Urteil des ArbG Stuttgart vom 05.07.2016

mobbing, tarifvertrag, ausschluss der haftung, qualifiziertes arbeitszeugnis

ArbG Stuttgart Urteil vom 5.7.2016, 30 Ca 7767/15
Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings - Tarifliche Ausschlussfrist - Geltung kraft
arbeitsvertraglicher Bezugnahme - kein Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB
Leitsätze
1. Die Ausschlussfrist gem. § 37 TVöD erfasst unabhängig von der Anspruchsgrundlage auch Schadens- und
Schmerzensgeldansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen und Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (hier: Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings) (in Anlehnung an BAG 16. Mai 2007 - 8
AZR 709/06 -).
2. Das gilt auch dann, wenn die tarifliche Ausschlussfrist kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das für das
Arbeitsverhältnis einschlägige Tarifwerk als Ganzes zur Anwendung kommt. § 202 BGB steht dem nicht
entgegen (offen gelassen in BAG 18. August 2011 - 8 AZR 187/10 - Rn. 37 und 20. Juni 2013 - 8 AZR 280/12 -
Rn. 24).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Zahlung eines Schmerzensgeldes (Mobbingklage).
2 Der im November 1952 geborene Kläger war vom 01.06.2010 bis zum 31.05.2016 bei der beklagten Stadt
(im Folgenden: Beklagte) beschäftigt. Der Kläger ist schwerbehindert. Er war zuletzt Mitglied des
Personalrats. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der Arbeitsvertrag vom 18.05.2010 (Anl. K 1, Bl. 11 ff.
d. Akten). § 2 des Arbeitsvertrages enthält eine Bezugnahmeklausel auf die für die Beklagte einschlägigen
Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (im Folgenden: TVöD) im Bereich der kommunalen Arbeitgeber (VKA).
Die Bezugnahmeklausel hat folgenden Wortlaut:
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„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und dem
Besonderen Teil Verwaltung und dem diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifvertrag in der
für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung
einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den
TVöD und zur Regelung der Übergangsrechts (§ 1 Abs. 2 TVÜ-VKA). Außerdem finden die im Bereich des
Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.“
4 § 37 TVöD enthält eine Ausschlussfrist. Die Tarifnorm lautet wie folgt:
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„(1) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von
sechs Monaten nach Fälligkeit von der/dem Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht
werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später
fällige Leistungen aus.
(2) Absatz 1 gilt nicht für Ansprüche aus einem Sozialplan.“
6 Die Beklagte stellte den Kläger am 18.11.2014 zur Überprüfung von - streitigen - Verstößen gegen
dienstliche Anweisungen und Hinweise auf ein unangemessenes Verhalten zunächst von der Arbeitsleistung
frei. Mit Schreiben vom 29.12.2014 beendete die Beklagte die Freistellung und sprach dem Kläger eine
Abmahnung aus (Anl. K 3, Bl. 15 - 21 d. Akten). Gegenstand der Abmahnung sind (1) Verstöße gegen die
Dienstanweisung Parkscheinautomat, (2) Ignorieren der Anweisungen von Vorgesetzten und herablassende
Äußerungen zu deren Anweisungen, (3) Beschwerden von Bürgern über das Verhalten des Klägers, (4)
Aufbewahrung von Geld aus Parkscheinautomaten in einer Extra-Mappe, (5) Nichtbeachtung von Vorgaben
am Arbeitsplatz und öffentliche Kritik und (6) persönliches Verhalten gegenüber Mitarbeiterinnen. Der Kläger
verlangte in dem unter dem Aktenzeichen 29 Ca 1393/15 geführten Rechtsstreit die Entfernung der
Abmahnung aus der Personalakte. In dem Rechtsstreit begründete die Beklagte die abgemahnten
Pflichtverletzungen trotz Auflage des Gerichts (Bl. 28 d. Akten im Verfahren 29 Ca 1393/15) nicht und
stellte diese auch nicht unter Beweis. Die Parteien schlossen im Kammertermin am 30.09.2015 einen
Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beinhaltete. Der Vergleich hat folgenden Wortlaut
(Anl. K 2, Bl. 13 f. d. Akten):
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„1. Die Parteien stellen außer Streit, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem 31.05.2016 enden wird.
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2. Wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an den Kläger eine Sozialabfindung in Höhe
von 20.000,-- EUR brutto gemäß den §§ 9, 10 KSchG.
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3. Die Beklagte stellt den Kläger ab 09.11.2015 unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Bezüge und
Anrechnung etwaiger Resturlaubs- und sonstiger Freizeitansprüche unwiderruflich von der Arbeitsleistung
frei.
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Die Beklagte wird eine entsprechende Bescheinigung des behandelnden Arztes des Klägers, dass die
Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt ist, akzeptieren.
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4. Es bleibt dem Kläger vorbehalten, das Arbeitsverhältnis von sich aus vorzeitig zu beenden. Der Kläger
hat diese vorzeitige Beendigung mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche gegenüber der Beklagten
mitzuteilen. Die von der Beklagten zu zahlende Abfindung erhöht sich sodann um die ersparten Beträge.
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5. Die Beklagte erstellt dem Kläger zum 31.05.2016 ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis mit der
Gesamtbeurteilungsnote "gut". Dieses beinhaltet auch eine entsprechende Dankes-, Bedauernsformel und
eine Abschlussformel mit guten Wünschen für die Zukunft.
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6. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.
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7. Dieser Vergleich wird wirksam, wenn er nicht seitens der Beklagten widerrufen wird durch schriftliche
Anzeige beim Arbeitsgericht Stuttgart bis zum 23.10.2015.“
15 Der Kläger erbrachte in den Jahren 2015 und 2016 zunächst wegen Arbeitsunfähigkeit und anschließend
wegen der mit Ziff. 3 des Prozessvergleichs erfolgten Freistellung keine Arbeitsleistung mehr.
16 Der Kläger war als Vollzugsbediensteter bei der Beklagten beschäftigt. Zuständige Sachgebietsleiterin und
damit unmittelbare Fachvorgesetzte des Klägers war zuletzt Frau Z.. Weiterer Vorgesetzter des Klägers war
Herr B., dem als Amtsleiter ua. der Bereich „Öffentliche Ordnung“ unterstellt ist (im Folgenden: Amtsleiter
B.). Personalamtsleiter ist Herr D. (im Folgenden: Personalamtsleiter D.). In der Abteilung des Klägers waren
zuletzt Frau L., die auf Grund körperlicher Einschränkungen nur im Innendienst mit kleinen und einfachen
Büroarbeiten beschäftigt werden kann, Frau Ba. zur Überwachung des ruhenden Verkehrs (sog. „Politesse“)
und die Mitarbeiter W. und Baq. als geringfügig Beschäftigte tätig, die nach Absprache abends und an
Wochenenden den Streifendienst wahrnehmen.
17 Der Kläger begehrt mit der Klage die Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen fortgesetzter
Mobbinghandlungen. Die Klage beruht auf Sachverhalten in der Zeit von August 2013 bis Dezember 2014.
Der Kläger hatte die Beklagte mit Schreiben vom 16.09.2015 unter Fristsetzung bis zum 30.09.2015
erfolglos zur Zahlung des begehrten Schmerzensgeldes aufgefordert (Anl. K 4, Bl. 22 ff. d. Akten).
18 Der Kläger trägt vor:
19 Er habe im August 2013 aus gesundheitlichen Gründen eine dreiwöchige Kur antreten müssen. Diese
Maßnahme sei auf Einschreiten des Amtsleiters B. und des Personalamtsleiters D. um zwei Wochen
verschoben worden.
20 Er sei im Rahmen seiner Tätigkeit von Juni 2010 bis Oktober 2014 mit der Bearbeitung von sogenannten
Sondergenehmigungen sowie verkehrsrechtlichen Anordnungen betraut gewesen. Ab März 2014 habe die -
neu eingestellte - Sachgebietsleiterin Z. eine Gegenzeichnungspflicht für sämtliche von ihm ausgearbeiteten
Genehmigungen und Anordnungen angeordnet. Diese Vorlagepflicht habe nur ihm gegenüber gegolten. Es
gebe bei der Beklagten kein generelles „Vier-Augen-Prinzip“.
21 Im Mai 2014 habe sich der Amtsleiter B. als Vorgesetzter geweigert, die Anmeldung zu einer Schulung als
Personalratsmitglied zu unterzeichnen. Bei einer weiteren Personalrätin sei dies ohne weiteres erfolgt. Die
Unterzeichnung sei letztlich durch den Personalamtsleiter D. erfolgt.
22 Er habe im August 2014 zeitgleich mit einer Kollegin einen Urlaubsantrag beim Amtsleiter B. eingereicht.
Während der Urlaubsantrag seiner Kollegin unverzüglich bearbeitet worden sei, sei sein Urlaubsantrag trotz
mehrfacher Nachfrage über Wochen hinweg nicht bearbeitet worden.
23 Er sei im September 2014 von der Sachgebietsleiterin Z. angewiesen worden, Tages-und Wochenpläne zu
erstellen. Er sei der einzige Mitarbeiter im Außendienst gewesen, der eine solche Weisung erhalten habe.
Die Anordnung sei nach Rücksprache mit dem Amtsleiter B. erfolgt.
24 Im September 2014 habe der Amtsleiter B. angewiesen, dass er die von ihm während der Dienstzeit mit
dem Dienstwagen zurückgelegten Kilometer nachweisen solle. Diese Nachweispflicht sei nur ihm auferlegt
worden.
25 Im September 2014 hätte ein Beurteilungsgespräch zur Leistungsbeurteilung durchgeführt werden sollen.
Trotz mehrfacher Nachfrage habe sich der Amtsleiter B. geweigert, mit ihm ein solches Gespräch zu führen.
Eine Begründung für die Verweigerung des Beurteilungsgespräche sei nicht erfolgt.
26 Er sei im September 2014 durch den Amtsleiter B. zur Überprüfung des ruhenden Verkehrs während einer
Einschulungsveranstaltung an der P. Schule eingesetzt worden. Bei dieser Maßnahme sei es - wie zu
erwarten war - zu erheblichen Problemen gekommen. Er sei vor Ort mit wütenden Eltern konfrontiert
gewesen, die sich darüber beschwerten, dass sie durch ihn wegen des verbotswidrigen Parkens
aufgeschrieben worden seien. Im Anschluss habe der Amtsleiter B. von ihm verlangt, sich wegen der
Beschwerden der aufgebrachten Eltern bzw. Bürgern gegenüber dem Gemeinderat zu rechtfertigen. Die
Überprüfung während der Einführungsveranstaltung sei erstmals in 2014 durchgeführt worden.
27 Im Oktober 2014 habe der Amtsleiter B. die EDV-Abteilung der Beklagten angewiesen, das vom ihm
während der Dienstzeit genutzte Owi-Erfassungsgerät auszulesen und auszuwerten. Eine vergleichbare
Auswertung sei bei seinen Kollegen nicht angeordnet bzw. durchgeführt worden.
28 Die Beklagte habe mit der Abmahnung vom 29.12.2014 zahlreiche unzutreffende und im Wesentlichen
unsubstantiierte Vorwürfe, unter anderem den Vorwurf, der Kläger habe eine Kollegin durch unangemessene
verbale Äußerungen sexuell belästigt, erhoben. Die Beklagte habe die Vorwürfe weder außergerichtlich noch
im Rahmen des von ihm eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens substantiiert begründen können. Die
Abmahnung sei aus seiner Sicht erfolgt, um ihn zu schikanieren.
29 Der Amtsleiter B. habe mehrfach Einsprüchen von Bürgern gegen Bescheide des Klägers abgeholfen. Dies sei
regelmäßig ohne Begründung erfolgte. Dadurch sei er in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht worden.
30 Er sei vom Amtsleiter B. angewiesen worden, außerhalb seiner Kernzeiten, nämlich zwischen 6:00 Uhr und
8:00 Uhr früh, Kontrollen des ruhenden Verkehrs im Bereich L. und S. durchzuführen. Andere Mitarbeiter
seien nicht zu Kontrollen außerhalb der Kernarbeitszeit aufgefordert worden.
31 Er sei während seines Urlaubs bzw. während krankheitsbedingter Fehlzeiten systematisch und mehrfach
täglich angerufen worden, um vermeintlich bestehende Nachfragen zu klären. Tatsächlich seien die
Nachfragen inhaltlich belanglos gewesen. Er sei dadurch während seines Erholungsurlaubs bzw. der
Genesung gestört worden. Dies sei auf Anweisung des Amtsleiters B. erfolgt.
32 Er sei mehrfach in das Büro des Amtsleiters B. bestellt worden, um angeblich Dringendes zu besprechen.
Hierauf habe er wiederholt den Außendiensteinsatz abgebrochen. Als er eingetroffen sei, habe ihm der
Amtsleiter B. mitgeteilt, es gebe angeblich nichts Dringendes mehr zu besprechen. Zudem habe er ihn
teilweise längere Zeit warten lassen.
33 Der Kläger hat beantragt:
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000 Euro zuzüglich Zinsen hieraus iHv. 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2015 zu zahlen.
35 Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
37 Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Anspruch aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist verfallen sei. Im
Übrigen trägt sie vor:
38 Der Amtsleiter B. habe den Kläger gebeten, die dreiwöchige Kur wegen eines Personalengpasses nicht schon
am 06.08., sondern erst am 20.08.2013 anzutreten. Hiermit sei der Kläger einverstanden gewesen.
39 Es sei zwar richtig, dass der Kläger angewiesen worden sei, die von ihm ausgearbeiteten Genehmigungen
der Sachgebietsleiterin vorzulegen. Soweit dies gegenüber anderen Mitarbeiter nicht erfolgt sei, folge dies
aus der unterschiedlichen Aufgabenstellung der jeweiligen Mitarbeiter.
40 Der Amtsleiter B. sei nicht in die Genehmigung der Schulung aus Mai 2014 eingebunden gewesen. Die
Genehmigung sei durch den Personalamtsleiter D. erfolgt.
41 Der Amtsleiter B. habe sich im August 2014 in Urlaub befunden. Die vom Kläger benannte Mitarbeiterin
habe ihren Urlaubsantrag noch vor dem Urlaubsantritt des Amtsleiters eingereicht.
42 Die Anordnung, dass der Kläger Tages- und Wochenberichte zu erstellen habe, stehe in ihrem Belieben als
Arbeitgeber. Sie sei zudem sachlich gerechtfertigt. Der Kläger sei in der Wahrnehmung seiner Aufgaben im
Außendienst im Wesentlichen frei gewesen. Nachdem im Gemeinderat der Beklagten darüber diskutiert
worden sei, dass der Kläger häufiger während seiner Arbeitszeiten in einer Nachbargemeinde im Café
gesehen worden sei, habe sie - die Beklagte - anhand der Tages- und Wochenberichte einen Überblick über
die Tätigkeit des Klägers gewinnen wollen.
43 Das Beurteilungsgespräch mit dem Kläger sei an dessen fehlender Bereitschaft, mit dem Amtsleiter B. ein
konstruktives Gespräch zu führen, gescheitert.
44 Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und
Sitzungsprotokolle verwiesen (§ 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO). Die Akte zu dem unter dem
Aktenzeichen 29 Ca 1939/15 geführten Rechtsstreit wurde beigezogen. Das Gericht hat ohne
Beweisaufnahme entschieden.
Entscheidungsgründe
45 Die Klage ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte
gemäß § 280 Abs. 1 BGB, § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG
wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts (Mobbing) auf Zahlung eines Schmerzensgeldanspruches iHv.
10.000,00 Euro. Es bestehen bereits Zweifel, ob aus dem Vortrag des Klägers auf aufeinander aufbauenden
und ineinander übergreifenden Anfeindungen bzw. Schikanen, die in ihrer Gesamtheit eine Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen, zu schließen ist (A). Ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch
wäre jedenfalls nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD verfallen (B).
A.
46 Es bestehen Zweifel, ob die vom Kläger benannten Handlungen in ihrer Gesamtheit als „Mobbing“ zu
bewerten sind, die die Zahlung eines Schmerzensgeldes für die immateriellen Schäden des Klägers in der
begehrten Höhe rechtfertigen.
I.
47 1. Der Begriff des Mobbings stellt für sich betrachtet keinen juristischen Tatbestand dar. Vielmehr handelt es
sich um ein soziales Phänomen. Nach einer zwischenzeitlich weit verbreiteten Definition ist unter
„Mobbing“ das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern
untereinander oder durch Vorgesetzte zu verstehen. „Mobbing“ ist dann anzunehmen, wenn es sich um
fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Verhaltensweisen handelt, die in ihrer
Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen.
Die Erscheinungsform des „Mobbing“ ist vielfältig. Sie reichen von der sozialen Ausgrenzung bis hin zu
groben Beleidigungen. Gemeinsam für alle Erscheinungsformen ist die systematische Vorgehensweise, durch
die der Betroffene letztendlich zermürbt werden soll.
48 2. Die zentrale Fragestellung vor Gericht ist, wie sich „Mobbing“ darlegen und beweisen lässt. Denn
offenkundig erfüllt nicht jeder Arbeitsplatzkonflikt die Voraussetzungen des „Mobbing“. Da Konflikte am
Arbeitsplatz subjektiv unterschiedlich verarbeitet werden, liegt „Mobbing“ nicht stets vor, wenn ein Konflikt
zu psychischen oder physischen Beeinträchtigungen führt. Sonst wäre jede persönliche Auseinandersetzung
mit einem hohen Haftungsrisiko verbunden. Arbeiten Menschen zusammen, so sind Konflikte in einem
gewissen Umfang unvermeidbar. Gleiches gilt für Konflikte zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Eine
arbeitsrechtliche Sanktion stellt nicht stets „Mobbing“ dar, auch wenn sich der betroffene Mitarbeiter
hierdurch verletzt fühlt. Selbst dann, wenn die arbeitsrechtliche Sanktion einer gerichtlichen Überprüfung
nicht standhält, bedeutet dies noch nicht zwangsläufig „Mobbing“. Denn ein schuldhaftes Verhalten des
Arbeitgebers liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der jeweiligen Maßnahme erkannt
hat oder zumindest hätte erkennen können. Durfte der Arbeitgeber nach Abwägung der Gesamtumstände
auf die Wirksamkeit seiner Maßnahme vertrauen, so handelt er nicht fahrlässig (vgl. BAG 16.05.2007 - 8
AZR 709/06 - Rn. 56 f. BAGE 122, 304 mwN). Der entscheidende Unterschied zwischen sozial adäquatem
Verhalten und „Mobbing“ liegt somit darin, dass der Betroffene durch eine systematische Vorgehensweise
schikaniert und angefeindet wird. Für den Betroffenen liegt in der forensischen Praxis die Schwierigkeit
darin, diese Zielsetzung darzulegen und unter Beweis zu stellen (LAG Baden-Württemberg 28.06.2007 - 6
Sa 93/06 - Rn. 120 mwN, zitiert nach juris).
49 3. Der Arbeitgeber haftet dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber gemäß § 278 BGB für schuldhaft
begangene Persönlichkeitsrechts- oder Gesundheitsverletzungen durch von ihm als Erfüllungsgehilfen
eingesetzte andere Arbeitnehmer und Vorgesetzte. Ihn trifft die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, seine
Arbeitnehmer vor sog. Mobbing und damit vor Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts durch seine
Kollegen oder auch Vorgesetzte zu schützen.
50 4. Die Beweislast für die Pflichtverletzung trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Gläubiger und damit der
Arbeitnehmer. Dies gilt auch in sog. Mobbing-Fällen (BAG 16.05.2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 88, BAGE 122,
304).
II.
51 Davon ausgehend bestehen Zweifel, ob aus dem Sachvortrag des Klägers ein systematisches Anfeinden,
Schikanieren oder Diskriminieren durch den Amtsleiter B., ggf. unter Mitwirkung der Personalamtsleiters D.
und der Sachgebietsleiterin Z., anzunehmen ist. Die Vorfälle tragen teils nicht den Vorwurf schikanösen
Verhaltens, teils ist der Kläger für die erhobenen Vorwürfe beweisfällig geblieben. Im Einzelnen:
52 1. Der Kläger ist für die Behauptung, dass seine ab dem 06.08.2013 bewilligte Kur auf Betreiben des
Amtsleiters B. und des Personalamtsleiters D. ohne sachlichen Grund für zwei Wochen verschoben worden
sei, jedenfalls beweisfällig geblieben. Unabhängig davon liegen die Kur und die anschließenden Vorfälle mehr
als ein halbes Jahr auseinander.
53 2. Zwar ist der Kläger wohl als einziger Mitarbeiter der Abteilung angewiesen worden, die von ihm
erarbeiteten Genehmigungen zur Gegenzeichnung vorzulegen. Daraus kann allerdings noch kein
schikanöses Verhalten geschlussfolgert werden. Denn im Verhältnis zu anderen Mitarbeitern der Abteilung
sind die ausgeübten Aufgaben nicht vergleichbar. Ein schikanöses Verhalten wäre nur dann anzunehmen,
wenn die anderen Mitarbeiter für ähnlich verantwortungsvolle Aufgaben keiner Gegenzeichnungspflicht
unterlägen hätten. Dies hat der Kläger bereits nicht behauptet (siehe dazu aber nachfolgend unter Ziff. 10).
54 3. Wer den Schulungsantrag des Klägers im Mai 2014 unterschrieben hat, ist letztlich irrelevant. Folgte man
dem Kläger, hätte der Personalamtsleiter D. ein Fehlverhalten des Amtsleiters korrigiert. Ein solcher Ablauf,
nämlich die Lösung des Konflikts im Sinne und Interesse des Klägers, kann der Beklagten als Arbeitgeber
nicht vorgehalten werden.
55 4. Bezüglich des im August 2014 gestellten Urlaubsantrags (Zeitraum: 29.09. bis 06.10.2014) ist unstreitig
geblieben, das sich der Amtsleiter im August 2014 im Urlaub befand und die Mitarbeiterin Ba. ihren
Urlaubsantrag (Zeitraum: 11.08. bis 26.08.2014) früher abgegeben hatte. Unabhängig davon wurde der
Urlaub des Klägers bewilligt.
56 5. Zwischen den Parteien steht im Streit, ob die in der Abmahnung vom 29.12.2014 enthaltenen Vorwürfe
zutreffen. Richtig ist aber, dass die Beklagte die Vorwürfe im Verfahren 29 Ca 1393/15 in keinster Weise zu
begründen versucht hat. Unabhängig davon ist die Abmahnung vom Bürgermeister ausgesprochen worden.
57 6. Die Anordnung, zur Einschulungsveranstaltung Kontrollen vorzunehmen, ist zwar arbeitsvertraglich
zulässig. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Kläger damit bewusst und gewollt einer
unangenehmen Konfliktsituation ausgesetzt wurde.
58 7. Der Vorwurf, der Amtsleiter B. habe den Beschwerden gegen die von ihm erlassenen Bescheide
abgeholfen, hat der Kläger nur pauschal, nicht erwiderungsfähig und für das Gericht nicht nachprüfbar
vorgetragen. Es ist kein konkreter Bescheid des Klägers benannt, den der Amtsleiter - unter Umständen
rechtswidrig - aufgehoben haben soll. Ebenso unsubstantiiert ist der Vorwurf des Klägers, dass er dadurch in
der Öffentlichkeit lächerlich gemacht worden sei.
59 8. Die telefonische Kontaktaufnahme während der Urlaubs- und Krankheitszeiten durch Mitarbeiter der
Abteilung auf Weisung oder - wie es der Personalamtsleiter D. im Kammertermin am 05.07.2016 verstanden
haben will - als Anregung der Vorgesetzten, ist ein nicht nachvollziehbares Verhalten. Ob allerdings 5 bis 6
Anrufe über einen Zeitraum von 1,5 Jahren als Mobbinghandlung taugen, ist zweifelhaft.
60 9. Etwas anderes gilt für den Vorwurf des Klägers, der Amtsleiter B. habe ihn mehrfach unter Abbruch des
Außendiensteinsatzes ohne nachvollziehbaren Grund in sein Büro bestellt. Der Kläger hat die Tage im
Einzelnen benannt. Hierzu hätte die Beklagte näher vortragen können und müssen (§ 138 Abs. 2 ZPO).
Weisungen des Arbeitgebers müssen der Billigkeit entsprechen.
61 10. Die Kammer hat den wechselnden Vortrag der Beklagten nicht übersehen, der im Rahmen der
Überzeugungsbildung des Gerichts zugunsten des Klägers gewertet werden könnte.
62 a) Eine Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern,
insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Der Umstand, dass der Vortrag zu dem
eigenen früheren Vortrag in Widerspruch steht, kann aber im Rahmen der Verhandlungswürdigung nach §
286 Abs. 1 S. 1 ZPO Beachtung finden. Wechselnder Vortrag kann dabei als Anpassung an die jeweilige
Beweislage verstanden werden und verliert dann an Überzeugungskraft (vgl. OLG Hamm 08.06. 2006 - 18
U 163/05 - Rn. 90, zitiert nach juris).
63 b) So hat die Beklagte im Schriftsatz vom 02.03.2016 (Seite 7, Bl. 49 d. Akten) zur Gegenzeichnungspflicht
zunächst vorgetragen, dass diese nicht nur für den Kläger, sondern für alle anderen Mitarbeiter gelte. Im
Schriftsatz vom 19.05.2016 (Seite 2, Bl. 96 d. Akten) wird die unterschiedliche Behandlung zugestanden
und mit der unterschiedlichen Aufgabenstellung der Mitarbeiter begründet. Der wechselnde Vortrag könnte
dafür sprechen, dass der Gegenzeichnungspflicht keine sachlichen Erwägungen zugrunde lagen. Das könnte
auch für die Anordnung zur Erstellung von Tages- und Wochenberichten gelten. Hierzu hatte die Beklagte
im Schriftsatz vom 02.03.2016 (Seite 8, Bl. 50 d. Akten) zunächst vorgetragen, dass auch andere
Mitarbeiter diese Berichte zu erstellen hätten. Hiervon ist die Beklagte im Schriftsatz vom 19.05.2016 (Seite
3 f., Bl. 97 f. d. Akten) abgerückt. Sie hat zunächst vorgetragen, dass es „im Belieben der Beklagten“ stehe,
Tages- und Wochenberichte einzufordern. Das trifft im Hinblick auf § 106 GewO nicht. Weisungen müssen
billigem Ermessen entsprechen und sind hierauf gerichtlich überprüfbar. Weiter wurde die Anordnung im
Vergleich zu anderen Mitarbeitern tätigkeitsbezogen gerechtfertigt.
B.
64 Letztlich kann es offen bleiben, ob dem Kläger dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch wegen
fortgesetzter Mobbinghandlungen zusteht bzw. ob er hierfür überwiegend beweisfällig geblieben ist. Ein
etwaiger Anspruch des Klägers ist aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist (§ 37 Abs. 1 TVöD) verfallen.
I.
65 Der TVöD findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. § 2 des Arbeitsvertrages enthält einen
umfassenden Verweis auf die für die Beklagten einschlägigen tariflichen Regelungen. Der Kläger ist nicht
tarifgebunden. Der TVöD-AT und damit auch dessen § 37 finden nicht kraft normativer Wirkung Anwendung
(§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).
II.
66 Die Ausschlussfrist gem. § 37 TVöD umfasst - unabhängig von der Anspruchsgrundlage - den vom Kläger
geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
67 1. Nach § 37 Abs. 1 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer
Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich
geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs
auch für später fällige Leistungen aus.
68 2. Soweit ersichtlich ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden, ob § 37 Abs. 1 TVöD auch vorsätzliche
Pflichtverletzungen und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, zB wegen Mobbings, erfasst. Die sachliche
Reichweite einer tariflichen Ausschlussfrist ist durch Auslegung zu ermitteln (Schaub/Treber ArbR-HdB § 209
Rn. 12). In Anlehnung an die Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2007 - 8
AZR 709/06 - ist § 37 Abs. 1 TVöD dahingehend auszulegen, dass auch Schadens- und
Schmerzensgeldansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen (§ 280 BGB) und Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) umfasst sind.
Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm.
69 a) Nach der (Grundsatz-)Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.2007 (- 8 AZR
709/06 - Rn. 40 ff. BAGE 122, 304) erfasst eine tarifliche Ausschlussfrist, die nach ihrem Wortlaut, von dem
bei der Auslegung einer Tarifnorm vorrangig auszugehen ist (zu den Auslegungsgrundsätzen BAG
09.12.2015 - 10 AZR 488/14 - Rn. 12 mwN), „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ umfasst, auch
Ansprüche aus vorsätzlich unerlaubter Handlung. Dem steht die seit 01.01.2002 geltende Vorschrift des §
202 Abs. 1 BGB nicht entgegen, der zufolge die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus
durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann. Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zählen wegen
des einheitlichen Lebensvorgangs nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche, sondern
auch solche aus unerlaubter Handlung. Eine solche Klausel verstößt auch nicht gegen § 276 Abs. 3 BGB, da
die Haftung nicht im Voraus erlassen wird. Soweit sie auch die Haftung wegen Vorsatzes erfasst, ist sie
jedenfalls dann nicht nach § 134, § 202 Abs. 1 BGB teilunwirksam, wenn die Haftung für fremdes
vorsätzliches Handeln ausgeschlossen wird. Diesen Ausschluss lässt § 278 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Daher
können derartige Ansprüche auch unter der Geltung des § 202 Abs. 1 BGB von einer Ausschlussfrist umfasst
werden.
70 b) Danach erfasst § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD die hier streitgegenständlichen Ansprüche.
71 aa) Der Grundsatzentscheidung vom 16.05.2007 (- 8 AZR 709/06 -) folgend handelt es sich auch bei
Ansprüchen auf Schadensersatz- und Schmerzensgeld wegen der Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts um „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ iSd. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD. In der
Entscheidung vom 16.05.2007 führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass eine Verfallklausel, die sich nach
ihrem Wortlaut auf „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" bezieht, sowohl Ansprüche aus vorsätzlicher
unerlaubter Handlung als auch solche wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst.
Soweit damit in Abkehr zur früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zu § 70 BAT BAG
25.04.1972 - 1 AZR 322/71 - Leitsatz 1 und unter III b aa der Entscheidungsgründe) nunmehr auch
Schadensersatzansprüche aus der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Ausschlussfrist in § 37 Abs. 1
Satz 1 TVöD unterstellt werden, erscheint dies zur Vermeidung einer unangemessenen Differenzierung von
allgemeinen Schadensersatzansprüchen und solchen wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts
sachgerecht (zweifelnd Schaub/Treber ArbR-HdB § 209 Rn. 16). Im Anwendungsbereich des TVöD kann
nichts anderes gelten (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck, TVöD, Loseblatt, § 37 Rn. 57ff.;
Sponer/Steinherr, TVöD, Loseblatt, § 37 Rn. 175; LAG Hamm 02.02.2012 - 17 Sa 1001/11 -; LAG Köln
02.03.2011 - 1 Ta 375/10 -).
72 bb) Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Entscheidung des BAG vom 16.05.2007
(aaO) eine tarifliche Ausschlussfrist zugrunde lag, die mit § 37 Abs. 1 TVöD inhaltlich weitgehend
übereinstimmt. Auch diese erfasste nach dem Wortlaut - ebenso wie § 37 Abs. 1 TVöD - ohne weitergehende
Differenzierung „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“. Diese Tarifnorm lautet wie folgt:
73
„Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs
Monaten nach Entstehen des Anspruchs geltend gemacht werden; Ist dies geschehen, so bleiben die
gesetzlichen Verjährungsfristen unberührt.“
74 c) Der hier vertretenen Auffassung steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur
einschränkenden Auslegung einzelvertraglicher Ausschlussfristen nicht entgegen.
75 Danach sind einzelvertragliche Ausschlussfristen dahingehend auszulegen, dass sie nicht auch die Haftung
wegen Vorsatzes bzw. vorsätzlichen Vertragsverstößen und vorsätzlich begangener unerlaubter
Handlungen ausgeschlossen werden. Nach § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen
Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. § 202 Abs. 1 BGB erfasst nicht nur
Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über Ausschlussfristen. § 202 BGB stellt eine
Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB dar. Eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist ist nichtig,
sofern sie auch vorsätzliche Vertragsverstöße und vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen erfassen
sollte (vgl. BAG 25.05.2005 - 5 AZR 572/04 - BAGE 115, 19). Im Hinblick auf diese klare Gesetzeslage ist
regelmäßig davon auszugehen, dass die Vertragspartner mit solchen Vertragsklauseln keine Fälle anders als
das Gesetz und unter Verstoß gegen die gesetzliche Verbotsnorm iSd. § 134 BGB regeln wollten. Anders
verhält es sich bei tarifvertraglichen Ausschlussfristen, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem
Handeln erfassen. Solchen Tarifklauseln steht § 202 Abs. 1 BGB (gerade) nicht entgegen, da das Gesetz die
Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes nur „durch Rechtsgeschäft“ verbietet (BAG 18.08.2011 - 8 AZR
187/10 - Rn. 32 ff.; 20.06.2013 - 8 AZR 280/12 - Rn. 24).
76 3. Danach ist der Schmerzensgeldanspruch verfallen.
77 In Mobbing-Fällen beginnt die Ausschlussfrist wegen der systematischen, sich aus mehreren einzelnen
Handlungen zusammensetzenden Verletzungshandlung regelmäßig erst mit der zeitlich letzten Mobbing-
Handlung (BAG 16.05.2007 - 8 AZR 709/06 -). Die letzte vom Kläger behauptete „Mobbinghandlung“ stellt
die - aus seiner Sicht - unberechtigte Abmahnung vom 29.12.2014 dar. Davon ausgehend wurde der
Schmerzensgeldanspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht. Der Kläger hat den Anspruch erstmals mit
Schreiben vom 16.09.2015 schriftlich geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt lag die letzten
Mobbinghandlung bereits mehr als 8,5 Monate zurück. In 2015 war der Kläger zunächst wegen Krankheit
und im Anschluss wegen der vereinbarten Freistellung nicht mehr bei der Beklagten tatsächlich beschäftigt.
IV.
78 Entgegen der Auffassung des Klägers steht dem Verfall nicht entgegen, dass der TVöD nicht kraft normativer
Wirkung, sondern kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet.
79 1. Zunächst ist festzuhalten, dass § 202 Abs. 1 BGB nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung
einer tariflichen Ausschlussfrist, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst und
nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG normative Wirkung entfaltet, nicht entgegensteht. Die
Rechtsprechung wird im Kern wie folgt begründet:
80 a) § 202 Abs. 1 BGB spricht von einer Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes „durch Rechtsgeschäft“.
Damit wird bereits nach dem Wortlaut der Norm auf einen Tatbestand abgestellt, der sich aus
Willenserklärungen ergibt. Die amtliche Überschrift von § 202 BGB spricht zwar in Abweichung vom Wort
„Rechtsgeschäft“ von „Vereinbarungen über die Verjährung“, jedoch folgt auch hieraus, dass sich § 202 BGB
auf Verjährungsregelungen durch Parteivereinbarung bezieht und die Vertragsfreiheit der Parteien insoweit
einschränkt. Auch die Gesetzesbegründung spricht von der Disposition der Parteien, von Parteivereinbarung
bzw. dem Interesse beider Parteien (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 109 f.). § 202 BGB bezieht sich damit
losgelöst von den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets ausschließlich auf die Parteien des materiell-
rechtlichen Anspruchs, um dessen Verjährung es geht.
81 b) Eine „Vereinbarung“ im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB liegt allerdings nicht vor, wenn auf das
Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung oder kraft
Allgemeinverbindlicherklärung zwingend Anwendung findet (§ 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG). Gilt für
das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, so gelten die
Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen
ordnen, unmittelbar und zwingend, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags sind
Gesetze im materiell-rechtlichen Sinne und erfüllen den Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB (BAG 14. Juni
1994 - 9 AZR 284/93 - BAGE 77, 81). Für die Tarifgebundenen entspricht die Regelungswirkung daher
derjenigen anderer Gesetze. Aufgrund dieser normativen Wirkung des Tarifvertrags, die gerade nicht
Ausdruck der privatautonomen Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien ist, handelt es sich bei den zwingend
und unmittelbar geltenden Rechtsnormen eines Tarifvertrags nicht um ein „Rechtsgeschäft“ im Sinne von §
202 BGB, sondern um eine gesetzliche Regelung im Sinne von Art. 2 EGBGB.
82 2. Einzelvertragliche Ausschlussfristen, die auch die Haftung wegen Vorsatzes ausschließen, sind gem. §
134, § 202 Abs. 1 BGB unwirksam. Nicht geklärt ist allerdings, ob eine tarifliche Ausschlussfrist, die - wie
hier - kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel auf den einschlägigen Tarifvertrag zur Anwendung
kommt, an § 202 Abs. 1 BGB zu messen ist und im Bejahungsfall (teil-)nichtig ist. Das Bundesarbeitsgericht
hat diese Rechtsfrage - soweit ersichtlich - bisher offen gelassen. So hat der Achte Senat im Urteil vom
18.08.2011 (- 8 AZR 187/10 -) unter der Randnummer 37 ausgeführt:
83
„Ob eine individualvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien und damit ein Rechtsgeschäft im
Sinne von § 202 BGB jedoch dann vorliegt, wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen
Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet oder wenn allein bezüglich der Ausschlussfristen ein
Tarifvertrag Anwendung finden soll, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.“
84 Auch in der Entscheidung vom 20.06.2013 (- 8 AZR 280/12 -) wurde die Rechtsfrage unter Randnummer 24
wie folgt offen gelassen:
85
„Der Senat hat für tarifvertragliche Ausschlussfristen, die Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem
Handeln erfassen, entschieden, dass solchen Tarifklauseln § 202 Abs. 1 BGB nicht entgegensteht, da das
Gesetz die Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes nur „durch Rechtsgeschäft“ verbietet (…). Da die
Arbeitsvertragsparteien hier nicht auf einen Tarifvertrag Bezug genommen haben, braucht nicht
entschieden zu werden, ob ein Rechtsgeschäft iSv. § 202 BGB dann ausscheidet, wenn ein Tarifvertrag
aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet.“
86 3. Nach richtiger Auffassung kann es für die Vereinbarkeit einer tariflichen Ausschlussfrist mit § 202 Abs. 1
BGB keinen Unterschied machen, ob diese kraft normativer Wirkung oder kraft arbeitsvertraglicher
Bezugnahme zur Anwendung kommt. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - im Sinne einer
Gleichstellungsabrede umfassend auf den für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifvertrag verwiesen
wird. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei einem Arbeitsvertrag um ein Rechtsgeschäft iSd. § 202 Abs.
1 BGB handelt. Durch den Arbeitsvertrag als Rechtsgeschäft wird nur die Anwendbarkeit des Tarifvertrages
vereinbart. Unmittelbarer Inhalt des Arbeitsvertrags als Rechtsgeschäft ist nicht die tarifliche Ausschlussfrist
selbst bzw. der Ausschluss der Haftung wegen Vorsatzes. Die Anwendbarkeit der tariflichen Ausschlussfrist
folgt erst mittelbar aus dem Tarifvertrag. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist bleibt eine von den
Tarifvertragsparteien vereinbarte Tarifnorm, die Bestandteil des Tarifvertrags als Gesamtwerk ist. Dieser
unterliegt auch bei Anwendbarkeit auf ein Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme keiner
gerichtlichen Kontrolle auf die Angemessenheit des Inhalts. Für ihn streitet weiterhin die Richtigkeitsgewähr.
Es liegt allein in den Händen der Tarifvertragsparteien, eine Ausschlussfrist zu vereinbaren, zu ändern, zu
ergänzen oder abzuschaffen. Die Haftung wegen Vorsatzes oder für unerlaubte Handlungen kann aus dem
Geltungsbereich einer Ausschlussfrist ausgenommen werden. All dies macht deutlich, dass im Falle einer
umfassenden Bezugnahme auf einen einschlägigen Tarifvertrag die dort enthaltene Ausschlussfrist nicht als
ein Rechtsgeschäft der Parteien an § 202 Abs. 1 BGB gemessen werden kann. Die Vorschrift gilt nur für die
von den Arbeitsvertragsparteien eigenständig geregelten Ausschlussfristen. Vorliegend kann zudem offen
bleiben, ob die Anwendbarkeit des § 202 Abs. 1 BGB nur bei einer Gleichstellungsabrede ausgeschlossen ist.
Dies ist bei § 2 des Arbeitsvertrages der Fall.
87 4. Das gilt hingegen nicht, wenn die Arbeitsvertragsparteien nicht auf das einschlägige Tarifwerk als Ganzes
oder nur auf einzelne Tarifvorschriften Bezug nehmen. In diesen Fällen beruht die Geltung der tariflichen
Ausschlussfrist auf dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Geltung der dergestalt in Bezug genommenen
tariflichen Bestimmungen sind durch den Arbeitsvertrag als Rechtsgeschäft iSd. § 202 Abs. 1 BGB
vereinbart. Folge einer solchen Teilverweisung („Rosinenpickerei“) ist die (Teil-)Nichtigkeit gem. § 134, § 202
Abs. 1 BGB der anzuwendenden Ausschlussfrist, wenn auch die Haftung wegen Vorsatzes umfasst ist.
88 5. Die hier vertretene Auffassung findet ihre Stütze in zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen. So sind
Bezugnahmeklauseln nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB einer vollen Rechtskontrolle unterworfen. Der
Tarifvertrag als Bezugnahmeobjekt ist allerdings gem. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB aus der Überprüfung
ausdrücklich ausgenommen. Vergleichbares gilt für die Bezugnahme auf verkürzte Kündigungsfristen nach
einem Tarifvertrag (§ 623 Abs. 4 Satz 2 BGB), auf die einschlägigen tariflichen Urlaubsregelungen (§ 13 Abs.
1 Satz 2 BUrlG) oder auf die tariflichen Bestimmungen zur Höhe des fortzuzahlenden Entgelts im
Krankheitsfall (§ 4 Abs. 4 Satz 2 BurlG). In keinem der vorgenannten Fälle werden die tariflichen
Bestimmungen bei einer gesetzeskonformen Bezugnahme einer strengeren oder abweichenden Prüfung
unterzogen als bei Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien.
89 6. Für die hier vertretene Auffassung sprechen der Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen und die
damit verbundene Stärkung der Tarifbindung und Tarifautonomie.
90 Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen ist es, innerhalb eines festgelegten, überschaubaren Zeitraums
endgültig Klarheit - „reinen Tisch“ - über den Bestand der Forderungen und Rechte zu schaffen und damit
Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu garantieren. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn die Nichtigkeitsfolgen
des § 202 Abs. 1 BGB für tarifgebundene und tarifungebundene Arbeitnehmer (mit einer
Gleichstellungsabrede) divergieren. Da Arbeitgeber nicht immer Kenntnis von der Tarifbindung der
Arbeitnehmer haben, würde zunächst offen bleiben, wann welche Ansprüche aus welchem Arbeitsverhältnis
nach Ablauf der Ausschlussfrist endgültig erledigt sind. So kann kein Rechtsfrieden und keine
Rechtssicherheit geschaffen werden. Selbst wenn dem Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit eines
Arbeitnehmers bekannt ist, kann dieser - zB nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis - seine
Mitgliedschaft in der Gewerkschaft beenden oder erst begründen. Daraus kann nicht folgen, dass die
laufende Ausschlussfrist für eine Vorsatztat nicht mit dem Austritt unwirksam wird. Damit bietet auch die
Kenntnis von der Gewerkschaftszugehörigkeit keine Gewähr für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Die
hier vertretene Auffassung erhält die dem Arbeitgeber mit der Tarifbindung verbundenen Vorteile. Sie
ermöglicht im Hinblick auf § 202 Abs. 1 BGB eine Gleichstellung von tarifgebundenen und
tarifungebundenen Arbeitnehmern hinsichtlich der anzuwendenden tariflichen Ausschlussfrist. Zugleich wird
für Arbeitgeber ein Anreiz gesetzt, die Geltung tarifvertraglicher Regelungen auf einzelvertraglicher Ebene
zu vereinbaren.
C.
91 Da der Kläger vollumfänglich unterlegen ist, trägt er die Kosten des Rechtsstreits (§ 91 Abs. 1 ZPO).
92 Der Rechtsmittelstreitwert (§ 61 Abs. 1 ArbGG) wurde in Höhe der bezifferten Klageforderung festgesetzt (§
3 ZPO).
93 Die Zulassung der Berufung beruht auf § 64 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b ArbGG.