Urteil des ArbG Stuttgart vom 10.03.2016

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ArbG Stuttgart Urteil vom 10.3.2016, 11 Ca 6834/15
Anrechenbarkeit von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn; Urlaubs- und
Weihnachtsgeld; Freiwilligkeitsvorbehalt
Leitsätze
1. Vergütungsbestandteile, die laufend monatlich ohne besondere Zweckbindung durch den
Arbeitgeber an den Arbeitnehmer als echte Entgeltleistung bezahlt werden, sind auf den
Mindestlohnanspruch anrechenbar. Eine lediglich formale Bezeichnung der Leistungen als "Urlaubs-
/Weihnachtsgeld" steht einer Anrechnung nicht entgegen.
2. Ein etwaiger (im konkreten Falle aufgehobener) vereinbarter Freiwilligkeitsvorbehalt steht einer
Anrechnung nicht entgegen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf Euro 753,76 festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung rückständiger Beträge unter dem
Gesichtspunkt der Geltung des Mindestlohngesetzes (nachfolgend MiLoG).
2 Die Klägerin ist seit dem 01.12.2008 bei der Beklagten als Verkaufshilfe, zuletzt in Teilzeit zu 120
Stunden monatlich, beschäftigt. Die Beklagte bezahlt an die Klägerin seit dem 01.01.2015 ein
monatliches Gesamtbruttoentgelt von 1.020,50 Euro, wobei in diesem Betrag ein Betrag von
925,78 Euro brutto zuzüglich eines Betrages für „Sonderzahlung/anteiliges Weihnachtsgeld bzw.
Urlaubsgeld von 38,57 Euro (58,15 Euro brutto) enthalten ist (vgl. die vorgelegten Abrechnungen
für die Monate Januar 2015 bis August 2015, Anlage B4, Abl. 45 ff.). In den Zeiträumen des
Krankengeldbezuges der Klägerin am 24.04.2015 und vom 24.07.2015 - 01.08.2015 wurde weder
das Grundgehalt noch die Sonderzahlungen geleistet. Die Klägerin arbeitete in den Monaten
Januar 2015 bis Oktober 2015 regelmäßig unter 120 Stunden monatlich (vgl. im Einzelnen die
nicht bestritten aufgeführten Zeiten im Schriftsatz der Beklagten vom 30.11.2015, Abl. 21). Die
jeweiligen Abrechnungen enthalten jeweils folgenden Vermerk:
3
„Liebe Mitarbeiter/innen,
seit 01.01.2012 werden Sonderzahlungen wie z.B. Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld als fester
Gehaltsbestandteil bereits mit jeweils 1/12 der jährlichen Gesamtsumme jeden Monat ausbezahlt
….(…)“
4 Die Beklagte zahlt jedenfalls seit dem Jahr 2012 das Urlaubsgeld unabhängig vom Urlaubsantritt
bzw. der Urlaubsnahme als festen monatlichen Betrag, auch das Weihnachtsgeld wird als fester
monatlicher Betrag bezahlt. Sowohl Weihnachtsgeld als auch Urlaubsgeld wird nur bezahlt, wenn
der Klägerin im Übrigen ein Entgeltanspruch zusteht.
5 Dem Arbeitsverhältnis der Parteien lag zunächst der unter dem Datum vom 11.11.2008
abgeschlossene Arbeitsvertrag zu Grunde. Dieser enthält in § 5 spezifische Regelungen zu
„Sonderzahlungen/Zuwendungen“, insbesondere einen Freiwilligkeitsvorbehalt und eine
„Sonderzahlungen/Zuwendungen“, insbesondere einen Freiwilligkeitsvorbehalt und eine
Stichtags- und Rückzahlungsklausel (vgl. im Einzelnen Anlage B1, Abl. 33 ff.). Unter dem Datum
vom 31.03.2012 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, dieser enthält in § 4 und § 5
nachfolgende Regelungen (vgl. im Einzelnen Anlage B2, Abl. 38 ff.):
6
„§ 4 Vergütung
7
4.1.1 Der/die Arbeitnehmer/in erhält ein monatliches Gehalt von 1.800,00 EUR brutto.
8
4.1.2. Freiwillige Sonderzahlungen gemäß § 5 wie:
9
Das Urlaubsgeld beträgt zur Zeit EUR 977,00 1/12 davon sind monatlich EUR 81,42 brutto
10 Das Weihnachtsgeld beträgt zur Zeit EUR 900,00 1/12 davon sind monatlich EUR 75,00 brutto
11 ____________________________________________________________________________
12 ergibt einen monatlichen Auszahlungsbetrag (beinhaltet: Gehalt, freiwillige Sonderzahlung
Urlaubsgeld und freiwillige Sonderzahlung Weihnachtsgeld) von EUR 1.956,42 brutto
13 ____________________________________________________________________________
14 (…)
15
§ 5 Sonderzahlungen z.B. Urlaubsgeld/Weihnachtsgeld
16 5.1 Der/die Arbeitnehmer/in erkennt an, dass etwaige Sonderzahlungen/Zuwendungen freiwillig
gezahlt werden und hierauf auch nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch erwächst.
17 5.2 Die jeweilige Höhe der Zahlung steht im Ermessen der Arbeitgeberin und kann von der
Arbeitgeberin jeweils zum Beginn eines jeden Kalenderjahres neu festgelegt werden.
18 5.3 Freiwillige Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld werden derzeit in 12
gleichen Teilbeträgen mit dem laufenden monatlichen Gehalt ausgezahlt.
(…)“
19 Unter dem Datum vom 29.08.2014 schlossen die Parteien einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag ab
(vgl. Anlage K2, Abl. 10 f.), dieser enthält unter § 4 nachfolgende Regelung:
20
„§ 4 Vergütung
21 4.1. (4.1.1.) Der/die Arbeitnehmer/in erhält ein monatliches Gehalt von 897,00 EUR brutto.
22 4.1.2. Freiwillige Sonderzahlung gemäß §5 wie:
23 Das Urlaubsgeld beträgt zur Zeit EUR 673,79 1/12 davon sind monatlich EUR 56,15 brutto
24 Das Weihnachtsgeld beträgt zur Zeit EUR 448,50 1/12 davon sind monatlich EUR 37,38 brutto
25 ____________________________________________________________________________
26 ergibt einen monatlichen Auszahlungsbetrag (beinhaltet: Gehalt, freiwillige Sonderzahlung
Urlaubsgeld und freiwillige Sonderzahlung Weihnachtsgeld) von EUR 990,53 brutto
27 ____________________________________________________________________________
28 Die Klägerin ist der Rechtsaufassung, dass weder das bezahlte Weihnachtsgeld noch das
Urlaubsgeld bei der Betrachtung der Frage, ob die Beklagte den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2
MiLoG gewähre, Berücksichtigung finden könne. Mit diesen Zahlungen würde keine
Arbeitsleistung abgegolten. Im Übrigen fehle es an der Unwiderruflichkeit der Leistung, so dass die
Sonderzuwendungen nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden könnten. Die Formulierung
in den Arbeitsverträgen, wonach die Beträge „zur Zeit“ in der entsprechenden Höhe geleistet
würden, belege gerade, dass kein fester Gehaltsbestandteil vorliege.
29 Die Klägerin beantragt:
30
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den noch offenen Betrag in Höhe von 753,76
Euro brutto nebst 5% -Punkte Zinsen seit dem 01.10.2015 zu zahlen.
31 Die Beklagte beantragt:
32
Klagabweisung.
33 Die Klage sei bereits unschlüssig, da die Klägerin nicht darlege, wie sie konkret in den einzelnen
Monaten gearbeitet habe. Nur auf Basis von gearbeiteten Stunden bestünde ein
Mindestlohnanspruch, eine abstrakte fiktive Berechnung auf Basis der monatlich vereinbarten
Stunden sei nicht möglich.
34 Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass die gewährten Sonderzahlungen als feste, monatlich
gewährte Gehaltsbestandteile auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin angerechnet werden
könnten. Ein etwaig bestehender Freiwilligkeitsvorbehalt - der im Übrigen selbst bei dessen
Fortbestehen einer Anrechnung der Zahlungen auf den Mindestlohn nicht entgegenstehe - sei
durch die schriftlich vereinbarten Vertragsänderungen bzw. zumindest durch die eindeutigen
Hinweise im Rahmen der Abrechnungen aufgehoben worden. Da die Zahlungen als fester
Gehaltsbestandteile auch in dem nach dem Mindestlohn vorgesehenen Fälligkeitszeitraum
bezahlt würden, sei - unabhängig von den Streitpunkten, welche Zahlungen im Einzelfall auf den
Mindestlohn angerechnet werden können - eine Anrechnungsmöglichkeit im vorliegenden Fall
eindeutig.
35 Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die
Verhandlungsprotokolle verwiesen, vgl. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
36 Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein weitergehender Zahlungsanspruch nach § 1
Abs. 1, Abs. 2 MiLoG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag zu. Die Klage erweist sich bereits als
unschlüssig (vgl. I. 1 der Gründe). Im Übrigen hat die Beklagte durch die Zahlung des monatlich
geleisteten „Weihnachts- und Urlaubsgeldes“ den Mindestlohnanspruch der Klägerin in jeden Fall
erfüllt, da diese Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin anzurechnen
sind (vgl. I. 2 der Gründe). Im Einzelnen:
I.
37 1. Die (wenn nicht sogar im Hinblick auf die Anforderungen der §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 253 Abs.
2 ZPO sogar unzulässige) Klage ist bereits unschlüssig.
38 a) Unabhängig von der streitigen Frage, ob der Mindestlohnanspruch nach § 1 Abs. 1, Abs. 2
MiLoG nur für geleistete Arbeitsstunden besteht, wofür der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 MiLoG
(„erbrachte Arbeitsleistung“) spricht (vgl. zum Streitstand etwa Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht, 16. Auflage, 460 § 1 MiLoG Rz. 18 ff. m.w.N.) hat der für den Lohnanspruch
darlegungs- und beweisbelastete Arbeitnehmer darzulegen, ob er den Anspruch aus geleisteter
Arbeit bzw. aus sonstigen Rechtsvorschriften, die einen Zahlungsanspruch auch ohne
Arbeitsleistung vorsehen (etwa § 3 EFZG, §§ 611,615 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag)
begehrt (so zutreffend etwa Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 1 Rz. 37 f.).
39 b) Die Klägerin erfüllt – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – ihre Darlegungslast nicht. Sie
trägt im Ergebnis lediglich einen „fiktiven (Mindest-)Lohnanspruch“ vor, wenn sie in der
Klagebegründung ausführt, dass nach dem Arbeitsvertrag 120 Arbeitsstunden monatlich
vereinbart sind und hieraus ein Anspruch nach dem MiLoG in Höhe von 1.020,00 Euro brutto
monatlich resultiere, was einem monatlichen Differenzanspruch von 94,22 Euro brutto monatlich
entspreche, womit für 8 geltend gemachte Monate ein Nachzahlungsanspruch von 753,76 Euro
brutto bestehe. Ob die Klägerin 120 Stunden im Monat tatsächlich gearbeitet hat bzw. aus
brutto bestehe. Ob die Klägerin 120 Stunden im Monat tatsächlich gearbeitet hat bzw. aus
welchem Rechtsgrund sonst ein Anspruch (gegebenenfalls in Verbindung mit dem MiloG)
besteht, wird nicht dargelegt.
40 2. Die Klage ist auch im Übrigen unbegründet. Auch bei der Annahme, dass die Klägerin einen
Mindestlohnanspruch für 120 Stunden (monatliche Arbeitszeit nach dem Arbeitsvertrag) gemäß §
1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag schlüssig dargelegt hat, besteht
aufgrund Erfüllung durch die Beklagte (§ 362 BGB) kein Anspruch der Klägerin. Die Beklagte hat
mit der monatlichen Zahlung von 1.020,50 Euro brutto einen etwaigen Mindestlohnanspruch der
Klägerin in Höhe von 1.020,00 Euro brutto (120 mal 8,50 Euro brutto) erfüllt, entgegen der Ansicht
der Klägerin sind die monatlich durch die Beklagte bezahlten Beträge in Höhe von 38,57 Euro
bzw. 58,15 Euro brutto auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin anzurechnen.
41 a) Das MiLoG gibt keine ausdrücklichen Anhaltspunkte, welche Zahlungen des Arbeitgebers als
mindestlohnwirksam betrachtet werden können. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass
man zumindest im Ausgangspunkt auf die Rechtsprechung des EUGH zur AN-EntsendeRL
96/71/EG zurückgreifen kann (so etwa Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 460
MiLoG § 1 Rz. 11; vgl. auch Gegenäußerung BReg. BT-Drs. 18/1558, S. 67; Däubler, NJW 2014,
1924 (1926); a.A. etwa Bayreuther, NZA 2014, S. 865, 868 f.). Nach der EUGH Rechtsprechung
können Vergütungsbestandteile in den Mindestlohn einbezogen werden, wenn sie das Verhältnis
zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der Gegenleistung, die er dafür
erhält, auf der anderen Seite nicht verändern (EUGH vom 14.04.2005, NZA 2005, 773; EUGH
vom 07.11.2013, NZA 2013, 1359). Das Bundesarbeitsgericht geht in Urteilen zum AentG von
einer Anrechnung aus, wenn der Zweck der Leistung des Arbeitgebers mit dem Zweck des
Mindestlohnes „funktionell gleichwertig“ ist, wenn also die Zahlung des Arbeitgebers die
„Normalleistung“ des Arbeitnehmers abgelten soll (so etwa BAG vom 18.04.2012, NZA 2013, 392;
vgl. auch BAG vom 16.04.2014, NZA 2014, 1277).
42 Unabhängig von Streitpunkten im Einzelnen sind Einmalzahlungen wie etwa Weihnachts- und
Urlaubsgeld jedenfalls dann nach so wie ersichtlich einhelliger Meinung als mindestlohnwirksam
anzusehen, wenn sie als monatliche Zahlungen bzw. zu dem für den Mindestlohn relevanten
Fälligkeitsdatum (vgl. hierzu § 2 I S. 1 Nr. 2 MiLoG) unwiderruflich als echte Entgeltbestandteile –
unabhängig von sonstigen weiteren Voraussetzungen wie etwa tatsächlicher Urlaubsantritt,
besondere Stichtagsklausel etc. - ausbezahlt werden, d.h. keine Sonderzahlungen im klassischen
Sinne, die nicht die Arbeitsleistung vergüten sollen, darstellen (vgl. nur Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht, 16. Auflage, § 1 MiLoG 460 § 1 Rz. 15; vgl. auch Arbeitsgericht Herne vom
07.07.2015 – 3 Ca 684/15; vgl. auch Sittard, NJW 2016, 264; vgl. auch LAG Hamm vom
14.01.2016 – 18 Sa 1279/15; für eine fehlende Anrechnungsmöglichkeit, soweit die Zahlung des
Urlaubsgeldes bzw. Weihnachtsgeldes nicht der Vergütung der Arbeitsleistung dienen soll, d.h.
an andere Zwecke wie etwa die tatsächliche Urlaubsnahme anknüpft, hingegen etwa LAG-Berlin
Brandenburg vom 02.10.2015 – 9 Sa 570/15; vgl. auch Arbeitsgericht Bautzen vom 25.06.2015 –
1 Ca 1094/15; vgl. auch Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 1 Rz. 44).
43 b) Nach den obig dargestellten Ausführungen sind die monatlich geleisteten Zahlungen der
Beklagten in Höhe von 38,57 Euro brutto bzw. 58,15 Euro brutto als monatliche Zahlungen, die
die Arbeitsleistung vergüten und ersichtlich keinen sonstigen Zwecken (mehr) dienen, als
mindestlohnwirksam anzuerkennen.
44 aa) Die Beklagte erbringt die Leistungen als unwiderrufliche Leistungen. Richtig ist zwar, dass der
ursprüngliche Arbeitsvertrag nicht nur einen Freiwilligkeitsvorbehalt enthielt, sondern eine
Rückzahlungsklausel vorsah (vgl. Abs. 3 des § 5 des Arbeitsvertrages vom 11.11.2008). Der
Vertrag ist indes in den entscheidenden Punkten durch die Vertragsänderungen aus dem Jahre
2012 (Anlage B2) und 2014 (Anlage B3) abgeändert worden. In dem Arbeitsvertrag aus dem
2012 (Anlage B2) und 2014 (Anlage B3) abgeändert worden. In dem Arbeitsvertrag aus dem
Jahre 2012 ist die Rückzahlungsklausel entfallen, vielmehr ist in Ziffer 5.3 geregelt, dass
freiwillige Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld derzeit in 12 gleichen
Teilbeträgen mit dem laufenden monatlichen Gehalt ausbezahlt werden. In diesem
Zusammenhang ist auch der Änderungsvertrag aus dem Jahre 2014 zu sehen, der in § 4.1.2 nur
noch von „freiwilligen Sonderzahlungen“ in fester Höhe spricht. Im Ergebnis ist die ursprünglich
vorhandene Rückzahlungsklausel aufgehoben worden.
45 Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert hieran auch der Umstand nichts, dass im
Änderungsvertrag vom 29.08.2014 angeführt ist, dass das Weihnachts-bzw. Urlaubsgeld zur Zeit
673,79 Euro bzw. 448,50 Euro brutto (monatlich 56,15 bzw. 37,38 Euro brutto) betrage. Diese
Formulierung gibt nur die zur Zeit aktuelle Höhe des Betrages wieder, stellt jedoch keinen
Vorbehalt der Zahlung als solcher dar und regelt auch keinen Rückzahlungsvorbehalt. Eine
derartig weitgehende Erklärung kann den Worten „zur Zeit“ nicht entnommen werden.
46 bb) Die Beklagte erbringt die Zahlungen als monatliche Zahlungen im maßgeblichen
Fälligkeitszeitraum (im Zeitraum, den § 2 Abs. 1 MiLoG als Fälligkeitszeitraum definiert) und die
Zahlungen sind echte Entgeltbestandteile, die weder ausschließlich noch parallel (sog. gemischte
Zweckbindung) andere Zwecke wie etwa Betriebstreue oder ein Erholungsbedürfnis (bezüglich
des Urlaubsgeldes) verfolgen. Die Beklagte hat – klägerseits nicht bestritten – dargelegt, dass
das Urlaubsgeld unabhängig von der tatsächlichen Urlaubsnahme als monatlich fester
Gehaltsbestandteil bezahlt wird. Ferner hat die Beklagte dargelegt, dass die Zahlungen nur
erfolgen, wenn ein Lohnanspruch der Klägerin, etwa aus geleisteter Arbeit oder aufgrund
Entgeltfortzahlung besteht. Für die Zeit des Krankengeldbezuges erfolgte die Zahlung nicht. Dies
dokumentiert eindeutig, dass die geleisteten Zahlungen Entgelt im engeren Sinne sind. Dies wird
auch durch den im Rahmen der Abrechnung enthaltenen Hinweis bestätigt, wonach
Sonderzahlungen wie z.B. Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld als fester Gehaltsbestandteil bereits
mit jeweils 1/12 der jährlichen Gesamtsumme jeden Monat ausbezahlt werden. Zusätzlich ist in
der Januar 2015 Abrechnung aufgeführt, dass die Mitarbeiter ab dem 01.01.2015 eine
Gehaltserhöhung erhalten. In diesem Rahmen wurden auch die monatlichen Teilbeträge
angepasst, auch dies bestätigt die Auslegung als echter – von sonstigen Zwecken unabhängiger
– Entgeltbestandteil.
47 cc) Die geleisteten Zahlungen der Beklagten stehen – jedenfalls bezüglich der Zeiträume, die
Gegenstand der Klage sind – unter keinem Freiwilligkeitsvorbehalt. Im Übrigen würde selbst bei
fortbestehendem Freiwilligkeitsvorbehalt die Mindestlohnwirksamkeit der Zahlungen nicht
entfallen.
48 (1) Der ursprüngliche Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2008 enthält mit der Formulierung in § 5
Absatz 1 „Der/die Arbeitnehmer/in erkennt an, dass etwaige Sonderzahlungen/Zuwendungen
freiwillig gezahlt werden und hierauf auch nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch
erwächst“ einen Freiwilligkeitsvorbehalt. Dieser führt – die AGB-rechtliche Wirksamkeit unterstellt -
dazu, dass der Arbeitgeber (für die Zukunft) frei ist, ob er eine entsprechende Leistung gewährt
oder nicht (vgl. nur etwa Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 230 BGB §§ 305 –
310, Rz. 72 m.w.N.; vgl. auch BAG vom 14.09.2011, NZA 2012, S. 81).
49 Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt ist aufgehoben worden. Durch die Formulierung in den monatlich
erteilten Abrechnungen, wonach die Zahlungen als fester monatlicher Gehaltsbestandteil
erfolgen, hat die Beklagte ein Angebot auf Aufhebung des Freiwilligkeitsvorbehalts unterbreitet,
welches der Kläger über § 151 BGB (als für ihn günstiges Angebot) angenommen hat. Die
Formulierung „fester Gehaltsbestandteil“ bringt gerade deutlich zum Ausdruck, dass die
Zahlungen nicht einer einseitigen Änderungsmöglichkeit bzw. Einstellungsmöglichkeit der
Zahlungen nicht einer einseitigen Änderungsmöglichkeit bzw. Einstellungsmöglichkeit der
Beklagten (in der Zukunft) unterliegen sollen.
50 Ob im Übrigen darüber hinaus durch die Vertragsformulierung im Änderungsvertrag 2014,
wonach unter § 4.1.2 nur noch auf eine „freiwillige Sonderzahlung nach § 5“ abgestellt wird (ohne
die nochmalige Formulierung, dass die Leistungen nicht nur freiwillig erfolgen, sondern auch
ohne Rechtsanspruch für die Zukunft), kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
51 (2) Selbst wenn man nicht von einer Aufhebung des Freiwilligkeitsvorbehalts ausgehen würde,
wären die Zahlungen dennoch mindestlohnwirksam. Entscheidend ist, dass auch bei einem
bestehenden Freiwilligkeitsvorbehalt die geleisteten Zahlungen für den Fälligkeitszeitraum
feststehen und – anders als bei einem Widerrufsvorbehalt bzw. bei einer Rückzahlungsklausel –
nicht wieder (einseitig) entzogen werden können. Die Zahlungen stellen daher auch bei einem
Freiwilligkeitsvorbehalt einen festen Gehaltsbestandteil im maßgeblichen Fälligkeitszeitraum dar
(selbst für den Fall der Rückzahlungsklausel von einer Mindestlohnrelevanz ausgehend, da die
Klausel keine Wirksamkeit entfalte, Arbeitsgericht Herne vom 07.07.2015 – 3 Ca 684/15 unter Rz.
28 der Gründe). Die rechtsgeschäftliche Bindung bezüglich der gewährten Leistung besteht bei
einem Freiwilligkeitsvorbehalt fort und begrenzt nur die Bindung für die Zukunft (vgl. hierzu auch
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, §§ 305 – 310 BGB Rz. 72 m.w.N.; vgl. auch
Preis/Sagan, NZA 2012, 697).
52 Nach alledem war die Klage abzuweisen.
II.
53 Die Klägerin trägt als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits, vgl. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG,
§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
III.
54 Der Urteilsstreitwert (§ 61 Abs. 1 S. 1 ArbGG) war auf den Nennbetrag der geltend gemachten
(Haupt-)Forderung festzusetzen, vgl. § 3 ZPO.
IV.
55 Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG bestanden nicht.