Urteil des ArbG Solingen vom 22.02.2008

ArbG Solingen: juristische person, rechtshängigkeit, arbeitsgericht, klageerweiterung, rückwirkung, satzung, berufungsschrift, vertreter, organisation, fax

Arbeitsgericht Solingen, 5 Ca 1670/07 lev
Datum:
22.02.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Solingen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 1670/07 lev
Schlagworte:
Bezugnahme TV, Behandlung als Gleichbehandlungsabrede, neue
Rechtssprechung
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf € 1.471,24 festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte trotz zwischenzeitlichen Verbandsaustritts
verpflichtet ist, die im Abkommen vom 08.05.07 über die Tariflöhne in der Metall- und
Elektroindustrie NRW vereinbarte Tariflohnerhöhung für die Zeit ab 01.04.07 zu zahlen.
2
Der am 13.07.1949 geborene Kläger, welcher Mitglied der IG Metall ist, ist seit dem
01.09.1977 bei der Beklagten als Versandmitarbeiter tätig. Der bei der Einstellung
abgeschlossene Arbeitsvertrag (Bl. 4 d. A.) enthält folgende Klausel:
3
„Im Übrigen gelten die gesetzlichen Vorschriften, die Bestimmungen des jeweils
gültigen Tarifvertrages für die Metallindustrie NRW, die Sicherheits- und
Gesundheitsvorschriften sowie die beiliegende Arbeitsordnung und andere
Betriebsvereinbarungen unseres Unternehmens in den jeweils geltenden Fassungen.“
4
Die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tarifgebundene Beklagte ist zum 31.12.04 aus
dem Arbeitgeberverband ausgetreten und nicht mehr tarifgebunden. Gemäß
Tarifvertragsschluss der Metallverarbeitenden Industrie vom 08.05.2007 wurde der
Tariflohn von € 2.009,52 auf € 2.154,68 brutto und die Leistungszulage von € 462,19 auf
€ 495,57 brutto erhöht. Zudem vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine
Einmalzahlung in Höhe von 400,-- € brutto, welche im Mai 2007 zu zahlen ist.
5
Der Kläger machte mit Schreiben vom 01.08.2007 gegenüber der Beklagten diese
Tariflohnerhöhung geltend.
6
Mit seiner am 28.09.2007 beim Arbeitsgericht Solingen eingereichten Klage sowie mit
7
seinen Klageerweiterungen begehrt der Kläger die Weitergabe der Tariflohnerhöhung
für die Monate Juni bis November 2007 sowie die Zahlung der Einmalzahlung.
Er ist der Ansicht, die Beklagte sei unabhängig von der fehlenden Tarifbindung aufgrund
arbeitsvertraglicher Vereinbarung zur Zahlung verpflichtet. Die Regelung im
Arbeitsvertrag stelle eine dynamische Verweisungsklausel dar, so dass er Anspruch auf
den jeweiligen Tariflohn für den Bereich der Metall- und Elektroindustrie NRW habe.
8
Der Kläger beantragt,
9
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 178,54 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere € 400,-- brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der
Klageerweiterung vom 28.09.2007 zu zahlen.
11
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere € 357,08 brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
der Klageerweiterung vom 28.09.2007 zu zahlen.
12
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere € 535,62 brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
der Klageerweiterung vom 14.12.2007 zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Sie hält die Klage für unbegründet. Die arbeitsvertragliche Regelung sei entsprechend
der früheren Rechtsprechung als Gleichstellungsabrede zu werten. Der Kläger könne
sich auch nicht auf die neue - geänderte - Rechtsprechung zur Auslegung einer solchen
Klausel berufen, da der Vertrag mit ihm vor dem 01.01.2002 abgeschlossen worden sei
und die neue Rechtsprechung des BAG für derartige Altverträge aufgrund der
Stichtagsregelung nicht gelte.
16
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.
17
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
18
Die zulässige Klage ist unbegründet.
19
I.
20
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die eingeklagten Tariflohnerhöhungen gemäß §
611 BGB in Verbindung mit den einschlägigen tarifvertraglichen Normen.
21
Entscheidungserheblich war allein, ob die im Arbeitsvertrag der Parteien vereinbarte
Anwendung des Tarifvertrages als dynamische Verweisungsklausel oder lediglich als
22
Gleichstellungsabrede zu werten ist.
Die in dem Arbeitsvertrag des Klägers verwendete Bezugnahmeklausel wurde nach der
früheren gefestigten Rechtsprechung der Arbeitsgerichte im Falle einer Tarifbindung
des Arbeitgebers bei Vertragsschluss nicht als dynamische Verweisungsklausel,
sondern als Gleichstellungsabrede bewertet. Sie wurde dahin gehend verstanden, dass
sie lediglich den Zweck zu erreichen hatte, dass die nichtorganisierten Arbeitnehmer
vertraglich in gleicher Weise an den Tarif gebunden werden wie die organisierten
Arbeitnehmer. Entsprechend dieser Auslegung konnten die Arbeitnehmer im Falle eines
Verbandsaustritts des Arbeitgebers nicht unter Berufung auf die arbeitsvertragliche
Klausel trotz nunmehr fehlender Tarifbindung die Anwendung von tariflichen
Vereinbarungen aus der Zeit nach dem Verbandsaustritt auf ihr Arbeitsverhältnis
verlangen.
23
Der für das allgemeine Tarifrecht zuständige 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat
nunmehr nach einer entsprechenden Ankündigung im Urteil vom 14.12.2005 (NZA
2006, 607) mit Urteil vom 18.04.2007 (4 AZR 652/05, NZA 2007, 965) seine
Rechtsprechung insoweit geändert, als für Vereinbarungen nach dem 31.12.2001 die
frühere Auslegungsregel nicht mehr gelten und bei ab diesem Stichtag
abgeschlossenen Verträgen diese Klausel als dynamische Verweisungsklausel zu
werten sein soll. Für Altverträge verbleibt es hiernach allerdings bei der bisherigen
Bewertung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede. Das
Bundesarbeitsgericht begründet diese Stichtagsregelung damit, dass die frühere
Auslegungsregel in jahrelanger Rechtsprechung entwickelt und von der beratenden und
forensischen Praxis als gefestigt angesehen worden sei. Den Arbeitgebern sei insoweit
bei Altverträgen Vertrauensschutz zu gewähren, als diese auf eine bestehende,
langjährige Rechtsprechung vertrauen könnten, da eine vollständige Rückwirkung auf
alle Arbeitsverträge, in denen derartige Verweisungsklauseln vereinbart worden sind, für
die Arbeitgeber, die sich vielfach an höchstrichterlicher Rechtsprechung orientieren,
eine unzumutbare Härte bedeuten würde (BAG, Urteil vom 18.4.2007, aaO.; so im
Ergebnis bei der Frage der Anzeigepflicht bei Massenentlassungen: BAG, Urteil vom
23. März 2006, 2 AZR 343/05, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21). Angesichts der
Dispositionen, welche die Arbeitgeber insoweit im Vertrauen auf den Bestand der immer
wieder bestätigten Rechtsprechung bei unveränderter Rechtslage getroffen haben, wäre
ein tiefgreifender Einschnitt im Sinne einer unbeschränkten Rückwirkung der
Rechtsprechungsänderung auch unter Beachtung der entgegenstehenden berechtigten
Interessen der Arbeitnehmer nicht gerechtfertigt und würde überdies zu einer großen
Verunsicherung in den Betrieben führen (BAG, Urteil vom 18.04.2007, aaO.; Urteil vom
14.12.2005, aaO.).
24
Dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts folgt die entscheidende Kammer
sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis uneingeschränkt. Demnach ist die im
Arbeitsvertrag des Klägers verwendete Bezugnahmeklausel weiterhin als
Gleichstellungsabrede zu bewerten, sodass der Kläger keinen Anspruch auf Weitergabe
der begehrten Tariflohnerhöhnung sowie der Einmalzahlung hat.
25
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
26
II.
27
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert
28
hat das Gericht gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Er gilt zugleich als
Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im Sinne des § 63 Abs. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
29
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
30
B e r u f u n g
31
eingelegt werden.
32
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
33
Die Berufung muss
34
innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger
Form abgefassten Urteils
35
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf Fax:
0211-7770-2199 eingegangen sein.
36
Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft
oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher
Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und
der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche
Befugnis haben Angestellte juristische Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
37
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
38
Gironda
39