Urteil des ArbG Stuttgart vom 28.06.2007

ArbG Stuttgart (land, kläger, abschluss, verfassungsschutz, zeitpunkt, beginn, arbeitnehmer, örtliche zuständigkeit, bundesrepublik deutschland, bag)

ArbG Stuttgart Urteil vom 28.6.2007, 15 Ca 11318/06
Altersteilzeitvertrag - Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen - Ermessensentscheidung des Arbeitgebers
Tenor
1. Das beklagte Land wird verurteilt, rückwirkend mit Wirkung vom 29.12.2006 das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags
nach dem Blockmodell für die Zeit vom 01.04.2009 bis 31.03.2015 nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom
05.05.1998 auf der Basis einer 39,5 Stundenwoche vorbehaltslos anzunehmen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf EUR 11.200,00 festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, mit dem Kläger mit Wirkung vom 29.12.2006 einen Altersteilzeitvertrag im
Blockmodell für die Zeit vom 01.04.2009 bis 31.03.2015 zu vereinbaren.
2
Der am ... 1953 geborene Kläger ist seit 01.06.1994 beim beklagten Land, dort beim Landesamt für Verfassungsschutz in S. als Arbeitnehmer in
Vollzeit beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden Kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme im schriftlichen Arbeitsvertrag, auf
dessen Inhalt im Übrigen verwiesen wird (Akt.Bl. 11-12), die Bestimmungen des BAT und der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden
Tarifbestimmungen in der für das beklagte Land geltenden Fassung Anwendung. Die Arbeitsbedingungen des Klägers sind mit Wirkung vom
01.11.2006 in den TV-L übergeleitet worden. Die wöchentliche durchschnittliche tarifliche Arbeitszeit beträgt seitdem 39,5 Stunden. Vergütet wird
er nach der Entgeltgruppe 6, Entwicklungsstufe 6+.
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Mit den Bürgern, den Verbänden und Gewerkschaften, den Trägern der sozialen Sicherungssysteme und der sonst noch interessierten
Öffentlichkeit allgemein bekanntgemachten Kabinettsbeschluss vom 29.11.2006 hat die Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes zur
Anpassung der Regelalters-grenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen
Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)“, vulgo „Rente mit 67“ vorgelegt, nach dessen Artikel 1 Nr. 57 § 236 Abs. 2 Satz 3
SGB VI wie folgt gefasst werden sollte:
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" Für Versicherte, die
1. vor dem 01. Januar 1955 geboren sind und vor dem 01. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des
Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben oder
2. ...
wird die Altersgrenze von 65 Jahren nicht angehoben."
5
Auf Grund dessen hat der Kläger nach Einholung einer Rentenauskunft am 18.12.2006 schriftlich einen Antrag auf Abschluss eines
Altersteilzeitvertrags für die Zeit vom 01.04.2009 bis 31.03.2015 im Blockmodell gestellt. Dagegen sind seitens der Dienststelle Bedenken
vorgebracht worden, ohne dass es zu einer ausdrücklichen Ablehnung des Antrags gekommen ist.
6
Am 28.12.2006 hat die entscheidende Kammer im einstweiligen Verfügungsverfahren zwischen den Parteien AZ: 15 Ga 148/06 folgenden
Beschluss erlassen:
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"Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, das Angebot des Antragstellers vom 18.12.2006 auf
Abschluss eines Altersteilzeitvertrags nach dem Blockmodell für die Zeit vom 01.04.2009 bis 31.03.2015 nach dem Tarifvertrag zur
Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom 05.05.1998 auf der Basis einer 39,5-Stundenwoche unter der auflösenden
Bedingung der rechtskräftigen Klagabweisung im Hauptsacheverfahren bis spätestens 31.12.2006 24:00 Uhr unter Meidung eines
Zwangsgeldes in Höhe von EUR 20.000,00 anzunehmen."
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Dem ist das beklagte Land nachgekommen und hat unter dem Datum des 29.12.2006 einen entsprechenden Altersteilzeitarbeitsvertrag
abgeschlossen, auf den ansonsten verwiesen wird (Akt.Bl. 52-53), der unter Ziffer 4 den folgenden Passus enthält:
9
"Dieser Vertrag wird aufgrund der einstweiligen Verfügung das Arbeitsgerichts Stuttgart vom 28.12.2006, Az.: 15 Ga 148/06,
geschlossen und steht unter dem Vorbehalt der Entscheidung im Hauptsacheverfahren."
10 Mit der am 28.12.2006 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, er habe deshalb Anspruch auf Abschluss des Altersteilzeitvertrags im
Blockmodell für die Zeit vom 01.04.2009 bis 31.03.2012, weil er sich auf Grund des Altersanpassungsgesetzes nur bis 31.12.2006 im Wege des
Vertrauensschutzes die aktuell noch geltenden Altersgrenzen über das Jahr 2012 hinaus erhalten könne. Nach § 2 TV ATZ könne mit
Arbeitnehmern, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf der
Grundlage des Altersteilzeitgesetzes vereinbart werden. Zwar habe er keinen Regelanspruch auf Altersteilzeit, weil er das das 60. Lebensjahr
bei Eintritt Altersteilzeitarbeit noch nicht vollendet haben wird, bei der Anstellungsbehörde gebe es jedoch eine Verwaltungspraxis, dass
Arbeitnehmer auch auf ihren Wunsch vor dem 60. Lebensjahr Altersteilzeit in Anspruch nehmen könnten. Seitens des Klägers werde hierzu der
Mitarbeiter K.H. D. benannt, der vor seinem 60. Lebensjahr mit Altersteilzeit im Blockmodell begonnen habe. Dem Kläger seien auch noch
weitere Vorgänge bekannt. Außerdem habe man ihm gegenüber keine Einwendungen erhoben, dass er vor Beginn des 60. Lebensjahres
Altersteilzeit beanspruche, sondern es würden anscheinend seitens des Finanzministeriums Bedenken erhoben, bereits 2006 einen
Altersteilzeitvertrag mit einem Beginn des Altersteilzeitverhältnisses ab 01.04.2009 abzuschließen. Das Argument des beklagten Landes, die
Zustimmung zum Abschluss eines Altersteilzeitvertrages sei bereits deswegen zu versagen, weil er nach § 2 Absatz 1 a TV ATZ der Arbeitgeber
mit dem Arbeitnehmer ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis nur vereinbaren könne, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Geltendmachung das
55. Lebensjahr vollendet habe, sei nicht stichhaltig. Der Kläger begehre den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages mit Wirkung nach
Vollendung des 55. Lebensjahres; das Gleiche treffe auch für das weitere Argument zu, er habe nicht die erforderliche versicherungspflichtige
Beschäftigung von mindestens 1.080 Kalendertagen innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit zurückgelegt. Denn
entscheidend sei nicht die Antragstellung, sondern der in der Antragstellung geltend gemachte Beginn der Altersteilzeitarbeit. Zu diesem
Zeitpunkt werde der Kläger die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Es bestünden keine Gründe dienstlicher Art gegen den Abschluss
eines Altersteilzeitarbeitsvertrages. Insbesondere könne das beklagte Land nicht vortragen, dass der Landeshaushalt für die Jahre 2007 und
2008 sich noch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befände und deswegen unklar sei, ob ein dienstliches Interesse im Jahr 2009
der begehrten Altersteilzeit entgegen stehen würde oder nicht. Der Gesetzgeber habe mit dem Altersgrenzenanpassungsgesetz ausdrücklich die
Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitnehmer bis zum Geburtsjahrgang 1954, die vor dem 31.12.2006 einen Altersteilzeitvertrag vereinbarten, der
den Beginn der Altersteilzeit erst im Jahr 2009 festsetze, die Altersgrenze von 65 Jahren erhalten könnten. Die gesetzliche Regelung liefe leer,
wenn Arbeitgeber den Antrag von Arbeitnehmern mit der Begründung ablehnen könnten, sie wüssten nicht, wie die Situation im Jahr 2009 sich
gestalten werde. Insbesondere könne das Land nicht durch entsprechende Gestaltung in seinen Landeshaushalten einen Zustand schaffen, mit
dem ein entgegenstehender dienstlicher Grund geschaffen werden würde. Ein solches Vorgehen wäre nach § 162 BGB zu beurteilen.
11 Im Hinblick auf den am 29.12.2006 unter Vorbehalt geschlossenen Altersteilzeitarbeitsvertrag beantragt der Kläger:
12
Das beklagte Land wird verurteilt, den Vorbehalt unter § 4 des Änderungsarbeitsvertrags vom 29.12.2006 zurückzunehmen;
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hilfsweise
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rückwirkend mit Wirkung vom 29.12.2006 das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags nach dem Blockmodell für
die Zeit vom 01.04.2009 bis 31.03.2015 nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom 05.05.1998 auf
der Basis einer 39,5 Stundenwoche vorbehaltslos anzunehmen;
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höchsthilfsweise
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der Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags nach dem Blockmodell für die Zeit vom
01.04.2009 bis 31.03.2015 nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom 05.05.1998 auf der Basis
einer 39,5 Stundenwoche rückwirkend zum 29.12.2006 anzunehmen.
17 Das beklagte Land beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19 Es trägt vor,
20 dem am 18.12.2006 derartig frühzeitig gestellten Abschluss eines Altersteilzeitvertrages stünden rechtliche Erwägungen entgegen. Gemäß § 2
Abs. 1 Buchstabe a des Tarifvertrages Altersteilzeit (TV ATZ) könne der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis
vereinbaren, wenn der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet habe. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Antragstellung am 18. Dezember
2006 erst 53 Jahre alt gewesen, so dass bereits aus diesem Grund die Zustimmung zum Abschluss eines Altersteilzeitvertrages zu versagen
gewesen sei. Außerdem sei es gemäß § 2 Abs. 1 Buchstabe c TV ATZ erforderlich, dass der Arbeitnehmer innerhalb der letzten fünf Jahre vor
Beginn der Altersteilzeitarbeit mindestens1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Dritten Buch
Sozialgesetzbuch gestanden haben müsse. Da die Altersteilzeit ab 1. April 2009 begehrt werde, sei der 1. April 2004 Stichtag für diese
Fristberechnung. Bis zum Zeitpunkt der Antragstellung am 18. Dezember 2006 sei der Kläger jedoch lediglich an 992 Tagen einer
versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen. Somit sei eine zwingende Anspruchsvoraussetzung für den Abschluss eines
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses nicht erfüllt. Darüber hinaus könne das beklagte Land als Arbeitgeber nach § 2 Abs. 3 TV ATZ die Vereinbarung
eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ablehnen, soweit dem dringende dienstliche Gründe entgegenstünden. Ob das der Fall sei, könne jedoch
erst beurteilt werden, wenn die jeweiligen haushalts- und personalwirtschaftlichen Rahmendaten feststünden. Der Landeshaushalt für die Jahre
2007 und 2008 befinde sich derzeit im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren. Aufgrund der Sparzwänge der Landesregierung und der
Bestrebungen, im Jahr 2012 einen ausgeglichenen Landeshaushalt vorzulegen, sei derzeit nicht absehbar, wie sich im Jahr 2009 die
Haushaltssituation für das Landesamt für Verfassungsschutz darstellen werde. Es sei zu befürchten, dass auch das Landesamt für
Verfassungsschutz nicht von einem weiteren Personalabbau verschont bleibe. Bereits seit Beginn der 90 'er Jahre seien beim Landesamt für
Verfassungsschutz knapp 25 Prozent der Personalsteilen abgebaut worden. Sollte diese Entwicklung anhalten, könnten zukünftig
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse nicht mehr vereinbart werden, da ansonsten eine adäquate Aufgabenerfüllung durch das Landesamt für
Verfassungsschutz nicht mehr gewährleistet wäre und dadurch erhebliche Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung der
Bundesrepublik Deutschland einträten. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt lägen erhebliche Anhaltspunkte vor, die zu einer Ablehnung des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses aus dienstlichen Gründen führten, da von sich weiter verschlechternden haushalts- und personalwirtschaftlichen
Rahmendaten auszugehen sei. Auch dies stehe einer frühzeitigen Ausfertigung eines Altersteilzeitarbeitsvertrags entgegen. Das Landesamt für
Verfassungsschutz habe zwar aktuell mit 16 Arbeitnehmern Vereinbarungen hinsichtlich eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses geschlossen. In
allen Fällen hätten zwischen Abschluss des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses und Beginn der Altersteilzeit weniger als 10 Monate gelegen. Um
adäquat die Interessen des Landesamts für Verfassungsschutz mit denen des Klägers abwägen zu können, dürfe der Zeitraum zwischen
Antragsteilung und Beginn der Altersteilzeit daher maximal ein Jahr betragen. Die diesbezügliche Verwaltungspraxis des Landesamts für
Verfassungsschutz beruhe auf diesen Erwägungen und führe zu einer Selbstbindung der Verwaltung. Diese Praxis der kurzfristigen
Bescheidung von Anträgen auf Bewilligung von Altersteilzeit werde durch das Urteil des VG Ansbach gestützt, wonach eine Behörde befugt sei,
frühestens ein halbes Jahr vor Eintritt in die beantragte Altersteilzeit, über den Antrag zu entscheiden (Urteil des VG Ansbach vom 9.12.2003; Az:
AN 1 K 03.01014).
21 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
22 1. Die Klage ist zulässig. Der bestrittene Rechtsweg ist gemäß § 2 Abs. 1 Ziffer 3 a ArbGG eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen
Gerichts ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. 18 ZPO.
23 Der Sache nach will der Kläger die Verurteilung des Beklagten zum vorbehaltslosen Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nach Maßgabe
seines Antrags vom 18.12.2006 für den Zeitraum vom 104.2009 bis 31.03.2012, wobei das Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell
ausgeführt werden soll. Die bisherige Arbeitszeit soll damit halbiert werden und insgesamt während der ersten Hälfte erbracht werden. Hieran
soll sich die Freistellungsphase anschließen. Inhaltlich soll sich das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des TV-L richten. Mit
Rechtskraft eines obsiegenden Urteils soll die Willenserklärung der Beklagten als erteilt gelten (§ 894 ZPO).
24 2. Die Klage ist begründet.
25 2.1 Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind die Bestimmungen des BAT bzw. des TV-L und die diese Tarifverträge ergänzenden Tarifverträge
in ihrer jeweiligen Fassung anzuwenden. Deshalb sind auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen des TV ATZ anzuwenden. Nach
Ziffer 4 der Anlage 1 TVÜ-Länder Teil C gilt der TV ATZ weiter.
26 2.2 Entgegen der Auffassung des beklagten Landes erfüllt der Kläger die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV ATZ. Denn
die Voraussetzungen a) und c) sind nicht zum Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitarbeitsvertrags zu erfüllen, sondern sie müssen erst
bei Eintritt in die Altersteilzeitarbeit, also erst am 01.04.2009 vorliegen. Die tariflichen Bestimmungen entsprechen insoweit den Regelungen des
§ 2 ATG (Schweikert Altersteilzeit, 2. Aufl. 2002, Rz. 1 zu § 2 TV ATZ und Rittweger a.a.O., Rz. 15 und 17 zu § 2 ATG). Demnach muss der Kläger
spätestens am 31.12.1954 geboren sein und spätestens am 31.12.2009 seine Arbeitszeit auf die Hälfte reduzieren, da ansonsten die
Geltungsdauer des ATG abgelaufen wäre. Am 01.04.2009 wird der Kläger sowohl 55 Jahre alt sein als auch die erforderlichen 1080 Tage beim
beklagten Land in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden haben. Auch wird er seine Arbeitszeit entsprechend
reduziert haben. Sollte das Arbeitsverhältnis der Parteien aus welchen Gründen auch immer am 01.04.2009 nicht mehr bestehen, wäre der
Altersteilzeitarbeitsvertrag ohnehin hinfällig, da die Vertragsgestaltung den Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Übertritts in die
Altersteilzeitarbeit notwendig voraussetzt.
27 2.2 Dem beklagten Land ist allerdings zuzugestehen, dass sich der Kläger nicht auf einen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags im
Sinne des § 2 Abs. 2 TV ATZ berufen kann. Denn am 01.04.2009 wird er das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Nach der
Legaldefinition des § 194 BGB ist hierunter das Recht zu verstehen, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Anhaltspunkte,
die Tarifvertragsparteien hätten etwas anderes gemeint, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist die Entscheidung des beklagten Landes in sein
Ermessen gestellt (Schweikert a.a.O. Rz 11 zu § 2 TV ATZ mit Nachweisen).
28 2.3 Der Kläger hat jedoch Anspruch darauf, dass die getroffene Entscheidung der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 1 BGB in entsprechender
Anwendung. Der Arbeitgeber wahrt billiges Ermessen dann, wenn er die wesentlichen Umstände des Einzelfalles und die beiderseitigen
Interessen angemessen berücksichtigt. Ob die Grenzen des Bestimmungsrechts gewahrt sind, unterliegt der vollständigen gerichtlichen Kontrolle
(BAG vom 23.01.2007 - 9 AZR 624/06 -, NZA-RR 2007, 397; vom 03.12.2002 - 9 AZR 457/01 - NZA-RR 2003, 613). Welche tatsächlichen
Umstände in die Ermessensabwägung einzubeziehen sind, richtet sich nach dem jeweiligen Regelungsgegenstand. Das beklagte Land hat
dabei auch die Interessenlage des Klägers in seine Ermessensüberlegungen mit einzubeziehen.
29 2.3.1 Das beklagte Land ist zwar nicht verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Änderung des Arbeitsvertrags allein deshalb anzunehmen, weil er
die in § 2 Abs. 1 a) bis c) TV ATZ) genannten Voraussetzungen erfüllt. Die Tarifvertragsparteien haben für diesen Fall die Entscheidung in das
Ermessen des Arbeitgebers gestellt (BAG vom 10. 5. 2005 - 9 AZR 294/04 -, AP Nr 20 zu § 1 TVG Altersteilzeit = EzA § 4 TVG Altersteilzeit Nr 15
vom vom 12. 12. 2000 - 9 AZR 706/99 -, NZA 2001, 1209 = AP ATG § 3 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 1; vom 26. 6. 2001 - 9 AZR 244/00 -,
NZA 2002, 44 = AP ATG § 3 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 2). Es genügt zur Antragsablehnung im Rahmen des billigen Ermessens jeder
sachliche Grund, der sich auf den Übergang zur Altersteilzeit bezieht (BAG vom 26. 6. 2001 - 9 AZR 244/00 -, NZA 2002, 44 = AP ATG § 3 Nr. 2 =
EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 2; vom 03.12.2002 - 9 AZR 457/01 -, NZA-RR 2003, 613). Dazu können auch finanzielle Gründe gehören (BAG vom
12. 12. 2000 - 9 AZR 706/99 -, NZA 2001, 1209 = AP ATG § 3 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 1). Das BAG hat es als ausreichend
angesehen, dass der (öffentlich-rechtliche) Arbeitgeber bei Arbeitnehmern ohne Anspruch auf Begründung eines Altersteilzeitarbeitsvertrags die
mit einer Altersteilzeit verbundenen finanziellen Mehrbelastungen durch Aufstockungsbetrag und Übernahme der Beiträge der
Sozialversicherung nicht zu tragen gewillt ist.
30 2.4 Dazu hat das beklagte Land aber nichts vorgetragen, vielmehr sich darauf beschränkt einzuwenden, wegen des überlangen Zeitraums bis
zum Eintritt in die Altersteilzeitarbeit nicht beurteilen zu können, ob mögliche sachlichen Gründe geltend zu machen wären, weil die jeweiligen
haushalts- und personalwirtschaftlichen Rahmendaten noch nicht feststünden, es wegen der Sparzwänge der Landesregierung und der
Bestrebungen, im Jahr 2012 einen ausgeglichenen Landeshaushalt vorzulegen, derzeit nicht absehbar sei, wie sich im Jahr 2009 die
Haushaltssituation für das Landesamt für Verfassungsschutz darstellen werde, weiterer Personalabbau sei zu befürchten, so dass zukünftig
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse nicht mehr vereinbart würden, da ansonsten eine adäquate Aufgabenerfüllung durch das Landesamt für
Verfassungsschutz nicht mehr gewährleistet wäre, somit bereits zum jetzigen Zeitpunkt erhebliche Anhaltspunkte vorlägen, die zu einer
Ablehnung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses aus dienstlichen Gründen führten, da von sich weiter verschlechternden haushalts- und
personalwirtschaftlichen Rahmendaten auszugehen sei.
31 2.4.1 Zu allem sind weder konkrete Zahlen noch verwertbare Bekundungen der Landesregierung vorgetragen worden. Dass die zukünftige
wirtschaftliche Entwicklung des Landes und damit auch der Haushaltslage sich nur erahnen lässt, stellt eine Binsenweisheit dar. Das
haushaltspolitische Schicksal des Landesamts für Verfassungsschutz hat damit aber nichts zu tun, sondern hängt von der inneren
Bedrohungslage Deutschlands ab. Dass Terrorismusbekämpfung und die Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen unter
Haushaltsvorbehalt stehen sollen, lässt sich nur schwer mit dem Selbstverständnis der Verfassungsordnung als "wehrhafter Demokratie"
vereinbaren. Der Kammer sind auch keine Bestrebungen der Landesregierung bekannt, den Verfassungsschutz personell so auszudünnen,
dass er seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann.
32 2.4.2 Auf bloße Vermutungen zukünftiger Entwicklungen können keine Ermessensentscheidungen gestützt werden. Dazu kommt noch, dass der
Bundesgesetzgeber den Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 29.11.2006 in Artikel 1 Nr. 57 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes
vom 30.04.2007, BGBl. I Nr 16, 554 ff. eins zu eins umgesetzt hat. Der Wille des Gesetzgebers, Arbeitnehmern bis zum Geburtsjahrgang 1954
durch "vorzeitige" Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsvertrags bis zum 31.12.2006 die Möglichkeit zu bieten, ohne Abschläge noch mit 63
bzw. 65 in Rente zu gehen, liefe völlig ins Leere, wenn allein mit dem Hinweis des Arbeitgebers, die zukünftige wirtschaftliche und finanzielle
Entwicklung sei nicht voraussehbar, Anträgen auf Altersteilzeitvereinbarung entgegengetreten werden könnte.
33 3. Das beklagte Land ist deshalb dem Grunde nach verpflichtet, den Antrag des Klägers mit Rückwirkung anzunehmen. Denn die
Arbeitsvertragsparteien sind rechtlich nicht gehindert, das zwischen ihnen bereits begründete Arbeitsverhältnis zu ändern. Auch eine
rückwirkende Vertragsänderung ist zulässig und unterliegt vorbehaltlich höherrangigem Recht keinen Beschränkungen (BAG vom 27.01.2007
a.a.O. und vom 24.09.2003 - 5 AZR 282/02 - AP BGB § 151 Nr. 3). Deshalb ist, wenn wie hier der Arbeitnehmer Anspruch auf Abschluss eines
Änderungsvertrags zu einem bestimmten Zeitpunkt hat, der Arbeitgeber zur Abgabe einer auf dieses Datum bezogenen Willenserklärung zu
verurteilen (BAG vom 27.01.2007 a.a.O.; vom 27.04.2004 - 9 AZR 522/03 -, NZA 2004, 1225; vom 09.05.2006 - 9 AZR 278/05 - AP BErzGG § 15
Nr. 47; vom 09.11.2006 - 2 AZR 509/05 -, AP KSchG1969 § 1 Wiedereinstellung Nr. 13) .
34 4. Da das beklagte Land bereits in Folge des Beschlusses der Kammer vom 27.12.2006 eine derartige Willenserklärung abgeben hat, allerdings
unter Vorbehalt, ist es nunmehr dazu zu verurteilen, das Vertragsangebot des Klägers rückwirkend zum 29.12.2006 vorbehaltslos anzunehmen.
II.
35 Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO. Da das beklagte Land unterlegen ist, hat es die Kosten des Rechtsstreits
zu tragen.
III.
36 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 4 GKG in entsprechender Anwendung. Da es um eine Abänderung des
bestehenden Arbeitsvertrags geht, hat die Kammer dem Streitwert einen Vierteljahresverdienst des Klägers zu Grunde gelegt.
IV.
37 Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, § 64 Abs. 3 Ziffer 1 ArbGG und wegen § 64 Abs. 1 Ziffer 2 b) ArbGG
zuzulassen.