Urteil des ArbG Wuppertal vom 11.09.2008

ArbG Wuppertal: paritätische kommission, berufserfahrung, abstimmung, juristische person, produktion, erfüllung, arbeitsgericht, einspruch, zusammenarbeit, tarifvertrag

Arbeitsgericht Wuppertal, 1 Ca 791/08 v
Datum:
11.09.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Wuppertal
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Ca 791/08 v
Schlagworte:
Eingruppierung eines Schichtführers
Normen:
§ 1 TVG, § 611 Abs. 1 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Bei der gemäß § 7 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Einführung des
Entgeltrahmenabkommens für die Metall- und Elektroindustrie
Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 (ERA-ETV) durch freiwillige
Betriebsvereinbarung einzuführende paritätische Kommission handelt
es sich nicht um eine Schiedsgutachterstelle nach § 101 ArbGG bzw. §
317 BGB (im Anschluss an LAG Düsseldorf, Urteil v. 12.01.2007 - 10 Sa
1082/06 -).
Tenor:
1.Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab
dem 01.05.2007 Vergütung nach der Entgeltgruppe 10 des
Entgeltrahmenabkommens in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-
Westfalens vom 18.12.2003 zu zahlen.
2.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien zu je ½.
4.Der Streitwert wird auf 17.910,00 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die richtige Eingruppierung des Klägers.
2
Die Beklagte ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Sie betreibt unter
anderem die Herstellung, die Weiterverarbeitung und den Vertrieb von Stanz- und
Druckgussteilen für Schließsysteme für die Automobilindustrie und beschäftigt zur Zeit
ca. 170 Arbeitnehmer. Der Kläger ist gelernter Stahlbauschlosser und seit Mai 1999 bei
der Beklagten zunächst als Einrichter und seit ca. sechs Jahren als Schichtführer
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger
Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-
Westfalens Anwendung.
3
Die Beklagte führt ihren Betrieb in einem Konti-Schicht-System mit fünf Schichten
(Schicht A-E). Der Kläger gehört der Schicht B an. Er arbeitet als Schichtführer in der
Stanzerei, die vom Meister Runge geleitet wird. In dieser Abteilung gibt es 10
verschiedene Pressen mit unterschiedlicher Druckkraft von 50 bis 400 Tonnen. Je
nachdem, welches Teil gefertigt werden soll, werden verschiedene Werkzeuge, die im
Werkzeuglager gelagert werden, benötigt. Zur Schicht des Klägers gehören im
Durchschnitt 7 bis 8 Einrichter sowie ein Staplerfahrer.
4
Die Schicht des Klägers beginnt mit der Schichtübernahme, dabei informiert sich der
Kläger über die laufenden und anstehenden Aufträge sowie an den Pressen
aufgetretene Probleme. Er sucht regelmäßig den Fertigungsdisponenten auf, um zu
erfahren, wann welche Teile fertig sein müssen, soweit sich dies nicht einer
Fertigungstafel entnehmen lässt. Der Kläger spricht zudem mit dem Meister über
besondere Probleme des Fertigungsprozesses. Im Verlaufe seiner Schicht überprüft der
Kläger die Qualität der gefertigten Teile. Dabei arbeitet er auch mit den Mitarbeitern der
Qualitätssicherung zusammen. Inwieweit er bei Maßabweichungen berechtigt ist,
eigenständig die Maße zu verändern, ist zwischen den Parteien streitig. Beim Auftreten
von nicht sofort lösbaren Problemen zieht der Kläger entweder Mitarbeiter des
Werkzeugbaus oder der Instandhaltung (Schlosser/Elektriker) hinzu. Mit diesen
diskutiert er die Dauer einer etwaig notwendigen Reparatur und entscheidet, ob und wie
die Produktion auf andere Maschinen verlagert werden muss.
5
Zu den Tätigkeiten des Klägers gehört zudem die Einweisung der Einrichter, dazu ist es
erforderlich, dass der Kläger eine vollständige Kenntnis über die Funktionsfähigkeit
sämtlicher Pressen besitzt.
6
Nach einer von der Beklagten erstellten „Beschreibung und Bewertung von
Arbeitsaufgaben“ gibt es von der Position des Klägers aus organisatorische
Verbindungen zu folgenden Bereichen: Disposition, QM, WE/WA, WZB,
Methodenplanung, Instandhaltung WITTE.
7
Seit dem 01.10.2006 findet das Entgeltrahmenabkommen für die Metall- und
Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18.12.2003 (im Folgenden: ERA) auf das
Arbeitsverhältnis Anwendung.
8
In § 2 ERA heißt es auszugsweise:
9
㤠2 Allgemeine Bestimmungen zur Eingruppierung
10
3. Grundlage der Eingruppierung des Beschäftigten ist die Einstufung der
übertragenen und auszuführenden Arbeitsaufgabe. Die Arbeitsaufgabe kann eine
Einzelaufgabe beinhalten oder einen Aufgabenbereich umfassen.
11
Bei der Einstufung der Arbeitsaufgabe nach dem in § 3 bestimmten
Punktbewertungsverfahren erfolgt eine ganzheitliche Bewertung der
Arbeitsaufgabe, die alle übertragenen und auszuführenden Tätigkeiten umfasst,
unabhängig davon, wie oft und wie lange diese ausgeführt werden.
12
Bei dieser Bewertung ist bei dem Anforderungsmerkmal „Können“ das höchste für
die Arbeitsaufgabe erforderliche Könnensniveau für die Einstufung der
13
Arbeitsaufgabe entscheidend. Bei den Anforderungsmerkmalen „Handlungs- und
Entscheidungsspielraum“, „Kooperation“ und „Mitarbeiterführung“ ist eine
Gewichtung danach vorzunehmen, ob und inwieweit die Tätigkeiten die
Arbeitsaufgabe insgesamt prägen.“
Das Punktbewertungsverfahren in § 3 ERA sieht, soweit hier von Interesse, folgendes
vor:
14
„1. Grundlage der Einstufung einer Arbeitsaufgabe sind folgende
Anforderungsmerkmale:
15
1.Können (Arbeitskenntnisse sowie Fachkenntnisse und
Berufserfahrung)
16
2.Handlungs- und Entscheidungsspielraum
17
3.Kooperation
18
4.Mitarbeiterführung…
19
2.Es werden 14 Entgeltgruppen gebildet und diesen Gesamtpunktspannen
wie folgt zugeordnet:
20
Entgeltgruppe (EG)Gesamtpunktspanne
21
978-88
22
1089-101
23
11102-112“
24
25
Anlage 1a zum ERA enthält „Begriffsbestimmungen und Bewertungsstufen der
Anforderungsmerkmale des tariflichen Punktbewertungsverfahrens nach § 3 ERA“.
Nach Anlage 1a Ziffer 1.3 ERA gibt es hinsichtlich der erforderlichen Berufserfahrung
folgende Bewertungsstufen:
26
Stufe 1:Arbeitsaufgaben, die zusätzlich zu den Fachkenntnissen
Berufserfahrungen von mindestens einem Jahr bis zu drei Jahren erfordern
27
6 Punkte
28
Stufe 2:Arbeitsaufgaben, die zusätzlich zu den Fachkenntnissen
Berufserfahrungen von mehr als drei Jahren erfordern
29
12 Punkte
30
Das Merkmal „Handlungs- und Entscheidungsspielraum“ wird in Anlage 1a Ziffer 2 ERA
- auszugsweise - mit folgenden Stufen bewertet:
31
Stufe 2: Die Erfüllung der Arbeitsaufgaben ist weitgehend vorgegeben.10 Punkte
32
Stufe 3:Die Erfüllung der Arbeitsaufgaben ist teilweise vorgegeben
33
18 Punkte
34
Das Anforderungsmerkmal „Kooperation“ wird in Anlage 1a Ziffer 3 ERA u. a. wie folgt
bewertet:
35
Stufe 3: Die Erfüllung der Arbeitsaufgaben erfordert regelmäßige Kommunikation und
Zusammenarbeit sowie gelegentliche Abstimmung.10 Punkte
36
Stufe 4:Die Erfüllung der Arbeitsaufgaben erfordert regelmäßige
Kommunikation, Zusammenarbeit und Abstimmung15 Punkte
37
Die Beklagte gruppierte den Kläger nach dem ERA in EG 9 ein. Dabei vergab sie
insgesamt 83 Punkte. Diese Gesamtpunktzahl setzt sich wie folgt zusammen:
38
Können58 Punkte
39
(davon Fachkenntnisse 58 Punkte, Berufserfahrung 0 Punkte)
40
Handlungs- und Entscheidungsspielraum 10 Punkte
41
Kooperation10 Punkte
42
Mitarbeiterführung5 Punkte
43
Der Kläger reklamierte die vorgenannte Eingruppierung. Die paritätische Kommission
teilte ihm daraufhin mit Schreiben vom 20.11.2006 mit, sie habe seinen Widerspruch in
einer Sitzung am 10.11.2006 überprüft, die Eingruppierung sei zutreffend und bleibe
unverändert bestehen.
44
Mit Schreiben vom 27.08.2007, 30.11.2007 und 07.03.2008 machte der Kläger jeweils
die Zahlung der Differenzvergütung für die Monate ab Mai 2007 gegenüber der
Beklagten geltend.
45
Der Kläger ist der Auffassung, er sei nicht zutreffend eingruppiert. Er erreiche insgesamt
102 Punkte.
46
Sein „Können“ müsse richtigerweise mit 64 Punkten bewertet werden, da die Erledigung
seiner Arbeitsaufgaben eine Berufserfahrung von mehr als einem Jahr erfordere. Es sei
nicht möglich, in einem kürzeren Zeitraum die vorhandenen Pressen so umfassend
kennenzulernen, dass er Einrichter dort einweisen und bei auftretenden Problemen mit
den hinzugezogenen Mitarbeitern des Werkzeugbaus bzw. der Instandhaltung nach
Lösungsmöglichkeiten suchen könne.
47
Der ihm obliegende Handlungs- und Entscheidungsspielraum sei mit 18 Punkten zu
bewerten. Die einzigen Vorgaben, die er erhalte, seien der Fertigungsauftrag sowie eine
vom Disponenten vorgegebene bestimmte Fertigungsreihenfolge für jede Presse. Er sei
jedoch berechtigt und geradezu verpflichtet, die Reihenfolge ggf. abzuändern, um eine
48
optimale Auslastung der Pressen zu erreichen, beispielsweise könne er einen Auftrag
zeitlich vorziehen, um einen sonst notwendig werdenden, ggf. zeitaufwendigen,
Werkzeugwechsel zu vermeiden. Darüber hinaus habe er einen Spielraum bei der
Auswahl der anzuwendenden Bearbeitungsverfahren. Beim Auftreten von
Toleranzabweichungen könne er auch entscheiden, ob die Produktion mit der
vorhandenen Abweichung weitergeführt oder gestoppt werde.
Die Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben erfordere zudem nicht nur gelegentliche, sondern
vielmehr regelmäßige Abstimmung. Er müsse sich beim Abweichen von Toleranzen mit
der Qualitätssicherung und bei sonstigen Problemen mit Mitarbeitern des
Werkzeugbaus bzw. der Instandhaltung in Verbindung setzen. Unter Abwägung der
verschiedenen betrieblichen Interessen bzgl. Weiterführung der Produktion unter
Inkaufnahme des Fehlers bzw. Stilllegung der Presse zwecks Reparaturermöglichung
müsse er mit den übrigen eingeschalteten Mitarbeitern entscheiden, welche der
möglichen Alternativen gewählt werden solle. Diese Abstimmung falle auch regelmäßig
an, da ca. 90% der Produktion nicht fehlerfrei laufe.
49
Der Kläger beantragt,
50
1.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.05.2007
Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 des Entgeltrahmenabkommens in der
Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18.12.2003 zu zahlen.
51
2.hilfsweise:
52
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 01.05.2007
Vergütung nach der Entgeltgruppe 10 des Entgeltrahmenabkommens in der
Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18.12.2003 zu zahlen.
53
Die Beklagte beantragt,
54
die Klage abzuweisen.
55
Sie ist zunächst der Auffassung, der geltend gemachte Anspruch könne nicht mehr
klageweise geltend gemacht werden. Der Tarifvertrag sehe ein besonderes
Eingruppierungs- und Reklamationsverfahren vor. Insoweit habe die paritätische
Kommission eine vom Kläger zu akzeptierende abschließende Entscheidung getroffen.
56
Zudem sei die Eingruppierung des Klägers zutreffend. Der Tarifvertrag normiere
lediglich Mindestanforderungen. Eine Berufserfahrung von bis zu einem Jahr reiche aus,
um die Tätigkeit des Klägers ausüben zu können. Innerhalb eines Jahres vermöge es
ein Schichtführer, mit den betriebsspezifischen Maschinen umzugehen. Dieser Zeitraum
reiche auch aus, um sich problemlos mit den innerbetrieblichen Gegebenheiten vertraut
zu machen. Dass der Kläger möglicherweise eine darüber hinausgehende persönliche
Qualifikation aufweise, sei für die Frage der Eingruppierung nicht bewertungsrelevant.
57
Die Arbeitsaufgaben seien dem Kläger weitgehend vorgegeben. Es gebe umfangreiche
und detaillierte Vorgaben beispielsweise hinsichtlich der Reihenfolge, der Art und dem
Umfang des Auftrages, der Maschinenbelegung, des zu verwendenden Materials sowie
der einzusetzenden Werkzeuge ebenso wie hinsichtlich der zu beachtenden
Toleranzbereiche. Dem Kläger stünden die Auftragstafel, Auftragskarten, Materialkarten,
58
den Maschinenbelegungsplan, die Maschinenparameterkarte sowie Lohnscheine mit
entsprechenden Vorgaben zur Verfügung. Der Kläger sei nur im äußersten Notfall
berechtigt, von diesen Vorgaben abzuweichen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Parteischriftsätze sowie den gesamten weiteren Akteninhalt
Bezug genommen.
59
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
60
Die Klage ist zulässig und zum Teil begründet.
61
I.
62
Die Klage ist zulässig.
63
Die Klageanträge sind zulässig. Es handelt sich um eine übliche und von der
Rechtsprechung anerkannte Eingruppierungsfeststellungsklage. Auch gegen die
Aufteilung in Haupt- und Hilfsantrag bestehen keine Bedenken. Insoweit obliegt dem
Gericht im Falle der Abweisung des Hauptantrages als sog. Minus die Prüfung der
Frage, ob nicht eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 10 erfolgen muss.
64
II.
65
Die Klage ist zum Teil begründet.
66
1.
67
In der den Einspruch des Klägers zurückweisenden Entscheidung der paritätischen
Kommission liegt keine Entscheidung eines Schiedsgerichts bzw. einer
Schiedsgutachterstelle i. S. d. § 101 ArbGG bzw. des § 317 BGB, die nur eingeschränkt
einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Zwar haben die Tarifvertragsparteien auf
den ersten Blick in § 7 Ziffer 2 ERA-ETV vereinbart, dass durch die Einrichtung einer
paritätischen Kommission ein Schiedsgericht nach § 101 ArbGG oder eine
Schiedsgutachterstelle i. S. d. § 317 BGB geschaffen wird. Denn in § 7 Ziffer 1 ERA-
ETV ist bestimmt, dass mit der Vereinbarung des besonderen Eingruppierungs- und
Reklamationsverfahrens durch die Betriebsparteien § 4 Abs. 1 ERA aufgehoben ist.
Hierin ist geregelt, dass den Beschäftigten trotz reklamierter Eingruppierung der
Rechtsweg offensteht. Dennoch haben die Tarifvertragsparteien in NRW nicht
vereinbart, dass die im Rahmen der Einführung des ERA freiwillig vereinbarte
paritätische Kommission die Aufgaben eines Schiedsgerichts oder einer
Schiedsgutachterstelle wahrnimmt (vgl. LAG Düsseldorf v. 21.01.2007 - 10 Sa 1082/06 -
ZTR 2007, 314; LAG Hamm v. 07.12.2007 - 7 Sa 1354/07 - juris; LAG Hamm v.
08.02.2008 - 10 Sa 1355/07 - juris). Im Rahmen der Entscheidung der paritätischen
Kommission nach § 7 ERA-ETV werden keine Persönlichkeitswerte oder individuelle
Leistungsfaktoren wie bei einer Leistungsbeurteilung bewertet. Die Paritätische
Kommission hat vielmehr unabhängig von der Person des Arbeitnehmers den
Arbeitsplatz zu bewerten. Sie kann weder vertragsergänzend noch rechtsgestaltend in
einzelne Arbeitsverträge eingreifen, ein Beurteilungsspielraum steht ihr nicht zu. In einer
solchen Konstellation hat das BAG (Urteil v. 06.02.1980 - 4 AZR 127/78 - AP Nr. 1 zu §
4 TVG Regelungsausschuss) in der tariflichen Regelung einen Schiedsgutachtervertrag
68
verneint.
Entscheidend ist zudem, dass Beschäftigte gegen die Entscheidung des Arbeitgebers
bei der paritätischen Kommission keinen Einspruch einlegen müssen, sondern vielmehr
unmittelbar das Arbeitsgericht anrufen können. Denn die Tarifvertragsparteien haben für
den Beschäftigten kein zwingendes Einspruchsverfahren vorgesehen. § 7 ERA-ETV
sieht nur dann das Tätigwerden der paritätischen Kommission vor, wenn der Betriebsrat
oder der Beschäftigte Einspruch erheben. Es wäre widersinnig, wenn der Beschäftigte
sofort den Rechtsweg beschreiten kann, er aber bei einem Einspruch gegen die
Eingruppierung und einer sodann erfolgten Entscheidung durch die paritätische
Kommission den Rechtsschutz so gut wie verliert (LAG Düsseldorf v. 21.01.2007 - 10 Sa
1082/06 - a.a.O.). Die Frage, ob der Rechtsweg offenbleibt oder nicht, ist nicht
unmittelbar Teil des Reklamationsverfahrens, sondern besteht unabhängig davon, ob
und wie das Verfahren abgeschlossen wurde (LAG Düsseldorf v. 21.01.2007 - 10 Sa
1082/06 - a.a.O.).
69
2.
70
Der Kläger hat Anspruch auf eine Eingruppierung in EG 10 ERA. Dieser Anspruch
ergibt sich aus § 2 Ziffern 2 und 3 ERA i. V. m. dem Arbeitsvertrag. Ein Anspruch auf
Eingruppierung in die Entgeltgruppe 11 besteht demgegenüber nicht. Dabei braucht die
Kammer nicht darüber zu entscheiden, ob der Handlungs- und Entscheidungsspielraum
des Klägers zu Recht mit der Stufe 2 (10 Punkte) bewertet worden ist. Selbst eine
Bewertung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums mit 18 Punkten würde unter
Einbeziehung der Bewertung der übrigen Eingruppierungskriterien lediglich zu einer
Gesamtpunktzahl von höchstens 97 Punkten führen.
71
a.
72
Auf den Bereich „Können“ entfallen 64 Punkte. Die vom Kläger zu verrichtenden
Arbeitsaufgaben erfordern ein Können, das in der Regel durch eine abgeschlossene
dreijährige Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf von mindestens
dreijähriger Regelausbildungsdauer erworben wird (58 Punkte). Zudem verrichtet der
Kläger Arbeitsaufgaben, die zusätzlich zu den Fachkenntnissen Berufserfahrungen von
mindestens einem Jahr bis zu drei Jahren erfordern (6 Punkte).
73
Nach dem Vortrag der Parteien steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die vom
Kläger verrichteten Tätigkeiten eine Berufserfahrung von mehr als einem Jahr bedingen.
Mit Berufserfahrung wird nach Anlage 1a Ziffer 1 ERA derjenige Umfang erforderlicher
spezifischer Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten beschrieben, über die ein
Beschäftigter in Verbindung mit den erforderlichen, in der Regel durch Ausbildung
erworbenen Fachkenntnissen durch zusätzliche praktische Tätigkeit verfügen muss, um
die übertragene Arbeitsaufgabe überhaupt ausüben zu können. Der jeweilige Umfang
der erforderlichen Berufserfahrungen wird durch die Erfahrungszeit bestimmt. Es kommt
dabei auf die Erfahrungszeit an, die normalerweise benötigt wird, um die übertragene
Arbeitsaufgabe ausüben zu können.
74
Der Kläger hat hier im Einzelnen dargelegt, dass er zur Ausübung seiner Tätigkeiten
alle 10 Pressen umfassend kennen muss. Dies ist nachvollziehbar, da nur eine genaue
Kenntnis sämtlicher Einzelheiten aller Pressen den Kläger in die Lage versetzt, die
Einrichter, ggf. auch neue Einrichter, so einzuweisen bzw. zu überwachen, dass diese
75
ihrerseits in der Lage sind, die Pressen fehlerfrei zu bedienen. Zudem muss der Kläger
beim Auftreten von Störungen auch in der Lage sein, mit den hinzugezogenen
Mitarbeitern der Qualitätssicherung sowie den Schlossern und Elektrikern den Fehler zu
analysieren und zu entscheiden, ob und wie die Produktion weitergehen soll.
Eine solche Tätigkeit kann nach Auffassung der Kammer nur dann „nach mittlerer Art
und Güte“ ausgeübt werden, wenn zu der einschlägigen Ausbildung eine
Berufserfahrung von mehr als einem Jahr hinzutritt. Soweit die Beklagte vorträgt, der
Tarifvertrag normiere nur Mindestanforderungen, die erfüllt werden müssten, darüber
hinausgehende Fähigkeiten und Kenntnisse seien zwar gewünscht, jedoch nicht
zwingend erforderlich, ist dies nicht geeignet, um annehmen zu können, dass die
Tätigkeit als Schichtführer mit einer lediglich maximal einjährigen Berufserfahrung
ausgeübt werden kann. Durch eine einschlägige Fachausbildung wird ein Mitarbeiter in
die Lage versetzt, zumindest einen Teil der Pressen zu bedienen, um sämtliche Pressen
in ihren Einzelheiten kennenzulernen, bedarf es darüber hinaus einer nicht
unwesentlichen Berufserfahrung, die nach Auffassung der Kammer mit mindestens
einem Jahr anzusetzen ist.
76
b.
77
Das Anforderungsmerkmal „Kooperation“ ist nach Auffassung der Kammer zutreffender
Weise mit 10 Punkten bewertet worden. Die Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers
erfordert regelmäßige Kommunikation und Zusammenarbeit sowie gelegentliche
Abstimmung. Der Kläger hat es nicht vermocht, im Einzelnen darzulegen, dass die
Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben regelmäßige Abstimmung erfordert.
78
Abstimmung bedeutet nach dem ERA-Glossar die gemeinsame Koordination von
Arbeitsausführungen/Aufgabenerfüllungen verschiedener Beschäftigter bzw. Bereiche,
um unterschiedliche Interessenlagen und/oder Zielsetzungen, die sich aus den
übertragenen Arbeitsaufgaben ergeben, in Einklang zu bringen. Dies bedeutet das
Auseinandersetzen mit anderen zu einem bestimmten Sachverhalt mit Rückwirkung auf
die eigene Arbeitsausführung/Aufgabenerfüllung oder die Arbeitsausführung/
Aufgabenerfüllung anderer. Abstimmung bedeutet nach dem ERA-Glossar inhaltlich
mehr als nur die bloße formale Weitergabe oder Entgegennahme von Informationen
oder Absprachen ohne Rückwirkung auf Arbeitsausführungen/ Aufgabenerfüllungen.
79
Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, dass sich der Kläger regelmäßig mit anderen
Beschäftigten in diesem Sinne abstimmen muss. Eine Abstimmung ist immer dann
erforderlich, wenn die vom Kläger geleitete/überwachte Produktion nicht
ordnungsgemäß läuft und er dementsprechend Mitarbeiter anderer Abteilungen wie z. B.
die Mitarbeiter des Werkzeugbaus sowie Schlosser bzw. Elektriker hinzuziehen muss.
In diesem Zusammenhang muss dann entschieden werden, ob und wie die Produktion
weiterlaufen kann und welche Maßnahmen getroffen werden müssen. Dass dies
regelmäßig anfällt, hat der Kläger jedoch nicht im Einzelnen vorgetragen. „Regelmäßige
Abstimmung“ bedeutet nach dem gemeinsamen ERA-Glossar periodisch vorhersehbare
oder in größerer Häufigkeit erforderliche Abstimmungen. Solche sind nicht konkret
dargelegt worden. Soweit der Kläger darauf verweist, 90% der Produktion laufe nicht
reibungslos, so dass es in kurzen Abständen zur Notwendigkeit einer Besprechung mit
Mitarbeitern aus anderen Abteilungen komme, so bleibt sein Vortrag zu unklar. Es wäre
insoweit notwendig gewesen, dies näher zu konkretisieren. Gleiches gilt für seinen
Verweis auf die in der „Beschreibung und Bewertung von Arbeitsaufgaben“ genannten
80
organisatorischen Verbindungen zu anderen Bereichen. Allein die Tatsache, dass es
solche Verbindungen gibt, heißt nicht, dass der Kläger sich mit den insoweit Betroffenen
regelmäßig im Sinne des ERA abstimmen muss.
Insgesamt gesehen ist die Tätigkeit des Klägers damit mit mindestens 89 Punkten
(Können: 64 Punkte, Handlungs- und Entscheidungsspielraum: 10 Punkte; Kooperation:
10 Punkte; Mitarbeiterführung: 5 Punkte) und mit höchstens 97 Punkten (bei 18 Punkten
für den Handlungs- und Entscheidungsspielraum) zu bewerten. Dies ergibt eine
Eingruppierung in Entgeltgruppe 10.
81
III.
82
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 92 ZPO. Da jede Partei
teils obsiegt hat und teils unterlegen ist, waren die Kosten verhältnismäßig zu teilen.
83
IV.
84
Bei der Streitwertfestsetzung hat die Kammer den Wert des dreijährigen
Unterschiedsbetrages zwischen Entgeltgruppe 9 und 11 in Ansatz gebracht.
85
Rechtsmittelbelehrung
86
Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien
87
B e r u f u n g
88
eingelegt werden.
89
Die Berufung muss
90
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
91
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
92
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
93
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
94
1.Rechtsanwälte,
95
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
96
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
97
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
98
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
99
Barth
100
Richterin am Arbeitsgericht
101