Urteil des BAG vom 14.11.2012

Bonusanspruch - Insolvenzforderung - Schadenersatzanspruch - Halteprämie und Kündigung vor Auszahlungszeitpunkt

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 14.11.2012, 10 AZR 3/12
Bonusanspruch - Insolvenzforderung
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
München vom 3. August 2011 - 10 Sa 183/11 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision und die Kosten der Streithilfe im
Revisionsverfahren zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, an den Kläger einen anteiligen
sog. Incentive-Bonus iHv. 15.400,00 Euro und einen sog. Retention-Bonus iHv.
55.300,00 Euro zu zahlen.
2 Der Kläger war seit dem 1. Juli 2007 bei der später in Insolvenz gefallenen Q AG (im
Folgenden: Insolvenzschuldnerin) als „Head of Marketing for Product Line Server“ auf der
Grundlage des Arbeitsvertrags vom 13. April/13. Juni 2007 beschäftigt. Der Arbeitsvertrag
lautet auszugsweise:
„…
5.
Das Jahreszieleinkommen des Mitarbeiters beträgt
111.400,00 Euro brutto.
Es setzt sich zusammen aus
a)
86.400,00 Euro brutto,
das in zwölf gleichen Raten jeweils zum Monatsende ausgezahlt wird,
und
b)
Der individuelle Zielbetrag für den Bonus beträgt für ein volles
Geschäftsjahr (01.10. bis 30.09.) bei 100 % Zielerreichung
25.000,00 Euro brutto.
Die Ziele werden jährlich auf Grundlage der jeweils geltenden
Richtlinie (Bonus & Incentive Guideline), die jeweils Bestandteil
dieses Vertrages ist, in einer gesonderten Vereinbarung
(Zielvereinbarung) festgelegt. …
Die Höhe des Bonus richtet sich nach dem Grad des Erreichens der in
der Zielvereinbarung festgelegten Ziele. Der Zielerreichungsgrad wird
jeweils nach Ablauf des Geschäftsjahres ermittelt.
12.
Der Vertrag kann beiderseits unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3
Monaten zum Monatsende gekündigt werden, es sei denn, dass gesetzliche
Bestimmungen eine andere Kündigungsfrist unabdingbar vorschreiben.“
3 In dem am 1. Oktober 2008 begonnenen Geschäftsjahr 2008/2009 betrug das
Jahreszieleinkommen des Klägers 118.400,00 Euro brutto. Es setzte sich aus einem
festen Jahresgehalt iHv. 87.600,00 Euro und einem Zielbonus iHv. 30.800,00 Euro
zusammen. Eine Zielvereinbarung für dieses Geschäftsjahr wurde zwischen dem Kläger
und der Insolvenzschuldnerin nicht abgeschlossen.
4 Am 16. Oktober 2008 erhielt der Kläger von der Insolvenzschuldnerin ein Schreiben mit
folgendem Wortlaut:
Retention Payment
Sehr geehrter Herr Dr. S,
wir freuen uns, dass wir Ihnen zum 31. Januar 2009 einen einmaligen Betrag in
Höhe von
27.600,00 Euro brutto
und zum 31. Mai 2009 einen einmaligen Betrag in Höhe von
27.600,00 Euro brutto
sowie zum 30. September 2009 einen einmaligen Betrag in Höhe von
27.700,00 Euro brutto
zusagen können. Die Auszahlung des jeweiligen Betrages setzt voraus, dass Sie
zu dem jeweiligen Zeitpunkt Ihr Arbeitsverhältnis mit der Q AG nicht von sich aus
gekündigt haben. Die Auszahlung erfolgt mit der jeweils nächsten
Gehaltsabrechnung.
Wir bestätigen Ihnen, dass die zugesagten Retention-Zahlungen zu 100 % auch im
Falle einer einseitigen Kündigung durch Ihren Arbeitgeber oder durch eine vom
Arbeitgeber veranlasste Auflösung Ihres Arbeitsvertrages ausbezahlt wird. Die
Auszahlung findet in diesem Fall mit Wirksamwerden der Kündigung bzw. des
Auflösungsvertrages statt. Regelungsabsprachen für einen Auflösungsvertrag
bleiben davon unberührt.
…“
5 Mit Beschluss des Amtsgerichts M - Insolvenzgericht - vom 23. Januar 2009 wurde die
vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin angeordnet
und der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit der Maßgabe bestellt, dass
Verfügungen der Insolvenzschuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen
Insolvenzverwalters wirksam sind. Am 1. April 2009 eröffnete das Amtsgericht M -
Insolvenzgericht - das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin
und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.
6 Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers am 1. April 2009 zum 31. Juli
2009 und stellte den Kläger von der Arbeitsleistung frei. Am 20. April 2009 kündigte der
Kläger selbst zum 30. April 2009. Mit Schreiben vom 22. April 2009 bestätigte der Beklagte
dem Kläger die Beendigung des Arbeitsverhältnisses „aufgrund Ihrer Kündigung vom
20.04.2009 auf Ihren Wunsch hin ... im gegenseitigen Einvernehmen zum 30.04.2009.“
7 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. März
2009 stehe ihm ein anteiliger Incentive-Bonus iHv. 15.400,00 Euro in Form eines
Schadensersatzanspruchs zu, weil die Insolvenzschuldnerin entgegen den
arbeitsvertraglichen Vorgaben keine Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2008/2009
mit ihm abgeschlossen habe. Der Anspruch sei eine Masseforderung, weil er erst mit
Beendigung des Arbeitsverhältnisses und somit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
entstanden sei. Darüber hinaus könne er aufgrund des Schreibens vom 16. Oktober 2008
einen Retention-Bonus iHv. 55.300,00 Euro verlangen. Die in diesem Schreiben
niedergelegten Voraussetzungen seien am 31. Mai 2009 bzw. 30. September 2009 erfüllt
worden.
8 Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 70.700,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, bei
dem Schadensersatzanspruch wegen nicht abgeschlossener Zielvereinbarung handele es
sich um eine Insolvenzforderung. Der Kläger könne den im Schreiben vom 16. Oktober
2008 zugesagten Retention-Bonus nicht verlangen. Die Voraussetzungen für dessen
Auszahlung seien nicht erfüllt, weil der Kläger das Arbeitsverhältnis selbst zum 30. April
2009 gekündigt habe.
10 Der Beklagte hat den beiden Vorstandsmitgliedern der Insolvenzschuldnerin den Streit
verkündet. Diese sind am 15. November 2010 dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten
beigetreten.
11 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden.
13 A. Die Klage ist unbegründet. Der Anspruch auf den Incentive-Bonus für die Zeit vom
1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 ist eine Insolvenzforderung (zu I). Den Retention-Bonus
kann der Kläger nicht verlangen, weil die Voraussetzungen für dessen Auszahlung nicht
erfüllt sind (zu II).
14 I. Der Kläger kann von dem Beklagten keine Zahlung des anteiligen Incentive-Bonus
verlangen. Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass ihm ein
Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 und Abs. 3 iVm. § 283 Satz 1 BGB wegen
einer zu vertretenden Pflichtverletzung zusteht, weil keine Zielvereinbarung für das
Geschäftsjahr 2008/2009 zustande gekommen ist. Ein solcher Anspruch ist jedoch keine
Masseforderung, sondern eine Insolvenzforderung iSd. § 108 Abs. 3 InsO. Der Kläger
kann den Anspruch gemäß § 87 InsO nur im Rahmen des Insolvenzverfahrens verfolgen
und muss ihn gemäß § 174 InsO beim Insolvenzverwalter anmelden.
15 1. Eine Masseverbindlichkeit iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO liegt nicht vor.
16 a) Masseverbindlichkeiten iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO sind Verbindlichkeiten aus
gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens erfolgen muss.
17 aa) Die Regelung stellt sicher, dass der Gläubiger, der noch voll zur Masse leisten muss,
auch die volle Gegenleistung erhält und die Masse nicht auf seine Kosten bereichert wird
(BAG 19. Juli 2007 - 6 AZR 1087/06 - Rn. 19, BAGE 123, 269; 27. April 2006 - 6 AZR
364/05 - Rn. 21, BAGE 118, 115). Soweit Arbeitsverhältnisse betroffen sind, beruht die
Vorschrift auf dem Grundgedanken, dass der Arbeitnehmer trotz Insolvenz seine
vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen muss und im Gegenzug seine vertraglich
vereinbarten Ansprüche behalten soll. Unter § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO fallen daher alle
Lohn- und Gehaltsansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach der
Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen, sowie alle sonstigen
Ansprüche, die sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergeben. Maßgeblich
ist, ob die geltend gemachten Ansprüche vor oder nach der Verfahrenseröffnung
entstanden sind, wobei nicht auf die Fälligkeit, sondern auf den Zeitpunkt des Entstehens
der Forderung abzustellen ist (BAG 19. Juli 2007 - 6 AZR 1087/06 - aaO; 19. Januar 2006
- 6 AZR 529/04 - Rn. 18, BAGE 117, 1).
18 bb) Unter welchen Voraussetzungen jährliche Sonderzuwendungen als
Masseverbindlichkeiten iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO anzusehen sind, hängt von dem
Zweck der Sonderzuwendung ab.
19 (1) Mit einer Sonderzuwendung kann die vom Arbeitnehmer im Bezugszeitraum erbrachte
Arbeitsleistung zusätzlich honoriert werden. Der Anspruch auf eine solche
Sonderzuwendung entsteht regelmäßig während des Bezugszeitraums entsprechend der
zurückgelegten Dauer („pro rata temporis“) und wird nur zu einem anderen Zeitpunkt
insgesamt fällig (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 667/10 - Rn. 10, AP BGB § 307 Nr. 59 =
EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 32; 21. April 2010 - 10 AZR 178/09 - Rn. 14,
AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 45; 28. März 2007 - 10 AZR 261/06 - Rn. 17, AP BGB § 611
Gratifikation Nr. 265 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 21).
Insolvenzrechtlich sind solche arbeitsleistungsbezogenen Sonderzuwendungen dem
Zeitraum zuzuordnen, für den sie als Gegenleistung geschuldet sind (für zeitliche
Zuordnung nach der KO: BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 441/78 - AP KO § 59 Nr. 10 = EzA KO
§ 59 Nr. 9; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. Einf. InsO Rn. 44; Uhlenbruck/Sinz InsO 13. Aufl.
§ 55 Rn. 67; MünchKommInsO/Hefermehl 2. Aufl. § 55 Rn. 167): Soweit mit ihnen
Arbeitsleistungen vergütet werden, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
erbracht wurden, handelt es sich um Masseforderungen (für zeitliche Zuordnung nach der
KO: BAG 4. Juni 1977 - 5 AZR 663/75 - zu 2 a der Gründe, BAGE 29, 211). Soweit durch
sie vor Verfahrenseröffnung erbrachte Arbeitsleistungen honoriert werden, liegen
Insolvenzforderungen vor (für zeitliche Zuordnung nach der KO: BAG 21. Mai 1980 -
5 AZR 337/78 - BAGE 33, 113). Für einen ratierlichen Erwerb des Anspruchs in dem hier
dargestellten Sinne genügt es, dass der Anspruch - unabhängig von einer gleichmäßigen
Zielerfüllung im Geschäftsjahr - kontinuierlich an die Arbeitsleistung anknüpft. Ist die
zusätzliche Vergütung dagegen für besondere, zu bestimmten Zeiten während des
Geschäftsjahres zu erbringende Leistungen versprochen, kann es allein auf diese
Zeiträume ankommen.
20 (2) Sonderzuwendungen können auch anderen Zwecken als der Vergütung erbrachter
Arbeitsleistung dienen. Sie können als „Treueprämie“ langfristige oder als „Halteprämie“
kurzfristige bzw. künftige Betriebstreue honorieren (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR
667/10 - Rn. 13, AP BGB § 307 Nr. 59 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie
Nr. 32); der Arbeitgeber kann aber auch den Zweck verfolgen, sich an den zum
Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu
beteiligen (vgl. BAG 5. Juli 2011 - 1 AZR 94/10 - Rn. 35). Die Zahlung solcher
Sonderzuwendungen hängt nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern
regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR
667/10 - aaO). Insolvenzrechtlich sind derartige stichtags- oder anlassbezogene
Sonderzuwendungen dem Zeitraum zuzurechnen, in den der Stichtag fällt (BAG
11. Dezember 2001 - 9 AZR 459/00 - zu I 1 der Gründe, AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO
§ 210 Nr. 1). Liegt der Stichtag zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es
sich um eine Masseverbindlichkeit (LAG Nürnberg 3. Februar 2010 - 4 Sa 367/09 - Rn. 42,
ZIP 2010, 1189; LAG Schleswig-Holstein 12. März 2008 - 6 Sa 411/07 - Rn. 30, NZA-
RR 2008, 594; Uhlenbruck/Sinz § 55 Rn. 67; MünchKommInsO/Hefermehl § 55 Rn. 168).
Im anderen Fall ist eine solche Zahlung in voller Höhe als Insolvenzforderung anzusehen.
Diese Unterscheidung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur
Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in die Insolvenzgeldberechnung (BSG 21. Juli
2005 - B 11a/11 AL 53/04 R - NZA-RR 2006, 437).
21 (3) Ob der Arbeitgeber erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet oder sonstige Zwecke
verfolgt, ist durch Auslegung der vertraglichen Bestimmungen zu ermitteln. Der
Vergütungscharakter ist eindeutig, wenn die Sonderzahlung an das Erreichen quantitativer
oder qualitativer Ziele geknüpft ist (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 667/10 - Rn. 15, AP
BGB § 307 Nr. 59 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 32; 7. Juni 2011 -
1 AZR 807/09 - Rn. 41 f., AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 55 = EzA BetrVG 2001 § 88 Nr. 3).
22 cc) Schadensersatzansprüche eines Arbeitnehmers, die an die Stelle von
Vergütungsansprüchen aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis treten, sind
insolvenzrechtlich wie die ihnen zugrunde liegenden Vergütungsansprüche zu behandeln,
dh. sie sind demjenigen Zeitraum zuzuordnen, auf den sich der ursprüngliche
Vergütungsanspruch bezog (BAG 13. August 1980 - 5 AZR 588/78 - zu II 1 b der Gründe,
BAGE 34, 101; vgl. auch BSG 17. Juli 1979 - 12 RAr 12/78 - SozR 4100 § 141b Nr. 10;
17. Juli 1979 - 12 RAr 4/79 - SozR 4100 § 141b Nr. 12).
23 b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem geltend gemachten
Schadensersatzanspruch nicht um eine Masseverbindlichkeit iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2
InsO, sondern um eine Insolvenzforderung.
24 aa) Gemäß Ziffer 5 des Arbeitsvertrags setzt die Zahlung des Bonus das Erreichen
bestimmter, in einer Zielvereinbarung festzulegender Ziele voraus. Die Höhe des Bonus
richtet sich nach dem Grad des Erreichens dieser Ziele. Eine solche erfolgsabhängige
Vergütung wird als unmittelbare Gegenleistung für die entsprechend der Zielvereinbarung
erbrachte Arbeitsleistung geschuldet (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 667/10 - Rn. 10, 15,
AP BGB § 307 Nr. 59 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 32; 12. April 2011 -
1 AZR 412/09 - Rn. 25, BAGE 137, 300). Keine Rolle spielt, dass der Zielerreichungsgrad
erst nach Ablauf des Geschäftsjahres ermittelt wird.
25 bb) Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch bezieht sich auf die Monate Oktober
2008 bis März 2009 und damit auf einen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
liegenden Zeitraum. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es nach der Art der zu
vereinbarenden Ziele auf besondere Ergebnisse oder Leistungen außerhalb dieses
Zeitraums hätte ankommen können. Der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, dass der
Incentive-Bonus entgegen der dargestellten Regel überwiegend erst in der zweiten Hälfte
des Geschäftsjahres verdient worden wäre. Keinesfalls wäre der Bonus erst nach
Abschluss des Geschäftsjahres entstanden.
26 cc) Für die insolvenzrechtliche Einordnung ist unerheblich, dass der Kläger nicht einen
Erfüllungsanspruch, sondern einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 und
Abs. 3 iVm. § 283 Satz 1 BGB wegen nicht abgeschlossener Zielvereinbarung geltend
macht. Ein solcher Schadensersatzanspruch tritt gemäß § 280 Abs. 3 BGB an die Stelle
des Anspruchs aus der Zielvereinbarung, weil die Vereinbarung von Zielen mit Ablauf der
Zielperiode unmöglich geworden ist, § 275 BGB (vgl. BAG 12. Dezember 2007 - 10 AZR
97/07 - Rn. 46 f., BAGE 125, 147); er ist daher insolvenzrechtlich demselben Zeitraum
zuzuordnen.
27 2. Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht nach anderen Vorschriften
Masseverbindlichkeit. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegen nicht vor,
weil der Anspruch nicht durch eine Handlung des Beklagten begründet wurde. § 55 Abs. 2
Satz 1 und Satz 2 InsO sind nicht anwendbar, weil auf den Beklagten als vorläufigen
Insolvenzverwalter nicht die Verfügungsbefugnis übergegangen (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 iVm.
§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), sondern zu seinen Gunsten lediglich ein Zustimmungsvorbehalt
angeordnet worden war (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO). Eine analoge Anwendung des § 55
Abs. 2 InsO auf die Fälle der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts scheidet mangels
Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke aus (BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 275/01 -
zu II 1 b cc (2) der Gründe, BAGE 102, 82; BGH 24. Januar 2008 - IX ZR 201/06 - Rn. 9,
NJW 2008, 1442; Uhlenbruck/Sinz § 55 Rn. 93 mwN).
28 II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Retention-Bonus iHv. 55.300,00 Euro. Die im
Schreiben vom 16. Oktober 2008 niedergelegten Voraussetzungen für die Auszahlung
liegen nicht vor.
29 1. Nach Satz 1 und Satz 2 des og. Schreibens erhält der Kläger Geldbeträge, wenn er das
Arbeitsverhältnis am 31. Mai 2009 bzw. 30. September 2009 nicht von sich aus gekündigt
hat. Diese Voraussetzungen sind unstreitig nicht erfüllt, weil der Kläger das
Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. April 2009 zum 30. April 2009 gekündigt hat.
30 2. Nach Satz 4 des Schreibens vom 16. Oktober 2008 wird der Retention-Bonus in vollem
Umfang auch im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung ausgezahlt. Diese Regelung
setzt ebenfalls voraus, dass das Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig vom Kläger selbst
gekündigt wurde.
31 a) Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Zusage. Gemäß Satz 4 des Schreibens werden
auch im Falle der Kündigung durch den Arbeitgeber „die zugesagten Retention-
Zahlungen“ ausgezahlt. Damit wird auf die im ersten Teil des Schreibens unter den dort
genannten Voraussetzungen zugesagten Zahlungen Bezug genommen. Deren Entstehen
setzt gemäß Satz 2 des Schreibens voraus, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis
nicht selbst vorzeitig kündigt.
32 b) Der Verlust des Anspruchs bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch
den Kläger entspricht auch dem Sinn der Halteprämie. Zweck der Zusage vom 16. Oktober
2008 ist die Belohnung von Betriebstreue. Vor dem Hintergrund der schwierigen
wirtschaftlichen Situation der Insolvenzschuldnerin wurden den Arbeitnehmern Zahlungen
für den Fall versprochen, dass ihr Arbeitsverhältnis zu bestimmten, in der Zukunft
liegenden Stichtagen entweder von Arbeitnehmerseite ungekündigt fortbesteht oder aber
allein deshalb nicht mehr besteht, weil es auf Veranlassung des Arbeitgebers vorzeitig
beendet worden ist. Damit wurde ein Anreiz für die Arbeitnehmer geschaffen, ihr
Kündigungsrecht trotz der schwierigen finanziellen Lage nicht auszuüben und der
Insolvenzschuldnerin bis zu den vereinbarten Stichtagen bzw. der von ihr veranlassten
Beendigung des Arbeitsverhältnisses Betriebstreue zu erweisen. Diesem Zweck
widerspräche es, wenn ein Mitarbeiter die Treueprämie erhielte, obwohl er das
Arbeitsverhältnis vorzeitig gekündigt und der Arbeitgeberin damit gerade nicht die
geforderte Betriebstreue erwiesen hat.
33 c) Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers reicht allein der Ausspruch der
arbeitgeberseitigen Kündigung für das Entstehen des Anspruchs nach Satz 4 der Zusage
nicht aus. Vielmehr muss sich der Arbeitnehmer bis zur tatsächlichen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses betriebstreu verhalten; ihm obliegt, das Arbeitsverhältnis jedenfalls
nicht zu einem früheren Zeitpunkt zu kündigen. Der Kläger übersieht, dass im Schreiben
der Insolvenzschuldnerin allein die Nichtausübung seines Kündigungsrechts als
Voraussetzung für den Anspruch genannt ist. Die Kündigung durch den Arbeitgeber ist
dagegen nicht als Anspruchsvoraussetzung gestaltet, sondern lediglich als ein Umstand
benannt, der - bei Vorliegen der einzigen Anspruchsvoraussetzung - den Anspruch nicht
ausschließt. Es handelt sich folglich um einen Einwendungsausschluss, nicht um ein
Tatbestandsmerkmal für das Entstehen des Anspruchs.
34 d) Im Übrigen macht die in Satz 5 des Schreibens verwendete Formulierung, wonach die
Auszahlung „mit Wirksamwerden der Kündigung“ stattfindet, deutlich, dass es auf den
Grund für die konkrete Beendigung des Arbeitsverhältnisses ankommen soll. Liegt sie in
einer Kündigung des Arbeitnehmers, so entsteht kein Anspruch, auch wenn der
Arbeitgeber zu einem späteren Zeitpunkt kündigt. Mit dem „Wirksamwerden der
Kündigung“ ist der Zeitpunkt gemeint, zu dem die Kündigung des Arbeitgebers die mit ihr
beabsichtigten rechtlichen Wirkungen entfaltet, dh. das Arbeitsverhältnis beendet wird.
Auch die weitere in Satz 4 des Schreibens genannte Alternative der „vom Arbeitgeber
veranlasste[n] Auflösung [des] Arbeitsvertrages“ macht deutlich, dass Voraussetzung für
das Entstehen des Zahlungsanspruchs die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und
nicht lediglich eine auf die Beendigung gerichtete Handlung ist. Der bereits dargelegte
Zweck der Zusage spricht ebenfalls für ein solches Verständnis.
35 e) Danach liegen die Voraussetzungen für die Zahlung des Retention-Bonus im Falle der
arbeitgeberseitigen Kündigung nicht vor, weil das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung
des Klägers vom 20. April 2009 vorzeitig zum 30. April 2009 beendet wurde.
36 3. Die Kündigung des Klägers vom 20. April 2009 stellt schließlich auch keine „vom
Arbeitgeber veranlasste Auflösung des Arbeitsvertrags“ iSd. Satzes 4 des Schreibens dar.
37 a) „Auflösung“ iSd. Zusage ist nur die einvernehmliche Beendigung des
Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungs- oder Auflösungsvertrag (§ 623 BGB), nicht
hingegen die einseitige Kündigung durch den Arbeitnehmer. Das belegt die
Fälligkeitsregelung in Satz 5 des Schreibens, nach der die Auszahlung im Falle der
veranlassten Auflösung mit Wirksamwerden „des Auflösungsvertrages“ stattfindet.
38 b) Eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegt nicht vor. Der Kläger hat
das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 20. April 2009 einseitig gekündigt. In dem
Schreiben vom 22. April 2009 hat der Beklagte dem Kläger zwar bestätigt, dass das
Arbeitsverhältnis aufgrund seiner Kündigung „im gegenseitigen Einvernehmen“ zum
30. April 2009 beendet wird. Dieses Schreiben ist jedoch lediglich als Bestätigung des
Erhalts der Kündigung zu werten und ggf. als Zusage, trotz Nichteinhaltung der
ordentlichen Kündigungsfrist gegen die Kündigung nicht rechtlich vorzugehen. Es kann
aber nicht als Annahme eines Angebots zur einvernehmlichen Auflösung des
Arbeitsverhältnisses angesehen werden, zumal auch das gesetzliche
Schriftformerfordernis (§§ 623, 126 Abs. 2 Satz 1 BGB) nicht eingehalten ist. Selbst wenn
man von einem Auflösungsvertrag ausgeht, wurde die Auflösung des Arbeitsverhältnisses
jedenfalls nicht durch den Beklagten veranlasst. Er hatte das Arbeitsverhältnis erst zum
31. Juli 2009 gekündigt. Die vorzeitige Beendigung zum 30. April 2009 erfolgte auf
Veranlassung und im erklärten Interesse des Klägers.
39 c) Daran ändert nichts, dass der Kläger mit Ausspruch der Kündigung durch den
Beklagten freigestellt wurde. Zwar hat der Beklagte dadurch zu erkennen gegeben, dass
ihm an der Arbeitsleistung des Klägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nichts mehr
gelegen war. Gleichwohl sah der Kläger aus eigenem Antrieb davon ab, die besonderen
Risiken, die mit einem Verbleib im Arbeitsverhältnis verbunden waren, zu tragen;
stattdessen strebte er danach, lukrativere Beschäftigungsangebote bereits ab Mai 2009,
statt erst ab August 2009, annehmen zu können. Den Verzicht darauf zu honorieren, war
jedoch gerade der Sinn der Halteprämie.
40 B. Im Hinblick auf das erfolglos gebliebene Rechtsmittel hat der Kläger die Kosten der
Revision und der Streithelfer im Revisionsverfahren zu tragen, § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1
ZPO.
Mikosch
W.
Reinfelder
Schmitz-
Scholemann
W.
Guthier
A.
Effenberger