Urteil des ArbG Stuttgart vom 06.10.2014

freie mitarbeit, abstrakte berechnung, ordentliche kündigung, einfluss

ArbG Stuttgart Urteil vom 6.10.2014, 11 Ca 2368/14
Abgrenzung - Arbeitsverhältnis - freie Mitarbeit - Redakteur bei einer
Presseagentur
Leitsätze
1. Eine Presseagentur unterfällt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2
Grundgesetz. Die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des
Bundesverfassungsgerichts für den Bereich Funk und Fernsehen entwickelten
Kriterien zur Abgrenzung von Arbeitsverhältnissen gegen Vertragsverhältnisse über
eine freie Mitarbeit sind auf das Pressewesen übertragbar.
2. Bei sogenannten programmgestaltenden Mitarbeitern wirkt sich Art. 5 Abs. 1 S. 2
Grundgesetz dahin aus, dass eine Beschäftigung in freier Mitarbeit als grundsätzlich
zulässige Vertragsgestaltung anzusehen ist.
3. Entgegen der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung kann aber auch bei
programmgestaltenden Mitarbeitern ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn ihnen ein
geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigentinitiative und Selbstständigkeit verbleibt
und die Arbeiten auch in zeitlicher Hinsicht zugewiesen werden.
4. Das ist nicht der Fall, wenn ein Redakteur auf Themen inhaltlich Einfluss nehmen
kann und Zeitungsartikel eigenverantwortlich im Wesentlichen frei von fremder
Kontrolle inhaltlich und sprachlich erarbeitet, sodass sie ihm als Verfasser zugeordnet
werden können und er durch namentliche Nennung nach außen auch als solcher
erkennbar wird. Das ist darüber hinaus nicht der Fall, wenn dem Redakteur bei der
Arbeitsleistung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht Freiräume verbleiben; eine gewisse
organisatorische Einbindung steht dem nicht entgegen. Einer freien Mitarbeit steht
auch nicht entgegen, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wie bei einem
Arbeitsverhältnis abgeführt werden.
Tenor
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Der Streitwert wird auf Euro 11.436,87 festgesetzt.
4.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Zwischen den Parteien sind der Bestand eines Arbeitsverhältnisses, ein
Beschäftigungsbegehren und Ansprüche auf Urlaubsentgelt im Streit.
2 Die Klägerin war für die beklagte Presseagentur seit Oktober 2007 in deren
Landesbüro S. zunächst als Aushilfe tätig und seit dem 01.01.2008 als
journalistische Mitarbeiterin (Redakteurin und Reporterin). Bis Ende 2013 arbeitete
die Klägerin bei einem Stundensatz von EUR 20,00 monatlich an ca. 12 Tagen 90
Stunden monatlich und danach an ca. 10 Tagen deren 80. Die täglich geleisteten
Stunden wurden in einem „Abrechnungsformular für Aushilfskräfte“ erfasst (ABl.
12). Daraus resultierten Vergütungen in den Jahren 2013 und 2014 wie sich das
aus der Anlage B 1 ergibt (ABl. 40). Eine Vergütungszahlung während
Urlaubszeiten erfolgte nicht. Die Klägerin erhielt im Dezember eines jeden Jahres
zusätzlich zu dem als solchen bezeichneten „Aushilfsgehalt“ einen „sonstigen
Bezug“, beispielsweise im Dezember 2013 EUR 1.857,50 brutto. Die Vergütung
wurde an die Klägerin vermindert um die gesetzlichen Abzüge (Steuern und
Sozialabgaben) ausbezahlt (Entgeltabrechnung 12/2013 = ABl. 9).
3 Zu den Aufgaben der Klägerin gehörte es insbesondere, Polizeimeldungen,
Berichte über Gerichtsprozesse sowie bunte, zeitlose Geschichten (z. B. Portraits)
etc. zu recherchieren und zu verfassen. Außerdem schrieb die Klägerin
Recherche-Geschichten, etwa aus der „vermischten Politik“, über soziale Themen
usw.. Die Themen beruhten teilweise auf der Initiative der Klägerin (sogenannte
Initiativgeschichten), insbesondere bei anderweitiger Auslastung der Redakteure
wurden ihr aber auch kleinere Meldungen zugewiesen (sogenanntes
Schwarzbrot).
4 Die von der Klägerin (mit-)verfassten Artikel z. B. zu Gerichtsprozessen oder Top-
Themen im Landesdienst erschienen unter Namensnennung der Klägerin in
verschiedenen Zeitungen (Anlage K 7 = ABl. 63 ff., Anlage K 9 = ABl. 71 ff.).
5 Die Klägerin wurde in der Redaktion der Beklagten wie auch ihr Kollege S. als
„freie Mitarbeiterin“ bezeichnet, beispielsweise im elektronischen Planungssystem
Plato, in welchem die An- und Abwesenheit der Mitarbeiter, (Gerichts-)Termine
oder aktuelle Themen eingetragen wurden (Auszüge = ABl. 59 ff.).
6 Die Klägerin arbeitete üblicherweise von Montag bis Dienstag oder Mittwoch, aber
in Absprache mit dem Kollegen S. bzw. je nach Lage der Gerichtsverhandlungen
auch an anderen Tagen. Schreibarbeiten erledigte die Klägerin überwiegend in
den Räumlichkeiten der Beklagten, wofür ihr ein Tisch, nicht aber sonstige
Arbeitsmittel (Laptop, UMTS-Karte usw.) zur Verfügung gestellt wurden. Während
ihrer Anwesenheitszeiten nahm die Klägerin auch an Redaktionskonferenzen teil.
Der Aufforderung des Landesbüroleiters O. im Herbst/Winter 2013, häufiger im
„Home-Office“ zu arbeiten, kam die Klägerin nicht nach. Seitdem ist sie jedoch
gelegentlich auch unmittelbar für eine Zeitung tätig.
7 Mit am 31.03.2014 der Klägerin übergebenen Schreiben teilte ihr die Beklagte die
Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zum 31.05.2014 mit (ABl. 11). Mit
Schreiben vom 27.06.2013 sprach die Beklagte die vorsorgliche ordentliche
Kündigung eines etwa bestehenden Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2014 aus
(ABl. 45).
8 Dagegen setzt sich die Klägerin mit der am 09.04.2014 bei Gericht eingegangenen
und am 04.07.2014 erweiterten Klage zur Wehr.
9 Die Klägerin trägt vor und vertritt die Ansicht,
10 zwischen den Parteien bestehe ein Arbeitsverhältnis, welches von der Beklagten
nicht wirksam beendet worden sei. Insbesondere seien die Kündigungen vom
31.03.2014 und vom 27.06.2014 sozial ungerechtfertigt und unwirksam nach den
§§ 1 Abs. 1 KSchG. Kündigungsgründe lägen nicht vor. Zwischen den Parteien
bestehe kein freies Mitarbeiterverhältnis. Dagegen spreche schon die für ein
Arbeitsverhältnis typische Abrechnung der Vergütung. Die Klägerin sei darüber
hinaus in die betrieblichen Abläufe eingebunden und habe regelmäßige Arbeits-
bzw. Anwesenheitszeiten gehabt. Im Bedarfsfalle habe sie sich mit ihrem Kollegen
S. abgesprochen, damit stets einer von beiden im Büro der Beklagten anwesend
sei. Über das Planungssystem Plato habe die Beklagte sie verplant bzw. die
Klägerin selbst Termine insbesondere der Gerichtsverhandlungen eingetragen.
Termine habe sie nur abgelehnt, wenn andere Arbeiten für die Beklagte oder
private Verpflichtungen und Pläne kollidiert hätten. Auf die von ihr verfassten
Berichte - auch Initiativgeschichten - habe die Beklagte entscheidenden Einfluss
genommen.
11 Im Herbst/Winter 2013 habe der spätere Landesbüroleiter O. auf eine Reduzierung
der Arbeitszeit und die Aufnahme einer Nebentätigkeit gedrängt. Damit habe sie
sich einverstanden erklärt, um ihren Arbeitsplatz zu sichern. Der gewünschten
Verlagerung der Tätigkeit in das „Home-Office“ hätte aber der Abstimmungsbedarf
in der Redaktion, insbesondere in den Redaktionskonferenzen,
entgegengestanden.
12 Die Beklagte schulde noch Vergütung für die Urlaubszeiten der Klägerin in den
Jahren 2011 bis 2013.
13 Die Klägerin beantragt zuletzt:
14
1. Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit 01.01.2008 ein
Arbeitsverhältnis besteht.
15
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch das undatierte
Schreiben der Beklagten, welches der Klägerin am 31.03.2014 übergeben
wurde, nicht zum 31.05.2014 aufgelöst wird.
16
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin jeweils in der Zeit von Montag bis
Mittwoch jeweils 7,5 Stunden als Redakteurin zu beschäftigen.
17
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin brutto EUR 5.400,00 nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
18
5. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch
die Kündigung von der Beklagten vom 27.06.2014 zum 31.08.2014 oder
einem anderen Zeitpunkt aufgelöst wird.
19 Die Beklagte beantragt,
20
die Klage wird abgewiesen.
21 Die Beklagte trägt vor und vertritt die Ansicht,
22 zwischen den Parteien habe kein Arbeits- sondern ein Beschäftigungsverhältnis
über eine freie Mitarbeit bestanden, welches durch die am 31.03.2014 übergebene
Erklärung sein Ende gefunden habe. Die Klägerin sei als journalistische
Mitarbeiterin weder in den Betrieb eingegliedert noch Weisungen der Beklagten
unterworfen gewesen. Die von ihr übernommenen Aufgaben, kleinere Berichte zu
recherchieren und zu schreiben, insbesondere sogenannte Initiativgeschichten,
würden bei der Beklagten überwiegend von freien Mitarbeitern erledigt. Die
Klägerin habe ihre Arbeitszeiten in Abstimmung mit dem anderen freien Mitarbeiter
frei festgelegt, was sowohl Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit als auch die
jeweiligen Wochentage betreffe. In Abstimmung mit dem weiteren freien Mitarbeiter
habe die Klägerin ihren Urlaub festgelegt. Die Klägerin habe auf freiwilliger
Grundlage an den Redaktionskonferenzen teilgenommen. Gerade wegen der
freien Zeiteinteilung sei die Mitteilung der Anwesenheiten über das System Plato
erforderlich, das ohnehin nur der Orientierung diene. Die Klägerin habe mitunter
Termine auch abgelehnt. Sie habe eine stark variierende monatliche Vergütung
bezogen, die aus sozialrechtlichen Gründen den Abgaben unterworfen sei.
23 Die Tätigkeit in den Betriebsräumen der Beklagten beruhe auf dem ausdrücklichen
Wunsch der Klägerin, nicht aber auf einer Anweisung.
24 Der weiteren Einzelheiten wegen wird auf die gewechselten Schriftsätze der
Parteien vom 09.04.2014, 25.06.2014, 04.07.2014, 18.07.2014 und 31.07.2014
sowie die bezeichneten Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 06.08.2014
(ABl. 108, 109) Bezug genommen, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
25 Die Klage ist nur teilweise zulässig, in der Sache aber unbegründet. Das
Rechtsverhältnis der Parteien ist kein Arbeitsverhältnis. Es hat zum 31.05.2014
sein Ende gefunden.
A
26 Die Klage ist nur teilweise zulässig.
I.
27 Der Klagantrag Ziff. 1 gerichtet auf Feststellung, zwischen den Parteien bestehe
seit dem 01.01.2008 ein Arbeitsverhältnis ist unzulässig.
28 Die begehrte Feststellung ist schlicht Rechtsfolge der Begründetheit der
Kündigungsschutzklage. Ein weitergehendes Feststellungsinteresse i. S. v. § 256 I
ZPO hat die Klägerin nicht dargelegt. Sonstige Ansprüche kann sie mit
Leistungsanträgen verfolgen, wie sie das z. B. wegen Urlaubs mit dem Antrag
Ziffer 4 getan hat.
II.
29 Das Kündigungsschutzbegehren nach dem Klagantrag Ziff. 2 ist zulässig.
30 Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges ist unabhängig davon gegeben,
ob das Vertragsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis oder ein solches über
eine freie Mitarbeit zu qualifizieren ist. Denn diese Frage ist auch und damit doppelt
relevant für den Erfolg oder Misserfolg der Klage. Nur beim Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses greift der geltend gemachte Kündigungsschutz nach § 1
KSchG. Nach der Feststellung es liege kein Arbeitsverhältnis vor und Verweisung
des Rechtsstreits in einen anderen Rechtsweg würde die Klage dort abgewiesen
werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es deshalb in
einem Fall wie dem vorliegenden ausreichend, wenn das Vorliegen eines
Arbeitsverhältnisses behauptet wird (sogenannter sic-non-Fall, vgl. BAG
24.04.1996 - AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 1).
31 Die Zulässigkeit des Antrags folgt im Übrigen aus § 4 KSchG.
III.
32 Der Klagantrag Ziff. 4 gerichtet auf Urlaubsvergütung für die Jahre 2011 bis 2013
ist dagegen unzulässig, weil der Streitgegenstand im Sinne des § 253 Abs. 2 Ziff. 2
ZPO nicht erkennbar ist.
33 Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht, für welche einzelnen Zeiträume
die Vergütung gefordert wird, insbesondere, an welchen 12 Arbeitstagen in dem
jeweiligen Kalenderjahr Urlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes gewährt und
genommen wurde. Die Klage beschränkt sich auf die - ungenügende - abstrakte
Berechnung.
B
34 Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet, weil zwischen den Parteien kein
Arbeitsverhältnis besteht und die Klägerin infolgedessen keinen Kündigungsschutz
nach § 1 KSchG genießt.
I.
35 Dabei kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die in gefestigter
Rechtsprechung zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem
Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers im Bereich Funk und Fernsehen
entwickelt wurden.
36 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterscheiden sich beide
durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung
Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privat-rechtlichen
Vertrags im Dienste eines Anderen zur Leistung weisungsgebundener,
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das
Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit
betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei
seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1
Satz 2 Abs. 2 HGB). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls in Betracht zu
ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich
aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für
Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien
ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive
Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der
praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich
Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgebend.
37 Diese Grundsätze sind auch im Bereich Funk und Fernsehen anzuwenden, wobei
der verfassungsrechtliche Schutz der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2
GG zu beachten ist. Allgemein müssen die Gerichte Grundrechte
interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf
der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Das verlangt im Hinblick auf Art. 5
Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der
Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen
des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite. Die
Rundfunkfreiheit erstreckt sich auf das Recht der Rundfunkanstalten, dem Gebot
der Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte auch bei der Auswahl,
Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter Rechnung zu tragen, die bei
der Gestaltung der Programme mitwirken sollen. Es ist von Verfassungs wegen
nicht ausgeschlossen, auch im Rundfunkbereich von den für das Arbeitsrecht
allgemein entwickelten Merkmalen abhängiger Arbeit auszugehen. Allerdings
muss das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht der Rundfunkanstalten,
frei von fremder Einflussnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung
programmgestaltender Mitarbeiter zu bestimmen, angemessen berücksichtigt
werden. Eine Beeinträchtigung kommt nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts in Betracht, wenn die verfügbaren
Vertragsgestaltungen - wie Teilzeitbeschäftigungs- oder Befristungsabreden - zur
Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung in tatsächlicher oder
rechtlicher Hinsicht nicht in gleicher Weise geeignet sind wie die Beschäftigung in
freier Mitarbeit.
38 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist als
„programmgestaltend“ der Kreis derjenigen Rundfunkmitarbeiter anzusehen, „die
an Hörfunk- und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mitwirken. Das gilt
namentlich, wenn sie typischerweise ihre eigene Auffassung zu politischen,
wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse
und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in
die Sendung einbringen, wie dies bei Regisseuren, Moderatoren, Kommentatoren,
Wissenschaftlern und Künstlern der Fall ist.“ Nicht zu den programmgestaltenden
Mitarbeitern gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie
diejenigen, die zwar bei der Verwirklichung des Programms mitwirken, aber keinen
inhaltlichen Einfluss darauf haben.
39 Auch bei programmgestaltenden Mitarbeitern kann entgegen der ausdrücklich
getroffenen Vereinbarung ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehenden
inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also ein geringes Maß an
Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit verbleibt, und der Sender
innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann.
Letzteres ist dann der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder
wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende
Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich
zugewiesen werden (BAG 17. April 2013 - 10 AZR 272/12 - Rn. 15 ff., juris unter
Hinweis auf BVerfG 13. Januar 1982 - 1 BvR 848/77 -; BAG 20. Mai 2009 - 5 AZR
31/08 - Rn. 19 ff., juris; 14. März 2007 - 5 AZR 499/06 - Rn. 13 ff. jeweils mit
zahlweisen Hinweisen zur Rechtsprechung).
40 2. Die Übertragbarkeit der vorstehenden Abgrenzungskriterien auf das
Pressewesen rechtfertigt sich daraus, dass es lediglich um die Konkretisierung
allgemeiner Grundsätze unter Berücksichtigung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
gewährleisteten Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk geht, der durch die
genannte Vorschrift die Pressefreiheit gleichgestellt ist.
41 Diese Rechtsauffassung der Kammer, die den Parteien mitgeteilt wurde, wird
ersichtlich ebenso wenig von einer der Parteien angezweifelt wie der Umstand,
dass die Beklagte als Presseagentur unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG fällt. Auch wenn die Beklagte nicht selbst von ihr bzw. ihren Mitarbeitern
erstellten Artikel veröffentlicht, sondern an Printmedien veräußert, so kann sie sich
gewissermaßen als „verlängerte Werkbank“ auf den Schutzbereich der
Verfassungsnorm berufen.
42 3. Die Klägerin gehört zu den in diesem Sinne „programmgestaltenden Mitarbeiter“.
Denn die Klägerin nahm sowohl bei der Themenwahl als auch bei der
Ausgestaltung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Beiträge entscheidenden
Einfluss. Sie unterlag bei der Erbringung ihrer Dienste keinem inhaltlichen
Weisungsrecht, das ihre Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit
derart weitgehend einschränkte, dass die Annahme eines Arbeitsverhältnisses
gerechtfertigt ist.
43 a) Auch wenn die abschließende Themenwahl in der Redaktionskonferenz erörtert
wird oder durch einen Vorgesetzten beispielsweise den Landesbüroleiter
festgelegt wird, so konnte doch die Klägerin insbesondere bei den sogenannten
Initiativgeschichten entscheidenden Einfluss nehmen und eigene Vorstellungen
einbringen. Die Klägerin konnte selbst in das Informationssystem PLATO
Gerichtstermine eingeben, die aus ihrer Sicht von Interesse waren.
44 Selbst mit der verbindlichen Bestimmung der Themen hätte die Beklagte lediglich
eine Abgrenzung der von der Klägerin geschuldeten Leistung vorgenommen. Dies
ist auch bei einem freien Dienst- oder Werkvertragsverhältnis möglich und üblich,
zumal die Klägerin die Möglichkeit hatte, die Themen im Rahmen der
Redaktionskonferenzen zu beeinflussen. Außerdem war sie ausdrücklich
aufgefordert worden, Initiativgeschichten zu erstellen.
45 Schließlich sind auch freie Mitarbeiter in der Erbringung ihrer Dienstleistung nicht
völlig frei. Durch die Prüfung der sachlichen Richtigkeit nimmt die Beklagte das ihr
als Dienst- oder Auftragsgeberin zustehende Rügerecht wahr. Mit einer Kontrolle
der Qualität seiner Arbeit muss auch der freie Mitarbeiter rechnen. Gelegentliche
inhaltliche Änderungen von Vorschlägen sind nicht geeignet, einem
Rechtsverhältnis das Gepräge eines Arbeitsverhältnisses zu geben. Abhängige
Arbeit wird nicht dadurch gekennzeichnet, dass der Vertragspartner Korrekturen
verlangt. So ist beim Werkvertrag der Werkbesteller berechtigt eine bestimmte
Qualität festzusetzen und Nachbesserungen zu fordern (vgl. BAG 14. März 2007 -
5 AZR 499/06 - Rn. 19 ff., 24, juris; 20. Mai 2009 - 5 AZR 31/08 - Rn. 26, juris).
46 b) Die Klägerin hat betont und durch Vorlage entsprechender Artikel untermauert,
dass sie etliche und auch bundesweit und international beachtete
Gerichtsprozesse, meist vom Auftakt bis zum Urteil, betreut und darüber berichtet
habe und auch sonst viele wichtige Termine wahrgenommen und Recherche-
Geschichten geschrieben habe. Die von der Klägerin als Anlage zum Schriftsatz
vom 18.07.2014 vorgelegten Zeitungsartikel tragen darüber hinaus ihren Namen
als (Mit-)Verfasserin. Damit übt die Klägerin für die Beklagte geradezu die
klassische Tätigkeit einer Journalistin aus.
47 Es ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass auf die von der Klägerin
verfassten Artikel von der Redaktionsleitung der Beklagten derart Einfluss in
inhaltlicher, sprachlicher oder sonstiger Weise ausgeübt wurde, dass sie der
Klägerin als Verfasserin nicht mehr zugeordnet werden könnten. Vielmehr verblieb
der Klägerin das für eine journalistische Tätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2
GG typische Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit, das in
seinem Kern auch nicht durch Vorgaben, Kontrollen und Korrekturen durch die
Beklagte eingeschränkt wurde.
48 4. Das Rechtsverhältnis der Parteien ist auch nicht aus sonstigen Gründen als
Arbeitsverhältnis anzusehen. Insbesondere unterlag die Klägerin keinen
Weisungen in organisatorischer Hinsicht, die für ein Arbeitsverhältnis typisch sind
und war auch nicht entsprechend in die betrieblichen Abläufe eingegliedert.
49 a) In zeitlicher Hinsicht war die Klägerin weitgehend frei. Sie legte in Absprache mit
ihrem Kollegen S. die jeweiligen Wochentage fest, an denen sie ihre Dienste
erbrachte, typischerweise an den Wochentagen Montag, Dienstag und teilweise
Mittwoch. Diese Tage wurden im Bedarfsfalle auch getauscht, worauf die Beklagte
keinen Einfluss nahm. Grund hierfür, wie auch für die Ablehnung einzelner
Aufträge, waren beispielsweise private Verpflichtungen und Pläne. In dieser Weise
verfuhr die Klägerin - wie ihr Kollege S. - auch hinsichtlich des Urlaubs.
50 Im Übrigen waren insbesondere die von der Klägerin wahrzunehmenden
(Gerichts-) Termine in zeitlicher Hinsicht bestimmend für die Tätigkeit der Klägerin.
Zeitliche Vorgaben oder die Verpflichtung, bestimmte Termin für die Erledigung der
übertragenen Aufgaben einzuhalten, sind kein wesentliches Merkmal für ein
Arbeitsverhältnis. Auch bei Dienst- oder Werkverträgen können Termine für die
Erledigung der Arbeit bestimmt werden, ohne dass daraus eine zeitliche
Weisungsabhängigkeit folgt, wie sie für das Arbeitsverhältnis kennzeichnend ist
(BAG 14. März 2007 - 5 AZR 499/06 - Rn. 30, juris).
51 Auch die Anwesenheit zu feststehenden Zeiten (vor und nach der Sendung)
schließt jedenfalls bei programmgestaltenden Mitarbeitern ein freies
Mitarbeiterverhältnis nicht aus. Das gilt ebenso für die notwendige Teilnahme an
zeitlich festgelegten Abstimmungskonferenzen. Entscheidend ist insgesamt, dass
der freie Mitarbeiter, wenn er einmal in einen Dienstplan aufgenommen ist, weiß,
was von ihm, auch in zeitlicher Hinsicht, erwartet wird. In einem solchen Fall erteilt
der Dienstgeber keine Weisungen. Die zeitlichen Vorgaben sind vielmehr
notwendiger Bestandteil der übernommenen Aufgabe (BAG 20. Mai 2009 - 5 AZR
31/08 - Rn. 25, juris).
52 Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob die Klägerin regelmäßig und
gegebenenfalls freiwillig an Redaktionskonferenzen teilgenommen hat oder nicht.
Handelt es sich doch dabei um einen wesensimmanenten Bestandteil der
Tätigkeit.
53 b) In gleicher Weise zog es die Klägerin vor, ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten
der Beklagten zu erbringen, obwohl ihr Herr O. nahelegte, häufiger im „Home-
Office“ zu arbeiten. Hinsichtlich des Orts der Arbeitsleistung übte mithin die
Beklagte überhaupt kein Weisungsrecht aus, sondern die Klägerin setzte sich mit
ihrer Einschätzung durch, dass die Tätigkeit zu Hause die Abstimmung mit der
Redaktion unnötig erschweren würde.
54 c) Bei der gebotenen wertenden Betrachtung fällt nicht entscheidend ins Gewicht,
dass die Klägerin einen Schreibtisch in den Redaktionsräumlichkeiten, einen
Schrank usw. nutzen konnte und Essensmarken bezog. Dabei handelt es sich um
keine entscheidende Arbeitsmittel. Ob dies etwa für einen Laptop gelten würde,
kann offen bleiben, weil die Beklagte einen solchen der Klägerin nicht zur
Verfügung stellte.
55 Im Übrigen müssen auch in einem freien Mitarbeiterverhältnis tätige Filmhersteller
und Moderatoren sich des Personals und der Einrichtungen des Senders
bedienen, um ihre Beiträge technisch sendereif fertig zu stellen. Das
Angewiesensein auf Mitarbeiter und Einrichtungen des Senders kann daher nicht
als Umstand gewertet werden, der auf eine Eingliederung und persönliche
Abhängigkeit schließen lässt (BAG 19. Januar 2000 - 5 AZR 644/98 - Rn. 32, juris).
56 Es ist deshalb nicht entscheidend, dass die Termine mit der Redaktionsleitung
abgestimmt werden mussten, beispielsweise, „da die Fotokollegen meist auch ein
Bild machen mussten“.
57 d) Soweit die Klägerin darauf abstellt, die Beklagte habe für sie
Sozialversicherungsbeiträge und Steuern einbehalten sowie Arbeitgeberanteile
abgeführt, führt dies nicht zur konkludenten Vereinbarung eines
Arbeitsverhältnisses.
58 Die sozial- und steuerrechtliche Behandlung des Mitarbeiters ist arbeitsrechtlich
ohne Belang, weil für die Abgrenzung eines freien Mitarbeiterverhältnisses zu
einem Arbeitsverhältnis primär auf die Umstände abzustellen ist, unter denen die
Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht auf die Modalitäten der Bezahlung (BAG
14. März 2007 - 5 AZR 499/06 - Rn. 34, juris). Im Übrigen hat die Beklagte
ausgeführt, warum die Klägerin auch als freie Mitarbeiterin
sozialversicherungspflichtig gem. § 2 Nr. 9 SGB VI war, weil sie selbst keinen
sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigte und überwiegend für die
Beklagte tätig wurde.
59 5. Die Entscheidung der Beklagten, mit der Klägerin nicht in einem
Arbeitsverhältnis, sondern auf Grund deren freien Mitarbeit zusammen zu arbeiten,
ist deshalb unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht
zu beanstanden. Wie dargelegt, haben die Parteien auch keine von dieser
Absprache abweichende Vertragspraxis gehandhabt.
II.
60 Da die erneute Eröffnung der mündlichen Verhandlung, die am 06.08.2014
geschlossen wurde, war nicht veranlasst. Das Vorbringen der Parteien danach
erschöpft sich zum Teil in rechtlichen Erwägungen oder beinhaltet eine Ergänzung
und Vertiefung in tatsächlicher Hinsicht desjenigen, was bereits vorgetragen war.
61 Da die Klägerin nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten stand, findet § 1
KSchG keine Anwendung.
62 Die Klage gerichtet gegen die Kündigung zum 31.05.2014 war deshalb
abzuweisen.
C
63 Der Klagantrag Ziffer 3 vom 09.04.2014 gerichtet auf Beschäftigung ist zur
Entscheidung nicht angefallen. Der Klägervertreter hat im Termin vom 06.08.2014
klargestellt, dass er als (uneigentlicher) Hilfsantrag und mithin nur für den Fall
gestellt sei, dass der Kündigungsschutzklage Erfolg beschieden ist. Diese
Bedingung ist nicht eingetreten.
64 Dasselbe gilt für den Klagantrag Ziffer 5 vom 04.07.2014 gerichtet gegen die
Kündigung vom 27.06.2014; bei Ausspruch der Kündigung war das
Rechtsverhältnis der Parteien bereits beendet.
D
65 Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, §
91 Abs. 1 ZPO.
66 Der Streitwert war nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Seine Höhe
entspricht dem 3-fachen Bruttomonatsverdienst der Klägerin nach § 42 Abs. 2
GKG zuzüglich dem Nennbetrag der Zahlungsklage.
67 Die Berufung ist zulässig nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 c ArbGG im Hinblick auf
die Rechtsstreitigkeit über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Im Übrigen ist
die Berufung zulässig nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 b ArbGG. Davon
abweichend ist die Berufung nicht zulässig und war auch nicht zuzulassen.
Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 64
Abs. 2 a, Abs. 3 Ziffer 1 ArbGG.