Urteil des BAG vom 19.12.2012

Sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 19.12.2012, 2 AZB
45/12
Sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Klägers vom 11. Juni 2012 wird das Urteil des
Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2011 - 12 Sa
170/11 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landesarbeitsgericht
zurückverwiesen.
Gründe
1 I. Der Kläger begehrt im Wege der sofortigen Beschwerde nach § 72b ArbGG die
Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das
Landesarbeitsgericht.
2 Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 6. Dezember
2011 schlossen die Parteien einen Vergleich unter dem Vorbehalt des Widerrufs.
Nachdem der Vergleich widerrufen worden war, verkündete das Landesarbeitsgericht am
13. Dezember 2011 ein Urteil. Dieses wurde den Parteien am 24. April 2012 mit
Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen zugestellt. Anstelle der Unterschriften
der an der mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 2011 beteiligten ehrenamtlichen
Richter trug es solche derjenigen ehrenamtlichen Richter, die am Verkündungstermin vom
13. Dezember 2011 anwesend waren.
3 Am 11. Juni 2012 legte der Kläger gegen das Urteil sofortige Beschwerde mit der
Begründung ein, das Urteil sei nicht vor Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung mit
den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen der Geschäftsstelle
übergeben worden.
4 Mit Beschluss vom 2. Juli 2012 berichtigte das Landesarbeitsgericht das Urteil
dahingehend, dass das Datum, an welchem die Verhandlung geschlossen worden war,
vom 13. Dezember 2011 auf den 6. Dezember 2011 geändert sowie die Namen der
ehrenamtlichen Richter durch diejenigen ersetzt wurden, welche an der mündlichen
Verhandlung vom 6. Dezember 2011 beteiligt waren. Dieser Beschluss war vom
Vorsitzenden und den letztgenannten ehrenamtlichen Richtern unterschrieben. Er wurde
mit einer erneut gefertigten und von diesen ehrenamtlichen Richtern unterschriebenen
Urschrift des Urteils verbunden. Beides wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers
am 17. September 2012 zugestellt.
5 Mit Schriftsatz vom 19. September 2012 erweiterte der Kläger die sofortige Beschwerde
vom 11. Juni 2012 auf das am 17. September 2012 zugestellte Urteil und beantragte für
den Fall der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
6 II. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.
7 1. Gem. § 72b Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann das Urteil eines Landesarbeitsgerichts durch
sofortige Beschwerde angefochten werden, wenn es nicht binnen fünf Monaten nach der
Verkündung vollständig abgefasst und mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der
Kammer versehen der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Erforderlich sind die
Unterschriften derjenigen Mitglieder der Kammer, die an der Entscheidung mitgewirkt
haben (BAG 20. Dezember 2006 - 5 AZB 35/06 - Rn. 4, BAGE 120, 358). Ist das
vollständig abgefasste Urteil ganz oder teilweise von anderen Mitgliedern der Kammer
unterschrieben, ohne dass ein Verhinderungsgrund vorgelegen hätte, ist es nicht iSv. §
72b Abs. 1 Satz 1 ArbGG mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer
versehen. Fehlende richterliche Unterschriften können zwar mit Wirkung für die Zukunft
nachgeholt werden (BGH 24. Juni 2003 - VI ZR 309/02 -, NJW 2003, 3057). Dies gilt
jedoch nicht, wenn die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf
Monaten nach der Verkündung der Entscheidung abgelaufen ist (BGH 27. Januar 2006 - V
ZR 243/04 - NJW 2006, 1881).
8 Die sofortige Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat einzulegen und zu
begründen. Die Frist beginnt mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des
Urteils.
9 2. Danach ist die sofortige Beschwerde zulässig und begründet.
10 a) Der Kläger hat die Beschwerdefrist von einem Monat, welche gem. § 188 Abs. 2 Alt. 1
iVm. § 187 Abs. 1 BGB am 13. Juni 2012 ablief, gewahrt. Dies gilt auch, soweit sich die
Beschwerde auf das am 17. September 2012 zugestellte „Urteil“ bezieht. Bei diesem
handelt es sich nicht um ein (neues) Urteil iSv. § 72b ArbGG, welches eigenständig
angegriffen werden müsste.
11 b) Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wies bis zum Ablauf von fünf Monaten nach seiner
Verkündung nicht die Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer auf, die an der
Entscheidung mitgewirkt haben. Die Berichtigung und erneute Zustellung des Urteils nach
Ablauf der Fünfmonatsfrist, dieses Mal mit den „richtigen“ Unterschriften, vermochte den
Fehler nicht zu heilen.
12 3. Das Berufungsurteil war gem. § 72b Abs. 5 ArbGG aufzuheben. Die Sache war zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Kreft Rachor Rinck