Urteil des BAG vom 23.02.2010

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 23.02.2010, 2 AZR 959/08.

Siehe auch:
Urteil des 2. Senats vom 23.2.2010 - 2 AZR 959/08 -
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 23.2.2010, 2 AZR 957/08
Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 23.02.2010, 2 AZR 959/08.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-
Württemberg - Kammern Mannheim - vom 17. Juni 2008 - 14 Sa 16/08 - wird
auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Klägerin macht die Unwirksamkeit einer ordentlichen, von der Beklagten zu 1. auf betriebliche
Gründe gestützten Kündigung geltend. Dabei streiten die Parteien vor allem über die Frage, ob in
den jeweiligen Kündigungszeitpunkten eine hinreichend sichere Prognose für die von der
Beklagten zu 1. behauptete Betriebsstilllegung bestand, sowie über die Auslegung von § 18 Abs. 4
KSchG. Außerdem macht die Klägerin hilfsweise einen Anspruch auf Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses gegen die Beklagte zu 2. geltend.
2 Die Klägerin trat am 23. Februar 1989 in die Dienste der Beklagten zu 1. Diese stellte in ihrem
Betrieb in B mit angeschlossenem Betriebsteil in K Gummidichtungen für die Automobilindustrie
her und beschäftigte zum Jahresende 2006 etwa 170 Arbeitnehmer.
3 Mit Schreiben vom 13. Juni 2006 unterrichtete die Beklagte zu 1. den Betriebsrat über ihre Absicht,
den gesamten Betrieb in B und K bis zum 30. Juni 2007 zu schließen und die Produktion teilweise
nach H und teilweise nach Ungarn zu verlagern. H ist Sitz der Beklagten zu 2., einem weiteren
Unternehmen der weltweit agierenden Konzernmutter der Beklagten zu 1.
4 In der Folgezeit führte die Beklagte zu 1. mit dem Betriebsrat zunächst freie, dann in einer
Einigungsstelle förmliche Verhandlungen, die am 18. Oktober 2006 zum Abschluss eines
Interessenausgleichs und eines Sozialplans führten. Gem. Ziff. 2.1 des Interessenausgleichs sollte
die gesamte Produktion einschließlich der „Mischerei“ und der „Oberflächenbeschichtung“
schrittweise bis zum 30. Juni 2007 stillgelegt werden.
5 Mit Schreiben vom 15. November 2006 informierte die Beklagte zu 1. den Betriebsrat über eine
geplante Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 2 KSchG. Der Betriebsrat nahm hierzu am
21. November 2006 Stellung.
6 Unter dem 27. November 2006 teilte die Beklagte zu 1. der Agentur für Arbeit mit, sie beabsichtige
am 29. und 30. November 2006 insgesamt 157 Arbeitnehmer zu entlassen, bat um Mitteilung des
Beginns und des Endes der Sperrfrist und beantragte die Zustimmung zu deren Abkürzung.
7 Mit Schreiben vom 29. November 2006 sprach sie gegenüber der Klägerin und weiteren
Arbeitnehmern die Kündigung zum 30. Juni 2007 aus.
8 Am 11. Dezember 2006 erteilte die Agentur für Arbeit der Beklagten zu 1. einen Bescheid mit
folgendem Wortlaut:
„1.
Die Entlassungssperre gemäß § 18 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
beginnt für 157 Arbeitnehmer am 28.11.2006 und endet am 27.12.2006.
Damit können die beabsichtigten Entlassungen gemäß Ihrer Anzeige vom 27.11.2006
erfolgen.
Ihrem Antrag auf Verkürzung der Entlassungssperre wird nicht zugestimmt, da für
diese Anzeige nach geltender Rechtslage eine Verkürzung der Entlassungssperre
nicht erforderlich ist.
2. Unbeschadet der Entlassungssperre sind die gesetzlichen, tariflichen oder
vertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten. Reichen sie über die Entlassungssperre
hinaus, so sind die Entlassungen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zulässig.
...“
9 Zum 1. Mai 2007 übertrug die Beklagte zu 1. den Betriebsteil in K, in welchem die
„Oberflächenbeschichtung“ durchgeführt wurde, auf ein Drittunternehmen. Zum 1. Juni 2007 wurde
die Abteilung „Mischerei“ einschließlich der dazugehörigen Instandhaltung und Qualitätssicherung
auf die Beklagte zu 2. übertragen, die vorübergehend in der bisherigen Betriebsstätte in B
weiterarbeiten ließ.
10 Die Klägerin hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte zu 1. sei im Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung noch nicht fest entschlossen gewesen, den gesamten Betrieb zum
30. Juni 2007 zu schließen. Die schon anfänglich vorgesehene Verlagerung von Maschinen auf
die Beklagte zu 2. und nach Ungarn stelle einen Betriebsübergang dar. Außerdem sei die
Kündigung nach § 18 Abs. 4 KSchG unwirksam. Die Beklagte zu 1. habe eine weitere Anzeige
gegenüber der Agentur für Arbeit erstatten müssen, weil die Kündigungen zu einem weit nach
Ende der Freifrist liegenden Termin hätten wirken sollen. Jedenfalls müsse die Beklagte zu 2. das
Arbeitsverhältnis mit ihr fortsetzen.
11 Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten zu 1. vom
29. November 2006 aufgelöst wurde, sondern fortbesteht
hilfsweise,
die Beklagte zu 2. zu verurteilen, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Juli 2007 mit ihr
fortzusetzen.
12 Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben behauptet, der Arbeitsdirektor
und rechtsgeschäftliche Vertreter der Alleingesellschafterin der Beklagten zu 1. habe gemeinsam
mit deren Geschäftsführer und dem Chef der europäischen Sealing-Produktgruppe in Absprache
mit dem Mutterkonzern die Entscheidung getroffen, den gesamten Produktionsbetrieb in B
einschließlich der Verwaltung bis spätestens zum 30. Juni 2007 einzustellen. Diese
unternehmerische Entscheidung habe sich sowohl im Informationsschreiben vom 13. Juni 2006,
als auch in den beiden Betriebsvereinbarungen vom 18. Oktober 2006 widergespiegelt. Zum
Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe die Beklagte zu 1. noch nicht erwogen und auch
noch nicht erkennen können, dass zu Beginn des Folgejahres zwei Betriebsteile, nämlich die
„Mischerei“ und die „Oberflächenbeschichtung“ im Wege von Teilbetriebsübergängen weiter
fortbestehen würden. Erstmals im Februar/März 2007 habe die Beklagte zu 1. nämlich
Verhandlungen mit dem Drittunternehmen aufgenommen. Die Entscheidung, die „Mischerei“ mit
Wirkung vom 1. Juni 2007 durch die zum Konzern gehörende Beklagte zu 2. weiterführen zu
lassen, sei erst in der zweiten Maihälfte 2007 getroffen worden. Die übrige Produktion sei, wie
ursprünglich geplant, zum 30. Juni 2007 stillgelegt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei
ordnungsgemäß erstattet worden und habe auch nicht nach § 18 Abs. 4 KSchG wiederholt werden
müssen. Ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2. stehe der
Klägerin nicht zu.
13 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren im Rahmen der zuletzt
gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
14 Die Revision hat keinen Erfolg. Die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Feststellungsklage ist
unbegründet. Die Kündigung ist nicht sozialwidrig iSd. § 1 KSchG(I.) und verstößt auch nicht
gegen § 18 Abs. 4 KSchG (II.). Die hilfsweise gegen die Beklagte zu 2. erhobene Klage auf
„Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses“ ist unzulässig (III.).
15 I. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt, weil sie durch dringende betriebliche Erfordernisse
bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen(§ 1 Abs. 2 KSchG).
16 1. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der des
Kündigungszugangs(BAG 21. April 2005 - 2 AZR 241/04 - BAGE 114, 258; 12. April 2002 - 2 AZR
256/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1
Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118; KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 550). Grundsätzlich
muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund - hier - der Wegfall der
Beschäftigungsmöglichkeit, vorliegen. Das Gestaltungsrecht Kündigung kann nur bei Vorliegen
eines im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorhandenen Kündigungsgrundes rechtswirksam
ausgeübt werden.
17 a) Dies hätte grundsätzlich zur Folge, dass betriebsbedingte Kündigungen erst möglich wären,
wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers nicht mehr zur Verfügung stünde. Wegen der
Zukunftsbezogenheit der Kündigung und aus Gründen der Praktikabilität hat das
Bundesarbeitsgericht schon eine Absicht zur Betriebs- oder Abteilungsstilllegung ausnahmsweise
als ein dringendes betriebliches Erfordernis iSv. § 1 Abs. 2 KSchG anerkannt, wenn die für den
künftigen Wegfall der Beschäftigung des Arbeitnehmers maßgeblichen Entwicklungen bereits zum
Kündigungszeitpunkt feststehen, insbesondere die unternehmerische Organisationsentscheidung
bereits getroffen war und sie sich zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert. Danach kommt es in
den Fällen, in denen zwar bei Zugang der Kündigung noch eine Möglichkeit der Beschäftigung
besteht, aber die für den künftigen Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses maßgeblichen
Entscheidungen bereits gefallen sind, darauf an, ob der Arbeitnehmer bis zum Kündigungstermin
voraussichtlich entbehrt werden kann(vgl. BAG 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - AP KSchG 1969
§ 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118).
18 b) Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen
gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, dass zum
Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden
betrieblichen Grundes vorliegen wird(st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt 13. Februar 2008 - 2 AZR
543/06 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 175; für den Entschluss zur
Betriebsstilllegung: BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - EzA KSchG § 17 Nr. 20). Dabei muss die
der entsprechenden Prognose zugrunde liegende Entscheidung bereits zum Kündigungszeitpunkt
endgültig getroffen worden sein und die Maßnahme, zB die Schließung des Betriebs oder der
Betriebsabteilung, aus Sicht der Arbeitsvertragsparteien zum Kündigungszeitpunkt bereits
feststehen und greifbare Formen angenommen haben (v. Hoyningen-Huene Anm. zu BAG
15. März 2001 - 2 AZR 705/99 - in AP BGB § 620 Bedingung Nr. 26). Ist dies nicht der Fall, kann
eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes und zur fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit führende
Prognose vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht erfolgreich gestellt werden. Vielmehr entfällt die
Grundlage für die Kündigung.
19 c) Deswegen ist eine Kündigung wegen Betriebsschließung nicht sozial gerechtfertigt, solange der
Arbeitgeber den Stilllegungsbeschluss lediglich erwogen, aber noch nicht endgültig gefasst
hat(BAG 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120
= EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118; 10. Oktober 1996 - 2 AZR 477/95 - AP
KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 87). Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt noch in
ernsthaften Verhandlungen über die Veräußerung des Betriebs oder der Betriebsabteilung steht
oder sich um neue Aufträge bemüht. Dann liegt keine unbedingte und endgültige
Stilllegungsabsicht vor (BAG 13. Februar 2008 - 2 AZR 543/06 - AP KSchG 1969 § 1
Betriebsbedingte Kündigung Nr. 175). Ebenso verhält es sich, wenn die vom Arbeitgeber im
Kündigungszeitpunkt beabsichtigte Maßnahme in Wahrheit keine Stilllegung, sondern ein
Betriebsübergang ist (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - EzA KSchG § 17 Nr. 20).
20 2. Von diesen Grundsätzen ist - ohne sie allerdings ausdrücklich zu benennen - auch das
Landesarbeitsgericht ausgegangen und hat sie in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise auf den Fall angewandt.
21 a) Das Arbeitsgericht hat in der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme, auf deren Ergebnis sich
das Landesarbeitsgericht bezogen hat, festgestellt, dass der Stilllegungsbeschluss im Juni 2006
getroffen und von da an umgesetzt wurde. Irgendwelche Vorbehalte seitens der Beklagten zu 1.
waren dabei nicht erkennbar. Im Gegenteil hat die Beklagte zu 1. in Gesprächen mit dem
Betriebsrat, später in Verhandlungen vor der Einigungsstelle, die personelle Umsetzung des
getroffenen Beschlusses systematisch vorangetrieben bis zur Massenentlassungsanzeige und
den sich anschließenden Kündigungen. Hätte die Beklagte zu 1. sich insoweit andere
Möglichkeiten offenhalten wollen, so wären die genannten Gespräche mit dem Betriebsrat und die
mit ihm vereinbarten Regelungen zum Teil überflüssig gewesen. Dass der Beschluss, wie die
Klägerin meint, angesichts der Lieferverpflichtungen unrealistisch und von vorneherein
undurchführbar war, ist durch die festgestellten Tatsachen nicht belegt. Abgesehen von zwei
kleineren Einheiten und einigen Nacharbeiten ist der Betrieb tatsächlich zum 30. Juni 2007
stillgelegt worden. Dass es sich bei den Abtransporten einzelner Maschinen nicht um
Betriebsübergänge gehandelt hat, hat das Landesarbeitsgericht mit gut nachvollziehbaren
Gründen angenommen. Die später erfolgten Übertragungen von - zwei kleineren - Abteilungen
waren bei Zugang der Kündigung noch nicht absehbar und wurden erst ab Februar 2007 erörtert
und im Mai und Juni besiegelt.
22 b) Auch die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts ist entgegen der
Auffassung der Revision nicht zu beanstanden. Sie ist weder widersprüchlich noch verstößt sie
gegen Denkgesetze; sie lässt auch keine wesentlichen Gesichtspunkte außer Acht. Die
Erklärungen der von der Beklagten zu 1. zum Beweis ihrer Behauptungen zum Geschehensablauf
benannten Zeugen waren eindeutig. Danach kamen Zweifel an der Zweckmäßigkeit der
vollständigen Stilllegung zum 30. Juni 2007 erstmals etwa zwei Monate nach Ausspruch der
Kündigung auf. Diese Zweifel ergaben sich nicht daraus, dass die Beklagte zu 1. von ihren
ursprünglichen betriebswirtschaftlichen Überlegungen abgerückt wäre. Vielmehr handelte es sich
um neu aufgetretene Gesichtspunkte der Qualitätssicherung, also um technische Aspekte. Bis zur
Kündigung und noch zwei Monate danach kreisten alle Gespräche und Maßnahmen -
einschließlich des Interessenausgleichs, Sozialplans und Kündigungsausspruchs - um die
endgültige Stilllegung des Betriebs. Die Aussagen der von der Klägerin gegenbeweislich
benannten und vom Arbeitsgericht vernommenen Zeugen durften von den Vorinstanzen in dem
Sinne gewürdigt werden, dass sie deren Überzeugung von einer ernsthaften und endgültigen
Stilllegungsabsicht der Beklagten bei Kündigung nicht entgegenstanden. Die von den Zeugen
bekundeten Tatsachen betrafen entweder Vorgänge vor dem Stilllegungsbeschluss oder solche
nach Ausspruch der Kündigung oder standen nur in sehr indirektem Zusammenhang mit dem
Beweisthema.
23 c) Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, das Landesarbeitsgericht habe den Zeugen I hören
müssen. Ihre Verfahrensrüge ist nicht zulässig. Sie hat nicht mitgeteilt, was der Zeuge I
voraussichtlich ausgesagt hätte, wäre er vernommen worden. Schon das Arbeitsgericht hatte
darauf hingewiesen, dass Herr I für Vorgänge Anfang 2006 benannt worden war, aus denen nicht
auf das Fehlen eines Stilllegungswillens im Juni 2006 geschlossen werden könne. Auch die Rüge
der Revision, das Landesarbeitsgericht habe den Zeugen F hören müssen, kann nicht
durchgreifen. Die Revision trägt vor, Herr F könne bestätigen, dass die Beklagte zu 1. im Januar
2007 von einer Fortführung der Gummimischerei bis Ende 2007 ausgegangen sei. Indes kam es
für das Landesarbeitsgericht nicht auf die Erwartungen der Beklagten zu 1. im Januar 2007,
sondern im November 2006 an.
24 II. Die Kündigung verstößt nicht gegen die Vorschriften über das Verfahren bei
Massenentlassungen(§§ 17 ff. KSchG).
25 1. Der Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 11. Dezember 2006 steht der Kündigung nicht
entgegen. Die Revision beanstandet nicht die Auslegung, die das Landesarbeitsgericht dem
Bescheid gegeben hat. Er wollte der Beklagten zu 1. offenkundig den Ausspruch der Kündigungen
unmittelbar nach Erstattung der Anzeige(27. November 2006) und nicht etwa erst „nach Ablauf der
Kündigungsfrist“ gestatten. Die Arbeitsverhältnisse durften nach dem - wohlverstandenen - Inhalt
des Bescheids nach Erstattung der Anzeige gekündigt werden und frühestens mit Ablauf der
verhängten Sperrfrist enden. Außerdem mussten - selbstverständlich - die jeweils anwendbaren
Kündigungsfristen gewahrt bleiben.
26 2. Die Kündigung verstößt nicht gegen § 18 Abs. 4 KSchG.
27 a) Nach dieser Vorschrift bedarf es „unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1“ einer erneuten
Anzeige, soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie
nach den Absätzen 1 und 2 zulässig sind, durchgeführt werden. Gemäß der in Bezug
genommenen Vorschrift des § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für
Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60
Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer, in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger
als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer
oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer und in Betrieben mit in der Regel mindestens 500
Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt.
28 Der Begriff „Entlassung“ in § 17 Abs. 1 KSchG bedeutet „Kündigung“ oder „Ausspruch der
Kündigung“(Senat 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 18, BAGE 117, 281). Die zur Beendigung
des Arbeitsverhältnisses führende einseitige Willenserklärung - die Kündigung - darf demnach erst
ausgesprochen werden, nachdem der Arbeitgeber die Anzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG bei der
Agentur für Arbeit erstattet hat.
29 b) Welchen rechtlichen Gehalt § 18 Abs. 4 KSchG vor diesem Hintergrund hat, ist umstritten.
30 aa) Teilweise wird angenommen, § 18 Abs. 4 KSchG sei obsolet geworden. Die Vorschrift sei mit
ihrem Verweis auf § 17 Abs. 1 KSchG nur verständlich, wenn man, wie vor der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs vom 27. Januar 2005(- C-188/03 - [Junk], EuGHE 2005, 885), unter
„Entlassung“ iSd. § 17 Abs. 1 KSchG nicht die Kündigung, sondern die tatsächliche Beendigung
des Arbeitsverhältnisses verstehe. Ansonsten schreibe sie - ohne erkennbaren Sinn - die erneute
Anzeige einer bereits angezeigten Kündigung vor. Die frühere Lesart wiederum sei
ausgeschlossen (vgl. ErfK/Kiel 10. Aufl. § 18 KSchG Rn. 12; KR/Weigand 9. Aufl. § 18 KSchG
Rn. 34; Kittner/Däubler/Zwanziger-Kittner/Deinert KSchR 7. Aufl. § 18 KSchG Rn. 17;
MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 18 KSchG Rn. 17; Bauer/Krieger/Powietzka DB 2005,
445; Dornbusch/Wolff BB 2005, 887; ebenso: Bundesagentur für Arbeit Merkblatt 5
Anzeigepflichtige Entlassungen für Arbeitgeber Stand Juli 2005 unter 6.4)
31 bb) Einige Stimmen meinen, die Vorschrift müsse wie bisher angewandt werden; „Entlassung“ iSd.
§ 18 Abs. 4 KSchG bedeute nach wie vor die tatsächliche Beendigung des
Arbeitsverhältnisses(HWK/Molkenbur 4. Aufl. § 18 KSchG Rn. 13). Das Gesetz wolle im Interesse
der besseren Unterrichtung der Bundesagentur den Arbeitgeber bei Kündigungen, die erst zu
einem außerhalb der Freifrist liegenden Zeitpunkt wirksam werden, zu einer erneuten Anzeige
verpflichten (Boeddinghaus ArbuR 2007, 374). Das sei durchaus sinnvoll, weil es bei langfristig
geplanten und frühzeitig angezeigten Massenentlassungen neue Entwicklungen geben könne, die
für die Arbeitsagentur von Interesse sein könnten (ähnlich v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG
14. Aufl. § 18 KSchG Rn. 23, 24).
32 cc) Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, der sich nach dem Wortlaut des § 18
Abs. 4 KSchG ergebende Anwendungsbereich müsse teleologisch reduziert werden. Eine erneute
Anzeige sei deshalb immer dann überflüssig, wenn der Arbeitsagentur lediglich die ihr schon
bekannten Tatsachen mitgeteilt werden könnten. Im Streitfall hätten sich zwar nach Erstattung der
ersten Anzeige zwei Teilbetriebsübergänge ergeben. Dadurch habe sich aber die Zahl der
Entlassung nicht erhöht.
33 dd) Indes führt bereits der Wortlaut von § 18 Abs. 4 KSchG zu dem Ergebnis, dass im Streitfall
keine erneute Anzeige zu erfolgen hatte. Dabei kann offenbleiben, ob die dort gebrauchten
Ausdrücke „Entlassung“ und „Durchführung der Entlassung“ die Kündigungserklärung meinten
oder - wie früher selbstverständlich - die tatsächliche Beendigung. Freilich weist die Wendung
„Durchführung der Entlassung“ eher darauf hin, es müsse die Kündigungserklärung gemeint
sein(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 935/07 - Rn. 29, AP KSchG 1969 § 18 Nr. 4 = EzA
KSchG § 18 Nr. 1). Einer erneuten Anzeige bedarf es nach § 18 Abs. 4 KSchG schon deshalb
nicht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm nicht gegeben sind. Die erneute Anzeige ist
nach dem Gesetz nur „unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG“ notwendig. Die
„Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG“ wiederum liegen hier offensichtlich nicht vor. Zu
diesen Voraussetzungen gehört, dass der Arbeitgeber den Ausspruch einer Massenkündigung
beabsichtigt. Nur wenn er entsprechende Willenserklärungen abgeben will, bedarf es der Anzeige
nach § 17 Abs. 1 KSchG. Daran fehlt es hier. Die Beklagte zu 1. beabsichtigte nach Ablauf der
Freifrist nicht mehr den Ausspruch von Kündigungen. Dafür bestand kein Anlass, da sie bereits
gekündigt hatte. Ein anderes Verständnis der gesetzlichen Anordnung in § 18 Abs. 4 KSchG
würde den Arbeitgeber zum erneuten Ausspruch einer Kündigung zwingen, was die Bestimmung
erkennbar nicht beabsichtigt. Es käme ansonsten bei Kündigungsfristen, die länger als die Freifrist
sind, zu einer unendlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
34 ee) Bei diesem Normverständnis bleibt für § 18 Abs. 4 KSchG ein zum System der §§ 17 ff.
KSchG gut passender Anwendungsbereich. Der Arbeitgeber muss nämlich - nach Ablauf der
Freifrist - dann eine erneute Anzeige erstatten, wenn er von der Möglichkeit des Ausspruchs der
Kündigung - bis dahin - keinen Gebrauch gemacht hat(im Ergebnis ebenso: APS/Moll 3. Aufl. § 18
KSchG Rn. 38; HaKo/Pfeiffer 3. Aufl. § 18 KSchG Rn. 19; wohl auch BeckOK/Volkening Stand
September 2009 KSchG § 18 Rn. 16; in diese Richtung weist auch BAG 6. November 2008 -
2 AZR 935/07 - Rn. 29, AP KSchG 1969 § 18 Nr. 4 = EzA KSchG § 18 Nr. 1). Auf diese Weise
werden „Vorratsanzeigen“ verhindert, die dem Zweck des Gesetzes zuwiderliefen, die Agentur für
Arbeit über das tatsächliche Ausmaß der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen ins Bild zu
setzen.
35 III. Mit dem hilfsweise gegen die Beklagte zu 2. gerichteten „Fortsetzungs“- Antrag ist die Klage
unzulässig. Die Klägerin will mit diesem Antrag erreichen, dass ihr, falls sie mit dem gegen die
Beklagte zu 1. gerichteten Feststellungsantrag unterliegt, ein Anspruch auf Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2. zuerkannt wird. Sie will die Beklagte zu 2. also nicht
unbedingt in Anspruch nehmen, sondern nur unter der Voraussetzung der Erfolglosigkeit ihrer
gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Klage. Eine solche eventuelle subjektive Klagehäufung ist
unzulässig. Hilfsanträge sind nur zulässig, wenn sie unter einer innerprozessualen Bedingung
stehen. Das ist bei einer eventuellen subjektiven Klagehäufung nicht der Fall. Es darf nicht bis zum
Ende des Rechtsstreits in der Schwebe bleiben, ob gegen einen von mehreren Beklagten
überhaupt Klage erhoben wird(st. Rspr., vgl. schon RG 6. Juni 1904 - VI 456/03 - RGZ 58, 248; LG
Berlin 14. November 1957 - 10 O 72/57 - NJW 1958, 833 mit Anm. Habscheid; BGH
25. September 1972 - II ZR 28/69 - LM BGB § 1914 Nr. 1 zur eventuellen subjektiven
Klagehäufung auf Klägerseite; BAG 31. März 1993 - 2 AZR 467/92 - BAGE 73, 30; 11. Dezember
1997 - 8 AZR 729/96 - BAGE 87, 303; 24. Juni 2004 - 2 AZR 215/03 - AP BGB § 613a Nr. 278 =
EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 5; 13. Juni 2007 - 7 AZR 759/06 - Rn. 30; Müller-Glöge
NZA 1999, 449). Darauf, ob der auf Leistung gerichtete Antrag auch mangels Bestimmtheit iSv.
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig ist, kommt es nicht mehr an.
36 IV. Die Kosten der Revision fallen der Klägerin nach § 97 ZPO zur Last.
Kreft
Berger
Schmitz-Scholemann
Dr. Roeckl
K. Schierle