Urteil des ArbG Stuttgart vom 21.11.2013

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ArbG Stuttgart Urteil vom 21.11.2013, 24 Ca 4398/13
Vergleichsentgelt - Branchenzuschlag - Darlegungslast des Verleihers
Leitsätze
1. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Leiharbeitnehmer, der
eine sogenannte "Equal-Pay"-Klage erhebt, zur Darlegung des Vergleichsentgelts
nach § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG seiner Darlegungslast zunächst allein durch die Vorlage
der Auskunft des Entleihers gemäß § 13 AÜG genügt (siehe BAG, Urteil vom 13. März
2013 - 5 AZR 146/12 -, juris, Rn. 22 f m.w.N), kann nicht "spiegelbildlich" auf die
Fallkonstellation übertragen werden, in der der Verleiher zur Deckelung
tarifvertraglicher Branchenzuschläge sich auf die Auskunft des Entleihers beruft
(entgegen Arbeitsgericht Oldenburg, Urteil vom 11.07.2013 - 6 Ca 49/13,
unveröffentlicht sowie Arbeitsgericht Osnabrück, Urteil vom 18.09.2013 - 2 Ca 180/13,
unveröffentlicht). Dies folgt aus den im Vergleich zum Leiharbeitnehmer erweiterten
Informationsmöglichkeiten des Verleihers sowie aus der angesichts der
Interessenslage unterschiedlichen Richtigkeitsgewähr der Auskunft in den beiden
Fällen.
2. Der Verleiher hat zur Geltendmachung der Deckelung vielmehr alle für die
Berechnung des Vergleichsentgelts erforderlichen Tatsachen vortragen. Dazu gehört
vorrangig die Benennung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers, dessen genaue
Funktion, sein Aufgabenbereich sowie seine Qualifikation und das ihm vom Entleiher
danach gewährte Arbeitsentgelt. Im Falle der Berufung auf ein allgemeines
Entgeltschema gehört hierzu dessen Anwendbarkeit sowie die danach
vorzunehmende fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.383,41 EUR brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus
- 40,93 EUR brutto seit 16.01.2013
- 87,15 EUR brutto seit 16.02.2013
- 161,08 EUR brutto seit 16.03.2013
- 259,17 EUR brutto seit 16.04.2013
- 413,05 EUR brutto seit 16.05.2013
- 543,66 EUR brutto seit 16.06.2013
- 517,54 EUR brutto seit 16.07.2013
- 554,53 EUR brutto seit 16.08.2013
- 602,87 EUR brutto seit 16.09.2013
- 586,22 EUR brutto seit 16.10.2013
- 617,21 EUR brutto seit 16.11.2013
zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 79 % die Beklagte 21 %.
4. Der Streitwert wird auf 4.383,41EUR festgesetzt.
5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Deckelung von
Ansprüchen des Klägers auf Zahlung von tarifvertraglichen Branchenzuschlägen.
2 Der Kläger ist seit Oktober 2011 bei der Beklagten als technischer Mitarbeiter
beschäftigt (siehe den Arbeitsvertrag vom 07.10.2011, Bl. 5 ff. der Akte). Die
Beklagte betreibt ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung. Seit 10.10.2011
ist der Kläger bei der E. V. GmbH, einem Unternehmen der Metall- und
Elektroindustrie, als Servicetechniker eingesetzt (siehe die „Einsatz-Informationen“,
Bl. 58 der Akte).
3 Gemäß § 10 des Arbeitsvertrages findet auf das Arbeitsverhältnis u.a. der am
01.11.2012 in Kraft getretene Tarifvertrag über Branchenzuschläge für
Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie (TV BZ ME)
Anwendung. Nach § 2 Abs. 3 TV BZ ME stehen dem Kläger auf den tariflichen
Grundlohn (10,81 EUR/h) - abhängig von der Beschäftigungsdauer im
Einsatzbetrieb - Zuschläge in Höhe von 15 % (1,62 EUR/h) bis hin zu 50 % (5,41
EUR/h) zu.
4 Die Beklagte rechnete die Zuschläge nach dieser Regelung ab, deckelte die
ausgezahlten Beträge jedoch unter Berufung auf § 2 Abs. 4 TV BZ ME auf max.
1,66 EUR/h, mithin auf einen maximalen Gesamtlohn in Höhe von 12,47 EUR
brutto/h (siehe die Lohnabrechnungen Bl. 9-20, 78-84, 91 f, 146 f der Akte).
5 § 2 Abs. 4 TV BZ ME lautet wie folgt:
6
„Der Branchenzuschlag ist auf die Differenz zum laufenden regelmäßig gezahlten
Stundenentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Kundenbetriebs
beschränkt. Bei der Feststellung des Vergleichsentgelts im Kundenbetrieb bleibt
das Äquivalent einer durchschnittlichen Leistungszulage der Branche
unberücksichtigt. Der Kundenbetrieb hat das regelmäßig gezahlte Stundenentgelt
eines vergleichbaren Arbeitnehmers nachzuweisen.“
7 Die Protokollnotiz Nr. 3 („Auslegung zur Deckelungsregelung“) zum Tarifvertrag
lautet wie folgt:
8
„§ 2 Abs. 4 TV BZ ME ist eine Ausnahmeregelung, die die individuelle Ermittlung
des laufenden regelmäßig gezahlten Stundenentgelts eines vergleichbaren
Arbeitnehmers des Kundenbetriebs erfordert. Sie ermöglicht im Einzelfall eine
Beschränkung des Branchenzuschlages, wenn der Kundenbetrieb eine
entsprechende Deckelung geltend macht.“
9 Ziff. 2 des „Verhandlungsergebnisses“ des Bundesarbeitgeberverbands der
Personaldienstleister e.V. (BAP), des Interessenverbands deutscher
Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ) und des IG-Metall-Vorstands vom 22.05.2012
lautet wie folgt (siehe Bl. 149 der Akte):
10 „Die Tarifvertragsparteien stimmen darin überein, dass das Äquivalent einer
durchschnittlichen Leistungszulage gem. § 2 Abs. 4 10% beträgt.“
11 Bereits mit Schreiben vom 15.10.2012 hatte die Muttergesellschaft der E. V.
GmbH, die G. S. & I. T. GmbH, der Beklagten mitgeteilt, dass das Entgelt eines
vergleichbaren Servicetechnikers im Unternehmen der E. V. GmbH 13,84 EUR/h
betrage (siehe Bl. 59 der Akte).
12 Insgesamt kürzte die Beklagte die Zuschläge im Zeitraum Dezember 2012 bis
einschließlich Oktober 2013 um 4.383,41 EUR brutto, wobei sich dieser Betrag auf
die einzelnen Monate wie folgt verteilt (siehe dazu auch die Lohnabrechnungen Bl.
9-20, 78-84, 91 f, 146 f der Akte):
13
Dezember 2012
40,93 EUR
Januar 2013
87,15 EUR
Februar 2013
161,08 EUR
März 2013
259,17 EUR
April 2013
413,05 EUR
Mai 2013
543,66 EUR
Juni 2013
517,54 EUR
Juli 2013
554,53 EUR
August 2013
602,87 EUR
September 2013 586,22 EUR
Oktober 2013
617,21 EUR
Summe
4.383,41 EUR
14 Die Lohnansprüche des Klägers sind nach dem Arbeitsvertrag zum 15. des
Folgemonats zur Zahlung fällig.
15 Der Kläger ist der Ansicht, die Kürzung sei unberechtigt erfolgt. Nach seinen
Informationen verdiene ein bei der E. V. GmbH angestellter Techniker mehr als nur
13,84 EUR brutto/h. Er habe von Mitarbeitern der Stammbelegschaft gehört, sie
würden übertariflich vergütet und das Monatsgrundentgelt eines Technikers in der
Metall- und Elektroindustrie liege bereits über 13,84 EUR brutto/h. Zudem hätten
die Mitarbeiter der Stammbelegschaft der E. V. GmbH im Frühjahr 2013 seines
Wissens eine Lohnerhöhung erhalten. Die Mitteilung über das Vergleichsentgelt
aus Oktober 2012 sei deshalb in jedem Fall nicht mehr zutreffend. Zudem stamme
die Mitteilung von der Muttergesellschaft der Entleiherin und sie sei auch im
Übrigen nicht ordnungsgemäß ausgefüllt. Warum das Äquivalent einer
durchschnittlichen Leistungszulage der Metall- und Elektrobranche 10 % betragen
solle sei unklar.
16 Nachdem der Kläger in der Klageschrift neben den zunächst bis einschließlich Mai
2013 bezifferten Zahlungsanträgen für die Zukunft auch die Feststellung begehrte,
dass es der Beklagten untersagt ist, ab Juni 2013 Kürzungen der
Branchenzuschläge vorzunehmen,
beantragt
er zuletzt, unter Rücknahme des
Feststellungsantrages bei Erweiterung der Klage um die Monate Juni bis Oktober
2013:
17
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.383,41 EUR brutto nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus
18
- 40,93 EUR brutto seit 16.01.2013
- 128,08 EUR brutto seit 16.02.2013
- 289,16 EUR brutto seit 16.03.2013
- 548,33 EUR brutto seit 16.04.2013
- 961,38 EUR brutto seit 16.05.2013
- 1.505,04 EUR brutto seit 16.06.2013
- 2.022,58 EUR brutto seit 16.07.2013
- 2.577,11 EUR brutto seit 16.08.2013
- 3.179,98 EUR brutto seit 16.09.2013
- 3.766,20 EUR brutto seit 16.10.2013
- 4.383,41 EUR brutto seit 16.11.2013
19
zu bezahlen.
20 Die Beklagte
beantragt
,
21
die Klage abzuweisen.
22 Die Beklagte ist der Auffassung, die Vorlage der Bestätigung der
Muttergesellschaft des Auftraggebers genüge zur Darlegung des Entgelts eines
vergleichbaren Arbeitnehmers im Einsatzbetrieb gemäß § 2 Abs. 4 TV BZ ME.
Diese Konstellation sei spiegelbildlich zu behandeln zu dem vom
Bundesarbeitsgericht bereits entschiedenen Fall, in dem ein Leiharbeitnehmer eine
sogenannte Equal-Pay-Klage erhebe und die Auskunft des Entleihers gemäß § 13
AÜG im Prozess vorlege. Dies sei von den Arbeitsgerichten Osnabrück und
Oldenburg bereits derart entschieden worden. Da im Schreiben vom 15.10.2012
die Deckelung auf das Vergleichsentgelt in Höhe von 13,84 EUR brutto geltend
gemacht werde, könne der Kläger maximal einen Zuschlag in Höhe von
(aufgerundet) 1,66 EUR brutto/h verlangen (13,84 EUR x 90 % - 10,81 EUR).
23 Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften
vom 16.07.2013 und 21.11.2013 verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
24 Die zulässige Klage ist weitestgehend begründet. Der Kläger hat Anspruch auf
Zahlung der Branchenzuschläge in voller Höhe, da die Beklagte die
Voraussetzungen der Deckelung nach § 2 Abs. 4 TV BZ ME nicht hinreichend
darlegt hat (1.). Lediglich die geltend gemachten Zinsen kann der Kläger nicht in
vollem Umfang beanspruchen (2.).
25 1. Dem Kläger stehen nach dem unstreitigen Parteivortrag gemäß § 2 Abs. 1, 3 TV
BZ ME für die Monate Dezember 2012 bis einschließlich Oktober 2013 neben den
bereits ausgezahlten Beträgen zusätzliche Branchenzuschläge in Höhe von
4.383,41 EUR brutto zu. Die Beklagte hat die vom Kläger geltend gemachten
Beträge in ihren Abrechnungen selbst in dieser Höhe berechnet. Streitig ist allein
die Berechtigung der Beklagten zur Deckelung der Ansprüche gemäß § 2 Abs. 4
TV BZ ME auf die „Differenz zum laufenden regelmäßig gezahlten Stundenentgelt
eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Kundenbetriebs“. Da es sich hierbei um
eine für die Beklagte günstigste Ausnahmeregelung handelt, trifft sie bereits nach
allgemeinen Regeln die volle Darlegungs- und Beweislast bezüglich des
Vergleichsentgelts. Zur Bestimmung dieses Entgelts ist gemäß Protokollnotiz Nr. 3
„die individuelle Ermittlung des laufenden regelmäßig gezahlten Stundenentgelts
eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Kundenbetriebs erforder[lich]“ sowie die
Geltendmachung der Deckelung durch die Entleiherin. Hierauf wurde die Beklagte
durch gerichtliche Verfügung vom 17.07.2013 nochmals ausdrücklich hingewiesen
(Bl. 34 der Akte). Die Beklagte hat daraufhin lediglich die schriftliche Bestätigung
eines Vergleichsentgelts i.H.v. 13,84 EUR brutto/h durch die Muttergesellschaft der
Entleiherin vorgelegt. Allein durch Vorlage dieses Schreibens genügt die Beklagte
nach Auffassung der Kammer ihrer Darlegungslast jedoch nicht.
26 a. Zunächst ist dem Schreiben, anders als die Beklagte behauptet, keinerlei
Geltendmachung einer Deckelung zu entnehmen, was gemäß Protokollnotiz Nr. 3
gerade Voraussetzung für eine Beschränkung der Zuschläge sein soll. Selbst
wenn man jedoch in dem Schreiben eine konkludente Geltendmachung erblicken
wollte, so erfolgte diese Geltendmachung nicht „durch den Kundenbetrieb“,
sondern durch die Muttergesellschaft der Kundin.
27 b. Aber selbst dann, wenn man in dem Schreiben eine konkludente, der Kundin
zurechenbare Geltendmachung der Deckelung erblicken wollte oder man gar die
allein in der Protokollnotiz genannte Voraussetzung einer „Geltendmachung“ als
nicht zwingend für eine Deckelung nach dem Tarifvertrag ansehen wollte, führt
dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn allein die Vorlage der Auskunft eines
Entleihers durch den Verleiher genügt nach Auffassung der Kammer entgegen
der Ansicht der 6. Kammer des Arbeitsgerichts Oldenburg (Urteil vom 11.07.2013
- 6 Ca 49/13, unveröffentlicht) sowie der 2. Kammer des Arbeitsgerichts
Osnabrück (Urteil vom 18.09.2013 - 2 Ca 180/13, unveröffentlicht) nicht, um das
klägerseits bestrittene Vergleichsentgelt hinreichend darzulegen.
28 Die beiden genannten Arbeitsgerichte berufen sich in den von der Beklagten
vorgelegten Entscheidungen auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
bezüglich den Sachverhaltskonstellationen, in denen ein Leiharbeitnehmer eine
sogenannte Equal-Pay-Klage erhebt und die Auskunft des Entleihers gemäß § 13
AÜG zur Darlegung des Vergleichsentgelts nach § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG im
Prozess vorlegt. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu ausgeführt (BAG, Urteil vom
13. März 2013 – 5 AZR 146/12 –, juris, Rn. 22 f m.w.N.):
29 „Seiner Darlegungslast kann der Leiharbeitnehmer zunächst dadurch genügen,
dass er sich auf eine ihm nach § 13 AÜG erteilte Auskunft beruft und diese in den
Prozess einführt. Denn die - ordnungsgemäße - Auskunft des Entleihers über das
einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer gewährte Arbeitsentgelt ist das
gesetzlich vorgesehene Mittel, das dem Leiharbeitnehmer ermöglichen soll, die
Einhaltung des Gebots der Gleichbehandlung zu überprüfen und die Höhe des
Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG zu berechnen (vgl. BT-Drucks. 15/25 S. 39;
Brors in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 13 Rn. 1 mwN). Es obliegt sodann im
Rahmen einer abgestuften Darlegungslast dem Verleiher, die maßgeblichen
Umstände der Auskunft in erheblicher Art und im Einzelnen zu bestreiten. Trägt er
nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt der Inhalt der vom
Leiharbeitnehmer vorgetragenen Auskunft als zugestanden. Gelingt es dem
Verleiher, die Auskunft des Entleihers zu erschüttern, bleibt es bei dem
Grundsatz, dass der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden Tatsachen
darlegen und beweisen muss (vgl. BAG 23. März 2011 - 5 AZR 7/10 - Rn. 36,
BAGE 137, 249). Stützt sich der Leiharbeitnehmer im Prozess nicht auf eine
Auskunft nach § 13 AÜG, muss er zur Darlegung des Anspruchs auf gleiches
Arbeitsentgelt alle für dessen Berechnung erforderlichen Tatsachen vortragen.
Dazu gehören vorrangig die Benennung eines vergleichbaren
Stammarbeitnehmers und das diesem vom Entleiher gewährte Arbeitsentgelt.
Beruft sich der Leiharbeitnehmer - alternativ - auf ein allgemeines Entgeltschema,
hat er nicht nur dessen Inhalt, sondern auch darzulegen, dass ein solches im
Betrieb des Entleihers im Überlassungszeitraum tatsächlich Anwendung fand und
wie er danach fiktiv einzugruppieren gewesen wäre.“
30 Die genannten Arbeitsgerichte wollen diese Rechtsprechung nun „spiegelbildlich“
auf den vorliegenden Fall übertragen (Arbeitsgericht Oldenburg, Urteil vom
11.07.2013 - 6 Ca 49/13, unveröffentlicht, S. 6; Arbeitsgericht Osnabrück, Urteil
vom 18.09.2013 - 2 Ca 180/13, unveröffentlicht, S. 7). Der Verleiher sei
verpflichtet, die dem Leiharbeitnehmer zustehende Vergütung unter Einbeziehung
der neuen Tarifverträge über Branchenzuschläge exakt zu berechnen. Berufe
sich der Entleiher auf die Deckelungsregelung, müsse der Verleiher wissen,
welche Arbeitsbedingungen vergleichbare Arbeitnehmer des Kundenbetriebes
haben. Trage der Verleiher nun den Inhalt der ihm gerade zu diesem Zweck vom
Entleiher erteilten Auskunft zur Begründung der Deckelung im arbeitsgerichtlichen
Verfahren vor, so könne ihm darüber hinaus keine weitere Darlegung zur
Vergleichbarkeit der Tätigkeiten, der Qualifikation der verglichenen Arbeitnehmer
etc. aufgebürdet werde. Denn dies sei bereits Gegenstand der Anfrage beim
Entleiher gewesen, dem es vorbehalten sei, selbst zu definieren, welche seiner
eigenen Arbeitnehmer mit dem Leiharbeitnehmer vergleichbar seien (siehe
Arbeitsgericht Osnabrück, Urteil vom 18.09.2013 - 2 Ca 180/13, unveröffentlicht,
S. 7 f). Hierfür spreche auch, dass es der Leiharbeitnehmer sei, der selbst einen
Einblick in den Betrieb des Entleihers habe, weil er dort eingesetzt werde und er
deshalb vergleichbare Mitarbeiter besser benennen könne (Arbeitsgericht
Oldenburg, Urteil vom 11.07.2013 - 6 Ca 49/13, unveröffentlicht, S. 5 f).
31 Diese Rechtsansicht vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Die beiden
Fallkonstellationen weisen wesentliche Unterschiede auf, weshalb eine
„spiegelbildliche“ Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
ausscheidet.
32 Der Auskunftsanspruch gemäß § 13 AÜG trägt gerade der besonderen
Darlegungs- und Beweisnot des Leiharbeitnehmers Rechnung und bewirkt, dass
der gesetzliche Equal-Pay-Anspruch praktisch auch durchsetzbar wird. Der
Leiharbeitnehmer hat kaum andere Möglichkeiten, vergleichbare Arbeitnehmer zu
bestimmen und deren Arbeitsbedingungen, insbesondere ihren Arbeitslohn
herauszufinden. Er ist zwar in die betriebliche Organisation des Entleihers
eingebunden, tatsächlichen oder rechtlichen Zugang zu den erforderlichen
Informationen hat er allein hierdurch jedoch nicht. Die genauen Aufgabenbereiche
und Funktionen der Mitarbeiter der Stammbelegschaft, ihre Qualifikation sowie
ihre Arbeits(vertrags)bedingungen kennt er allein durch die Eingliederung nicht.
Insoweit ist es in dieser Situation gerechtfertigt, mit dem Bundesarbeitsgericht der
Auskunft nach § 13 AÜG eine besondere Bedeutung beizumessen.
33 In der umgekehrten Situation, in der sich der Verleiher und nicht der
Leiharbeitnehmer auf die Auskunft des Entleihers beruft, liegt diese Darlegungs-
und Beweisnot nach Ansicht der Kammer regelmäßig nicht vor. Anders als den
Leiharbeitnehmer verbindet den Verleiher eine vertragliche Beziehung zum
Entleiher. Bereits aufgrund allgemeiner und spezieller (vgl. § 12 Abs. 1 AÜG)
vertraglicher Nebenpflichten ist der Verleiher berechtigt, detailliert Auskunft vom
Entleiher zu verlangen. Er kann darüber hinaus in den Vertragsverhandlungen
konkrete Sanktionen für den Fall vereinbaren, dass der Entleiher die
erforderlichen Informationen bezüglich vergleichbarer Arbeitnehmer, etwa deren
Namen, ihre genaue Funktion, ihre Qualifikation sowie ihre Arbeitsbedingungen
nicht in hinreichendem Umfang zur Verfügung stellt. Genau dies ist vorliegend
auch geschehen. Die Beklagte hat mit der Entleiherin (bzw. deren
Muttergesellschaft) gemäß dem vorgelegten Schreiben vom 15.10.2012 für den
Fall der vorsätzlich oder fahrlässig erfolgten Falschangabe sowie für den Fall
fehlender Informationen vereinbart, dass die Entleiherin verpflichtet ist, eine
Vergleichsrechnung zu erstellen und gegebenenfalls ausstehende
Vergütungsdifferenzen nachzuzahlen (siehe Bl. 59 der Akte). Auch in
tatsächlicher Hinsicht wird der Verleiher über ganz andere Möglichkeiten
verfügen, beim Entleiher an die erforderlichen Informationen zu gelangen als der
Leiharbeitnehmer in der umgekehrten Fallkonstellation.
34 Hinzu kommt, dass nach Ansicht der Kammer wegen der immanenten
Missbrauchsgefahr die bloße Vorlage der Auskunft des Entleihers durch den
Verleiher in der vorliegenden Konstellation zur Darlegung einer Deckelung der
Branchenzuschläge nicht ausreichend sein kann. Verleiher und Entleiher haben
beide ein monetäres Interesse daran, dass das Vergleichsentgelt entsprechend
gering berechnet wird. Der Verleiher hat ein unmittelbares Interesse hieran, da
das Vergleichsentgelt seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem
Leiharbeitnehmer nach dem Tarifvertrag begrenzt. Der Entleiher hat ein
mittelbares Interesse an einem niedrig berechneten Vergleichsentgelt, weil die
Vergütung, die er an den Verleiher zu entrichten hat, maßgeblich danach
bemessen sein wird, wie viel der Verleiher seinerseits für den Leiharbeitnehmer
aufzuwenden hat. In der umgekehrten Situation, in der sich der Leiharbeitnehmer
zur Geltendmachung seiner Ansprüche auf die erteilte Auskunft beruft, kann
dieser schon deshalb eine größere Bedeutung beigemessen werden, weil wegen
der beschriebenen Interessenkonstellation keinerlei Grund ersichtlich ist, warum
der Entleiher dem Leiharbeitnehmer zum Nachteil des Verleihers ein überhöhtes
Vergleichsentgelt mitteilen sollte.
35 Letztlich wäre es den Tarifvertragsparteien problemlos möglich gewesen, die
erhöhte Bedeutung der erteilten Auskunft zur Darlegung des Vergleichsentgelts
nach § 2 Abs. 4 TV BZ ME festzuschreiben. Sie haben dies nicht getan, sondern
im Gegenteil sogar in der erwähnten Protokollnotiz darauf hingewiesen, dass eine
„individuelle Ermittlung“ des Vergleichsentgelts erforderlich ist. Auch dies spricht
für die hier vertretene Auffassung.
36 c. Da die Beklagte ein Vergleichsentgelt i.H.v. 13,84 EUR brutto/h bereits nicht
darlegen konnte, hatte die Kammer folglich nicht mehr darüber zu entscheiden, ob
die Beklagte zur weitergehenden Kürzung des Deckelungsbetrages um 10 % auf
12,47 EUR brutto/h (richtig berechnet wohl 12,46 EUR/h) berechtigt war. Die
Kammer merkt jedoch an, dass auch insoweit durchaus Bedenken bestehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung
des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu
haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der
Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, allerdings nur, soweit er in den
tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (siehe BAG, Urteil vom 22.
April 2010 – 6 AZR 962/08 –, juris, Rn. 18). Ob das Verhandlungsergebnis vom
22.05.2012, das den Willen der Tarifvertragsparteien zur Deckelung auf 90 %
durchaus enthalten dürfte, in den tariflichen Normen seinen Niederschlag
gefunden hat, erscheint indes fraglich. Es ist nicht aus sich heraus verständlich,
dass die Tarifvertragsparteien, wenn sie im Tarifwortlaut vom „Äquivalent einer
durchschnittlichen Leistungszulage der Branche“ sprechen, hiermit schlicht einen
fixen Prozentsatz i.H.v. 10 Prozent meinen, zumal Letzteres regelungstechnisch
sehr einfach in den Tarifvertrag hätte aufgenommen werden können, wie § 2 Abs.
4 S. 2 des am 01.01.2013 in Kraft getretenen Tarifvertrages über
Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der
kunststoffverarbeitenden Industrie zeigt. Dort heißt es schlicht: „Von diesem
Stundenentgelt wird ein Eingliederungsabschlag von 10 % vorgenommen“.
Letztlich kann dies vorliegend jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit
dahinstehen.
37 2. Der Anspruch des Klägers auf die titulierten Zinsen folgt aus §§ 280 Abs. 1, 3,
286 Abs. 1, 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB. In dem darüber hinausgehenden Umfang war
die Klage teilweise abzuweisen. Der Zinsantrag des Klägers war insoweit
überhöht, als er die Rückstände stetig aufsummiert hat und für den Folgemonat
abermals Zinsen aus dem aufsummierten Betrag bis zum Zahlungszeitpunkt
begehrte. Hätte die Kammer dem Antrag des Klägers insoweit entsprochen, würde
er entgegen dem Gesetzeswortlaut für jeden monatlichen Rückstand mehrfach
Zinsen erhalten.
II.
38 1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO
i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Kosten des Rechtsstreits waren nach dem
Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens unter Berücksichtigung der teilweisen
Klagerücknahme zu teilen. Die Kammer hat hierbei den zurückgenommen, auf die
Feststellung der fehlenden Berechtigung der Beklagten zur Deckelung der
Zuschläge ab Juni 2013 gerichteten Antrag gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 GKG mit 36
(dreifacher Jahresbetrag) x 575,67 EUR (Durchschnitt der einbehaltenen
Zuschläge in den Monaten ab Juni 2013) x 80 % (Abschlag wegen des
Feststellungscharakters des Antrages) = 16.579,30 EUR bewertet. Da der Kläger
diesen Betrag, die Beklagte die ausgeurteilten 4.383,41 EUR kostenmäßig zu
tragen hat, ergibt sich bei einem fiktiven Streitwert von 20.962,71 EUR die aus dem
Tenor ersichtliche Kostenverteilung.
39 2. Der Wert des Streitgegenstands der Entscheidung, der gem. § 61 Abs. 1 ArbGG
im Urteil festzusetzen ist, wird auf 4.383,41 EUR festgesetzt Der Zahlungsantrag
wurde dabei mit dem Nennwert der streitigen Forderung berücksichtigt. Hierbei
handelt es sich nicht um den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Streitwert.
40 3. Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG
sind nicht gegeben. Die Berufung ist jedoch kraft Gesetz für die Beklagtenseite
zulässig. Für den Kläger ist wegen der teilweise abgewiesenen Zinsen keine
Berufung möglich, da die Zinsen als Nebenforderung bei der Berechnung der
Berufungssumme gemäß § 4 Abs. 1 HS 2 ZPO unberücksichtigt bleiben (siehe
Musielak/Ball, ZPO, 10. Auflage 2013; § 511, Rn. 37) und im Übrigen auch die
Berufungssumme nicht erreicht wäre.
41 Da die Berufung für den Kläger nicht möglich ist, steht ihm bei Erreichen des
Beschwerdewertes gemäß § 567 Abs. 2 ZPO das Rechtsmittel der sofortigen
Beschwerde gegen die Kostenentscheidung zu. Denn nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich die Kammer anschließt, ist
auch eine einheitliche Kostenentscheidung insoweit isoliert anfechtbar, als sie
neben dem Obsiegen und Unterliegen in dem zur Hauptsache entschiedenen Teil
auch auf einer teilweisen Rücknahme, einer teilweisen Erledigung oder einem
teilweisen Anerkenntnis beruht (sog. gemischte Kostenentscheidung). Soweit die
Hauptsache demnach nur teilweise durch Klagerücknahme abgeschlossen wurde,
bleibt es bei der isolierten Anfechtbarkeit, auch wenn sich dieser Umstand lediglich
auf die Quote einer einheitlichen Kostenentscheidung ausgewirkt hat. Denn, so der
Bundesgerichtshof zutreffend, auch insoweit kommt eine Sachentscheidung nicht
mehr in Betracht und die Kostenquote ist deswegen, soweit sie auf diesem Teil der
Hauptsache beruht, unabhängig von einer weiteren Entscheidung zur Hauptsache
nachprüfbar (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – XII ZB 165/06 –, juris, Rn.
8).