Urteil des ArbG Wuppertal vom 29.07.2008

ArbG Wuppertal: kopftuch, neutralität, wichtiger grund, ordentliche kündigung, schule, eltern, abmahnung, schüler, europäisches recht, juristische person

Arbeitsgericht Wuppertal, 4 Ca 1077/08
Datum:
29.07.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Wuppertal
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Ca 1077/08
Schlagworte:
Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verstoßes gegen Kopftuchverbot
Verfassungsmäßigkeit von § 57 Abs. 4 SchulG NW
Normen:
§ 57 Abs. 4, 6 SchulG NW, § 1 II KSchG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 3
Abs. 1 und 3 GG, Art. 6 GG, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 33 GG, §§ 1, 7, 8
AGG, Art. 9 EMRK
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Trägt eine angestellte Lehrerin ein sogenanntes islamisches Kopftuch
während des Unterrichts trotz Abmahnung, so ist eine
verhaltensbedingte Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 57 Abs.
4 SchulG NW gerechtfertugt.
2. § 57 Abs. 4 SchulG NW verstößt weder gegen Art. 3 noch gegen Art. 4
GG und steht im Einklang mit den Vorschriften des AGG und Art. 9
EMRK.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Streitwert: 10.200,00 EUR (auch gemäß § 63 II GKG).
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über eine fristgerechte Kündigung.
2
Die am 27.04.1973 in Ludwigshafen geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige.
Seit September 2002 ist sie als Lehrerin im Schuldienst des beklagten Landes
beschäftigt und verdiente zuletzt ca. EUR 3.400,00 brutto. Mit Arbeitsvertrag vom
29.08.2002 wurde sie zunächst befristet vom 02.09.2002 bis zum 01.03.2008 gemäß Nr.
1 Buchstabe a der SR2y BAT und der hierzu bestehenden Protokollnotiz Nr. 6 i. V. m. §
14 TzBfG eingestellt mit 20 Unterrichtsstunden pro Woche. In dem Arbeitsvertrag heißt
es :
3
§ 2
4
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT)
vom 23.02.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden
Tarifverträge in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung. Außerdem finden die für
den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung.
5
§ 3
6
1.Abweichend von § 5 Abs.1 BAT beträgt die Probezeit für dieses Arbeitsverhältnis vier
Wochen.
7
2.Die Kündigungsfrist innerhalb dieser Probezeit beträgt eine Woche.
8
3.Nach Ablauf der Probezeit ist eine Kündigung nur aus wichtigem Grund mit einer Frist
von sechs Wochen zum Schluß eines Kalendermonats möglich. Als wichtiger Grund für
eine Kündigung durch Angestellte gilt auch Aufnahme eines unbefristeten
Arbeitsverhältnisses.
9
Mit mehreren Änderungsverträgen (Bl. 200 ff d.A.) wurde das Anstellungsverhältnis der
Klägerin jeweils um höchstens ein Jahr befristet bis einschließlich 31.07.2005
verlängert, jeweils unter Bezugnahme auf den ursprünglichen Arbeitsvertrag. Ab dem
15.09.2003 arbeitete die Klägerin mit voller Stundenzahl ( Bl. 199 d.A. ), aufgrund des
Änderungsvertrages vom 15/17.6.2005 beschäftigte das beklagte Land die Klägerin
unbefristet auf unbestimmte Zeit als vollbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis
weiter. Dort heißt es in § 4:
10
"Die übrigen Bestimmungen des Arbeitsvertrages vom 29.08.2002 - in der Fassung der
hierzu ergangenen Änderungsverträge - sind weiter Bestandteil dieses Vertrages".
11
Nachdem die Klägerin zunächst an der Albert-Einstein Gesamtschule in Remscheid
eingesetzt wurde, unterrichtete sie seit Februar 2003 an der Sophie-Scholl
Gesamtschule in Remscheid unter anderem Deutsch und Sozialwissenschaften und
erteilte Sprachförderunterricht. Während der gesamten Beschäftigungszeit trug die
Klägerin ein Kopftuch.
12
Im August 2006 forderte die Schulleiterin die Klägerin auf, das Kopftuch abzulegen, weil
sie mit dem Tragen des Kopftuchs dem Neutralitätsgebot gemäß § 57 Abs. 4 des
Schulgesetzes NRW nicht entspreche. Die Klägerin legte das Kopftuch nicht ab und gab
am 08.09.2006 eine Stellungnahme zu ihren Gründen ab ( Bl. 123 d. A. ). Hierbei
verwies sie darauf, dass es ihre freie und persönliche, ausschließlich religiös und nicht
politisch motivierte Gewissensentscheidung sei, ein Kopftuch zu tragen. Sie orientiere
sich in Verhalten und Unterricht an freiheitlich demokratischen Prinzipien, die
Gleichberechtigung nach Art. 3 GG sei ihr sehr wichtig. Sie entspreche nicht dem Bild
der unterdrückten Frau und verdiene seit Jahren als alleinstehende Frau ihren
Lebensunterhalt.
13
Da die Klägerin das Kopftuch im weiteren Verlauf nicht ablegte, erteilte die
Bezirksregierung Düsseldorf als Dienstvorgesetzte unter dem 06.12.2006 eine
Abmahnung ( Bl. 24 ff. d.A.). Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass nach dem
seit 01.08.2006 geltenden § 57 Abs. 4 SchulG NW das Tragen eines Kopftuches nicht
mehr zulässig sei und drohte, falls die Klägerin nicht zukünftig auf das Tragen eines
Kopftuches verzichte, mit dem Ausspruch einer Kündigung.
14
Der Personalrat war Anfang November 2006 über die Absicht, eine entsprechende
Abmahnung zu erteilen, informiert worden und stimmte dieser Maßnahme zu ( Bl. 126 d.
A. ).
15
Die Klägerin nahm am 10.01.2007 zu der Abmahnung Stellung, sie verrichtete ab
Anfang Januar 2007 ihren Unterricht weiterhin mit der beanstandeten Kopfbedeckung.
16
Am 15.01.2007 hörte die Bezirksregierung den Personalrat für Lehrerinnen und Lehrer
an Gesamtschulen zu einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung der Klägerin
an (Bl. 128 ff. d.A.). Nach Erörterung der Maßnahme lehnte der Personalrat die
ordentliche Kündigung ab, daraufhin leitete die Bezirksregierung das Stufenverfahren
gemäß § 66 Abs. 5 LPVG a.F. ein. Nach der zum Zeitpunkt der Anhörung geltenden
Vorschrift des § 74 Abs.1 S.1, 72 Abs.1 LPVG konnte der Personalrat mitbestimmen,
aufgrund der Neufassung des LPVG zum 17.102007 bestand nur noch ein
Mitwirkungsrecht über § 74 Abs. 1 S.1 LPVG. Bei Änderung des LPVG war das
Stufenverfahren noch nicht beendet, am 11.02.2008 teilte das Ministerium für Schul- und
Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen der Bezirksregierung mit, dass in dem
Verfahren Einwendungsrechte für den Personalrat nach § 74 LPVG n.F. nicht gegeben
seien. Mit Durchführung des ursprünglichen Mitbestimmungsverfahrens seien die
Rechte der Personalvertretung viel stärker als nach neuem Recht vorgesehen gewahrt
worden, das Verfahren sei beendet.
17
Unter dem 11.03.2008 sprach das beklagte Land eine Kündigung zum 30.06.2008 aus,
die der Klägerin am 17.03.2008 zuging. Mit ihrer am 08.04.2008 eingegangenen Klage
wehrt die Klägerin sich gegen die Kündigung, die sie für sozial ungerechtfertigt hält.
18
Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine fristgerechte Kündigung aufgrund § 3 Ziffer 3
des Arbeitsvertrages vom 29.08.2002 nicht möglich sei, vielmehr komme nur eine
Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht. Der Passus gelte durch Verweis in
sämtlichen Änderungsvertragen auf den ersten Arbeitsvertrag auch fort.
19
Da es für sie aus persönlichen und religiösen Gründen nicht möglich sei, auf das
Kopftuch zu verzichten, habe die Beklagte keine verhaltens-, sondern nur eine
personenbedingte Kündigung aussprechen dürfen, zu der jedoch der Personalrat nicht
angehört worden sei.
20
Die Abmahnung sei wegen einer fehlenden ordnungsgemäßen Dienstanordnung durch
die Schulleiterin unwirksam.
21
Weiterhin halte sie § 57 Abs. 4 SchulG NW für verfassungswidrig, eine ausreichende
Ermächtigungsgrundlage für die ausgesprochene Kündigung liege deshalb nicht vor.
Selbst wenn § 57 Abs. 4 SchulG NW Anwendung fände, könne er nur für
Neueinstellungen gelten, aber keinen Eingriff in ein bereits bestehendes
Arbeitsverhältnis rechtfertigen. Weiterhin behandelte das Beklagte Land verschiedene
Glaubensrichtungen nicht gleich, weil gegen Ordenstracht tragende Nonnen bisher nicht
vorgegangen worden sei. Das Gesetz richte sich deshalb allein gegen muslimische
Frauen mit Kopftuch. Außerdem verstoße die Kündigung gegen § 1 AGG und Artikel 9
Abs. 1 EMRK.
22
Das Gericht hat die Klage durch Zwischenurteil vom 30.05.2008 nachträglich
23
zugelassen ( Bl. 77 d. A. ).
Die Klägerin beantragt,
24
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch
die Kündigung vom 11.03.2008 aufgelöst worden ist.
25
Das beklagte Land beantragt,
26
die Klage abzuweisen.
27
Das beklagte Land ist der Auffassung, die Kündigung der Klägerin sei aus
verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt, weil sie sich trotz Abmahnung geweigert
habe, das Kopftuch abzulegen. Damit verstoße sie fortlaufend gegen § 57 Abs. 4
Schulgesetz NRW.
28
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren, sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
29
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
30
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsverhältnis wird durch die
fristgerecht verhaltensbedingte Kündigung des beklagten Landes zum 30.06.2008
wirksam beendet.
31
A.
32
I.
33
1.)
34
Der Personalrat ist gemäß § 74 Abs.1 S.1 i.V.m. § 72 Abs.1 LPVG a.F., der ein
Mitbestimmungsrecht postuliert, angehört worden. Die Anhörung ist formal und inhaltlich
ordnungsgemäß erfolgt. Das nach § 66 LPVG einzuleitende Stufenverfahren aufgrund
der fehlenden Zustimmung des Personalrates war zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung
am 17.10.2007 noch nicht beendet.
35
Ab diesem Zeitpunkt wäre der Personalrat gemäß § 74 Abs. 1 LPVG n.F. im Rahmen
eines Mitwirkungsrechtes zu beteiligen gewesen. Einwendungen sind nur noch
begrenzt möglich, siehe § 74 Abs. 1 Ziffern 1-5 LPVG n.F. .
36
Aufgrund der verringerten Beteiligungsrechte des Personalrats musste das Verfahren
nach dem alten Personalvertretungsrecht nicht zu Ende geführt werden. Da die
Beteiligungsrechte des Personalrates durch das fast bis zum Ende durchgeführte
Stufenverfahren ordnungsgemäß berücksichtigt worden sind, wäre es eine bloße
Förmelei gewesen, nunmehr nochmals die Einleitung eines Verfahrens nach § 74 Abs.
1 LPVG n.F. zu verlangen. Das durchgeführte Verfahren geht über das inzwischen
bestehende Mitwirkungsrecht weit hinaus.
37
2.)
38
Entgegen der Auffassung der Klägerin musste das beklagte Land keine
personenbedingte Kündigung aussprechen, zu der der Personalrat tatsächlich nicht
angehört worden ist.
39
Bei einer personenbedingten Kündigung geht es um die persönlichen Verhältnisse und
Eigenschaften eines Arbeitnehmers, im Unterschied dazu bei einer verhaltensbedingten
Kündigung um Vertragspflichten verletzende Handlungen und Unterlassungen. Dabei
ist die fehlende Steuerbarkeit das entscheidende Kriterium bei der personenbedingten
Kündigung (s. hierzu KR-Griebeling, 8.Aufl., § 1 KSchG Rand-Nr. 265, 267).
40
Die Klägerin hat sich darauf berufen, dass sie ihr Verhalten insofern nicht steuern kann,
weil sie aufgrund ihrer inneren religiösen Glaubensüberzeugung nicht auf das Tragen
des Kopftuches während des Schulunterrichtes verzichten kann. Bei der Forderung,
kein Kopftuch zu tragen, handele es um ein Eignungsanforderung, wie sich aus § 57
Abs.6 SchulG NW ergebe.
41
Dem kann nicht gefolgt werden. Der Klägerin ist es möglich, frei darüber zu entscheiden,
ob sie das Kopftuch im Unterricht trägt oder nicht. Ihre freie Willensentscheidung mag
durch die von ihr angenommene religiöse Verpflichtung ihrer Auffassung nach betroffen
und eingeschränkt sein. Tatsächlich ist es ihr aber möglich, das Kopftuch während des
Unterrichtes abzulegen. Dass sie zu einer solchen willensgesteuerten Handlung nicht
fähig ist, hat sie nicht dargetan.
42
Auch die Formulierung des § 57 Abs. 6 SchulG NW stützt ihre Meinung nicht. Die dort
geforderte Eignung entspricht nicht dem Eignungsbegriff, der bei einer
personenbedingten Kündigung zu Grunde zu legen ist, sondern dem
beamtenrechtlichen Eignungsbegriff.
43
3.)
44
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine ordentliche Kündigung ihres
Arbeitsverhältnisses durch § 3 des Arbeitsvertrages vom 29.08.02 nicht
ausgeschlossen.
45
Dieser erste Anstellungsvertrag betraf ein nach den "Sonderregelungen für
Zeitangestellte, Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer und für
Aushilfsangestellte (SR 2y BAT)" befristetes Arbeitsverhältnis.
46
Nach § 3 des Arbeitsvertrages sollte nach Ablauf der Probezeit eine Kündigung nur aus
wichtigem Grund mit einer Frist von sechs Wochen zum Schluss eines Kalendermonats
möglich sein. Diese Ergänzung war erforderlich, weil Nr.7 der SR 2 y bei einem
befristeten Arbeitsverhältnis unter einem Jahr - wie hier bei sämtlichen befristeten
Verträgen der Klägerin- nach Ablauf der Probezeit keine fristgerechte Kündigung mehr
vorsieht, Nr. 7 Abs.3 S. 1 SR 2 y BAT. Als wichtiger Grund für eine Kündigung durch
Angestellte galt danach insbesondere auch die Aufnahme eines unbefristeten
Arbeitsverhältnisses.
47
Zwar ist in den Folgeverträgen immer wieder Bezug genommen worden auf diesen
Vertrag, er wurde aber spätestens bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages
durch die allgemeinen Regeln des BAT ersetzt.
48
Denn die Einschränkung des § 3 Ziffer 3 macht nur Sinn macht in einem befristeten
Arbeitsverhältnis, nur in diesem wird über Nr.7 SR 2 y BAT die Kündigungsregeln des
BAT für fristgerechte Kündigungen ersetzt, mit Übernahme in ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis hat sich die Sachlage grundlegend geändert. Diese Funktion als
Ausnahmeregelung wird vor allem durch die Benennung des wichtigen Grundes
"Aufnahme eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses" deutlich, schon damit ist deutlich,
dass diese gesamte Kündigungsregelung nur bei Befristungen gilt.
49
Nach dem Gesamtzusammenhang war dies für die Klägerin auch erkennbar.
50
II.
51
Die Kündigung des beklagten Landes ist als verhaltensbedingte Kündigung nicht sozial
ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.
52
Denn die Klägerin verstößt durch das Tragen des islamischen Kopftuchs gegen § 57
Abs. 4 SchulG NW.
53
1.
54
§ 57 SchulGNW lautet auszugsweise:
55
§ 57
56
Lehrerinnen und Lehrer
57
(1) Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, erziehen, beraten, beurteilen, beaufsichtigen
und betreuen Schülerinnen und Schüler in eigener Verantwortung im Rahmen der
Bildungs- und Erziehungsziele (§ 2), der geltenden Rechts- und
Verwaltungsvorschriften, der Anordnungen der Schulaufsichtsbehörden und der
Konferenzbeschlüsse; sie fördern alle Schülerinnen und Schüler umfassend...
58
(4) Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen,
weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die
Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den
politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu
stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen
und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder
ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des
Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische
Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12
Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende
Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder
Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1.Das Neutralitätsgebot
des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und
Weltanschauungsschulen.
59
...
60
(6) Die Einstellung einer Lehrerin oder eines Lehrers setzt als persönliches
61
Eignungsmerkmal voraus, dass sie oder er die Gewähr für die Einhaltung der
Bestimmungen des Absatzes 4 in der gesamten voraussichtlichen Dienstzeit bietet.
Entsprechendes gilt für die Versetzung einer Lehrerin oder eines Lehrers eines anderen
Dienstherrn in den nordrhein-westfälischen Schuldienst. Für Lehramtsanwärterinnen
und Lehramtsanwärter können von der Einstellungsbehörde auf Antrag Ausnahmen
vorgesehen werden, soweit die Ausübung ihrer Grundrechte es zwingend erfordert und
zwingende öffentliche Interessen an der Wahrung der staatlichen Neutralität und des
Schulfriedens nicht entgegenstehen...
Die Klägerin trägt ihr Kopftuch, wie sie in ihrer Stellungnahme deutlich gemacht hat, aus
religiösen Gründen. Sie empfindet es als Teil ihrer Persönlichkeit. Das Tragen dieses
sogenannten islamischen Kopftuchs aus religiösen Gründen in einer öffentlichen Schule
durch eine Lehrerin verstößt aber gegen das Verbot, in der Schule politische, religiöse,
weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen abzugeben, die geeignet sind,
die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den
politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören
(s. BVerwG, Urt. vom 24.06.2004 - 2 C 45/03 in: BVerwGE 121,140). Eine Lehrerin, die
ein sogenanntes islamisches Kopftuch trägt, bekennt sich damit eindeutig zur Religion
des Islam. Sie bringt zum Ausdruck, dass sie dessen von ihr als verpflichtend
empfundenen Bekleidungsvorschriften beachten will. Darin liegt eine an die Außenwelt
gerichtete Bekundung ihrer religiösen Überzeugung.
62
Bei der Beurteilung, ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser oder
weltanschaulicher Aussagehalt nach Art eines Symbols zukommt, ist die Wirkung des
verwendeten Ausdrucksmittels ebenso zu berücksichtigen, wie alle dafür in Betracht
kommenden Deutungsmöglichkeiten. Das Kopftuch ist dabei nicht aus sich heraus ein
religiöses Symbol. Erst im Zusammenhang mit der Person, die es trägt, und mit deren
sonstigen Verhalten kann es eine vergleichbare Wirkung entfalten wie zum Beispiel das
christliche Kreuz. Neben dem Wunsch, als verpflichtend empfundene religiös fundierte
Bekleidungsregeln einzuhalten, kann das Kopftuch auch als ein Zeichen für das
Festhalten an Traditionen der Herkunftsgesellschaft gedeutet werden. In jüngster Zeit
wird in ihm verstärkt ein politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus
gesehen, das die Abgrenzung zu Werten der westlichen Gesellschaft, wie individuelle
Selbstbestimmung und insbesondere die Emanzipation der Frau, ausdrückt (s.
grundlegend BVerfG, Urt. vom 24.09.2003, 3. BvR1436/02, zitiert nach juris, Rd. Nr. 50f).
63
Bei der Beurteilung der Frage, ob das Kopftuchtragen eine Bekundung ist, die gegen die
religiöse Neutralität des § 57 Abs. 4 SchulGNW verstößt, ist auf den objektiven
Empfängerhorizont abzustellen, das heißt also darauf, wie ein Kopftuch auf einen
Betrachter wirken kann. Insofern sind alle denkbaren Möglichkeiten, wie das Tragen
eines Kopftuchs verstanden werden kann, bei der Beurteilung zu berücksichtigen. Dabei
kommt es zwar nicht auf die Sicht Einzelner an, die möglicherweise ein von weiteren
Bevölkerungskreisen kaum geteilte Deutungsmöglichkeit vertragen, wohl aber auf eine
Deutungsmöglichkeit, die einer nicht unerheblichen Zahl von Betrachtern nahe liegt. §
57 Abs. 4 Satz 1 SchulG stellt dementsprechend insbesondere wenn auch nicht
ausschließlich auf die Sicht der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern ab. Dies ist
eine Gruppe, die zahlenmäßig nicht zu vernachlässigen ist und die durch das Band der
allgemeinen Schulpflicht in einer engen Beziehung zum Staat steht. Ob deren
Sichtweise von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt ist, ist nicht entscheidend (s. VG
Düsseldorf, Urt. vom 05.06.2007, 2 K6225/06 unter Verweis auf BVerwGE 121, 140
a.a.O.).
64
Durch das Tragen des Kopftuches zeigt die Klägerin deutlich, dass sie sich der Religion
des Islam verbunden fühlt und dessen nach ihrer Auffassung vorhandenen
Bekleidungsvorschriften einhalten will. Die Klägerin hat ja auch ganz klar darauf
verwiesen, dass sie sich ohne das Kopftuch nicht angezogen fühle und es als Teil ihrer
Religion für die Darstellung ihrer Persönlichkeit nach außen brauche. Das Kopftuch wird
auch von unbefangenen Beobachtern als Ausdruck einer islamischen Überzeugung
wahrgenommen.
65
Auf die Frage, ob diese Bekundung der Klägerin vom Schutz der Religions- oder
Meinungsäußerung umfasst wird, ist in diesem Zusammenhang ebenso unbeachtlich
wie das ihr zugrunde liegende Motiv, also die Frage, ob die Bekundung freiwillig ist oder
im Sinne eines tradierten Rollenverständnisses auf einem mehr oder weniger starken
äußeren Zwang beruht.
66
2.
67
Die religiöse Bekundung der Klägerin ist geeignet, die Neutralität des Landes
gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen,
weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören (s. dazu insbesondere
BVerfG a.a.O.; VG Düsseldorf a.a.O.; LAG Düsseldorf, Urt. vom 10.04.08, 5 Sa 1836/08
m.w.N.).
68
a.
69
Das Verbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulGNW knüpft an einen abstrakten
Gefährdungstatbestand an. Nicht erst Bekundungen, die die Neutralität des Landes oder
den Schulfrieden konkret gefährden oder gar stören fallen unter das Verbot. Es will
vielmehr schon abstrakten Gefahren vorbeugen, um konkrete Gefahren für die
Neutralität der Schule oder den Schulfrieden gar nicht erst eintreten zu lassen. Das
ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, wonach eine entsprechende
Verhaltensweise bereits dann verboten ist, wenn sie nur geeignet ist, die genannten
Schutzgüter zu gefährden. Die Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse an
einzelnen Schulen ist danach nicht vorgesehen. Eine derart abstrakte Gefährdung
gerade der weltanschaulich-religiösen Neutralität der Schule und des religiösen
Schulfriedens geht von dem Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Lehrerin
aus. Die Schule ist der Ort, an dem die unterschiedlichen religiösen Auffassungen
unausweichlich aufeinander treffen und wo sich das Nebeneinander besonders
empfindlich auswirkt. Die Entwicklung hin zu einer gewachsenen religiösen Vielfalt in
der Gesellschaft hat daher zwangsläufig ein vermehrtes Potential möglicher Konflikte in
der Schule mit sich gebracht. In dieser Lage können leichter Gefährdungen für den
religiösen Schulfrieden aufkommen. So können Eltern besorgt auf eine ungewollte
religiöse Beeinflussung ihrer Kinder reagieren. Nicht neutrale religiöse Kleidung
beinhaltet also eine abstrakte Gefahr (s. VG Düsseldorf a.a.O., Rd. Nr. 46 m.w.N.). Auch
das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gesagt, dass die religiös motiviert und als
Kundgabe einer Glaubensüberzeugung zu interpretierende Bekleidung von Lehrern die
Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie die Möglichkeit von Konflikten
mit Eltern innehat, die zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung des
Erziehungsauftrags der Schule gefährden können. Diese derartige bloße Möglichkeit
einer Gefährdung oder eines Konflikts will § 57 Abs. 4 SchulG NW verhindern (s.
BVerfG, a.a.O. Rd. Nr. 49, zit. nach juris).
70
Das Tragen eines Kopftuches wird von Eltern und Schülern mit großer
Wahrscheinlichkeit als Kundgabe mit religiösem Charakter empfunden. Dadurch kann
schon die Neutralität der Schule gefährdet sein, eine abstrakte Gefahr bejaht werden.
71
Da es um einen abstrakten Gefährdungstatbestand geht, ist weder die Zielrichtung der
Klägerin noch die bisher fehlende negative Reaktion von Eltern, Lehrern und Schülern
ausschlaggebend. Unbestritten ist die Klägerin eine anerkannte und beliebte Lehrerin,
deren religiöse Bekundung in Form des Kopftuches bisher nicht zu Konflikten geführt
hat. Allerdings ist dem Kopftuch die abstrakte Möglichkeit kommender Konflikte
immanent. So unterliegt die Schüler- und Elternschaft durch den Beginn eines neuen
Schuljahres einer ständigen Fluktuation, Schüler verlassen die Schule, neue kommen
hinzu. Das bisher keine negativen Reaktionen gekommen sind, muss nicht so bleiben.
Allein durch das abstrakte Gefährdungspotential sind Konflikte möglich, auch
unabhängig davon, an welcher Schule die Klägerin eingesetzt wird. Durch die ständige
Dokumentation ihrer religiösen Überzeugung in Form des Kopftuches wird die abstrakte
Gefahr fortgeschrieben.
72
Die Klägerin verstößt also ständig gegen § 57 Abs. 4 SchulGNW.
73
III.
74
§ 57 Abs. 4 SchulGNW ist mit dem Grundgesetz vereinbar, es ist nicht
verfassungswidrig. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulGNW verstößt weder gegen Grundrechte
der Klägerin noch gegen europäisches Recht (s. dazu insbes. LAG Düsseldorf, Urt. v.
10.04.08, a.a.O.; VG Düsseldorf , Urt. v. 05.06.07, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urt.
v. 14.03.08, 4 S 516/07 zu § 38 Abs.2 SchulG BW, zit. nach juris, jeweils mit weiteren
Nachweisen).
75
1.
76
Soweit die Religionsfreiheit der Klägerin betroffen ist, verstößt § 57 Abs. 4 Satz 1
SchulGNW nicht gegen Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG.
77
a.
78
Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 24.09.2003
festgestellt hat, fällt auch das Tragen eines Kopftuches in der Schule regelmäßig unter
den Schutzbereich der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgten Glaubensfreiheit. Art. 4 Satz
1 GG garantiert die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses, Abs. 2 das Recht der ungestörten
Religionsausübung. Dieses Grundrecht erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit zu
glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu
bekunden und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein
gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren
Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative
Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als
das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen. Dazu zählt auch das hier
von der Klägerin als verpflichtend angesehene religiöse Gebot, ihr Haar komplett zu
bedecken (s. BVerfG, a.a.O., Rd. Nr. 36 f).
79
b.
80
Allerdings ist der Landesgesetzgeber berechtigt, eine gesetzliche Bestimmung zu
erlassen, die die widerstreitenden Grundrechte der Lehrkräfte, Schülern und Eltern
sowie des mit Verfassungsrang ausgestatteten staatlichen Erziehungsauftrags in
Beziehung zueinander setzt und regelt. Ob der Neutralitätspflicht dabei ein besonderes
Gewicht zukommt oder durch die Äußerung z. B. religiöser Bekenntnisse eine offene
und tolerante Diskussion angestoßen werden soll, hat der Landesgesetzgeber NW im
ersteren Sinne entschieden. Der Gesetzgeber muss bei den miteinander
konkurrierenden grundrechtlichen Freiheitsrechten eine eigenständige Linie finden.
Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte, wie hier die positive und
negative Glaubensfreiheit sowie das elterliche Erziehungsrecht, nach dem Wortlaut der
Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche
diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre
verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss (s. BVerfG,
a.a.O., Rd. Nr. 67).
81
Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich mit § 57 Abs. 4 SchulG NW dafür entschieden,
der staatlichen Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, dem Erziehungsrecht
der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler ein
stärkeres Gewicht beizumessen als der positiven Glaubensfreiheit eines Lehrers. Das
Kopftuchverbot im Schulunterricht ist Ausfluss der praktischen Konkordanz, d. h. eines
verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen und widerstreitenden
Grundrechten und Verfassungswerten. Insoweit stehen sich die individuellen
Freiheitsrechte der Lehrerinnen und die individuellen Freiheitsrechte der Schülerinnen
und Schüler sowie ihrer Eltern gegenüber. Sie sind in ein verhältnismäßiges
Gleichgewicht zu bringen, bei dem die Befugnis des Staates, die äußere und inhaltliche
Gestaltung des Schulunterrichtes festzulegen, sowie die staatliche Neutralitätspflicht zu
beachten sind (BVerfG, a.a.O.; LAG Düsseldorf, a.a.O., Rd. Nr. 41 m.w.N.).
82
Im Widerstreit stehen bei religiösen Bekundungen von Lehrern deren positive
Religionsausübungsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, mit dem staatlichen
Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG, der unter Wahrung der Pflicht zur
weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, aus dem elterlichen
Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 2 GG und aus der negativen Glaubensfreiheit der
Schüler aus Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG.
83
Die positive Religionsausübungsfreiheit der Klägerin wird, wenn ihr das Tragen eines
Kopftuches während des Unterrichts in der Schule untersagt wird, unterbunden. Ist ihre
religiöse Bekundung aber geeignet, die Neutralität des Landes oder den religiösen
Schulfrieden zu gefährden, so ist dies eine hinnehmbare und verhältnismäßige
Einschränkung ihrer Grundrechtsposition. Dabei betrifft diese Einschränkung der
Religionsausübungsfreiheit nur eine zeitlich relativ kurze Zeit, nur während des
Unterrichts und in der Schule soll sie das Kopftuch nicht tragen. Nur während ihrer
Dienstausübung als Lehrerin soll also das Freiheitsrecht zurücktreten, um nicht die
gegenstehenden Freiheitsrechte der Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern und
das Gebot staatlicher Neutralität zu verletzen.
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Daneben ist die Klägerin in ihrer Funktion als Angestellte des beklagten Landes auch
verpflichtet, das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität zu beachten. Sie ist
daher verpflichtet, diese Neutralität aktiv zu unterstützen und zu vertreten. Durch die
85
religiöse Bekundung - das Tragen des Kopftuches - steht ihr Verhalten dem jedoch
entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Neutralitätspflicht des Staates
gerade in dem sensiblen Bereich der Schule besondere Bedeutung zukommt. Schüler
sind aufgrund ihres jugendlichen Alters noch sehr beeinflussbar. Sie muss man
besonders vor einer einseitigen Beeinflussung schützen und ihnen die Möglichkeit
geben, zwar angeleitet aber neutral eigene Standpunkte zu finden. Durch das Zur-
Schau-Stellen einer bestimmten Religion wird diese Aufgabe nicht erfüllt.
§ 57 Abs. 4 SchulG NW verstößt also nicht gegen das Grundrecht der Klägerin aus Art.
4 Abs. 1 und 2 GG.
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2.
87
Das Verbot, in der Schule religiöse Bekundungen abzugeben, verstößt weiter nicht
gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG.
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Hier hat die Klägerin sich insbesondere auf die Tätigkeit zweier Nonnen in zwei
Bekenntnisschulen in Münster bzw. Paderborn gestützt. In der mündlichen Verhandlung
ist klargestellt worden, dass es sich bei beiden Fällen um historische Konstellationen
handelt (s. ausführlich: ArbG Hagen, Urt. vom 21.02.08, 6 Ca 648/07), die mit der
Situation der Klägerin nicht vergleichbar sind.
89
Der Klägerin ist allerdings darin zu folgen, dass § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulGNW nicht
allein die religiöse Bekundung einer Muslimin durch das Tragen des Kopftuches
verbietet.
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Vielmehr ist Lehrerinnen und Lehrern auch das Tragen von anderer religiöser Kleidung
untersagt. So dürfen Nonnen nicht im Habit und jüdische Mitarbeiter nicht mit der Kippa
unterrichten. Die Norm des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW unterscheidet nicht nach
Religionen oder Weltanschauungen, sondern stellt einzig und allein auf entsprechende
äußere Bekundungen ab und deren abstrakte Eignung, den Schulfrieden zu gefährden
oder zu stören.
91
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 57 Abs.4 S.3 SchulG NW. Danach widerspricht die
Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Art. 7 und 12 Abs.6 der Verfassung des
Landes Nordrhein-Westfalen und die Darstellung christlicher und abendländischer
Bildungs-und Kulturwerte oder Traditionen nicht § 57 Abs.4 S.1 SchulG NW. Aus dieser
Vorschrift folgt keine unzulässige Bevorzugung christlicher Glaubensbekundungen.
Vielmehr wird damit Bezug genommen auf eine Werteordnung, die auf der christlich-
abendländischen Kultur gründet, auf die auch das Grundgesetz Bezug nimmt, und die
unabhängig von der Religionsausübung Geltung hat. Auch die Verfassung bezieht sich
nicht auf spezielle Glaubensinhalte, sondern auf die christliche Tradition als Fundament
unseres Zusammenlebens.
92
Auch wenn der Landesgesetzgeber möglicherweise eine andere Intention hat, hat sich
dies nicht in der Formulierung der Vorschrift niedergeschlagen. Der Wille der
gesetzgebenden Instanzen ist nur dann beachtlich, wenn er sich im Gesetzestext selbst
wieder findet (s. VG Düsseldorf, a.a.O.; LAG Düsseldorf, a.a.O. Rn 56 f ).
93
Auch im Wege einer möglicherweise notwendigen verfassungskonformen Auslegung ist
die Vermittlung der auf dem Christentum fußenden Moralvorstellungen und Werte
94
zulässig, nicht aber die Bekundung d es individuellen Glaubens durch besondere
Kleidung o.ä.( a.A. Walter/von Ungern-Sternberg, Verfassungswidrigkeit des nordrhein-
westfälischen Kopftuchverbots für Lehrerinnen, DÖV 2008, S.488 ff).
Falls das beklagte Land allerdings tatsächlich im Laufe der weiteren Anwendung des
Gesetzes das Tragen von Nonnenhabit und Kippa an staatlichen Schulen nicht
unterbinden sollte, läge eine Ungleichbehandlung vor. Solche Fälle sind, bis auf die der
oben geschilderten beiden Nonnen, nicht bekannt. Soweit die Klägerin eine
entsprechende Auskunft verlangt, musste dem nicht nachgegeben werden, da es sich
um eine Ausforschung gehandelt hätte (s. dazu auch LAG Düsseldorf, a.a.O.).
95
3.
96
Aus den genannten Gründen ist auch die Einschränkung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie ihrer
Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs.1 GG und ihrem Recht auf freien Zugang zum
öffentlichen Amt aus Art. 33 Abs.2 GG gerechtfertigt. Auch hier stehen ihr die Rechte der
Schüler und Eltern aus Art. 4 und 6 Abs.2 GG sowie der staatliche Erziehungsauftrag
des Art. 7 Abs.1 GG entgegen.
97
4.
98
§ 57 Abs. 4 SchulG NW verstößt auch nicht gegen § 1 AGG.
99
Ziel des AGG ist es, gemäß § 1 AGG Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder
wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu
beseitigen. Die Klägerin ist gemäß § 6 Abs. 1 Ziff. 1 AGG von dem Gesetz erfasst, sie
kann grundsätzlich den Schutz des § 7 AGG, Benachteiligungsverbot, für sich in
Anspruch nehmen, d. h. sie darf unter anderem wegen ihrer Religion nicht benachteiligt
werden.
100
Ob die Klägerin entsprechend benachteiligt ist, kann jedoch offen bleiben, da gemäß § 8
Abs. 1 AGG eine unterschiedliche Behandlung unter anderem wegen der
Religionsausübung zulässig ist, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden
Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende
berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung
angemessen ist.
101
Wie oben erläutert, wird die Religionsfreiheit der Klägerin durch das Neutralitätsgebot
sowie die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie das
Erziehungsrecht der Eltern angemessen eingeschränkt. Hinsichtlich der Abwägung der
genannten Rechte gilt das oben gesagte.
102
5.
103
§ 57 Abs. 4 SchulG NW verstößt auch nicht gegen Artikel 9 EMRK. Grundsätzlich stellt
das Verbot, ein islamisches Kopftuch in öffentlichen Schulen zu tragen, einen Eingriff in
die Religionsfreiheit nach Artikel 9 EMRK. Die Annahme, dass ein Verbot des
Kopftuchtragens in öffentlichen Schulen als Element einer gesetzgeberischen
Entscheidung über das Verhältnis von Staat und Religion im Schulwesen eine
104
zulässige Einschränkung der Religionsfreiheit darstellen kann, steht auch im Einklang
mit Artikel 9 EMRK (s. BVerfG, a.a.O., Rd. Nr. 66 a.E.). Der Eingriff in die
Religionsfreiheit ist im Sinne von Artikel 9 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen, mit ihm
wird ein berechtigtes Ziel verfolgt. Der Eingriff selbst ist nicht unverhältnismäßig und
begründet deshalb keinen Verstoß.
6.
105
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Gebot der religiösen
Neutralität nur als Eignungsanforderungen in § 57 Abs. 6 SchulG NW gefordert wird. Sie
vertritt die Auffassung, dass sie, da sie unbefristet eingestellt worden ist, obwohl sie zu
diesem Zeitpunkt schon ein Kopftuch getragen hat, von § 57 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 SchulG
NW nicht erfasst wird. Vielmehr beziehe sich die Regelung nur auf Neueinstellungen
von Lehrkräften, nicht aber auf schon bestehende Angestelltenverhältnisse. Insofern
genieße sie Vertrauensschutz, da das beklagte Land ihren Vertrag in Kenntnis ihrer
Religionsausübung entfristet habe.
106
Dem steht allerdings die Ausgestaltung von § 57 Abs. 4 SchulG NW als abstrakter
Gefährdungstatbestand entgegen. Allein die Eignung der von ihr getragenen
Kopfbedeckung, die Neutralität des Landes und den religiösen Schulfrieden zu
gefährden oder zu stören, begründet eine abstrakte Gefahr für diese Schutzgüter. Da der
Landesgesetzgeber eine Übergangsvorschrift nicht vorgesehen hat, muss sich jeder
Bedienstete, der dieser Vorschrift unterliegt, danach richten. Auch die Klägerin, die
schon länger ihr Kopftuch aus religiöser Überzeugung trägt, gefährdet mithin abstrakt
diese Rechtsgüter, allein dadurch, dass sie das Kopftuch weiter trägt. Eine wie auch
immer geartete Abwägung oder einen Vertrauensschutz sieht das Gesetz nicht vor,
jeder muss sich an das Gesetz halten.
107
Dass es Ausnahmen für die Ableistung des Vorbereitungsdienstes gibt, steht dem
ebenfalls nicht entgegen, da der Staat insofern ein Ausbildungsmonopol hat und den
Lehramtsanwärtern zumindest die Möglichkeit einräumen muss, ihre Ausbildung zu
beenden (s. dazu auch VGH Baden Württemberg, Urteil vom 14.03.2008, Aktenzeichen
4 S 516/07, nach juris, m.w.N.).
108
Der Gesetzgeber hat sich, in dem er einen abstrakten Gefährdungstatbestand
geschaffen hat, gegen einen möglichen Vertrauensschutz von schon beschäftigen
Lehrkräften und gegen eine konkrete Interessenabwägung im Einzelfall entschieden.
Dem muss sich auch die Klägerin beugen.
109
7.
110
Die Klägerin hat sich außerdem auf das Gutachten von Dr. Ch. Walter und Dr. A. von
Ungern-Sternberg berufen , das einen Verstoß gegen europäische Rechtssetzungsakte
bejaht. Hierzu hat das LAG Düsseldorf (a.a.O:, Rn.65 ff) ausführlich Stellung genommen,
die Kammer schließt sich den dortigen Erwägungen an.
111
8.
112
Die bei einer verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Abmahnung liegt vor,
s.Schreiben vom 06.12.2006 (Bl. 24 d.A.). In der Abmahnung ist die Klägerin
aufgefordert worden, das Kopftuch abzulegen, ihr ist eine Kündigung angedroht worden
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für den Fall der Zuwiderhandlung. Die Klägerin hat außerdem am 10.01.2007 zur
Abmahnung Stellung genommen und danach, jedenfalls ab dem 08.01.2007, weiter mit
Kopftuch unterrichtet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Abmahnung auf der Grundlage von § 57
Abs. SchulG NW auch rechtmäßig erteilt worden. Soweit sie sich darauf bezieht, dass
sie für die Aufforderung ihrer Schulleiterin am 17.08.2006 keine ordnungsgemäße
Dienstanordnung sieht, kann sie damit nicht gehört werden. Allein schon durch die
gesetzliche Neuregelung zum 01.08.2006 bestand die Verpflichtung der Klägerin zur
religiösen Neutralität, die ihr durch die Schulleiterin am 17.08.2006 nochmals nahe
gebracht worden ist. Grundlage auch für die Abmahnung ist mithin allein die
Gesetzesänderung. Insofern erfolgte die Abmahnung rechtmäßig.
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Da die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Abmahnung ihr Verhalten nicht geändert hat,
durfte die Beklagte verhaltensbedingt kündigen.
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B.
116
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Streitwert war gemäß § 61
Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 42 Abs. 4, 63 GKG festzusetzen.
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Rechtsmittelbelehrung
118
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
119
B e r u f u n g
120
eingelegt werden.
121
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
122
Die Berufung muss
123
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
124
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
125
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
126
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
127
1. Rechtsanwälte,
128
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
129
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
130
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Budde-Haldenwang
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