Urteil des BAG vom 25.10.2012

Außerordentliche Kündigung - Interessenabwägung - Abmahnungserfordernis

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11
Außerordentliche Kündigung - Interessenabwägung - Abmahnungserfordernis
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter
Kündigungen.
2 Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und
Viszeralchirurgie beschäftigt.
3 In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:
„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die
fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische
Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine
Hygiene verantwortlich …“
4 Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß
§ 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.
5 Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines
Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort
beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste
des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.
6 Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit
dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen
Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger
Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des
Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008
kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.
7 Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im
Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im
Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation
seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf
seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses
aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den
Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und
ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe.
Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er
neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons
überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer
zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation
habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im
Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer
Erhöhung der Komplikationsrate.
8 Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch
die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder
fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.
9 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die
Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der
Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate
unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er
täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er
den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei
den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose
bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden
gesundheitlichen Risiken einhergehe.
10 Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch
in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008
hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der
Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten
beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger
die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.
11 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist unbegründet.
13 A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom
26. September 2008 aufgelöst worden.
14 I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund
derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst
zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh.
typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung,
ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der
konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar
ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni
2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).
15 1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz
Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers
an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des
Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls
unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April
2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP
BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände,
anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis
zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht
abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die
Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des
Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des
Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR
323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es
keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber
sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 -
2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626
Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen
Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine
ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn
schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck -
nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos
künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 -
2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).
16 2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist
grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die
Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst
werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni
2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64
= EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer
Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer
solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum
Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex
ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht
zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst
deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und
damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG
19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).
17 II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene
Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu
beanstanden.
18 1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er
sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten
genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im
Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.
19 a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche
Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für
die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die
allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als
auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während
einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich
geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des
Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus
medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.
20 b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.
21 aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet,
dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender
Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an
ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro
Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt,
teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am
Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate
rein privaten Charakter gehabt hätten.
22 bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie
frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.
23 (1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der
Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und
Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies
auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des
Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.
24 (2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht
deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die
Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen.
Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu
deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs
ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des
Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.
25 (3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen
unberücksichtigt gelassen.
26 (a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am
Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies
jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht
den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender
Operationen sei üblich.
27 (b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates
Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu
entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte
dieses Verhalten geduldet hat.
28 cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin
dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen
privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht
gerechtfertigt.
29 dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei
gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft
erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt -
auch für private Telefonate gelten sollte.
30 2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen.
Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer
Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.
31 a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB
vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene
Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht
ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und
sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 -
Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 =
EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.
32 b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des
Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege
jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls
bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die
Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht
ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als
Reaktion der Beklagten ausreichend.
33 aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation
zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate
während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden.
Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und
dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht
behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend
gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls
für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die
Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt
würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht
annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate
während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen
Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine
andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der
Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken
nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat
veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für
wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge
von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des
Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest,
dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten
Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der
internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne
Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts
weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu
fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat -
und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.
34 bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe
gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es
Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des
Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht
nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem
Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der
Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der
Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.
35 cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom
2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu
Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss
des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den
Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen
Bedenken.
36 (1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es
den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist
eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger
ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr
ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller
Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil
begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).
37 (2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus
materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen,
ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten
voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen
Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies
unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die
Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht
davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von
(Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv
verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang
nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der
Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit
dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste
Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und
duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen
Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.
38 B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das
Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die
Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich
ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe
im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie
die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen
zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung
zurückzugreifen.
39 C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14.
und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer
Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den
Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.
40 D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die
Beklagte zu tragen.
Kreft
Rachor
Rinck
F. Löllgen
Bartz