Urteil des BAG vom 27.08.2008

BAG: Anrechnung einer tariflichen Einmalzahlung, zulage, vergütung, lohnerhöhung, verrechnung, tarifvertrag, gegenleistung, arbeitsbewertung, mitbestimmungsrecht, geschäftsbedingung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 27.8.2008, 5 AZR 821/07
Anrechnung einer tariflichen Einmalzahlung
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm
vom 16. August 2007 - 17 Sa 537/07 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Anrechnung einer tariflichen Einmalzahlung.
2 Der Kläger ist seit dem 1. August 1970 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten
beschäftigt. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge
der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen Anwendung. Am 22. April 2006 schlossen
der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. und die IG Metall
Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen ein Abkommen über die Tariflöhne in der Metall- und
Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (LA), in dem ua. Folgendes geregelt ist:
§ 2
Monatsgrundlohn - Summarische Arbeitsbewertung
1.
Für die Monate März bis Mai 2006 gelten die bisherigen Lohntabellen, gültig ab 1. März
2005, weiter.
2.
Die gewerblichen Arbeitnehmer erhalten nach Maßgabe des § 6 für diese drei Monate
mit der Abrechnung für Mai 2006 einen Einmalbetrag, der für Vollzeitbeschäftigte
310 Euro beträgt.
3.
Mit Wirkung ab 1. Juni 2006 wird der gemeinsame Ecklohn der
Monatsgrundlohntabelle von 1.860,67 Euro um 3 % auf 1.916,49 Euro erhöht.
§ 3
Monatsgrundlohn - Analytische Arbeitsbewertung
1.
Für die Monate März bis Mai 2006 gelten die bisherigen Lohntabellen, gültig ab 1. März
2005, weiter.
2.
Die gewerblichen Arbeitnehmer erhalten nach Maßgabe des § 6 für diese drei Monate
mit der Abrechnung für Mai 2006 einen Einmalbetrag, der für Vollzeitbeschäftigte
310 Euro beträgt.
3.
Mit Wirkung ab 1. Juni 2006 wird der Steigerungsbetrag 1 der tariflichen analytischen
Arbeitsbewertung von 25,1911 Euro um 3 % auf 25,9468 Euro erhöht. …
§ 6
Einmalbetrag
1.
Die Betriebsparteien können den Einmalbetrag gem. §§ 2 Nr. 2, 3 Nr. 2 bei
unterdurchschnittlicher, schlechter Ertragslage zeitlich innerhalb der Laufzeit des
Tarifvertrages verschieben oder bis auf Null reduzieren oder bei überdurchschnittlicher,
guter Ertragslage bis auf das Doppelte durch freiwillige Betriebsvereinbarung erhöhen.
Vereinbaren die Betriebsparteien keine Abweichung, ist der Einmalbetrag in der tariflich
vorgeschriebenen Höhe nach §§ 2 Nr. 2, 3 Nr. 2 auszuzahlen.
Eine Erhöhung des Einmalbetrags kann der Arbeitgeber ausschließen, wenn es im
Betrieb eine übertarifliche Regelung über eine Jahresabschlussvergütung,
Gratifikationen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen, Weihnachtsgeld oder ähnliche
Leistungen gibt.
2.
Den Einmalbetrag erhalten gewerbliche Arbeitnehmer in voller Höhe, wenn sie im
März, April und Mai 2006 Vollzeitbeschäftigte waren und einen vollen Anspruch auf
Lohn, auf Weiterzahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts oder auf Kurzarbeitergeld
hatten.
3.
Teilzeitbeschäftigte erhalten den Einmalbetrag nach Maßgabe ihrer für die Monate
März, April und Mai 2006 einzelvertraglich vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen
Arbeitszeit im Verhältnis zur regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von
35 Stunden.
Diese Regelung gilt entsprechend für gewerbliche Arbeitnehmer, deren regelmäßige
wöchentliche Arbeitszeit nach dem Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung auf eine
Dauer zwischen 30 und unter 35 Stunden festgelegt ist.
4.
Soweit für teilzeit- und vollzeitbeschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer kein voller
Anspruch auf Zahlung des Lohns, auf Weiterzahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts
oder auf Kurzarbeitergeld für die Monate März, April und /oder Mai 2006 bestand, ist
der Einmalbetrag zeitanteilig zu kürzen.
5.
Gewerbliche Arbeitnehmer, die während der Monate März, April oder Mai 2006
eingetreten bzw. ausgeschieden sind, erhalten den Betrag anteilig entsprechend der
Dauer ihres Arbeitsverhältnisses in diesen Monaten.
6.
Mit dem Einmalbetrag sind alle Ansprüche abgegolten, die sich aus der Erhöhung des
Tariflohns gemäß § 2 und § 3 für die Monate März bis Mai 2006 ergeben.
7.
Sofern die Monate März bis Mai 2006 ab Juni 2006 Referenzzeitraum für
Durchschnittsberechnungen aller Art sind, ist statt des Einmalbetrags eine prozentuale
Erhöhung von 3,0 % zugrunde zu legen.
§ 8
Schlussbestimmungen
1.
Dieses Abkommen tritt am 1. März 2006 in Kraft und kann mit einmonatiger Frist zum
Monatsende, erstmalig zum 31. März 2007, gekündigt werden.“
3 Die Beklagte rechnete neben dem Grundentgelt bis einschließlich Mai 2006 neben weiteren Zulagen
eine freiwillige übertarifliche Zulage iHv. 97,22 Euro brutto monatlich ab.
4 Mit Schreiben vom 12. Mai 2006 teilte die Beklagte allen Mitarbeitern mit, dass die im Tarifvertrag
vereinbarte Einmalzahlung von 310,00 Euro auf die freiwillige Sonderzulage der Monate März, April
und Mai 2006 angerechnet werde. Mit der Entgeltabrechnung für Mai 2006 verrechnete die Beklagte
die im Lohnabkommen vereinbarte Einmalzahlung von 310,00 Euro auf die Zulage und zahlte den
Restbetrag von 18,34 Euro brutto (310,00 Euro - 3 x 97,22 Euro) an den Kläger aus. Die Beklagte
nahm die Anrechnung auf alle übertariflichen Zulagen gleichförmig und vollständig vor. Eine
Vereinbarung der Betriebsparteien über den Einmalbetrag gem. § 6 Nr. 1 LA ist nicht zustande
gekommen.
5 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse die übertarifliche Zulage für die
Monate März bis Mai 2006 zusätzlich zu der tariflichen Einmalzahlung leisten. Die Anrechnung sei
schon mangels einer entsprechenden Abrede nicht zulässig gewesen. Die Einmalzahlung stelle
auch keine pauschalierte Lohnerhöhung dar, sondern habe, wie sich aus den für die
Betriebsparteien eröffneten Möglichkeiten ergebe, einen ganz neuen, eigenständigen Charakter.
6 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 291,66 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2006 zu zahlen.
7 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Verrechnung mit der freiwilligen
übertariflichen Zulage sei zulässig gewesen, weil es sich bei der Einmalzahlung um eine
pauschalierte Lohnerhöhung für die Monate März bis Mai 2006 gehandelt habe.
8 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die vom Arbeitsgericht
zugelassene Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision ist nicht begründet. Der Senat folgt dem Urteil des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis
und im Wesentlichen auch in der Begründung.
10 I. Der Anspruch auf Zahlung eines Einmalbetrags von 310,00 Euro für die Monate März bis Mai
2006 ist nach § 2 Nr. 2 bzw. § 3 Nr. 2 LA entstanden. Die Vorschriften des LA sind als
Inhaltsnormen gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar, da beide
Parteien gem. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden sind. Gem. § 6 Nr. 2 LA erhalten Beschäftigte die
Einmalzahlung in voller Höhe, wenn sie im März, April und Mai 2006 Vollzeitbeschäftigte waren
und einen vollen Anspruch auf Entgelt, auf Weiterzahlung des Entgelts oder auf Kurzarbeitergeld
hatten. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen. Eine Betriebsvereinbarung gem. § 6 Nr. 1 Satz 1
LA, nach der die Betriebspartner den Einmalbetrag (auf Null) reduziert haben, besteht nicht.
11 II. Die Beklagte hat den Anspruch durch Zahlung von 18,34 Euro und im Übrigen durch
Verrechnung mit den in den Monaten März bis Mai 2006 geleisteten übertariflichen Zulagen von
jeweils 97,22 Euro gem. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt. Die Verrechnung war zulässig, weil die
übertariflichen Zulagen keine Vergütungsbestandteile darstellen, die die Beklagte in jedem Falle
neben dem jeweiligen Tariflohn zahlen muss.
12 1. Die Verrechnung war einzelvertraglich zulässig.
13 a) Ob eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich auf eine übertarifliche Vergütung angerechnet
werden kann, hängt von der zugrunde liegenden Vergütungsabrede ab. Haben die
Arbeitsvertragsparteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, gilt diese. Anderenfalls ist
aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht. Die Anrechnung ist
grundsätzlich möglich, sofern dem Arbeitnehmer nicht vertraglich ein selbständiger
Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist (Senat 1. März 2006 -
5 AZR 540/05 - AP TVG § 4 Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung Nr. 40 = EzA TVG § 4
Tariflohnerhöhung Nr. 47 mwN; BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - BAGE 118, 211, 214 f.) .
Allein in der tatsächlichen Zahlung liegt keine vertragliche Abrede, die Zulage solle auch nach einer
Tariflohnerhöhung als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn gezahlt
werden. Das gilt auch, wenn die Zulage über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos gezahlt und
nicht mit der Tariflohnerhöhung verrechnet worden ist (BAG 31. Oktober 1995 - 1 AZR 276/95 - AP
BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 80 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung
Nr. 54, zu II 1 der Gründe), denn die Zulage wird gewährt, weil den Arbeitsvertragsparteien der
Tariflohn nicht ausreichend erscheint. Eine neben dem Tarifentgelt gewährte übertarifliche Zulage
greift in diesem Sinne künftigen Tariflohnerhöhungen vor. Für den Arbeitgeber ist regelmäßig nicht
absehbar, ob er bei künftigen Tariflohnerhöhungen weiter in der Lage sein wird, eine bisher
absehbar, ob er bei künftigen Tariflohnerhöhungen weiter in der Lage sein wird, eine bisher
gewährte Zulage in unveränderter Höhe fortzuzahlen. Dies ist für den Arbeitnehmer erkennbar und
Grundlage einer sog. freiwilligen übertariflichen Zulage. Erhöht sich die tarifliche Vergütung,
entspricht die Zulässigkeit der Anrechnung regelmäßig dem Parteiwillen, weil sich die
Gesamtvergütung nicht verringert (BAG 21. Januar 2003 - 1 AZR 125/02 - AP BetrVG 1972 § 87
Lohngestaltung Nr. 118 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 41; 14. August 2001 - 1 AZR
744/00 - AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 88 Nr. 1, zu I 1 der
Gründe) .
14 Der Arbeitsvertrag des Klägers vom 1. Juli 1976 verhält sich über die streitgegenständliche Zulage
nicht. Die Zulage ist erst nachträglich zugesagt worden. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu
festgestellt, die Parteien hätten damit weder einen besonderen Leistungszweck verfolgt noch
vereinbart, die Zulage solle einer Anrechnung bei Tariflohnerhöhungen nicht zugänglich sein. An
diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO), Rechtsfehler sind
nicht erkennbar. Die Revisionsbegründung räumt ausdrücklich ein, dass die übertarifliche Zulage
nicht als selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist.
Damit gilt grundsätzlich Anrechenbarkeit.
15 b) Die Einmalzahlung von 310,00 Euro gem. § 2 Nr. 2, § 3 Nr. 2 LA stellt eine pauschale
Tariflohnerhöhung für die Monate März bis Mai 2006 dar. Das hat das Landesarbeitsgericht aus
den maßgeblichen Tarifvorschriften zutreffend hergeleitet.
16 aa) Unter einer Tariflohnerhöhung ist die Erhöhung des regelmäßigen Entgeltbetrags zu verstehen.
Bei einem Stundenlohn liegt sie in der Erhöhung des je Arbeitsstunde zu zahlenden Entgeltbetrags,
bei einem Monatslohn in der Erhöhung des monatlich zu zahlenden Entgeltbetrags. Eine
Tariflohnerhöhung setzt aber nicht die „tabellenwirksame“ Erhöhung des Tariflohns voraus. Der
Begriff „Einmalzahlung“ ist sowohl als Ausdruck für eine pauschale Lohnerhöhung als auch zur
Kennzeichnung einer von der konkreten Gegenleistung unabhängigen Sonderzahlung
gebräuchlich. Welche Art der Vergütung vorliegt, muss durch Auslegung des Tarifvertrags ermittelt
werden (Senat 1. März 2006 - 5 AZR 540/05 - Rn. 17, AP TVG § 4 Übertariflicher Lohn und
Tariflohnerhöhung Nr. 40 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 47 mwN; BAG 16. April 2002 -
1 AZR 363/01 - AP TVG § 4 Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung Nr. 38 = EzA TVG § 4
Tariflohnerhöhung Nr. 39, zu II 3 der Gründe) . Die Einmalzahlung kann als Gegenleistung
pauschal, eventuell nachträglich, für mehrere Lohnzahlungsperioden vorgesehen sein und wird
dadurch nicht zur Sonderzahlung.
17 bb) § 2 Nr. 2 und § 3 Nr. 2 LA gewähren unter der Überschrift „Monatsgrundlohn“ zusätzlich zum
bisherigen Tariflohn einen Geldbetrag für einen Zeitraum von drei Monaten, ohne einen
besonderen Zweck damit zu verbinden. Es handelt sich um die Übergangszeit bis zum
Wirksamwerden der dreiprozentigen Lohnerhöhung ab dem 1. Juni 2006 gem. § 2 Nr. 3 und § 3
Nr. 3 LA. Der Pauschalbetrag tritt damit ab dem Inkrafttreten des LA (§ 8 Nr. 1) an die Stelle einer
prozentualen Lohnerhöhung, § 2 Nr. 1, § 3 Nr. 1 LA. § 6 Nr. 6 LA bestimmt ausdrücklich, dass es
um die Erhöhung des Tariflohns geht. § 6 Nr. 7 LA nimmt für bestimmte Fälle
(Durchschnittsberechnungen) wieder Abstand von der Pauschalierung und legt statt dessen die
dreiprozentige Lohnerhöhung zugrunde. Die strikt zeitanteilige Zahlung gem. § 6 Nr. 2 bis 5 LA
spricht darüber hinaus für eine zusätzliche Vergütung der geleisteten Arbeit ohne besondere
Zweckbindung.
18 cc) Der Kläger wendet sich gegen das Verständnis einer pauschalen Lohnerhöhung unter Hinweis
auf § 6 Nr. 1 LA. Die Zahlung habe, wie sich aus den für die Betriebsparteien eröffneten
Möglichkeiten ergebe, einen ganz neuen, eigenständigen Charakter. Dieser Vortrag ist nicht
schlüssig. Auch wenn Zeitpunkt und Höhe der Zahlung den Betriebsparteien überantwortet werden
und diese sogar über das Ob der Zahlung entscheiden können, ändert das nichts an dem
pauschalen Vergütungscharakter für den genannten Zeitraum anstelle einer prozentualen
Lohnerhöhung. Die pauschale Vergütungserhöhung wird allerdings in einem bestimmten Rahmen
den Betriebsparteien überantwortet. Daraus lässt sich für die Frage einer Anrechnung aber nichts
herleiten. Der Pauschalbetrag bleibt bei Verschiebung und Reduzierung Tariflohn. Demgegenüber
bezieht sich die Anrechnung auf eine allein im Arbeitsvertrag vorgesehene übertarifliche Zulage.
Beide Regelungsebenen stehen selbständig nebeneinander. Die Festlegung von Höhe und
Zeitpunkt des Einmalbetrags macht unabhängig von einer übertariflichen Vergütung Sinn, weil auf
den Tariflohn § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG Anwendung finden und die normativen Regelungen
unabhängig von dem jeweiligen Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge gelten. Die Anrechnung bleibt
ohne Rücksicht auf Höhe und Zeitpunkt des Einmalbetrags eine sinnvolle Option im Rahmen der
einzelvertraglichen Möglichkeiten des Arbeitgebers. Das LA regelt in Bezug auf eine Anrechnung
nichts. Insbesondere bestätigt § 6 Nr. 1 Satz 2 LA nur den Anspruch auf die Einmalzahlung. Wenn
§ 6 Nr. 1 Satz 1 LA eine Erhöhung des Einmalbetrags durch freiwillige Betriebsvereinbarung
erlaubt, schließt auch das die Anrechnung weder rechtlich noch faktisch aus. Dem Arbeitgeber
obliegt in jedem Fall die Entscheidung über eine Anrechnung auf einzelvertraglicher Ebene.
19 c) Die Beklagte war nicht gehindert, die tarifliche Einmalzahlung rückwirkend auf die übertariflichen
Zulagen der Monate März und April 2006 anzurechnen. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber regelmäßig eine nachträglich für bestimmte Monate
vereinbarte Tariflohnerhöhung auf die in diesen Monaten bereits geleisteten übertariflichen Zulagen
durch ausdrückliche oder konkludente Erklärung anrechnen und so die Erfüllung des noch offenen
Anspruchs aus der Tariflohnerhöhung durch die bereits geleisteten Zahlungen bewirken. Die
Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB kann durch eine, auch stillschweigend mögliche,
Vereinbarung der Parteien offen gehalten und dem Schuldner vorbehalten werden. Hiervon ist bei
dem mit einer freiwilligen übertariflichen Zulage verbundenen Anrechnungsvorbehalt jedenfalls
insoweit auszugehen, wie eine Tariflohnerhöhung sich auf einen bestimmten in der Vergangenheit
liegenden Zeitraum bezieht. Erfolgt die Anrechnung, tritt der erhöhte Tariflohn zum gewährten
Entgelt nur so weit hinzu, wie er dieses übersteigt, dh., der übertarifliche Lohnbestandteil verringert
sich um den Betrag der Tariflohnerhöhung. Bei rückwirkenden Tariflohnerhöhungen stellt sich
damit erst nachträglich heraus, dass ein als übertariflich angesehener Bestandteil des Lohns in
Wahrheit Tariflohn war. Hierin erschöpft sich die Bedeutung der Tariflohnerhöhung. Rechtsgrund
der geleisteten Zahlungen bleibt die vertragliche Lohnvereinbarung (Senat 1. März 2006 - 5 AZR
540/05 - AP TVG § 4 Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung Nr. 40 = EzA TVG § 4
Tariflohnerhöhung Nr. 47 mwN; BAG 3. Juni 2003 - 1 AZR 314/02 - BuW 2004, 260 f.; 21. Januar
2003 - 1 AZR 125/02 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 118 = EzA TVG § 4
Tariflohnerhöhung Nr. 41) .
20 d) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob der Anrechnungsvorbehalt eine
Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB darstellt. Es hat aber im Anschluss an die
Senatsrechtsprechung den Anrechnungsvorbehalt nach dem Maßstab des § 307 BGB gebilligt.
Hieran ist festzuhalten.
21 aa) Auch eine mündliche oder durch betriebliche Übung begründete Vertragsbedingung, die der
Arbeitgeber für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen verwendet, ist eine Allgemeine
Geschäftsbedingung.
22 bb) Die Auslegung einer übertariflichen Zulage als im Falle von Tariflohnerhöhungen ohne weiteres
anrechenbarer Lohnbestandteil entsprechend den oben zu a) angeführten
Auslegungsgesichtspunkten unterliegt keinen Zweifeln iSv. § 305c Abs. 2 BGB. Wird weder ein
besonderer Leistungszweck noch ein Ausschluss der Anrechenbarkeit vereinbart, muss der
durchschnittlich verständige Arbeitnehmer davon ausgehen, dass er auch nach einer
Tariflohnerhöhung nur den insgesamt vereinbarten Lohn verlangen kann, sofern dieser weiterhin
mindestens dem Tariflohn entspricht. Dieser Vertragsinhalt ist nicht ungewöhnlich (§ 305c Abs. 1
BGB). Vielmehr muss der Arbeitnehmer mit einer Anrechnung ohne weitere Begründung durch
den Arbeitgeber rechnen.
23 cc) § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht verletzt. Eine Vereinbarung über die Zahlung der
übertariflichen Vergütung stellt keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende
Regelung (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) dar, sondern regelt unmittelbar das Verhältnis von Leistung
und Gegenleistung. Eine Bruttolohnabrede ist gem. § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB nur am Maßstab des
Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu überprüfen (Senat 1. März 2006 - 5 AZR
363/05 - BAGE 117, 155, 161; 1. März 2006 - 5 AZR 540/05 - AP TVG § 4 Übertariflicher Lohn und
Tariflohnerhöhung Nr. 40 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 47, zu II 1 c der Gründe ) .
24 dd) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende
unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) daraus ergeben, dass die Klausel
nicht klar und verständlich ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen müssen
so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten
Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel hat im Rahmen des rechtlich und tatsächlich
Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so eindeutig und so verständlich wie
möglich darzustellen. Doch darf das Transparenzgebot den Verwender nicht überfordern (Senat
31. August 2005 - 5 AZR 545/04 - BAGE 115, 372, 382 f. ) . Es soll zugleich der Gefahr
vorbeugen, dass der Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird
(Senat 14. März 2007 - 5 AZR 630/06 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 45 = EzA
BGB 2002 § 307 Nr. 18; BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - AP BGB § 307 Nr. 32 = EzA
BGB 2002 § 307 Nr. 26) .
25 Der Senat hat zu der Vereinbarung einer „anrechenbaren betrieblichen Ausgleichszulage“
ausgeführt, es sei klar zu erkennen, die Zulage werde nicht ohne Kürzungsmöglichkeit gewährt.
Für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer sei erkennbar, dass im Falle einer Erhöhung des
tariflich geschuldeten Arbeitsentgelts die Zulage bis zur Höhe der Tarifsteigerung gekürzt werden
könne. Anrechnungsvorbehalte seien in arbeitsvertraglichen Vergütungsabreden seit Jahrzehnten
gang und gäbe. Sie stellten eine Besonderheit des Arbeitsrechts dar, die gem. § 310 Abs. 4 Satz 2
BGB angemessen zu berücksichtigen sei (Senat 1. März 2006 - 5 AZR 363/05 - BAGE 117, 155,
161) .
26 Für den Streitfall gilt nichts anderes. Der Anrechnungsvorbehalt ist bereits mit der Vereinbarung
einer übertariflichen Vergütung oder Zulage hinreichend klar ersichtlich. Das Transparenzgebot
verlangt von dem Verwender nicht, alle gesetzlichen Folgen einer Vereinbarung ausdrücklich zu
regeln. Ein verständiger Arbeitnehmer kann nicht annehmen, eine übertarifliche Zulage diene
einem besonderen Zweck und sei von der jeweiligen Höhe des Tariflohns unabhängig. Dem
durchschnittlichen Arbeitnehmer ist hinreichend klar, dass die Anrechnung gerade bei allgemeinen
Tariflohnerhöhungen möglich sein soll. Das ist nicht nur Vertragsinhalt, sondern geradezu der Sinn
einer allgemeinen übertariflichen Zulage.Dieser Gesichtspunkt wird nach dem Verständnis des
Senats von einer im Schrifttum vertretenen abweichenden Auffassung (vgl. etwa ErfK/Preis
8. Aufl. § 611 BGB Rn. 420, §§ 305 - 310 BGB Rn. 65) nicht hinreichend berücksichtigt. Bei einer
Anrechnung verschiebt sich lediglich das Verhältnis von übertariflichen zu tariflichen
Entgeltbestandteilen. Ebenso ergibt sich im Falle der Vereinbarung eines festen übertariflichen
(Stunden- oder Monats-)Lohns der Anspruch des Arbeitnehmers bei Tariflohnerhöhungen aus § 4
Abs. 3 TVG. Darauf muss nicht eigens hingewiesen werden. Unterschiedliche Ergebnisse in
beiden Fallgruppen wären nicht gerechtfertigt und werden vom Arbeitnehmer auch nicht erwartet.
Das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf den Anrechnungsvorbehalt hält den Arbeitnehmer
schließlich nicht von der Wahrnehmung von Rechten ab. Der Arbeitnehmer behält vielmehr seinen
Anspruch auf die bisherige Vergütung.
27 Die Möglichkeit der rückwirkenden Anrechnung hält ebenfalls der AGB-Kontrolle stand. Der
stillschweigende Vorbehalt einer nachträglichen Tilgungsbestimmung ist nicht wegen
Intransparenz unwirksam. Bei der Zahlung einer nicht zweckgebundenen Zulage zum Tariflohn ist
erkennbar, dass der Arbeitgeber sich vorbehält, in erster Linie alle von ihm geschuldeten
Tariflohnansprüche zu erfüllen, und zwar gerade auch dann, wenn diese rückwirkend gewährt
werden müssen.
28 e) Die streitige Anrechnung widerspricht nicht billigem Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB). Die
vertragliche Vergütung wird unverändert gewährt, der Arbeitgeber nimmt lediglich die
Tariflohnerhöhung zum Anlass, ab sofort den höheren Tariflohn zu zahlen. Der Kläger behält
seinen tariflichen Anspruch ebenso wie seinen vertraglichen Anspruch. Das Lohnabkommen
enthält entgegen der Auffassung der Revision keine Einschränkungen für die Ausübung des
Anrechnungsermessens im Einzelfall, sondern allein Maßstäbe für die Veränderung des
Einmalbetrags. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2006 rechtzeitig über die
Anrechnung der Einmalzahlung auf die freiwilligen Zulagen unterrichtet.
29 2. Die Anrechnung der Einmalzahlung ist nicht wegen der Verletzung von Mitbestimmungsrechten
des Betriebsrats unwirksam. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht
bei der Anrechnung auf übertarifliche Zulagen, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen
Verteilungsrelationen ändern und innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei
vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Die Anrechnung ist
mitbestimmungsfrei, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen
vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Vergütung sämtlicher Arbeitnehmer angerechnet
wird (BAG GS 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - BAGE 69, 134, 164 f.) . Danach war die Anrechnung
durch die Beklagte mitbestimmungsfrei. Wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, hat die
Beklagte die Erhöhung ohne Ausnahme vollständig und gleichmäßig auf die Zulage angerechnet.
§ 6 Nr. 1 LA betrifft nur die Höhe des Einmalbetrags und dessen Auszahlungszeitpunkt, nicht die
Anrechnung auf übertarifliche Lohnzahlungen. Die Vorschrift begründet kein Mitbestimmungsrecht
des Betriebsrats bei der vollständigen und gleichmäßigen Anrechnung des Einmalbetrags. Es
kann deshalb dahingestellt bleiben, ob das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 BetrVG durch
Tarifvertrag entsprechend erweitert werden könnte.
30 III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Müller-Glöge
Mikosch
Laux
Heel
Rolf Steinmann