Urteil des ArbG Ulm vom 18.08.2015

betriebsrat, rücktritt, tagesordnung, ausschluss

ArbG Ulm Beschluß vom 18.8.2015, 5 BV 2/15
Ausschluss aus dem Betriebsrat - § 23 BetrVG - grobe Amtspflichtverletzung - Rücktritt des
Betriebsrats - Störung der Tätigkeit des Betriebsrats
Leitsätze
Die vorsätzliche Herbeiführung eines rechtswidrigen Beschlusses über den Rücktritt eines Betriebsrats durch
ein Betriebsratsmitglied kann eine grobe Amtspflichtverletzung im Sinne von § 23 BetrVG darstellen und den
Ausschluss aus dem Betriebsrat begründen.
Tenor
Das Betriebsratsmitglied H. wird aus dem Betriebsrat des Betriebs in U. der Arbeitgeberin ausgeschlossen.
Gründe
A.
1 Der Beteiligte zu 1 (nachfolgend auch: "Betriebsrat") fordert den Ausschluss des Beteiligten zu 2
(nachfolgend auch: "H.") nach § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem im Betrieb der Beteiligten zu 3 (nachfolgend
auch: "Arbeitgeberin") in U. gebildeten Betriebsrat.
2 Die Arbeitgeberin unterhält in U. einen Betrieb und beschäftigt dort ca. 600 Arbeitnehmer. In dem Betrieb in
U. gibt es eine "Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit" (Abl. 44 ff.) mit einer Rahmenarbeitszeit
von 06:00 Uhr bis 19:00 Uhr. Gemäß Nr. 3 Abs. 2 dieser Betriebsvereinbarung ist die Arbeitsleistung
außerhalb dieser festgelegten Rahmenarbeitszeit nur nach Anordnung durch den Vorgesetzten und mit
Zustimmung bzw. nachträglicher Genehmigung des Betriebsrats im Einzelfall oder aufgrund einer
allgemeinen Vereinbarung mit dem Betriebsrat zulässig.
3 Im Betrieb U. gibt es aufgrund einer Betriebsratswahl vom 13.03.2014 einen Betriebsrat mit elf Mitgliedern.
In der konstituierenden Sitzung vom 20.03.2014 wurde der Beteiligte zu 2, H., zum Vorsitzenden gewählt
und Herr A. zu seinem Stellvertreter. H. war bei den Betriebsratswahlen Anführer der Liste 1, die die
Mehrheit der Stimmen erzielen konnte. Nach Unstimmigkeiten zwischen mehreren Betriebsratsmitgliedern
der Liste 1 traten bereits zu einem Zeitpunkt vor dem 20.10.2014 drei Betriebsratsmitglieder der Liste 1
zur Liste 2 über, so dass es zu einem Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat kam.
4 In der Folgezeit versuchte die (neue) Mehrheit des Betriebsrats erfolglos die Abwahl von H. als
Betriebsratsvorsitzender und seines Stellvertreters A. sowie die Neuwahl eines anderen
Betriebsratsvorsitzenden in einer Betriebsratssitzung zu erreichen. Die Gründe, warum dies im Einzelnen
nicht gelang und H. sein Amt als Betriebsratsvorsitzender erst durch seinen Rücktritt vom 17.11.2014
verlor, sind zwischen den Beteiligten umstritten.
5 Mit einer E-Mail vom 03.11.2014, 13:55 Uhr (Abl. 56 der beigezogenen Akte 3 BVGa 1/14), luden H. und A.
alle Betriebsratsmitglieder und die Ersatzmitglieder für Mittwoch, den 05.11.2014 zu einem
"Friedensgespräch" ein. Mit E-Mail vom gleichen Tag, um 17:07 Uhr (Abl. 57 der beigezogenen Akte 3 BVGa
1/14), antworteten über den E-Mail-Account von N. acht Betriebsratsmitglieder auf die Einladung zu dem
Friedensgespräch mit dem Hinweis, dass eine solche Veranstaltung nicht stattfinden könne, weil im Namen
des Betriebsrats ohne Beschluss zu einer solchen Veranstaltung nicht eingeladen werden dürfe und
außerdem die Betriebsratsmitglieder auch gegenüber den Ersatzmitgliedern der Geheimhaltung unterlägen.
Die E-Mail endete mit der Aufforderung, die Veranstaltung abzusagen.
6 Noch am gleichen Tag um 19:35 Uhr lud H. per E-Mail (Abl. 40) alle ordentlichen Betriebsratsmitglieder und
alle Ersatzmitglieder zu einer sofortigen außerordentlichen Sitzung des Betriebsrats ein. Die Einladung
lautet auszugsweise wie folgt:
7
"Liebe Kolleginnen,
Liebe Kollegen,
8
aufgrund einer aktuellen Notsituation laden wir dringend zu einer sofortigen Sitzung ein. Nach unseren
Informationen ist der Bestand des Betriebs akut gefährdet. In diesem Zusammenhang sollten wir auch die
Patt-Situation auflösen.
9
Bitte kommt unbedingt sofort in den Raum DE_U_04_1.2.038! Wir laden auch alle Nachrücker ein. Wir
werden dann bei Erscheinen sehen, ob und welche Ersatzmitglieder an der Sitzung teilnehmen.
10
Die Tagesordnung lautet wie folgt:
11
1. Anträge zur Tagesordnung
2. Maßnahmen zur Sicherstellung der Fortführung von U. als eigenständiger Betrieb mit eigenständigem
Betriebsrat
12
Der Betriebsrat möge beschließen:
13
Der Betriebsrat […] stellt fest, dass die Fortführung von U. als eigenständiger Betrieb mit eigenständigem
Betriebsrat akut und kürzestfristig gefährdet ist. Der Hintergrund ist die Patt-Situation im Betriebsrat.
[…]
14
Es ist zulässig, auch kurzfristig als Ergänzung Anträge auf eine Tagesordnung zu setzen, wenn niemand
dem widerspricht.“
15 An der außerordentlichen Betriebsratssitzung nahm neben H. und seinem Stellvertreter A. als ordentliches
Betriebsratsmitglied nur noch S. teil. Für die ordentlichen Betriebsratsmitglieder N., O. und R. rückten B., K.
und W. nach. Der weitere Verlauf der außerordentlichen Betriebsratssitzung vom 03.11.2014 ergibt sich aus
dem Protokoll der Sitzung (Abl. 42 f.), das auszugsweise wie folgt lautet:
16
"H. führt in die Sitzung ein und begründet die Dringlichkeit. H. stellt fest, dass der Betriebsrat
beschlussfähig ist.
17
1 Anträge zur Tagesordnung
18
H. stellt die Anträge, wie sie in diesem Protokoll unter Punkt 3-5 formuliert sind, zur Ergänzung der
Tagesordnung.
[…]
Die Anträge werden in dieser Form einstimmig zur Aufnahme in die Tagesordnung angenommen.
19
[…]
20
3 Rücktritt des Betriebsrats
21
Zur Auflösung der genannten Patt-Situation, des Auseinanderklaffens von Legalität und Legitimität, will der
Betriebsrat Neuwahlen herbeiführen.
22
Der Betriebsrat beschließt hiermit seinen Rücktritt.
23
Angenommen: Sechs Ja /0 Nein/0 Enthaltungen
24
4 Einleitung der Wahl eines neuen Betriebsrats
25
Durch den Rücktritt des Betriebsrats wird nach § 13 Abs. 2 Satz 3 BetrVG die Neuwahl des Betriebsrats
notwendig.
[…]
26
Gemäß § 16 BetrVG bestellt der Betriebsrat den Wahlvorstand mit den Mitgliedern:
[…]
27
Angenommen: Sechs Ja /0 Nein/0 Enthaltungen
28
5 Kommunikation an die Betriebsöffentlichkeit und die Unternehmensleitung
29
Der Betriebsrat beauftragt seinen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter, die Ergebnisse dieser
außerordentlichen Sitzung der Betriebsöffentlichkeit mitzuteilen und insbesondere darauf hinzuweisen,
dass für die Neuwahl eine Persönlichkeitswahl angestrebt wird und alle Kandidaten dies unterstützen
sollten.
30
Angenommen: Sechs Ja /0 Nein/0 Enthaltungen
31
[…]"
32 Entsprechend den getroffenen Beschlüssen verfasste H. noch am 03.11.2014 um 21:07 Uhr eine E-Mail an
alle ca. 600 Arbeitnehmer des Betriebs, in der er bekannt gab, dass der Betriebsrat auf einer
außerordentlichen Sitzung vom 03.11.2014 "mit der Mehrheit seiner Mitglieder seinen Rücktritt
beschlossen" habe (Abl. 60 im beigezogenen Verfahren 3 BVGa 1/14). Hierin führte H. zudem aus, dass es
gut sei, dass die unklare Situation der letzten Wochen durchbrochen sei und die Wähler nun neu bestimmen
könnten. Ferner ersuchte er alle potentiellen Kandidaten, "dieses Mal den Wählerwunsch zu respektieren"
und etwaige Maßnahmen zur Erzwingung einer Listenwahl zu unterlassen.
33 Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 04.11.2014 beantragten vier Betriebsratsmitglieder im Wege der
einstweiligen Verfügung beim ArbG Ulm, dem aufgrund des Beschlusses vom 03.11.2014 bestellten
Wahlvorstand die Einleitung der Betriebsratswahl einstweilen zu untersagen (Verfahren mit dem
Aktenzeichen 3 BVGa 1/14). Mit zwischenzeitlich rechtskräftigem Beschluss vom 14.11.2014 erkannte
schließlich das ArbG Ulm in dieser Sache für Recht:
34
"Dem für den Betrieb der Arbeitgeberin in U. am 03.11.2014 bestellten Wahlvorstand (Beteiligter zu 7)
wird untersagt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens Betriebsratswahlen für den
Betrieb der Arbeitgeberin in U. einzuleiten."
35 Mit E-Mail vom 17.11.2014 legten H. und A. ihre Ämter als Betriebsratsvorsitzender bzw. stellvertretender
Betriebsratsvorsitzender nieder. In einer Betriebsratssitzung vom 19.11.2014 wurde N. zum neuen
Betriebsratsvorsitzenden gewählt.
36 Mit E-Mail vom 04.12.2014 lud N. zu einer Betriebsratssitzung am 08.12.2014. Die Tagesordnung zu dieser
Betriebsratssitzung (Abl. 114 f.) enthält unter Nr.10 und 12 folgenden Text:
37
"
10 Beschlussantrag: Der Betriebsrat möge beschließen, beim zuständigen Arbeitsgericht
zu beantragen, das Betriebsratsmitglied H. aus dem Betriebsrat auszuschließen.
38
[…]
39
12 Beschlussantrag: Der Betriebsrat möge beschließen, den Vorsitzenden und seine
Stellvertreterin zu beauftragen, nach §40 BetrVG Kosten für juristischen Beistand zur
Realisierung der Anträge unter Ziffer 10 und 11 gegenüber der Geschäftsleitung
anzuzeigen.
"
40 Die Einladung wurde an alle einzuladenden Betriebsratsmitglieder sowie an die Ersatzmitglieder B. und W.,
die für die wegen persönlicher Betroffenheit verhinderten Herren H. und A. einzuladen waren, versendet. In
der Betriebsratssitzung am 08.12.2014 wurden die vorgenannten beiden Beschlussanträge jeweils mit der
Mehrheit der Stimmen angenommen (s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 08.12.2014, Abl. 68 f).
41 Daraufhin stellte der Betriebsrat vertreten durch die Rechtsanwälte D. mit Schriftsatz vom 13.02.2015, bei
Gericht eingegangen am 27.02.2015, den gegen H. gerichteten Ausschlussantrag. Nachdem zwischen den
Beteiligten streitig wurde, ob die Beauftragung der Rechtsanwälte D. durch den unter Nr. 12 in der
Betriebsratssitzung vom 08.12.2014 gefassten Beschluss gedeckt sei, fasste der Betriebsrat nach
ordnungsgemäßer Einladung in seiner Sitzung vom 13.04.2015 noch folgenden Beschluss (s. Protokoll der
Betriebsratssitzung vom 13.04.2015):
42
"12 Beschlussantrag: In Ergänzung zum Beschluss vom 8.12.14 zur Einleitung des
Verfahrens: 'Ausschluss von H. aus dem Betriebsrat' wird festgestellt, dass der BR die
Kanzlei D. mit der Verfahrensführung beauftragt.
"
43
Der Betriebsrat
trägt vor, die Beschlüsse vom 03.11.2014 über den Rücktritt des Betriebsrats und die
Einleitung von Neuwahlen seien nicht rechtmäßig. Die Einladung sei nicht rechtzeitig erfolgt und habe auch
keine Tagesordnung enthalten, aus der hervorgegangen sei, dass der Rücktritt des Betriebsrats beschlossen
werden soll. Außerdem sei die Ladung nicht ordnungsgemäß erfolgt und auch Teilnahme von
Ersatzmitgliedern zu dieser Betriebsratssitzung sei nicht rechtmäßig. Die Betriebsratsmitglieder N., O. und
R. seien zum Zeitpunkt der Einladung zu der Betriebsratssitzung und zum Zeitpunkt der Durchführung der
Sitzung selbst nicht im Sinne des Betriebsverfassungsrechts verhindert gewesen. Sie seien weder
arbeitsunfähig gewesen noch seien sie im Urlaub oder auf Dienstreise gewesen. Vielmehr hätten sie bereits
zum Zeitpunkt der Versendung der Einladung – entsprechend den Vorgaben zur Rahmenarbeitszeit bis
19:00 Uhr – den Betrieb nach ihrer geleisteten Arbeit verlassen. Schließlich habe auch kein Eilbedürfnis für
die Einladung zu der Betriebsratssitzung bestanden. Die Frage der Zusammenarbeit im Betrieb sei bereits
seit September 2014 problematisch gewesen. Ein Grund für die Einladung zu einer Betriebsratssitzung
innerhalb von 15 Minuten außerhalb der Arbeitszeit sei daher in keiner Hinsicht begründet oder
nachvollziehbar. Soweit H. die „Notsitzung“ am 03.11.2014 mit einer kurzfristig eingetretenen Gefährdung
des Standorts in U. begründet, sei dies nicht glaubhaft. Der Standort U. sei bis zum heutigen Tage in seinem
Bestand nicht gefährdet. Es habe zwar eine Umstrukturierungsmaßnahme gegeben, diese sei aber nicht mit
einem Personalabbau verbunden gewesen. Die Sitzung vom 03.11.2014 habe daher allem Anschein nach
nur dazu gedient, eine Abwahl von H. als Betriebsratsvorsitzender und von A. als stellvertretender
Betriebsratsvorsitzender in rechtswidriger Weise zu verhindern. Die offensichtlich rechtswidrige
Durchführung einer Betriebsratssitzung am Abend des 03.11.2014 stelle eine vorsätzliche grobe
Pflichtverletzung von H. dar, die ausschließlich mit persönlichen Motiven zu begründen sei, das Amt des
Betriebsratsvorsitzenden nicht abgeben zu müssen. Der Umstand, dass H. zwischenzeitlich als
Betriebsratsvorsitzender zurückgetreten sei, stehe einem Ausschluss nicht entgegen, da eine bestehende
Amtspflichtverletzung nicht durch nachträgliche Wiedergutmachung oder das Versprechen, sich zukünftig
anders zu verhalten, aufgehoben werden könne.
44 Soweit H. gegen den Beschluss vom 08.12.2014, auf dessen Grundlage das vorliegende Gerichtsverfahren
betrieben wird, einwendet, dass die Einladung zu der Betriebsratssitzung nicht rechtzeitig erfolgt sei, sei
darauf hinzuweisen, dass Einladungen zu den wöchentlich immer montags stattfindenden
Betriebsratssitzungen immer am Donnerstag in der Vorwoche verschickt worden seien. Schließlich sei auch
eine hinreichende Einladung insofern erfolgt, als die Tagesordnung den beabsichtigten Ausschluss von H. aus
dem Betriebsrat hinreichend genau bezeichne. Eine weitere Begründung des Beschlussantrags sei nicht
erforderlich. Die Tagesordnung sei allen Sitzungsteilnehmern per E-Mail zugesendet worden; jedenfalls
hätten alle Sitzungssteilnehmer ohne weiteres Zugriff auf den Ordner gehabt, unter dem die Tagesordnung
abgespeichert gewesen sei.
45
Die Betriebsrat beantragt,
46
das Betriebsratsmitglied H. aus dem Betriebsrat des Betriebs U. der Arbeitgeberin
auszuschließen.
47
Der Beteiligte zu 2 H. beantragt,
48
den Antrag abzuweisen.
49
Die Beteiligte zu 3 (Arbeitgeberin) stellt keinen Antrag.
50
H. ist der Ansicht
, er habe mit der Einberufung der außerordentlichen Sitzung am 03.11.2014
rechtmäßig und im Sinne der Belegschaft gehandelt. Er habe am späteren Nachmittag des 03.11.2014 ein
Gerücht aus anderen Standorten vernommen, wonach mindestens ein Teil der Unternehmensleitung
darüber nachdenke, mittels einer Betriebszusammenlegung von U. mit S. den störenden Betriebsrat in U.
auszuschalten und danach in Ruhe die Arbeiten in S. konzentrieren zu können. Man habe dieses Gerücht
nicht überprüfen können und sogar vermutet, es könne sich um eine Finte handeln. Gleichwohl sei das
Gerücht so plausibel erschienen, dass man eine Diskussion im Kreise der Liste 1-Gruppe in Gang setzte. Im
Zuge dieser Diskussion habe sich die Auffassung verdichtet, dass unmittelbarer Handlungsbedarf
dahingehend bestehe, mittels eines Betriebsratsbeschlusses ihn und A. in die Lage zu versetzen, einer
Konkretisierung der Bedrohung für den Standort unverzüglich begegnen zu können.
51 Im Übrigen weist H. darauf hin, dass er den Beschluss vom 03.11.2014 nicht allein, sondern mit fünf
anderen Teilnehmern der Betriebsratssitzung getroffen habe. Das allein gegen ihn gerichtete
Ausschlussverfahren sei daher willkürlich. Er habe auch nicht zur Beschlussfassung über den Rücktritt des
Betriebsrats eingeladen. Dieser Punkt sei erst auf der Betriebsratssitzung nach einstimmigem Beschluss aller
Teilnehmer auf die Tagesordnung gesetzt worden. Außerdem sei er nicht mehr der Betriebsratsvorsitzende,
so dass er gegen die Vorgaben der §§ 25 und 29 BetrVG gar nicht mehr verstoßen könne. Es bestehe keine
Wiederholungsgefahr und auch die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats werde nicht gefährdet.
52 Schließlich trägt H. noch vor, dass der Beschluss vom 08.12.2014 über seinen Ausschluss aus dem
Betriebsrat unwirksam sei. Es habe keine rechtzeitige Einladung gegeben. Die Einladung am Donnerstag vor
der Sitzung am Montag ermögliche keine hinreichende Vorbereitung. Das gelte umso mehr, als der
Beschlussantrag keinerlei Gründe für den Ausschluss anführe. Überdies wies H. im Anhörungstermin vom
18.08.2015 noch darauf hin, dass der von Herrn Dr. Niebling vorgelegte Teil des Ausdrucks der Einladungs-E-
Mail vom 04.12.2014 nicht den üblichen Link zur Tagesordnung enthalte.
53
Die Arbeitgeberin
enthielt sich im gesamten Verfahren jeglicher Stellungnahme.
54 Für das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akte, namentlich auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf den Inhalt der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
B.
55 Der zulässige Antrag ist begründet.
I.
56 Der Antrag gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG ist zulässig.
57 1. Der Betriebsrat ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BetrVG antragsberechtigt und er hat seinen Antrag
hinreichend mit einem Tatbestand, der eine grobe Pflichtverletzung von H. als Betriebsratsmitglied möglich
erscheinen lässt, begründet.
58 2. Der Antrag des Betriebsrats beruht zudem auf ordnungsgemäßen Beschlüssen vom 08.12.2014 und vom
13.04.2015.
59 a. Der Beschluss vom 08.12.2014 über den Ausschluss von H. gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem im
Betrieb der Arbeitgeberin in U. bestehenden Betriebsrat ist ordnungsgemäß.
60 aa. Alle Betriebsratsmitglieder einschließlich der notwendigen Ersatzmitglieder wurden ordnungsgemäß
nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zur Betriebsratssitzung am 08.12.2014 geladen. Soweit die Beteiligten
schriftsätzlich noch darüber gestritten haben, ob tatsächlich alle Betriebsratsmitglieder einschließlich der
Ersatzmitglieder geladen worden sind, haben sie – nach gemeinsamer Prüfung der vom Betriebsrat im
Anhörungstermin vorgelegten Unterlagen mit der Kammer – diesen Punkt für unstreitig erklärt.
61
(1) Die Ladung erfolgte auch – entgegen der Ansicht von H. – rechtzeitig i. S. v. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG.
Rechtzeitig ist eine Ladung, wenn sich alle Betriebsratsmitglieder und die Ersatzmitglieder auf die Sitzung
einstellen können, ggf. ihre Verhinderung mitteilen und auch notwendige Vorberatungen treffen können.
Für die Rechtzeitigkeit der Ladung sind auch die zu behandelnden Inhalte zu berücksichtigen, insbesondere
ihre Kompliziertheit, mögliche Auswirkungen und ob sie den Sitzungsteilnehmern bekannt oder unbekannt
sind. Maßgebend können auch bestehende Üblichkeiten sein.
62
Hieran gemessen erfolgte die Ladung am 04.12.2015 zur Sitzung am 08.12.2015 rechtzeitig. Zwischen
den Beteiligten ist unbenommen, dass auch H. als Vorsitzender die Ladungen für am Montag stattfindende
Betriebsratssitzungen immer erst am Donnerstag vor der Sitzung verschickt hat. Die vorliegende
Einladung am 04.12.2014 entsprach mithin einer bestehenden Üblichkeit. Der Einwand der fehlenden
Rechtzeitigkeit von H. ist vor diesem Hintergrund nur schwer nachvollziehbar und erscheint nahezu
treuwidrig.
63
Aber auch abgesehen davon erfolgte die Ladung am 04.12.2014 rechtzeitig. Zum einen kann ohne
weiteres vor dem Hintergrund der bestehenden Streitigkeiten im Betriebsrat und dem nicht einmal drei
Wochen zuvor durchgeführten einstweiligen Unterlassungsverfahren vor dem ArbG Ulm mit dem
Aktenzeichen 3 BVGa 1/14 davon ausgegangen werden, dass alle eingeladenen Betriebsratsmitglieder mit
den Vorbehalten gegen H. bestens vertraut waren und eine längere Vorbereitung daher nicht notwendig
war. Zum anderen sind vorliegend weder die Umstände noch die Rechtlage oder die Auswirkungen des zu
treffenden Beschlusses derart kompliziert, dass eine hinreichende Vorbereitung vom 04.12.2014 bis zum
08.12.2014 nicht möglich gewesen wäre.
64
(2) Das zu beratende Thema bzw. der zu fassende Beschluss ist – entgegen der Ansicht von H. – in der
Tagesordnung auch hinreichend genau bezeichnet worden. Die Tagesordnung enthält unter Punkt 10
einen konkreten Beschlussantrag dahingehend, dass der Betriebsrat beschließen möge, beim zuständigen
Arbeitsgericht den Ausschluss von H. aus dem Betriebsrat zu beantragen. Hiermit ist die im Rahmen von §
29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG bestehende Verpflichtung, jeder Sitzungsteilnehmer müsse sich aufgrund der
Tagesordnung ein Bild von den zu beratenden Fragen machen können (s. nur Richardi/
Thüsing, BetrVG, 14.
Aufl. 2014, § 29 Rn. 35 m. w. N.), ohne weiteres erfüllt (vgl. auch BAG 01.10.1991 – 1 ABR 81/90, juris
Rn. 19). Soweit H. darüber hinaus Begründungen für den Antrag fordert, ist das – namentlich vor dem
Hintergrund der allseits bekannten und bereits seit Monaten bestehenden betriebsratsinternen
Streitigkeiten sowie dem nicht einmal drei Wochen vorher durchgeführten Verfahren vor dem
Arbeitsgericht Ulm – übertrieben formalistisch und daher nicht notwendig.
65
(3) Soweit H. schließlich im Anhörungstermin noch darauf hingewiesen hat, der im Anhörungstermin von
N. vorgelegte Auszug der Einladung enthalte nicht den sonst üblichen Link auf die Tagesordnung für die
Betriebsratssitzung, hat N. eingewandt, dass allen Betriebsratsmitgliedern der Zugriff zu dem Ordner, in
dem die Datei mit den Tagesordnungspunkten gespeichert ist, ohne weiteres zugänglich war. Es kann vor
diesem Hintergrund dahinstehen, ob die Einladung den Link enthielt oder nicht, da es keinen maßgebenden
Unterschied macht, ob die Kenntnisnahme der Tagesordnung unproblematisch über einen Link oder das
Anklicken einer Datei in einem für jeden Betroffenen ohne weiteres zugänglichen Ordner erfolgt.
66 bb. Aus dem in dem Anhörungstermin im Original vorgelegten Protokoll der Sitzung ergibt sich zudem, dass
an der Sitzung gemäß § 33 Abs. 2 BetrVG zumindest die Hälfte der Betriebsratsmitglieder teilgenommen
hat und dass aufgrund des im Rahmen der Betriebsratssitzung gefassten Beschlusses der Antrag über den
Ausschluss von H. gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem im Betrieb U. der Arbeitgeberin bestehenden
Betriebsrat mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Betriebsratsmitglieder, mithin ordnungsgemäß,
angenommen wurde (§ 33 Abs. 1 BetrVG).
67 b. Auch der Beschluss vom 13.04.2015 über die Beauftragung der Rechtsanwälte D. zur Durchführung des
gerichtlichen Verfahrens über den Ausschluss von H. aus dem Betriebsrat ist ordnungsgemäß. Zwischen den
Beteiligten ist unstreitig, dass alle Betriebsratsmitglieder ordnungsgemäß nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG
zur Betriebsratssitzung am 13.04.2015 eingeladen wurden. An der Sitzung hat gemäß § 33 Abs. 2 BetrVG
auch zumindest die Hälfte der Betriebsratsmitglieder teilgenommen. Schließlich wurde aufgrund des im
Rahmen einer Betriebsratssitzung gefassten Beschluss der Antrag über die Beauftragung der
Rechtsanwälte D. zur Durchführung des gerichtlichen Verfahrens über den Ausschluss von H. aus dem
Betriebsrat mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Betriebsratsmitglieder angenommen (§ 33 Abs.
1 BetrVG). Auch soweit sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 13.04.2015 ergibt, dass H. an der
Abstimmung über die Beauftragung der Rechtsanwälte D. zur Durchführung des gegen ihn gerichteten
Ausschlussverfahrens beteiligt war, folgt hieraus nicht die Unwirksamkeit des Beschlusses. Denn es kann
aufgrund des Abstimmungsergebnisses von sechs Ja-Stimmen zu drei Nein-Stimmen (bei keiner Enthaltung)
ausgeschlossen werden, dass durch die Mitwirkung des Nichtberechtigten H. das Ergebnis der
Beschlussfassung beeinträchtigt wurde (vgl.
Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 33 Rn. 56; Richardi/Thüsing,
BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 33 Rn. 44).
II.
68 Der Antrag ist auch begründet. H. hat gegen seine gesetzlichen Pflichten als Betriebsratsmitglied grob
verstoßen und ist somit aus dem Betriebsrat auszuschließen.
69 1. Nach § 23 Abs. 1 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat auszuschließen, wenn es seine
gesetzlichen Pflichten grob verletzt hat. Das Betriebsratsmitglied muss mithin eine ihm als Mitglied des
Betriebsrats obliegende Amtspflicht verletzt haben. Die Amtspflichtverletzung muss weiterhin "grob"
gewesen sein, d. h. objektiv erheblich (Richardi/
Thüsing, BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 23 Rn. 27 m. w. N.). Es
genügt bereits eine einmalige Pflichtverletzung, wenn sie hinreichend schwer gewesen ist. Bei weniger
gewichtigen Pflichtverletzungen kann allerdings die Beharrlichkeit mehrerer Pflichtverletzungen die
"Grobheit" begründen (Richardi/
Thüsing, BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 23 Rn. 27 m. w. N.). Inwiefern darüber
hinaus der Verstoß schuldhaft gewesen sein muss, ist umstritten. Nach der wohl vorherrschenden Ansicht
muss die Pflichtverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig gewesen sein (
Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, §
23 Rn. 16). Eine nur objektive, nicht schuldhafte Pflichtverletzung solle grundsätzlich nicht genügen.
Danach könne ein Verschulden insbesondere zu verneinen sein, wenn das Betriebsratsmitglied einem
unverschuldeten Rechtsirrtum unterliege, etwa weil es einen rechtlich und/oder tatsächlich schwierigen
Sachverhalt nicht zutreffend bewertet (
Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 23 Rn. 16 a. E.). Eine andere
Ansicht geht hingegen davon aus, dass die Pflichtverletzung nur objektiv hinreichend schwerwiegend
gewesen sein muss. Das folge aus dem Wort "grob". Eine darüber hinausgehende Einschränkung nur auf
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit lasse sich § 23 Abs. 1 BetrVG nicht entnehmen (Richardi/
Thüsing, BetrVG,
14. Aufl. 2014, § 23 Rn. 27 m. w. N.).
70 2. Gemessen hieran hat H. gegen seine gesetzlichen Pflichten als Betriebsratsmitglied grob verstoßen und
ist somit aus dem Betriebsrat auszuschließen (zum insofern fehlenden Ermessen des Gerichts s. nur
Richardi/
Thüsing, BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 23 Rn. 47 m. w. N.).
71 a. H. hat gegen die ihm als Betriebsrat obliegende Amtspflicht verstoßen, jegliche Störung der Tätigkeit des
Betriebsrats zu unterlassen. Jedes Betriebsratsmitglied hat – unabhängig davon, ob es einfaches
Betriebsratsmitglied ist oder eine herausgehobene Position, z. B. als Vorsitzender, hat – jede Störung der
Tätigkeit des Betriebsrats zu unterlassen. Das folgt unmissverständlich aus § 78 Satz 1 BetrVG, der auch
das Verhältnis der Betriebsratsmitglieder zueinander regelt (GK-BetrVG/
Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 78 Rn.
19), und wird mit § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG noch einmal besonders betont. Das Verbot jeglicher Störung
der Tätigkeit des Betriebsrats erfasst dabei selbstverständlich auch das Verbot, den rechtswidrigen Rücktritt
des Betriebsrats zu betreiben (vgl. ArbG München 25.09.2006 – 22 BV 219/06, juris) oder gar den
Betriebsrat rechtswidrig aufzulösen.
72 Mit einer E-Mail vom 03.11.2014 (Abl. 40) um 19:35 Uhr hat H. als damaliger Betriebsratsvorsitzender zu
einer außerordentlichen und sofort stattfindenden Sitzung des Betriebsrats eingeladen, in der der
bestehende Betriebsrats rechtswidrig zurückgetreten ist (zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit des
Beschlusses s. ausführlich ArbG Ulm 14.11.2014 – 3 BVGa 1/14). Die Pflichtverletzung von H. in Bezug auf
den offensichtlich rechtswidrigen Rücktritt des Betriebsrats besteht dabei aus Sicht der Kammer nicht
vornehmlich darin, dass er eine Betriebsratssitzung unter offensichtlichem Verstoß gegen § 29 Abs. 2 Satz
3 BetrVG ohne Einhaltung der angemessenen Ladungsfrist einberufen hat und dass er eine Sitzung mit
Ersatzmitgliedern durchgeführt hat, ohne dass die ordentlichen Betriebsratsmitglieder verhindert waren im
Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Die deutlich gewichtigere Amtspflichtverletzung von H. besteht
vielmehr darin, dass er den Rücktritt des Betriebsrats ohne Beteiligung der Mehrheit der ordentlichen
Betriebsratsmitglieder und gegen deren offensichtlichen Willen betrieben und hiermit die Betätigung des
gewählten Betriebsrats auf die sogar denkbar empfindlichste Art und Weise im Sinne von § 78 Satz 1
BetrVG gestört hat. Diese Pflichtverletzung ist objektiv erheblich und mithin grob. Wie soeben ausgeführt
ist nach Ansicht der Kammer letztlich für ein Betriebsratsmitglied kaum eine schwerere Störung der
Tätigkeit eines Betriebsrats denkbar, als dessen rechtswidrigen Rücktritt herbeizuführen oder jedenfalls die
rechtswidrige Auflösung des bestehenden Betriebsrats zu betreiben. Das gilt umso mehr, als H. nicht nur
den rechtswidrigen Rücktritt des Betriebsrats herbeigeführt, sondern diesen auch sogleich per E-Mail der
Betriebsöffentlichkeit verkündet und hiermit die Stellung des gewählten Betriebsrats im Betrieb zumindest
geschwächt hat.
73 b. H. hat nach Ansicht der Kammer bei dieser Pflichtverletzung auch schuldhaft gehandelt. Hierbei kann der
oben dargestellte Streit dahinstehen, ob eine grobe Pflichtverletzung Vorsatz bzw. grobe Fahrlässigkeit
oder nur irgendein schuldhaftes Verhalten voraussetzt. Denn nach Ansicht der Kammer hat H. vorsätzlich
gehandelt. Zunächst hält die Kammer die Einlassung von H., er habe nach bestem Wissen und Gewissen
zur Abwendung einer Notsituation gehandelt, für nicht glaubhaft. H. hat selbst in seiner Einlassung im
Verfahren 3 BVGa 1/14 als Grundlage des Gerüchts angeführt, dass "mindestens ein Teil der
Unternehmensleitung darüber nachdenke", den Standort U. aufzulösen. Aus welchem Grund aber das
Nachdenken einzelner Personen in der Unternehmensleitung (auf welcher Ebene?) irgendeine konkrete
Bedrohung bedeuten könnte, beantwortet H. nicht. Er gibt vielmehr noch an, dass er und der
stellvertretende Betriebsratsvorsitzende "vermuteten", bei dem Gerücht um die Auflösung des Betriebs U.
handele es sich "um eine Finte". Diese Vermutung hat er mit anderen Worten ("möglicherweise will uns
jemand ins Bockshorn jagen") im Anhörungstermin vom 18.08.2015 noch einmal wiederholt. H. beschreibt
also selbst das gehörte Gerücht nicht nur als vollkommen vage und unsicher, er gibt sogar selbst an, dass er
nicht daran glaubte, sondern vermutete, es stimme nicht. Aus welchem Grund aber wiederum bei
Naheliegen der Möglichkeit, dass das (vermeintlich) gehörte und nur sehr vage beschriebene Gerücht über
die Auflösung des Betriebs U. nicht stimmt, ein sofortiges Handeln erforderlich gewesen sein soll, ist nicht
ansatzweise plausibel.
74 Selbst wenn man zugunsten von H. unterstellt, dass er – entgegen seiner eigenen Einlassungen – das
Gerücht wirklich ernst genommen und unmittelbaren Handlungsbedarf angenommen haben sollte, ist
wiederum nicht ansatzweise plausibel, dass dieser Handlungsbedarf in dem sofortigen Rücktritt des
Betriebsrats noch am Abend des 03.11.2014 bestehen könnte. Denn abgesehen davon, dass schwer
einzusehen ist, wie der Rücktritt des Betriebsrats die Verhandlungsposition der Belegschaft gegenüber der
Unternehmensleitung kurzfristig stärken könnte, hätte aufgrund der (mindestens) mehrwöchigen Dauer
einer Betriebsratswahl der Rücktritt des Betriebsrats auch noch am folgenden Morgen unter Beteiligung der
ordentlichen Betriebsratsmitglieder erfolgen können. Wie man es also dreht und wendet, der Rücktritt des
Betriebsrats am Abend des 03.11.2014 ohne Beteiligung der ordentlichen Betriebsratsmitglieder (gegen
deren anzunehmenden Willen) ist auf der Grundlage der Einlassung von H. zur Abwendung einer
vermeintlichen Notsituation nicht ansatzweise nachzuvollziehen und im Ergebnis nicht glaubhaft.
75 Das Vorgehen von H. wird erst plausibel, wenn man zugrunde legt, dass H. bewusst mit der Einberufung
der Notsitzung den Rücktritt des Betriebsrats erreichen wollte oder zumindest eine Situation schaffen
wollte, die diese Möglichkeit eröffnet. Dass H. mit der Einberufung der Notsitzung am 03.11.2014 das Ziel
verfolgte, den Betriebsrat aufzulösen, folgt nicht nur aus der längeren (wochenlange Streitigkeiten, auch
um den Vorsitz im Betriebsrat, Listenwechsel verschiedener Mitglieder) und kürzeren (als "schroff"
empfundene Ablehnung eines Friedensgesprächs) Vorgeschichte zu der Einladung, aus dem gesamten
Vorgehen von H. (Einberufung einer – offensichtlich nicht erforderlichen – Notsitzung zu einer Zeit, zu der
die ordentlichen Betriebsratsmitglieder aufgrund der bestehenden Regelungen zur Rahmenarbeitszeit weit
überwiegend und bekanntermaßen bereits im Feierabend waren), sondern auch aus der Einladung zur
Notsitzung selbst. Denn in dieser wird – in nicht ansatzweise nachvollziehbarer Weise – eine Gefährdung
des Betriebs in U. heraufbeschworen wegen der betriebsratsinternen Schwierigkeiten ("Patt-Situation").
Entsprechend diesem bereits in der Einladung benannten Problem erfolgte nach dem Protokoll der
Notsitzung auch der Rücktritt des Betriebsrats zur Auflösung dieser angeblich die Existenz des Betriebs U.
bedrohenden Patt-Situation. Soweit H. im Anschluss an die Sitzung unmittelbar sogar eine E-Mail an alle
600 Arbeitnehmer des Betriebs U. gesendet hat, erweckt dies verbunden mit seinen Einlassungen im
Verfahren 3 BVGa 1/14, auf die er sich auch vorliegend berufen hat, den klaren Eindruck, als habe er mit
der öffentlichen Mitteilung des Rücktritts des Betriebsrats Fakten schaffen wollen, um den offensichtlich
rechtswidrigen Rücktritt des Betriebsrats tatsächlich abzusichern. Zudem ist diese E-Mail wiederum klarer
Ausdruck des Willens von H., gegen die bestehenden Widerstände im Betriebsrat und damit gegen den
Willen der Betriebsratsmitglieder der anderen Liste wieder eine Mehrheit im Betriebsrat für seine Politik zu
schaffen. Das folgt ohne weiteres aus seiner gegenüber allen Kandidaten gemachten Aufforderung, "dieses
Mal den Wählerwunsch zu respektieren" und seinem vor dem Hintergrund der betriebsratsinternen
Probleme unmissverständlichen Plädoyer gegen eine Listenwahl.
76 c. Soweit H. eingewandt hat, er habe bei dem Rücktritt des Betriebsrats nicht allein gehandelt, sondern der
Beschluss sei von sechs Personen gemeinsam aufgrund eines erst im Rahmen der Sitzung gestellten
Beschlussantrags (der wiederum einstimmig als Tagesordnungspunkt genehmigt worden sei) gefasst
worden, kann dies seine Amtspflichtverletzung weder heilen noch derart abschwächen, dass sie nicht zu
seinem Ausschluss aus dem Betriebsrat führen müsste. Denn sein gesamtes Vorgehen erscheint derart
zielgerichtet auf den (rechtswidrigen) Rücktritt des Betriebsrats gerichtet, dass er sich nun kaum hinter den
anderen Teilnehmern der Sitzung verstecken kann. Immerhin war er es, der kurzfristig zu einer
Betriebsratssitzung zu einem Zeitpunkt eingeladen hat, zu dem ihm bewusst gewesen sein muss, dass die
(meisten der) ordentlichen Betriebsratsmitglieder nicht mehr kommen können. Das folgt nicht nur aus der
Kenntnis der bestehenden Rahmenarbeitszeit, sondern ohne weiteres auch daraus, dass er sich in seiner
Einladung zur Notsitzung von vorneherein ausdrücklich an die Ersatzmitglieder des Betriebsrats wendet.
Mithin war ihm vollkommen klar, dass die ordentlichen Betriebsratsmitglieder nicht mehr anwesend sind
und nicht zur Sitzung kommen werden. Zudem war er es auch, der als maßgebende Gefahr für den
Bestand des Betriebs die Patt-Situation im Betriebsrat ausgemacht und dies in der Tagesordnung zur
Betriebsratssitzung kenntlich gemacht. Er hat schließlich auch auf der Sitzung den Antrag gestellt, den
Punkt "Rücktritt des Betriebsrats" auf die Tagesordnung zu setzen (obschon es ihm als Vorsitzenden ein
Leichtes gewesen wäre, diesen Tagesordnungspunkt bereits in der Einladung auszuweisen). Soweit in dem
Protokoll von H. die Anträge gestellt werden, "wie sie in diesem Protokoll unter Punkt 3 bis 5 formuliert
sind", wurde das Protokoll offensichtlich vorgeschrieben und zumindest in diesen Punkten fertig abgefasst
zur Sitzung mitgenommen. Auch das zeigt wiederum die eindeutige Zielrichtung im Handeln von H..
77 Zwar mag H. zuzugeben sein, dass auch die anderen Teilnehmer der Betriebsratssitzung rechtswidrig
gehandelt haben. Auch dürfte es sich bei dem Vorgehen insgesamt um ein abgestimmtes Vorgehen der
Mitglieder der LISTE 1-Gruppe gehandelt haben. Nur so kann die Einlassung von H. verstanden werden,
wenn er ausführt, man habe, nachdem man das Gerücht vernommen habe, eine Diskussion im Kreise der
LISTE 1-Gruppe in Gang gesetzt und sei zur der Auffassung gekommen, dass unmittelbarer
Handlungsbedarf bestehe. Zudem erscheint es wenig zufällig, wenn an der Notsitzung letztlich nur
Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder teilnehmen, die sich H. bzw. ihm als Führer der Liste 1
gegenüber loyal verhalten. Gleichwohl ist die Stellung von H. gegenüber den anderen Mitgliedern der LISTE
1-Gruppe bzw. den anderen Teilnehmern der Betriebsratssitzung vom 03.11.2014 hervorgehoben. Denn –
wie bereits soeben ausgeführt – war H. nicht nur der Anführer dieser Liste, sondern auch der
Betriebsratsvorsitzende, der die Notsitzung unter Verstößen gegen § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG und § 25
Abs. 1 Satz 2 BetrVG einberufen und durchgeführt hat. Er war es auch, der in der Einladung eine
Bedrohung des Bestands des Betriebs in U. durch die Patt-Situation heraufbeschworen oder aber zumindest
kommuniziert hat. Er hat anschließend – auf der Grundlage eines offensichtlich vorbereiteten Protokolls –
den Antrag auf Beschlussfassung über den Rücktritt gestellt und damit eine Situation geschaffen, die in dem
von ihm verfolgten Ziel, nämlich dem Rücktritt des Betriebsrats, kulminierte.
78 Namentlich vor diesem Hintergrund kann nicht unter Heranziehung der Rechtsprechung zur sog.
herausgreifenden Kündigung eingewandt werden, ein Ausschlussverfahren allein gegen H. sei willkürlich. Es
besteht jedenfalls aufgrund der hervorgehobenen Stellung von H. zumindest ein sachlicher Grund dafür,
das Ausschlussverfahren (zunächst) gegen ihn und nicht auch gegen andere Personen anzustrengen.
Zudem dürfte dem Betriebsrat ein gewisser Einschätzungsspielraum zukommen, wie er auf grobe
Pflichtverletzungen im Sinne von § 23 Abs. 1 BetrVG reagiert und ob er davon ausgeht, das Vorgehen
gegen einzelne Betriebsratsmitglieder genügt, um die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sicherzustellen.
79 d. Soweit H. im Übrigen meint, seinem Ausschluss aus dem Betriebsrat stehe entgegen, dass er
zwischenzeitlich sein Amts als Betriebsratsvorsitzender niedergelegt hat, überzeugt das nicht. Denn soweit
er hiermit argumentiert, mit der Niederlegung des Amts als Betriebsratsvorsitzender sei jegliche
Wiederholungsgefahr ausgeschlossen bzw. die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sei nicht weiter
gefährdet, verkennt er, dass eine begangene grobe Pflichtverletzung nicht durch nachträgliche
Wiedergutmachung oder das Versprechen, sich zukünftig anders zu verhalten, beseitigt wird (s. nur GK-
BetrVG/
Oetker, 10. Aufl. 2014, § 23 Rn. 45) und dass weder eine Wiederholungsgefahr noch die konkrete
Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats Voraussetzung für den Ausschluss aus dem Betriebsrat
sind (GK-BetrVG/
Oetker, 10. Aufl. 2014, § 23 Rn. 16; Richardi/Thüsing, BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 23 Rn. 27.
f.). Auch das BAG fordert in Überstimmung mit der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum lediglich,
dass die grobe Pflichtverletzung die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beeinträchtigt "hat" bzw. geeignet
war, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu beeinträchtigen (s. BAG 05.09.1967 – 1 ABR 1/67, juris
Leitsatz 1 und Rn. 65; 21.02.1978 – 1 ABR 54/76, juris Rn. 89;
Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 23 Rn. 18
m. w. N.). Daran, dass der rechtswidrige Rücktritt des Betriebsrats verbunden mit der sofortigen
Bekanntgabe des Rücktritts an die Betriebsöffentlichkeit, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats empfindlich
beeinträchtigt hat, kann nicht ernsthaft gezweifelt werden.
80 Zudem ist vorliegend sogar eine Wiederholungsgefahr gegeben und auch die Funktionsfähigkeit des
Betriebsrats erscheint vor dem Hintergrund des Verhaltens von H. sogar jetzt noch beeinträchtigt. Denn
auch wenn H. mit dem Rücktritt als Betriebsratsvorsitzender bestimmte Möglichkeiten genommen sind,
kann er gleichwohl mit anderen Mitteln die (rechtswidrige) Auflösung des Betriebsrats betreiben (vgl. nur
ArbG München 25.09.2006 – 22 BV 219/06, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass H. das Ziel, den
Betriebsrat aufzulösen, auch nach wie vor verfolgt. Das zeigt sich nicht nur anhand seiner zahlreichen
(mindestens 14) auf einen Rücktritt des Betriebsrats gerichteten Anträge in verschiedenen
Betriebsratssitzungen seit seinem Rücktritt als Betriebsratsvorsitzender, sondern auch an seinen Aussagen
in den Verhandlungsterminen, in denen er stets betont hat, dass dem jetzigen Betriebsrat – trotz seiner
ordnungsgemäßen Wahl auf der Grundlage des BetrVG – die Legitimation fehle und dass er eine große
Schar Unterstützer hinter sich habe, die auf Neuwahlen dränge. Es besteht somit nicht nur die Gefahr, dass
H. weiter den Rücktritt des Betriebsrats auch mit unlauteren Mitteln betreibt. Vor diesem Hintergrund
erscheint auch die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beeinträchtigt und eine weitere Amtsausübung
durch H. untragbar. Denn es erscheint sehr fraglich, wie eine konstruktive Zusammenarbeit innerhalb eines
Betriebsrats erfolgen soll, wenn eine Mitglied dieses Organs nachhaltig und fortgesetzt die Auflösung dieses
Organs betreibt und die Legitimation bestreitet, obschon Verstöße gegen das BetrVG nicht ansatzweise
ersichtlich sind. Vor diesem Hintergrund ist es auch dem Betriebsrat als Gremium nicht zuzumuten, mit
einem solchen Mitglied zusammenzuwirken, das in offener Konfrontation die Auflösung des bestehenden
Betriebsrats betrieben hat, das nachhaltig und fortgesetzt die Legitimation des Betriebsrats bestreitet und
weiterhin offen das Ziel verfolgt, den nach den Vorgaben des BetrVG gewählten und bestehenden
Betriebsrat aufzulösen.
81 3. Nach alldem ist dem Antrag bereits deswegen stattzugeben, weil H. rechtswidrig die Auflösung des
Betriebsrats betrieben und damit eine erhebliche Pflichtverletzung i. S. v. § 23 Abs. 1 BetrVG begangen hat.
Es kann folglich dahinstehen, ob H. weitere grobe Amtspflichtverletzungen i. S. v. § 23 Abs. 1 BetrVG
vorzuwerfen sind, insbesondere ob er – wie der Betriebsrat es vorbringt – versucht hat, seine Abwahl als
Betriebsratsvorsitzender zu verhindern, indem er sich rechtswidrig weigerte, die entsprechenden Anträge
auf die Tagungsordnung für Betriebsratssitzungen aufzunehmen.