Urteil des ArbG Stuttgart vom 11.06.2013

friedenspflicht, tarifvertrag, vertrag zugunsten dritter, arbeitskampf

ArbG Stuttgart Urteil vom 11.6.2013, 7 Ga 31/13
Untersagung von Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen zur
Durchsetzung eines Bezirkstarifvertrages über die Gewährung einer
Mobilitätszulage
Leitsätze
1. Die Forderung der Gewerkschaft ver.di Dienstleistungsgewerkschaft e.V. auf
Zahlung einer "Mobilitätszulage" an alle Beschäftigten der Stadt Stuttgart unterliegt der
Friedenspflicht des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD-VKA) da die
Tarifforderung als Entgeltrege-lung im Sinne des TVöD (VKA) zu qualifizieren ist.
2. Ein Streikaufruf ist im Fall der Rechtswidrigkeit des (geplanten) Warnstreiks zu
widerrufen.
3. Auch ein Arbeitgeberverband kann sich gegen rechtswidrige Streiks einer
Gewerkschaft mit Unterlassungsansprüchen zur Wehr setzen.
Tenor
1. Der Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, seinen Streikaufruf an ihre Mitglieder und
sonstige Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zu 1 vom 07.06.2013 zum Streik am
12.06.2013 zur Durchsetzung eines Bezirkstarifvertrags über die Gewährung einer
Mobilitätszulage in Höhe von 180 EUR brutto monatlich für alle beschäftigten
Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zu 1. unverzüglich zu widerrufen.
2. Dem Verfügungsbeklagten wird untersagt, seine Mitglieder und sonstige
Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zu 2. im Zeitraum bis zum 28.02.2014 zu
Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung eines
Bezirkstarifvertrags über die Gewährung einer Mobilitätszulage in Höhe von 180 EUR
brutto monatlich für alle beschäftigten Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zu 1.
aufzurufen, und im Zeitraum bis zum 28.02.2014 Streiks, Warnstreiks und sonstige
Arbeitsniederlegungen mit dem genannten Ziel durchzuführen.
3. Dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die
Unterlassungspflicht gemäß Ziff. 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 EUR
angedroht, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollziehen an dem Vorsitzenden des
Bundesvorstandes, Herrn F. B., sowie dem Mitglied des Bundesvorstandes, Herrn Fr.
W., des Verfügungsbeklagten.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Verfügungskläger zu je 8 % und der
Verfügungsbeklagte zu 84 % zu tragen.
6. Der Streitwert wird auf 300.000,00 EUR festgesetzt.
7. Die Berufung ist nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Untersagung von Streiks, Warnstreiks und sonstigen
Arbeitsniederlegungen am 12.6.2013 und im Zeitraum bis zum 28.2.2014 zur
Durchsetzung eines Bezirkstarifvertrages über die Gewährung einer
Mobilitätszulage.
2 Die Verfügungsklägerin zu 1 ist als Gebietskörperschaft Arbeitgeberin der bei ihr
beschäftigten Arbeitnehmer. Sie ist ordentliches tarifgebundenes Mitglied der
Verfügungsklägerin zu 2. Die Verfügungsklägerin zu 2 ist Mitglied der Vereinigung
der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Diese Vereinigung ist der
Dachverband der kommunalen Arbeitgeberverbände Deutschlands, der für seine
Mitglieder die Tarifverträge für den kommunalen öffentlichen Dienst auf
Bundesebene als Tarifvertragspartei auf Arbeitgeberseite abschließt. Die bis zum
30.9.2005 geltenden tariflichen Regelungen (Bundes-Angestellten Tarifvertrag
(BAT), Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und
Betriebe (BMT-G) sowie die gesonderten Vergütungstarifverträge) wurden mit
Wirkung zum 1. Oktober 2005 durch die Regelungen des Tarifvertrages für den
öffentlichen Dienst (TVöD) ersetzt.
3 Aufgrund der Organisationszugehörigkeit der Verfügungsklägerin zu 1 bei der
Verfügungsklägerin zu 2 unterliegt die Verfügungsklägerin zu 1 der Geltung der
Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD). Dieser Tarifvertrag regelt die
Tabellenentgelte für die Beschäftigten und Auszubildenden für die verschiedenen
Sparten in diversen Anlagen. Nach Kündigung der tariflichen Entgeltregelungen
durch den Verfügungsbeklagten zum 29. Februar 2012 einigten sich die
Tarifvertragsparteien Ende März 2012 auf eine Erhöhung der Entgelte in mehreren
Stufen und setzten das Tarifergebnis in den Änderungstarifverträgen Nr. 7 vom 31.
März 2012 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sowie zum Tarifvertrag zur
Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur
Regelung des Übergangsrechts sowie den Änderungstarifvertrag Nr. 4 vom 31.
März 2012 zum Tarifvertrag für Auszubildenden des öffentlichen Dienstes-
besonderer Teil BBiG- und dem Änderungstarifvertrag Nr. 5 zum Tarifvertrag für
Auszubildende des öffentlichen Dienstes-besonderer Teil Pflege- um. Diese
Tarifverträge haben eine Mindestlaufzeit bis zum 28. Februar 2014.
4 Im Januar 2013 verteilte der Verfügungsbeklagte, handelnd durch den ver.di
Bezirk S., unter seinen Mitgliedern und den Beschäftigten der Verfügungsklägerin
zu 1 ein Flugblatt (ABl. 97), in dem er eine Forderung auf Gewährung einer "S.-
Zulage" i.H.v.180 EUR monatlich für jeden Beschäftigten erhob. Nachdem die
Verfügungsklägerin zu 2 mit Schreiben vom 30.1.2013 den Landesbezirk ver.di in
dieser Angelegenheit kontaktiert hat verwies der Verfügungsbeklagte mit
Schreiben vom 26. 2. 2013 (ABl. 100) zur Rechtfertigung der Forderung nach einer
"S.-Zulage" auf die nicht mehr als konkurrenzfähig erachteten Entgelte im
öffentlichen Dienst im Verhältnis zu denjenigen in der Privatwirtschaft. Im
Anschluss verlangte der Verfügungsbeklagte, handelnd durch den Landesbezirk
Baden-Württemberg mit Schreiben vom 5.3.2013 (ABl. 101) von der
Verfügungsklägerin zu 1 und mit Schreiben vom 22.3.2013 (ABl. 104) von der
Verfügungsklägerin zu 2 die Aufnahme von Tarifverhandlungen über eine
"Mobilitätszulage".
5 In verschiedenen Informationsschriften der Verfügungsbeklagten (ABl. 106-110, so
genannte "Mobil Nachrichten"), die in den Dienststellen der Verfügungsklägerin zu
1 ausgelegt wurden, erläuterte der Verfügungsbeklagte ihre Tarifforderung. In der
Ausgabe "Mobil Nachrichten 1" (Akten Bl. 106) wird hierzu erklärt:
6
"Mobil Nachrichten 1
Ver.di fordert: 180 EUR monatliche Mobilitätszulage, pauschal für jede/n
Beschäftigten der L. S. (Ämter, Eigenbetriebe, Klinikum)
......
Wir wollen eine Mobilitätszulage, weil
... die Beschäftigten der L. S. einen immer größer werdenden Anteil ihres
Einkommens für ihre Mobilität aufwenden müssen,
... wohnen und leben im Großraum S. mobil sein bedeutet. Die Region S. hat mit
die teuersten Mieten im bundesweiten Vergleich.
...mobil bleiben bedeutet, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben
zu können,
...weil nicht wenige Beschäftigte der L. S. Wohngeld und andere Sozialleistungen
beantragen müssen, um weiterhin mobil bleiben zu können."
7 In gleicher Weise wurde die Forderung in den nachfolgenden "Mobil Nachrichten"
begründet und der Abschluss eines Tarifvertrages gefordert.
8 Am 2.5.2013 führten der Verfügungskläger zu 2 und Vertreter des
Verfügungsbeklagten (Landesbezirk Baden-Württemberg) ein
"Orientierungsgespräch“ zur Klärung des Gegenstandes der Tarifforderung. In
diesem Gespräch erklärten die Vertreter des Verfügungsbeklagten, bei der
Mobilitätszulage handele es sich nicht um einen Zuschuss zu den Fahrtkosten für
die Beschäftigten. Man verstehe unter Mobilität den Ausgleich der hohen
Lebenshaltungskosten für die Beschäftigten der L. S.. Die Zulage solle alle tariflich
geregelten Arbeits-und Ausbildungsverhältnisse erfassen und unabhängig von der
Frage gewährt werden, ob die Beschäftigten ihren Wohnsitz im Stadtgebiet der L.
haben oder nicht, in welcher Entgeltgruppe der/die Beschäftigte eingruppiert sei
oder welcher Beschäftigungsumfang vereinbart sei.
9 Mit Schreiben vom 5.6.2013 (ABl. 111) informierte der Verfügungskläger zu 2 den
Verfügungsbeklagten, dass die Aufnahme von Tarifverhandlungen abgelehnt wird
und verwies auf die aus seiner Sicht bestehende Friedenspflicht. Eine von den
Verfügungsklägern mit Schreiben vom 6.6.2013 (ABl. 116) bis zum Freitag
7.6.2013 16:00 Uhr geforderte Unterlassungserklärung, bis zum 28. Februar 2014
ihre Mitglieder und die sonstigen Beschäftigten der L. S. nicht zu Streiks zur
Durchsetzung eines bezirklichen Tarifvertrages über eine Mobilitätszulage
i.H.v.180 EUR brutto monatlich aufzurufen, hat der Verfügungsbeklagte nicht
abgegeben.
10 Am 7.6.2013 veröffentlichte der Verfügungsbeklagte auf der Internetseite des ver.di
Landesbezirk Baden-Württemberg einen Aufruf an die Beschäftigten der
Verfügungsklägerin zu 1 zu einem ganztägigen Warnstreik für einen Tarifvertrag
Mobilitätszulage am 12.6.2013 (ABl. 141).
11 Der Bundesvorstand des Verfügungsbeklagten fasste am 10.6.2013 folgenden
Beschluss:
12 "Der Bundesvorstand beschließt die Durchführung von Streiks in allen
Dienststellen der L. S.. Die Arbeitsniederlegung (über 4 Stunden -2 Streiktage)
erfolgt am 12. und 19. Juni 2013. Ziel des Arbeitskampfes:
13 Zahlung einer Mobilitätszulage i.H.v.180 EUR
14 Die Entscheidung über die Durchführung der einzelnen Arbeitskampfmaßnahmen
wird im beschlossenen Rahmen an die Bezirksfachbereiche und die durch ihn
gebildete Arbeitskampfleitung delegiert."
15 Die Verfügungskläger sind der Auffassung, der von dem Verfügungsbeklagten
beabsichtigte Streik sei wegen Verstoßes der Arbeitskampfmaßnahmen gegen die
bis zum 28.2.2014 dauernde relative Friedenspflicht aus den Regelungen des
TVöD eindeutig rechtswidrig. Die Tarifforderung "Mobilitätszulage" beinhalte
tatsächlich eine Entgeltregelung, die mit dem Regelungsgegenstand der
Entgeltregelungen in Entgelttarifverträgen zum TVöD identisch sei. Da der TVöD
keine Öffnungsklausel enthalte, auf deren Grundlage eine Mobilitätszulage tariflich
vereinbart werden könne, handele es sich bei der geforderten Mobilitätszulage um
kein legitimes Streikziel. Wegen der Streikfolgen für die Bevölkerung und die
Verfügungsklägerin zu 1 sei der Streik darüber hinaus unverhältnismäßig. Der
erforderliche Verfügungsgrund sei gegeben, da auch über den 12.6.2013 hinaus
Streikmaßnahmen in S. zu befürchten seien. Dies ergebe sich aus der
unterbliebenen Abgabe der geforderten Unterlassungserklärung.
16 Nach Rücknahme der weitergehenden Klageanträge beantragen die
Verfügungskläger nunmehr noch:
17 1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, ihren Streikaufruf an ihre Mitglieder und
sonstigen Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 1 vom 7.6.2013 zum Streik am
12.6.2013 zur Durchsetzung eines Bezirkstarifvertrag über die Gewährung einer
Mobilitätszulage i.H.v.180 EUR brutto monatlich für alle beschäftigten
Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 1 unverzüglich zu widerrufen.
18 2. Der Antragsgegnerin wird für den Fall der Nichtvornahme der Handlungspflicht
gemäß Ziffer 1 ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft angedroht, zu vollziehen
an dem Vorsitzenden des Bundesvorstandes, Herrn F. B., sowie dem Mitglied des
Bundesvorstandes, Herrn Fr. W., der Antragsgegnerin.
19 3. Der Antragsgegnerin wird untersagt, ihre Mitglieder und sonstigen Arbeitnehmer
der Antragstellerin zu 1 im Zeitraum bis zum 28. 2. 2014 zu Streiks, Warnstreiks
und sonstigen Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung eines Bezirkstarifvertrag
über die Gewährung einer Mobilitätszulage i.H.v.180 EUR brutto monatlich für alle
beschäftigten Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 1 aufzurufen, und im Zeitraum
bis zum 28.2.2014 Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegung mit dem
genannten Ziel durchzuführen.
20 4. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die
Unterlassungspflicht gemäß Ziffer. 3 ein Ordnungsgeld i.H.v.250.000 EUR
angedroht, ersatzweise Zwangshaft, zu vollziehen an dem Vorsitzenden des
Bundesvorstand, Herrn F. B., sowie dem Mitglied des Bundesvorstandes, Herrn
Fr. W., der Antragsgegnerin.
21 Der Verfügungsbeklagte beantragt,
22 die Klage abzuweisen.
23 Er ist der Auffassung, eine Friedenspflicht bestehe nicht. Die Forderung auf
Abschluss eines Tarifvertrags über eine Mobilitätszulage sei weder Bestandteil der
verhandelten und abgeschlossenen Änderungstarifverträge zu den Tarifverträgen
für den öffentlichen Dienst in der Entgeltgrunde 2012 noch habe die geforderte
Mobilitätszulage Entgeltcharakter. Diese pauschaliere ohne Bezug zum
Entgeltsystem der bestehenden Tarifverträge einen Aufwand, den die
Beschäftigten in S. hätten. Der Aufwand ergebe sich aus dem höheren
Mietzinsniveau im Ballungsraum der Stadt S. bzw. einem erhöhten
Fahrtkostenaufwand bei einem Wohnsitz außerhalb des Stadtgebietes. Hinzu
komme, das die Gewinnung qualifizierten Personals aus dem Bundesgebiet nur
möglich sei, wenn der Aufwand eines Umzuges und die höheren
Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden.
24 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 62 II ArbGG, §
313 II 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, soweit
sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Niederschrift
über den Kammertermin verwiesen.
Entscheidungsgründe
25 Der Antrag auf Erlass der angestrebten einstweiligen Verfügung ist zulässig (dazu
unter A) und in der Sache überwiegend begründet (dazu unter B.).
A.
I.
26 Das Arbeitsgericht Stuttgart ist örtlich zuständig. § 62 Abs. 2 ArbGG § 32 ZPO.
27 1. Der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO ist
gegeben. Danach ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht
zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist bzw. unterbleiben soll.
Begehungsort ist hierbei sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt hat
(Handlungsort) als auch derjenige Ort, an dem das geschützte Rechtsgut
eingegriffen wird. Dies ist Stuttgart, da die Verfügungsbeklagte zur Durchführung
eines Warnstreiks, der nach Auffassung der Verfügungskläger rechtswidrig ist,
aufgerufen hat. Außerdem kündigte die Verfügungsbeklagte ernsthafte weitere
Arbeitskampfmaßnahmen an. Damit begründen die Verfügungskläger einen nach
ihrer Ansicht gegebenen vorbeugenden Unterlassungsanspruch.
28 2. Die Anträge erweisen sich als hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2
ZPO.
29 a) Für den Klagantrag zu 1 ergibt sich dies ohne weiteres aus der konkret
bezeichneten Verpflichtung, die dem Verfügungsbeklagten durch das Gericht
auferlegt werden soll.
30 b) Auch der mit dem Klageantrag zu 3 verfolgte Unterlassungsantrag ist
hinreichend bestimmt. Ein Unterlassungsantrag muss aus rechtsstaatlichen
Gründen eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. Dieser
muss wissen, in welchen Fällen gegen ihn als Sanktion ein Ordnungsgeld
verhängt werden kann. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner
unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen
dem entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das
Vollstreckungsverfahren verlagert werden ( st. Rspr. vgl. BAG vom 24. April 2007 –
1 AZR 252/6 - juris).
31 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es im Rahmen von einstweiligen Verfügungen
im Arbeitskampf eines weiter reichenden Maßstabs bezüglich der Bestimmtheit
des Antrages bedarf, als dies ansonsten der Fall sein mag. Die jeweiligen
Handlungen oder Unterlassungen betreffen regelmäßig ein komplexes
Geschehen, das ständigen Veränderungen – je nach konkreten Ausgestaltungen
der verschiedenen Kampfhandlungen - unterliegen kann. Das Gebot der
Gewährung von effektivem Rechtsschutz steht in diesen Fällen einer zu engen
Auslegung und Anwendung des Bestimmtheitserfordernisses entgegen. Dem
Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 ZPO wird genüge getan, wenn sich aus
dem Antrag und der in der Begründung dargestellten tatsächlichen
Fallgestaltungen ergibt, welche Handlungen unterlassen werden sollen und wenn
diese für den Antragsgegner hinreichend erkennbar sind. ( LAG Berlin Urteil vom
24.10.2007 7 SaGa 2044/07 - juris).
32 Diesen Anforderungen wird der Antrag im Streitfall gerecht. Sowohl der Aufruf zu
allen Arten der arbeitskampfbedingten Arbeitsniederlegung als auch die
Durchführung von Arbeitsniederlegungen mit dem Ziel, einen Bezirkstarifvertrag
über die Gewährung einer Mobilitätszulage soll mit dem im Antrag genannten
Begehren unterlassen werden. Damit weiß der Verfügungsbeklagte mit
hinreichender Klarheit, was von ihm verlangt wird.
33 c) Darüber hinaus ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf
nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich zulässig (in der Literatur z. B. Kissel,
Arbeitskampfrecht, § 65 Rdnr. 9 m.w.N.; in der Rechtsprechung z. B. LAG Baden
Württemberg 31.3. 2009 2 SaGa 1/09 - juris; Sächsisches LAG 02.11.2007 - 7
SaGa 19/07 - juris).
B.
34 Die Verfügungskläger haben gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf
Unterlassung von Aufrufen zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen
Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung eines Bezirkstarifvertrages über die
Gewährung einer Mobilitätszulage sowie der Durchführung derselben im Zeitraum
bis zum 28.2.2014 (dazu unter I.) und auf Widerruf des für den 12.6.2013
ergangenen Streikaufrufs (dazu unter II.). Eine Androhung eines Zwangsmittels für
den Fall der Nichtvornahme der mit dem Antrag 1 begehrten Handlungspflicht
findet nicht statt (dazu unter III.).
I.
35 Sollen Arbeitskampfmaßnahmen untersagt werden, ist nach § 62 Abs. 2 ArbGG §§
935, 940 ZPO Voraussetzung für den Erlass einer entsprechenden
Untersagungsverfügung, dass ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund
vorliegen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
36 1. Grundsätzlich ist das Streikrecht durch Art 9 Abs 3 GG garantiert. Dieses in der
Verfassung verankerte Recht schützt allerdings nur den rechtmäßigen
Arbeitskampf. Deshalb können Streikmaßnahmen im einstweiligen
Verfügungsverfahren nur dann untersagt werden, wenn sie rechtswidrig sind und
dies glaubhaft gemacht ist. Bei einer Unterlassungsverfügung, wie im vorliegenden
Fall, ist der Verfügungsanspruch ein Unterlassungsanspruch, der sich entweder
aus der tarifvertraglichen Friedenspflicht, dem Recht auf Durchführung eines
Arbeitskampfes aus Art. 9 Abs. 3 GG unter Berücksichtigung der durch die
Rechtsprechung gezogenen Grenzen sowie den Regelungen der §§ 823 Abs. 1
BGB und 1004 BGB (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb) ergeben kann. Neben dem Verfügungsanspruch setzt der Erlass
einer einstweiligen Verfügung als Verfügungsgrund voraus, dass die Gefahr des
endgültigen Rechtsverlustes besteht. Hier ist eine Interessenabwägung der
beteiligten Parteien vorzunehmen, in die sämtliche in Betracht kommenden
materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die
wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind (LAG Baden
Württemberg 31.03.2009 2 SaGa 1/09; LAG Köln 14.06.1996 - 4 Sa 177/96 - juris).
Hierbei kann neben der Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage auch von
Bedeutung sein, dass ein Schadenersatzanspruch gemäß § 945 ZPO bei einem
Erfolg des Verfügungsgegners im Hauptprozess nicht in der Lage ist, die
entstandenen Nachteile auszugleichen. Auch muss bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt werden, welchen Umfang die gestellten Anträge haben. Anträge, die
den Arbeitskampf insgesamt verhindern sollen, greifen in die grundgesetzlich
geschützten Rechtspositionen des Verfügungsgegners so stark ein, dass der
Kernbereich des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG gefährdet sein kann. Wegen
des zeitlich begrenzten Rahmens von Arbeitskampfmaßnahmen führt in der Regel
ihre Untersagung auch zu einer endgültigen Entscheidung. Dies gebietet, dass
Einschränkungen der Kampfmöglichkeiten der Parteien im Arbeitskampf durch
einstweilige Verfügung nur in ganz seltenen Fällen vorgenommen werden. (LAG
Baden Württemberg 31.03.2009 2 SaGa 1/09 - juris).
37 2. Vorliegend verstößt der von dem Verfügungsbeklagten ausgerufene
Arbeitskampf gegen die relative Friedenspflicht, die aus den zwischen den
Parteien geltenden Tarifverträgen folgt. Die Tarifvertragsparteien haben in der
Entgeltrunde 2012 durch Abschluss der Änderungstarifverträge Nr. 7 vom 31. März
2012 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sowie zum Tarifvertrag zur
Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur
Regelung des Übergangsrechts sowie den Änderungstarifvertrag Nr. 4 vom 31.
März 2012 zum Tarifvertrag für Auszubildenden des öffentlichen Dienstes -
besonderer Teil BBiG- und dem Änderungstarifvertrag Nr. 5 zum Tarifvertrag für
Auszubildende des öffentlichen Dienstes-besonderer Teil Pflege- abschließende
Regelungen zur Höhe der Vergütung der Beschäftigten der Verfügungsklägerin zu
1 getroffen (dazu unter a)). Die von dem Verfügungsbeklagten erhobene
Tarifforderung auf Zahlung einer Mobilitätszulage ist entgegen der Bezeichnung
des Verfügungsbeklagten keine Zahlungsforderung, welche auf einen „
Aufwendungsersatz“ gerichtet ist, sondern eine Entgeltforderung (dazu unter b)).
38 a) Die tarifvertragliche Friedenspflicht führt zu einem Arbeitskampfverbot für die
Tarifvertragsparteien und stellt damit der Sache nach eine Einschränkung der
verfassungsrechtlich garantierten Kampffreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG dar. Die
Friedenspflicht beinhaltet die schuldrechtliche Verpflichtung der
Tarifvertragsparteien, während der Laufzeit des Tarifvertrages keine Arbeitskämpfe
zu führen und schützt Ihre Mitglieder davor, hinsichtlich der tariflich geregelten
Materie mit Arbeitskampfmaßnahmen überzogen zu werden (BAG Urteil vom
19.06.2007-1 AZR 396/06 - juris). Im Gegensatz zur absoluten Friedenspflicht, die
die Verpflichtung der Parteien enthält, jegliche Kampfmaßnahmen ohne Rücksicht
auf das angestrebte Ziel zu unterlassen, bezieht sich die relative Friedenspflicht
ausschließlich auf den konkreten Inhalt des Tarifvertrages und untersagt nur
solche Kampfmaßnahmen, die sich gegen den Bestand des geltenden
Tarifvertrages oder gegen einzelne seiner Bestimmungen richten. Sie verbietet es
den Tarifvertragsparteien, einen bestehenden Tarifvertrag inhaltlich dadurch
infrage zu stellen, dass sie Änderungen oder Verbesserungen der vertraglich
geregelten Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfes durchzusetzen versuchen
(BAG Urteil vom 19.06.2007 1 AZR 396/06 - juris).
39 Daraus ergibt sich, dass auch der verbandsangehörige Arbeitgeber durch die sich
aus den Verbandstarifverträgen ergebende Friedenspflicht gegen einen Streik
geschützt ist, der auf den Abschluss von Firmentarifverträgen über dieselbe
Regelungsmaterie gerichtet ist. Die Friedenspflicht muss nicht besonders
vereinbart werden. Sie ist vielmehr dem Tarifvertrag als einer Friedensordnung
immanent. Der Tarifvertrag ist in seinem schuldrechtlichen Teil, zu dem die
Friedenspflicht gehört, zugleich ein Vertrag zugunsten Dritter und schützt die
Mitglieder der Tarifvertragsparteien davor, hinsichtlich der tariflich geregelten
Materie mit Arbeitskampfmaßnahmen überzogen zu werden. Dies gilt auch, wenn
gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ein Firmentarifvertrag erstreikt
werden soll (BAG Urteil vom 10.12.2002 Az.: 1 AZR 96/02, 21. Dezember 1982 1
AZR 411/80 - juris).
40 (1) Welcher gegenständliche Bereich durch die Friedenspflicht geschützt ist, ist
durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist festzustellen, welche Sachverhalte die
Tarifvertragsparteien normativ regeln und damit der Friedenspflicht unterstellen
wollten. Die Auslegung des normativen Teils richtet sich nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes nach den für die Auslegung von
Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Wortlaut und dem durch ihn
vermittelten Wortsinn. Bei nicht eindeutigem Wortsinn ist der wirkliche Wille der
Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen
seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der
Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend
ermittelt werden können. Soweit Zweifel verbleiben können weitere Kriterien wie
die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages und die praktische Tarifübung
ergänzend herangezogen werden (BAG Urteil vom 19.11.2008 Az. 10 AZR 658/07
- juris).
41 (2) Die Anwendung dieser Auslegungsregeln ergibt im vorliegenden Fall, das die
Tarifvertragsparteien durch Abschluss des TVöD und der o. g. Änderungsverträge
im Frühjahr 2012 die Entgeltansprüche der tarifgebundenen Beschäftigten
abschließend geregelt haben.
42 aa) Im TVöD Allgemeiner Teil (§§ 12 - 25 Abschnitt III Eingruppierung, Entgelt und
sonstige Leistungen) ist das Entgelt der Beschäftigten geregelt. § 15 TVöD
bestimmt, dass die/der Beschäftigte monatlich ein Tabellenentgelt erhält. Die
Höhe bestimmt sich nach der Entgeltgruppe, in die sie/er eingruppiert ist, und
nach der für sie/ihn geltenden Stufe. Nach Absatz 2 erhalten die Beschäftigten der
Mitglieder eines Mitgliedverbandes der VKA im Tarifgebiet West Entgelt nach
Anlage A (VKA). § 18 TVöD -VKA enthält Regelungen zum Leistungsentgelt, § 19
TVöD zu Erschwerniszulagen, § 20 TVöD zur Jahressonderzahlung. Daraus
ergibt sich eine nach dem Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang der
tariflichen Regelungen abschließende Behandlung der den Beschäftigten für die
Tätigkeit geschuldeten Vergütung.
43 bb) Auch der Blick auf die Vorgängerregelungen des BAT und des BMT-G zeigt,
dass die Tarifvertragsparteien von einem umfassenden Vergütungsbegriff im
TVöD ausgegangen sind. Der TVöD ist im Verhältnis zum den
Vorgängerregelungen (BAT und BMT-G nebst den Vergütungstarifverträgen) ein
völlig neu gestalteter Tarifvertrag, der die Vergütung der Beschäftigten (Arbeiter
und Angestellte) einheitlich regelt. Diese setzt sich zusammen aus dem
Tabellenentgelt, dessen Höhe sich nach der Entgeltgruppe bestimmt, in der
die/der Beschäftigte eingruppiert ist und nach der für sie/ihn geltenden Stufe (§ 15
TVöD) und einem Leistungsentgelt (§ 18 TVöD). Darüber hinaus sieht § 19 TVöD
auch die Zahlung von Erschwerniszuschlägen vor. Damit wird ein auf Qualifikation
und Leistung ausgerichtetes Entgeltsystem geschaffen. Die bis dahin
weitergehend gewährten tariflichen Zulagen (§ 33 BAT) oder den Ortszuschlag ( §
29 BAT) gibt es nach diesem neuen System nicht mehr.
44 c) Die von dem Verfügungsbeklagten erhobene Klageforderung auf Zahlung einer
Mobilitätszulage von 180 EUR/monatlich an jeden Beschäftigten der
Verfügungsklägerin zu 1 verstößt gegen die relative Friedenspflicht, weil sie eine
Entgeltforderung zum Gegenstand hat.
45 Maßgeblich für die Bestimmung des Inhalts der mit einem Streik verfolgten Ziele
sind die dem Gegner in Form des konkreten von den dazu legitimierten Gremien
der Gewerkschaft getroffenen Streikbeschlusses übermittelten Tarifforderungen
(BAG Urteil vom 24.04.2007 1 AZR 252/06 – juris m.w.N.).
46 (1) Nach den gesamten Umständen ist davon auszugehen, dass der
Streikbeschluss der Verfügungsbeklagten inhaltlich den Tarifforderungen
entsprach, die sie mit Schreiben vom 5.3.2013 (ABl. 101) gegenüber der
Verfügungsklägerin zu 1 und mit Schreiben vom 22.3.2013 (ABl. 104) gegenüber
der Verfügungsklägerin zu 2 ausgehend von den Begründungen in den „Mobil-
Nachrichten“ zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über eine "Mobilitätszulage"
übermittelt hatte. Diese sind ergänzend in dem Orientierungsgespräch am
2.5.2013 weiter erläutert worden, so dass für die Verfügungskläger hinreichend
deutlich erkennbar war, es werde um dieses Ziel gekämpft. Der Streikbeschluss
hat danach das Verlangen nach einer Regelung einer Mobilitätszulage in Höhe
von 180 EUR/mtl. zum Inhalt.
47 (2) Die Rechtsnatur dieser Forderung als Entgeltforderung ergibt sich
insbesondere aus der Begründung des Verfügungsbeklagten. Diese wird im Kern
mit den im Vergleich zu den übrigen Regionen höheren Lebenshaltungskosten im
Gebiet der Stadt S., einem sog. Ballungsraum begründet. Sie ist als
Entgeltregelung im Sinne der Regelungen des TVöD zu qualifizieren. Soweit die
Forderung Erfolg hätte, wäre die Folge, dass allen Beschäftigten unabhängig von
ihrer tariflichen Eingruppierung und des Umfanges ihrer Tätigkeit eine
Basisvergütung aufgrund des Bestehens des Arbeitsverhältnisses mit der
Verfügungsklägerin zu 1 in Höhe von180 EUR /mtl. zustehen würde, zu der die
nach den Regelungen des TVöD die weitere Vergütung hinzukäme. Diese Form
der Vergütung, unerheblich ob diese als Aufwendungsersatz oder Zulage
bezeichnet wird und die auf verschiedensten Zwecksetzungen beruhen kann,
ändert grundsätzlich nichts an der Qualifizierung der Zahlung als Entgelt.
48 (3) Soweit die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung vor der
Kammer ergänzend erklärt hat, es handele sich in der Sache um einen
Aufwendungsersatz wegen der erhöhten Kosten der Lebenshaltung vermochte
die Kammer dieser Argumentation nicht zu folgen. Richtig ist, dass Leistungen des
Arbeitgebers zum Ersatz von Aufwendungen des Arbeitnehmers im
Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung kein Arbeitsentgelt sind.
Fallen für einen Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit
finanzielle Aufwendungen/Spesen an, so hat er insofern gegenüber dem
Arbeitgeber gem. §§ 670, 675 BGB Anspruch auf Erstattung, sofern nicht
vertraglich die Abgeltung dieser Ausgaben durch das Entgelt vorgesehen ist.
Erstattungsfähig sind nur die Aufwendungen, die der Arbeitsausführung dienen,
sich also als Folge einer Arbeitgeberweisung darstellen (vgl. aber § 665 BGB). Um
derartige Aufwendungen handelt es sich bei den durch den Verfügungsbeklagten
geltend gemachten Mehrbelastungen der Beschäftigten der Verfügungsklägerin
zu 1 erkennbar nicht. Deren Mehrbelastungen haben ihren Grund vielmehr im
privaten Lebensbereich und stehen nicht im Zusammenhang mit der
Arbeitsausführung auf Weisung der Verfügungsklägerin zu 1.
49 (4) Der Hinweis des Verfügungsbeklagten auf eine vergleichbare Regelung im
Geltungsbereich des TVöD (sog. M.zulage), ergibt keine andere Bewertung. Bei
dieser handelt es sich um eine Entgeltregelung, die im Übrigen nicht während der
Laufzeit einer bestehenden Entgeltregelung mit Arbeitskampfmitteln durchgesetzt
werden soll.
50 3. Der Unterlassungsanspruch steht neben der Verfügungsklägerin zu 1 als von
den Streikmaßnahmen betroffenem Arbeitgeber auch der Verfügungsbeklagten zu
2 zu. Auch ein Arbeitgeberverband kann sich gegen rechtswidrige Streiks einer
Gewerkschaft mit Unterlassungsansprüchen aus eigenem Recht zur Wehr setzen.
51 Ein Arbeitgeberverband hat gegen eine Gewerkschaft nach § 1004 Abs. 1 BGB mit
§ 823 Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG einen eigenen Anspruch auf Unterlassung
rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen gegen eines seiner Mitglieder (BAG Urteil
vom 24.04.2007 1 AZR 252/06 – juris m.w.N.). Auf das Doppelgrundrecht der
Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG können sich auch die Koalitionen selbst
berufen. Es schützt die Freiheit einer Koalition in ihrem Bestand, ihrer
organisatorischen Ausgestaltung und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung
(BVerfG 10. September 2004 - 1 BvR 1191/03 -; BAG 19. September 2006 - 1 ABR
53/05 - juris). Zur koalitionsspezifischen Betätigung gehört der Abschluss von
Tarifverträgen, durch die tariffähige Koalitionen die Arbeitsbedingungen ihrer
Mitglieder in eigener Verantwortung ordnen. Durch rechtswidrige
Arbeitskampfmaßnahmen wird das Recht der gegnerischen Koalition auf
koalitionsmäßige Betätigung in unzulässiger Weise verletzt (BAG 26. April 1988 - 1
AZR 399/86 - aaO) .
52 Damit ist auch der Verfügungskläger zu 2 in seinen Rechten durch den erfolgten
Aufruf zum Streik und der drohenden Durchführung der angekündigten Streiks
betroffen. Er ist der Arbeitgeberverband, dessen Dachorganisation den TVöD
abgeschlossen hat.
53 4. Der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund
liegt vor. Wie bereits in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht,
kommt eine - auch nur vorübergehende - Untersagung eines Arbeitskampfes nur in
Ausnahmefällen in Betracht, da durch Erlass einer einstweiligen Verfügung für den
Untersagungszeitraum der Streit regelmäßig abschließend entschieden wird und
das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG tangiert ist. Allerdings ist im zu
entscheidenden Fall zu berücksichtigen, dass sich der Verfügungsanspruch aus
der Verletzung der tariflichen Friedenspflicht ergibt, mit der die Tarifvertragsparteien
autonom sich einer Beschränkung ihrer aus Art. 9 Abs. 3 GG resultierenden
Grundrechtsposition unterworfen haben.
54 a) Ein Verfügungsgrund ist nur zu bejahen, wenn aufgrund einer umfassenden
Interessenabwägung schwerwiegende Interessen für den Erlass einer
einstweiligen Verfügung sprechen (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,
ArbGG, 7. Aufl., § 62 RdNr. 114).
55 (1) An der Rechtswidrigkeit der von dem Verfügungsbeklagten gegenüber dem
Verfügungskläger zu 1 eingeleiteten und beabsichtigten Arbeitskampfmaßnahmen
gibt es für den Untersagungszeitraum keine vernünftigen Zweifel. In den Fällen der
Verletzung der tariflichen Friedenspflicht ist deshalb dem Antrag auf Untersagung
von Streikaufrufen im Wege der einstweiligen Verfügung regelmäßig stattzugeben.
Wird ein rechtswidriger Arbeitskampf nicht untersagt und deshalb durchgeführt,
nützt es dem vom Arbeitskampf Betroffenen wenig, wenn später in einem
etwaigen Hauptsacheverfahren die Rechtswidrigkeit festgestellt wird.
56 (2) Die durch den Warnstreik hervorgerufenen Nachteile bestehen in dem zu
befürchtenden teilweisen - Ausfall von Pflegeleistungen im Klinikum S., von
Betreuungsleistungen in den Kindergärten und Kindertagesstätten sowie
sonstigen Dienstleistungen der Beschäftigten der Verfügungsklägerin zu 1 die,
anders als Produktionsleistungen, nicht nachholbar sind. Für die
Verfügungsklägerin zu 1 würde sich damit ein endgültiger Rechtsverlust
realisieren.
57 (3) Für den Verfügungskläger zu 2 ergeben sich die schwerwiegenden Nachteile
aus der Beeinträchtigung der koalitionsmäßigen Betätigung, die entwertet würde,
soweit Streikmaßnahmen gegen verbandsangehörige Arbeitgeber während der
Laufzeit bestehender Tarifverträge stattfinden könnten.
58 b) Die Untersagung zum Aufruf zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen
Arbeitsniederlegungen im tenorierten Umfang hatte bis zum Ablauf der sich aus
den bestehenden Tarifverträgen ergebenden Friedenspflicht zu erfolgen. Der
Verfügungsbeklagte hat im Streikbeschluss zwar zunächst nur Warnstreiks am 12.
und 19.6.2013 beschlossen. Da er die geforderte Unterlassungserklärung nicht
abgegeben hat und die erhobene Forderung nicht als unter die relative
Friedenspflicht einzuordnende Entgeltregelung versteht sind weitere Streikaufrufe
zu erwarten. Dieses rechtfertigt eine Untersagung weiterer
Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung einer Mobilitätszulage bis zum
28.2.2014.
59 Die Berücksichtigung vorgenannter Gesichtspunkte führen zur Bejahung des
Verfügungsgrundes.
60 5. Nach § 890 Abs 2 ZPO war dem Verfügungsbeklagten für den Fall der
Zuwiderhandlung gegen den titulierten Unterlassungsanspruch ein Ordnungsgeld
anzudrohen.
61 Die Voraussetzungen für eine Androhung eines Ordnungsmittels liegen vor. Zwar
ist erforderlich, dass für den Antrag des Gläubigers nach § 890 Abs. 2 ZPO auf
Androhung eines Zwangsmittels ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen muss, weil
auch die Androhung bereits ein Akt der Zwangsvollstreckung darstellt
(Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 890 Rz 11 ff. m.w.N.). Dieses Bedürfnis ergibt sich
aber in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich schon aus der Titulierung des
Unterlassungsanspruches im Urteil. Ferner setzt die Zwangsvollstreckung wegen
eines Unterlassungsanspruchs die Androhung der Ordnungsmaßnahmen durch
das Prozessgericht gemäß § 890 Abs. 2 ZPO voraus. Das berechtigte Interesse
des Gläubigers, auf diese Weise die formellen Voraussetzungen einer etwa
erforderlichen Vollstreckung zu schaffen, folgt in aller Regel schon aus dem
titulierten Unterlassungsanspruch und aus der ständigen Möglichkeit einer
Zuwiderhandlung selbst, ohne dass es dafür einer zusätzlichen Begründung
bedarf und ohne dass die Erfolgsaussicht einer Zwangsvollstreckung für den
gegenwärtigen Zeitpunkt zu beurteilen wäre. Die bloße Androhung setzt eine
Zuwiderhandlung oder sonst ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nicht voraus
(Zöller/Stöber, a.a.O.,). Soweit die Verfügungskläger statt eines „Ordnungsgeldes“
ein „Zwangsgeld“ zum Gegenstand des Antrages gemacht haben liegt lediglich
eine unschädliche Falschbezeichnung vor.
II.
62 Die Verfügungsbeklagte ist verpflichtet, den am 7.6.2013 veröffentlichen Aufruf zu
einem Warnstreik am 12.6.2013 zu widerrufen. Der Anspruch auf Widerruf eines
Streikaufrufs ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 1004 BGB.
63 Mit dem begehrten Widerruf des Streikaufrufs verfolgen die Verfügungskläger ihren
Anspruch auf Beachtung der tariflichen Friedenspflicht. Dieses Ziel wird durch die
Verpflichtung der Verfügungsbeklagten erreicht, auf die zum Streik aufgerufenen
Arbeitnehmer einzuwirken, um den für den 12.06.2013 geplanten Warnstreik zu
unterlassen. Eine Gewerkschaft, die zum Streik aufruft, ist verpflichtet, das
Kampfverhalten der Arbeitnehmer zu beobachten und gegebenenfalls auf diese
dahin einzuwirken, dass die Grenzen eines zulässigen Arbeitskampfes und
einzelne Arbeitskampfmaßnahmen nicht überschritten werden (vgl. BAG vom
21.06.1988,1 AZR 651/86 - juris). Diese Verpflichtung gilt nicht nur für das „wie“
des Arbeitskampfes, sondern auch ob der Arbeitskampf überhaupt wie von der
Gewerkschaft geplant durchzuführen ist. Im übrigen ergibt sich die
Schutzbedürftigkeit der Verfügungskläger aus dem Umstand, dass grundsätzlich
die Arbeitspflichten der Arbeitnehmer bei einem von einer Gewerkschaft
ausgerufenen Streik bei einer Teilnahme am Arbeitskampf suspendiert sind. Ein
Fernbleiben vom Arbeitsplatz kann in diesen Fällen, selbst wenn sich der
Arbeitskampf im Folgenden als rechtswidrig erweist, nicht als
Vertragspflichtverletzung sanktioniert werden.
III.
64 Der Klageantrag Ziffer 3 ist unbegründet.
65 Bei der Verpflichtung zum Widerruf handelt es sich um eine nicht vertretbare
Handlung im Sinne von § 888 ZPO bei der kraft gesetzlicher Anordnung nach §
888 Abs 2 ZPO keine Androhung der Zwangsmittel stattfindet.
66
Nebenentscheidungen
67 1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 II ArbGG, 92, 100, 269 Abs 3 ZPO.
Sie sind von den Verfügungsklägern zu tragen, soweit sie die Anträge 3,4 und 7
aus dem Schriftsatz vom 7.6.2013 zurückgenommen haben. Den Wert der
zurückgenommenen Anträge hat die Kammer mit 50.000 EUR (2 x 25.000EUR)
angenommen, § 3 ZPO. Soweit die Verfügungskläger unterlegen sind
(Klageantrag Ziffer 2) war dem Antrag kostenrechtlich kein gesonderter Wert
zuzuordnen. Die Kosten waren auf die Verfügungskläger nach Kopfteilen zu
verteilen, § 100 Abs 1 ZPO. Im Übrigen hat der Verfügungsbeklagte die Kosten
des Rechtsstreites zu tragen da er mit den weiteren Anträgen (Wert: Antrag 1:
50.000 EUR (2 x 25.000EUR); Antrag 3: 200.000 EUR (2 x 100.000EUR)) im
Rechtsstreit unterlegen ist. Es ergibt sich die Kostenquote, die im Tenor
ausgeurteilt ist.
68 2. Die Streitwertentscheidung ist nach § 61 Abs. 1 ArbGG in den Urteilstenor
aufzunehmen. Der insoweit zu bildende Rechtsmittelstreitwert ergibt sich aus dem
Wert der Klageanträge, über die im vorliegenden Urteil eine Entscheidung
ergangen ist. Dieser beträgt 300.000 EUR, § 3 ZPO.
69 3. Eine Entscheidung über die Berufungszulassung ist nach § 64 Abs. 3a. S. 1
ArbGG in den Urteilstenor aufzunehmen. Gründe für eine Zulassung der Berufung
durch das Arbeitsgericht nach § 64 Abs. 3 ArbGG liegen nicht vor, weshalb es bei
einer Zulässigkeit der Berufung in den vom Gesetz angeordneten Fällen nach § 64
Abs. 2 ArbGG verbleibt.