Rechtliches Gehör

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 17.1.2012, 5 AZN
1358/11
Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz - Rechtliches Gehör
Tenor
1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. August
2011 - 15 Sa 586/11 - wird als unzulässig verworfen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird 1.152,02 Euro festgesetzt.
Gründe
1 I. Die Parteien streiten über die Auszahlung der sog. ERA-Strukturkomponente für das
Jahr 2009. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat
die Berufung des Klägers zurückgewiesen, in der schriftlichen Urteilsbegründung jedoch
zu erkennen gegeben, es halte seine Entscheidung zwischenzeitlich für falsch. Das
Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die
Beschwerde des Klägers.
2 II. Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen
Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG.
3 1. Der Kläger hat eine Divergenz nicht aufgezeigt.
4 a) Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Divergenzbeschwerde gehört, dass der
Beschwerdeführer einen abstrakten Rechtssatz aus der anzufechtenden Entscheidung
sowie einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten
Gerichte anführt und darlegt, dass das anzufechtende Urteil auf dieser Abweichung beruht
(BAG 6. Dezember 1994 - 9 AZN 337/94 - BAGE 78, 373, 375). Nach § 72a Abs. 3 Satz 2
Nr. 2 ArbGG müssen diese Voraussetzungen in der Begründung der Beschwerde
dargelegt und die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, bezeichnet werden (BAG
14. April 2005 - 1 AZN 840/04 - BAGE 114, 200). Allein die Darlegung einer fehlerhaften
Rechtsanwendung bzw. fehlerhaften oder unterlassenen Anwendung der Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der im Gesetz genannten Gerichte reicht
zur Begründung einer Divergenzbeschwerde nicht aus (vgl. BAG 23. Juli 1996 - 1 ABN
18/96 - AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 76).
5 b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung mit ihrem Vorbringen, eine
andere Kammer des Berufungsgerichts habe in einer Parallelsache ein der dortigen Klage
stattgebendes Urteil verkündet, nicht. Die angezogene Entscheidung (LAG Berlin-
Brandenburg 13. Oktober 2011 - 14 Sa 585/11 -) ist nicht divergenzfähig. Abweichen iSv.
§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG kann nur eine spätere Entscheidung von einer früheren (BAG
10. Februar 1981 - 1 ABN 19/80 - AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 6 = EzA ArbGG
1979 § 72 Nr. 3). Zudem können Rechtssätze nur in dem schriftlich abgefassten, von
sämtlichen Mitgliedern der Kammer unterschriebenen Berufungsurteil (§ 69 Abs. 1 Satz 1
ArbGG) enthalten sein, nicht aber aus einer mündlichen Urteilsbegründung des
Kammervorsitzenden abgeleitet werden.
6 2. Der Kläger hat eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung nicht dargelegt.
7 a) Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt
werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.
Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und
klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner
Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die
Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAG 14. April 2005 -
1 AZN 840/04 - BAGE 114, 200, 203). Die aufgeworfene Rechtsfrage muss sich in einer
unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen können und deshalb das abstrakte Interesse
der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren
(vgl. BVerfG 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 - Rn. 19, NZA 2009, 53; BAG 5. Oktober
2010 - 5 AZN 666/10 - Rn. 3, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 74 = EzA ArbGG 1979 § 72
Nr. 43). Der Beschwerdeführer hat nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG die von ihm
darzulegende entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
konkret zu benennen und ihre Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit,
Entscheidungserheblichkeit und allgemeine Bedeutung für die Rechtsordnung und ihre
Auswirkungen auf die Interessen jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit
aufzuzeigen. Unzulässig ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen
des Einzelfalls abhängt (BAG 5. November 2008 - 5 AZN 842/08 - EzA ArbGG 1979 § 72a
Nr. 119; 23. Januar 2007 - 9 AZN 792/06 - BAGE 121, 52).
8 b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger befasst
sich zwar unter Wiedergabe einschlägiger Rechtsprechung (vgl. zB BAG 28. Juni 2011 -
3 AZN 146/11 - Rn. 10 ff. mwN, NZA 2011, 939) ausführlich mit der grundsätzlichen
Bedeutung als solcher, benennt aber keine einzige entscheidungserhebliche Rechtsfrage,
die das Berufungsgericht zu seinen Lasten beantwortet hätte. Das Landesarbeitsgericht
hat nach seiner vom Kläger wiedergegebenen Einschätzung den Inhalt eines Tarifvertrags
nicht vollständig erkannt und ist dadurch zu einer fehlerhaften Rechtsanwendung
gekommen. Das könnte aber erst im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüft
werden.
9 3. Der Kläger hat eine entscheidungserhebliche Verletzung seines Anspruchs auf
rechtliches Gehör nicht aufgezeigt.
10 a) Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG eine
entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend
gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG die Beschwerdebegründung die
Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit
enthalten. Die bloße Benennung eines Zulassungsgrundes genügt nicht. Der
Beschwerdeführer hat vielmehr zu dessen Voraussetzungen substantiiert vorzutragen
(BAG 20. Januar 2005 - 2 AZN 941/04 - BAGE 113, 195; 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 -
BAGE 114, 157). Das Revisionsgericht muss dadurch in die Lage versetzt werden, allein
anhand der Lektüre der Beschwerdebegründung und des Berufungsurteils die
Voraussetzungen für die Zulassung prüfen zu können.
11 b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger macht
selbst nicht geltend, das Landesarbeitsgericht habe von ihm gehaltenen Sachvortrag, für
die Entscheidung erhebliche Rechtsausführungen oder Beweisangebote übergangen. Der
vorgebrachte Fehler des Landesarbeitsgerichts ist ungeeignet, eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör darzulegen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als
Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die vom Fachgericht zu treffende Entscheidung frei
von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und
Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BAG 14. Dezember 2010 -
6 AZN 986/10 - Rn. 25 mwN, EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 126). Der Anspruch auf
rechtliches Gehör schützt aber nicht davor, dass ein Gericht für die Entscheidung des
Rechtsstreits maßgebliche Normen oder Normgefüge nicht sorgfältig genug liest und ihm
dadurch ein Rechtsfehler unterläuft. Auch ist das Gericht vor Schluss der mündlichen
Verhandlung grundsätzlich nicht zur Offenlegung seiner Rechtsauffassung verpflichtet
(BAG 31. Mai 2006 - 5 AZR 342/06 (F) - Rn. 5 mwN, BAGE 118, 229), zumal der Kläger
nicht darlegt, inwieweit es ihm nicht möglich gewesen ist, die Rechtsauffassung des
Landesarbeitsgerichts generell oder seine Einschätzung zu den im Streitfall anzuwenden
Tarifverträgen im Speziellen in der Berufungsverhandlung zu erfragen.
12 III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
13 IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.
Müller-Glöge Laux Biebl