Urteil des ArbG Solingen vom 18.08.2006
ArbG Solingen: betriebsübergang, juristische person, erfüllung, kündigung, arbeitsgericht, betriebsrat, verwirkung, täuschung, unternehmensspaltung, arbeitsrecht
Arbeitsgericht Solingen, 2 Ca 593/06 lev
Datum:
18.08.2006
Gericht:
Arbeitsgericht Solingen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 593/06 lev
Schlagworte:
ohne
Normen:
ohne
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
kein Leitsatz vorhanden
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.Streitwert: EUR 13.101,12.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
2
Der am 26.10.1959 geborene Kläger ist seit dem Jahre 1976 bei der Beklagten
beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von
EUR 4.367,04. Er war dem Bereich „Consumer Imaging“ (CI) zugeordnet. Mit Schreiben
vom 22.10.2004 (Bl. 20 ff. d. A.) wurde der Kläger über die geplante Übertragung des
Geschäftsbereichs CI informiert. In dem Schreiben heißt es unter anderem:
3
„(...)
4
die B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG plant, ihren Geschäftsbereich
Consumer Imaging (CI) mit Wirkung zum 1. November 2004 auf die B. Germany
GmbH zu übertragen.
5
(...)
6
2. Zum Grund für den Übergang:
7
Grund des Übergangs ist die rechtliche Verselbstständigung des
Geschäftsbereichs CI in der B. Germany GmbH und deren anschließende
Einbringung in die B. GmbH. Letztere wird direkt im Anschluß daran an die O.
GmbH veräußert. Geschäftsführer der B. Germany GmbH wird ab dem Zeitpunkt
8
des geplanten Übergangs Herr J. sein.
(...)
9
Die B. GmbH mit Sitz in M. umfasst das gesamte bisherige CI-Geschäft der B. I..
AG, also die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte. B. GmbH übernimmt
das Vermögen von CI. Hierzu gehören insbesondere Produktionsanlagen,
Markenzeichen, Patente und technologisches Know-how, Vorräte und
Forderungen.
10
(...)
11
Das Unternehmen wird mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfügt über
hohe Liquidität, um unerwartet auftretende Risiken zu bewältigen, in neue
Geschäfte investieren und Marktchancen besser nutzen zu können.“
12
(…)
13
3. Zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die
Arbeitnehmer:
14
„Mit dem Übergang des Geschäftsbereichs CI tritt die B. Germany GmbH in die
bestehenden, unveränderten Arbeitsverhältnisse ein. Zur Klärung und Regelung
der Einzelheiten haben die B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG, die B.
Germany GmbH und der Betriebsrat der B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG
am 28. September 2004 eine Überleitungsvereinbarung „zur Klärung der
rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse betroffener Arbeitnehmer, auf
die kollektiv-rechtlichen Regelungen sowie auf die betriebsverfassungsrechtlichen
Strukturen“ abgeschlossen, die davon geprägt ist, so weit wie möglich Kontinuität
zu wahren:
15
-Die bei der B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG verbrachten und/oder von
ihr anerkannten Dienstjahre werden als Dienstzeit bei B. Germany GmbH
anerkannt.
16
-Die Zugehörigkeit zu den Arbeitgeberverbänden der Chemischen Industrie wird
auch bei B. Germany GmbH bestehen, d. h. es bleibt bei den Chemie-Tarifen.
17
-Hinsichtlich der Bonus-Regelung für den Zeitraum ab 1. Januar 2004 werden
die Mitarbeiter der B. Germany GmbH so behandelt, als seien sie Mitarbeiter der
B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG, d. h., wenn der Vorstand für die B.-I..-
Gruppe eine solche Zahlung beschließt, wird sie entsprechend auch bei B.
Germany GmbH erfolgen.
18
-Die übergehenden Mitarbeiter können ihre ordentliche Mitgliedschaft in der C.-
Pensionskasse fortsetzen. Die Abstimmung mit der C.-Pensionskasse ist bereits
erfolgt. Die erworbenen Anwartschaften bleiben erhalten.
19
-Die kollektiv-rechtliche Geltung der am 31. Oktober 2004 bei der B.
Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG bestehenden Betriebsvereinbarungen und
Gesamtbetriebsvereinbarungen bleibt bei der B. Germany GmbH unverändert.
20
Dies gilt auch für die bei der B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG geltenden
Richtlinien.
-Die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Sozialplan gilt bei der B. Germany GmbH
als Sozialplan sowohl auf Ebene des Unternehmens wie auch auf örtlicher
Ebene mindestens bis zum 31. Dezember 2007.
21
-Betriebsrat und Vertrauensperson der Schwerbehinderten in München haben
ein Übergangsmandat für B. Germany GmbH bis zur Neuwahl, die bis zum
Sommer 2005 erfolgen wird.
22
-Die bestehenden betrieblichen Einrichtungen (z. B. Kantine, Parkplätze,
Werksarzt) bleiben bei Betriebsübergang unverändert.
23
-Die Pensionäre, die vor dem Übergang auf B. Germany GmbH aus dem
Unternehmen ausgeschieden sind bzw. ausscheiden, verbleiben bei der B.
Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG“
24
(...)
25
7. Zu den Folgen eines Widerspruchs:
26
Im Falle eines fristgerechten Widerspruchs bleibt Ihr Arbeitsverhältnis bei der B.
Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG und geht nicht auf die B. Germany GmbH
über.
27
Da nach dem Übergang des vollständigen Geschäftsbereichs CI auf B. Germany
GmbH Ihr bisheriger Arbeitsplatz bei der B. Deutschland Vertriebsgesellschaft mbH
& Cie. KG nicht mehr vorhanden sein wird und eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, müssen Sie daher im Falle der
Ausübung Ihres Widerspruchsrechts mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses
durch B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG rechnen.
28
Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass nach der eindeutigen Regelung in
der mit dem Betriebsrat der B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG vereinbarten
Überleitungsvereinbarung in diesem Fall kein Anspruch auf eine Abfindung
besteht, weder gegenüber der B. Vertriebsgesellschaft mbH & Cie. KG, noch
gegenüber B. Germany GmbH. Im Falle eines Widerspruchs müssen Sie deshalb
damit rechnen, Ihren Arbeitsplatz ohne jede finanzielle Leistung zu verlieren.
Außerdem sind bei einer eventuellen Arbeitslosigkeit nach einem Widerspruch Ihre
Ansprüche auf Leistung der Agentur für Arbeit in Frage gestellt.
29
Wir empfehlen Ihnen daher dringend, von einem Widerspruch abzusehen.
30
(…)“
31
Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zunächst nicht.
32
Am 25.05.2005 stellte zunächst die B. GmbH beim Amtsgericht L. den Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. Das Insolvenzverfahren
wurde am 01.08.2005 eröffnet und Herr Rechtsanwalt S. zum Insolvenzverwalter
33
bestellt. Nach der Insolvenzantragstellung widersprachen zahlreiche Arbeitnehmer der
B. GmbH dem Übergang des Arbeitsverhältnisses aufgrund des bereits vollzogenen
Betriebsübergangs von der B.-I.. AG auf die B. GmbH.
Im Oktober 2005 stellt auch die B. Germany GmbH einen Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens. Mit Schreiben vom 14.11.2005 wies der Kläger die Beklagte darauf
hin, dass die mit Schreiben vom 22.10.2004 mitgeteilten Informationen nachweislich
unzutreffend gewesen seien und forderte die Beklagte auf, nunmehr eine vollständige
und wahrheitsgemäße Information über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen
Folgen des Überganges zu erteilen. Gleichzeitig behielt er sich den nachträglichen
Widerspruch gegen den Betriebsübergang und Schadensersatzansprüche vor.
34
Am 21.12.2005 wurde über das Vermögen der B. Germany GmbH das
Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt I.. zum Insolvenzverwalter bestellt.
Dieser zeigte am 28.12.2005 Masseunzulänglichkeit an. Der Insolvenzverwalter
kündigte Ende Dezember 2005 das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum
31.03.2006. Der Kläger erhob gegen die Kündigung keine Kündigungsschutzklage.
35
Durch Urteile vom 11.01.2006 entschied das Arbeitsgericht Solingen, dass die
Arbeitnehmer, die im Frühjahr 2005 dem Betriebsübergang des Arbeitsverhältnisses
von der B.-I.. AG auf die B. GmbH widersprochen hätten, diesen Widerspruch noch
hätten ausüben können und die Arbeitsverhältnisse zur B.-I.. AG fortbestehen würden
(vgl. 3 Ca 2000/05 lev, 3 Ca 2001/05 lev, 3 Ca 2002/05 lev, u.a.).
36
Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.1.2006 widersprach der Kläger dem Übergang des
Arbeitsverhältnisses auf die B. Germany GmbH.
37
Mit seiner am 17.03.2006 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die
Feststellung des Fortbestandes des Anstellungsvertragsverhältnisses mit der Beklagten.
38
Er ist der Ansicht, dass die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613 a Abs. 6 BGB auf
Grund der unzureichenden und fehlerhaften Information seitens der Beklagten nicht in
Gang gesetzt worden sei, so dass er noch im Januar 2006 dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses habe widersprechen können. Seitens der Beklagten seien
überhaupt keine Informationen über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen
Folgen des Betriebsübergangs auf die B. Germany GmbH vorgenommen worden. Das
Unterrichtungsschreiben beziehe sich allein und ausschließlich auf die Firma B. GmbH.
Die Ausgliederung des Anstellungsvertragsverhältnisses sollte jedoch zunächst auf die
B. Germany GmbH erfolgen, die B. Germany GmbH sollte sodann in die B. GmbH
eingegliedert werden. Die Beklagte habe das gleiche Unterrichtungsschreiben wie die
in den Parallelprozessen bereits verklagte und verurteilte B.-I.. AG verwandt.
39
Selbst wenn man das Unterrichtungsschreiben vom 22.10.2004 als eine Unterrichtung
im Hinblick auf die B. Germany GmbH sehen würde, sei die Information nicht
ordnungsgemäß erfolgt. Die Information sei unvollständig, weil die Beklagte den Kläger
nicht auf die Verteilung von Schuld und Haftung zwischen dem bisherigen und dem
neuen Arbeitgeber hingewiesen habe. Darüber hinaus sei über die wirtschaftliche
Situation der B. GmbH falsch informiert worden. In diesem Zusammenhang sei nicht nur
auf die schriftliche Information sondern auch auf die dort in Bezug genommenen
Informationen, die den Arbeitnehmern außerhalb des Schreibens vom 22.10.2004 erteilt
worden seien, abzustellen. Das damalige Vorstandsmitglied der Beklagten Herr F. habe
40
in einer Betriebsversammlung vom 19.08.2004 mitgeteilt, dass die B. GmbH über
Barmittel in Höhe von EUR verfüge und darüber hinaus eine Kreditlinie in Höhe von
EUR habe. Beides habe sich jedoch im Nachhinein als falsch herausgestellt. Im
Übrigen könne die B. GmbH nicht, wie den Arbeitnehmern mitgeteilt, über die
Markenrechte verfügen, sondern habe lediglich ein Nutzungsrecht. Schließlich sei auch
die Adresse des Erwerbers im gesamten Unterrichtungsschreiben nicht aufgeführt.
Der Kläger beantragt,
41
festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsvertragsverhältnis
besteht.
42
Die Beklagte beantragt,
43
die Klage abzuweisen.
44
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Widerspruch verspätet erfolgt sei; da die mit
Schreiben vom 22.10.2004 erfolgte Information der Arbeitnehmer, die im Übrigen mit
dem Betriebsrat abgesprochen worden sei, ausreichend und korrekt gewesen sei. Der
Kläger hätte einen Widerspruch nur innerhalb der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB
erklären können. Hinsichtlich der Richtigkeit der Information sei ausschließlich auf das
Schreiben vom 22.10.2004 abzustellen und nicht auf sonstige mündliche Informationen.
Dies ergebe sich aus dem Textformerfordernis in § 613a Abs. 5 BGB. Eine
Verpflichtung, die Arbeitnehmer auch über die wirtschaftliche Solvenz und Liquidität des
Erwerbers zu informieren, bestehe nicht und lasse sich auch § 613a Abs. 5 BGB nicht
entnehmen. Im Übrigen seien die ergänzenden Informationen aber auch inhaltlich richtig
gewesen und hätten der damaligen wirtschaftlichen Lage entsprochen.
45
Hilfsweise trägt die Beklagte vor, dass das Widerspruchsrecht in entsprechender
Anwendung von § 5 Abs. 3 S. 2 KSchG verfristet sei, jedenfalls habe der Kläger sein
Widerspruchsrecht verwirkt. Der Widerspruch sei erst 14 Monate nach Betriebsübergang
erklärt worden. Auch das Umstandsmoment sei gegeben. Die Beklagte habe darauf
vertrauen dürfen, dass die klägerische Partei, die mehr als ein Jahr lang bei der
Erwerberin gearbeitet habe, nicht auf einmal nachträglich dem bereits längst
vollzogenen Betriebsübergang widersprechen würde. Das Umstandsmoment gehe
daher richtiger Ansicht nach mit dem Zeitmoment einher. Im Übrigen sei das
Widerspruchsrecht des Klägers jedenfalls zu dem Zeitpunkt verwirkt, als er die
Kündigung des Insolvenzverwalters I.. gemäß § 7 KSchG habe bestandskräftig werden
lassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
47
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
48
Die Klage ist unbegründet.
49
I.
50
Zwischen den Parteien besteht kein Anstellungsvertragsverhältnis mehr. Der am
19.01.2006 vom Kläger ausgesprochene Widerspruch gegen den Betriebsübergang des
51
Arbeitsverhältnisses auf die B. Germany GmbH ist unwirksam, da der Widerspruch
gemäß § 242 BGB verwirkt ist.
Sollte die Monatsfrist des § 613 a Abs. 5 BGB aufgrund eines unrichtigen oder
unvollständigen Informationsschreibens nicht wirksam in Gang gesetzt worden sein und
teilt man die Auffassung, dass das Widerspruchsrecht nicht gemäß § 5 Abs. 3 S. 2
KSchG analog einer absoluten Höchstfrist von sechs Monaten unterliegt (vgl. wie hier:
Rieble, NZA 2004, 1, 4; Olbertz/Ungnad, BB 2004, 213, 215; a.A. Ermann-Edenfeld, §
613 a BGB, Rdnr. 51; Worzalla, NZA 2002, 353, 357; Gaul, Das Arbeitsrecht der
Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 11, Rdnr. 55), so unterliegt das
Widerspruchsrecht jedenfalls den allgemeinen Grundsätzen der Verwirkung nach § 242
BGB.
52
Ein Anspruch ist verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines
längeren Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten
einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch
genommen (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes
auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiesen, dass
ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BAG vom 27.01.2000, 8
AZR 806/99; BAG vom 08.08.2002, 8 AZR 583/01; BAG vom 22.07.2004, 8 AZR 350/03;
NZA 2004, 1383). Die Kammer ist der Ansicht, dass vorliegend sowohl das Zeitmoment
als auch das Umstandsmoment erfüllt sind.
53
1.
54
Nach welchem Zeitablauf das Widerspruchsrecht des § 613 a Abs. 5 BGB gegenüber
dem Betriebsveräußerer nicht mehr geltend gemacht werden kann, ist bislang
höchstrichterlich nicht geklärt und wird im Schrifttum kontrovers diskutiert. Nach vielfach
vertretender Auffassung soll das Zeitmoment bereits nach einem kurzen Zeitraum von
vier bis sechs Monaten erfüllt sein (vgl. Meyer, NZA 2005, 9 ff.: ein Monat; Bauer/von
Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457, 464: drei Monate; Franzen, RdA 2002, 258, 266: vier
Monate; Gaul/Otto, DB 2002, 634, 637: sechs Monate; Küttner-Kreitner,
Personalhandbuch 2005, § 123, Rdnr. 39: sechs Monate; Kliemt, Juris-
Praxiskommentar, 2. Aufl., § 613 a BGB, Rdnr. 178; Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs-
und Unternehmensspaltung, § 11, Rdnr. 55).
55
Dieser Auffassung folgt die erkennende Kammer - wie bereits mit Urteilen vom
03.03.2006 (2 Ca 1995/05 lev, 2 Ca 1997/05 lev, 2 Ca 1998/05 lev) entschieden - nicht.
Zur Begründung ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung des § 613 a Abs. 5 und 6 BGB
Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion wie auch der FDP-Fraktion im Rahmen der
Ausschussberatungen, welche zum Inhalt hatten, dass in § 613 a Abs. 6 BGB normierte
Widerspruchsrecht auf eine Dauer von sechs Monaten nach Betriebsübergang zu
befristen, ausdrücklich abgelehnt wurden. Der Gesetzgeber hat sich somit eindeutig
gegen eine absolute Höchstfrist von sechs Monaten zur Ausübung des
Widerspruchsrechts entschieden. In diesem Fall kann aber bei der Ausübung eines
Widerspruchsrechts nach sieben oder acht Monaten nicht von der Erfüllung des
Zeitmoments im Rahmen der Verwirkung ausgegangen werden (wie hier: Rieble, NZA
2004, 1, 4; Olbertz/Ungnad, BB 2004, 213, 215; Erfurter Kommentar-Preis, § 613 a BGB,
Rdnr. 97). Der gesetzgeberische Wille würde andernfalls konterkariert.
56
Die Kammer sieht das Zeitmoment jedoch - vorbehaltlich etwaiger Besonderheiten im
Einzelfall - in der Regel dann als erfüllt an, wenn vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs
mehr als ein Jahr vergangen ist. Die Jahresfrist spielt im Rahmen des
Vertrauensschutzes des § 613 a BGB auch an anderer Stelle eine Rolle. So können
gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB Rechte und Pflichten, die durch Rechtsnormen eines
Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung geregelt sind und die sodann Inhalt des
Arbeitsverhältnisses werden, nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des
Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Gemäß § 613 a Abs. 2 S.
1 BGB haftet der bisherige Arbeitgeber neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen
nach Abs. 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergang entstanden sind und vor Ablauf
von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Auf Grund
der dortigen Fälligkeitsregelung kann der Arbeitgeber in der Regel davon ausgehen,
nach Ablauf eines Jahres nicht mehr für Ansprüche des übergegangenen
Arbeitnehmers in Anspruch genommen zu werden.
57
Schließlich spielt die Jahresfrist auch bei anderen Rechtsinstituten, die jemandem eine
gewisse Überlegungsfrist einräumen wollen, eine Rolle. So kann gemäß § 124 Abs. 1
BGB die Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung nur binnen Jahresfrist erfolgen.
58
2.
59
Auch das erforderliche Umstandsmoment zur Erfüllung der Verwirkung liegt vor.
60
Im Schrifttum wird das Umstandsmoment zum Teil als erfüllt angesehen, wenn der
Arbeitnehmer trotz Kenntnis vom Betriebsübergang über einen längeren Zeitraum für
den Erwerber arbeitet und dadurch das Vertrauen erweckt, dass er keine Einwende
gegen den Betriebsübergang mehr geltend machen werde. Dies sei insbesondere dann
der Fall, wenn der Arbeitnehmer über den übernehmenden Rechtsträger und den
Zeitpunkt des Betriebsübergans unterrichtet worden sei und Fragen der Abwicklung des
Arbeitsverhältnisses (Urlaub, Entgeltfortzahlung, Versetzungen etc.) unmittelbar mit dem
neuen Arbeitgeber erörtert würden, selbst wenn nicht die gesamten Vorgaben des § 613
a Abs. 5 BGB beachtet worden seien (vgl. Gaul, Das Arbeitsgericht der Betriebs- und
Unternehmensspaltung, § 11, Rdnr. 55; Kliemt, Juris-Praxiskommentar, 2. Aufl., § 613 a
BGB, Rdnr. 178; Grobys, BB 2002, 726, 728; Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002,
464).
61
Die Gegenauffassung verweist hingegen darauf, dass alleine die Weiterarbeit das
Umstandsmoment nicht begründen könne (vgl. Olbertz/Ungnad, BB 2004, 213, 215;
Franzen, RdA 2002, 258, 267; Rieble, NZA 2004, 1, 4). Würde man alleine die
Weiterarbeit beim Erwerber ausreichen lassen, würden über den Umweg der
Verwirkung des Widerspruchsrechts die Informationsrechte des § 613 a Abs. 5 BGB
verkürzt werden. Alleine durch die Weiterarbeit beim Erwerber könne der ehemalige
Arbeitgeber nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer nicht mehr widersprechen
werde. Überlegen müsse der Arbeitnehmer erst ab hinreichender Information (vgl.
Rieble, a.a.O.; Franzen, a.a.O.).
62
Die Kammer hat mit Urteilen vom 03.03.2006 (2 Ca 1995/05 lev, 2 Ca 1997/05 lev, 2 Ca
1998/05 lev) ausgeführt, dass alleine die Weiterarbeit beim Erwerber nicht für die
Erfüllung des Umstandsmomentes ausreiche. Hieran hält die Kammer in dieser
Ausdrücklichkeit nicht weiter fest. Ob die Weiterarbeit beim Erwerber zur Erfüllung des
Umstandsmomentes ausreicht, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles
63
unter Berücksichtigung weiterer Umstände ab. Hierbei ist von folgenden Grundsätzen
auszugehen:
Für die Frage, ob die Weiterarbeit beim Erwerber das Umstandsmoment auslösen kann,
kommt es in erster Linie darauf an, ob der Arbeitnehmer Kenntnis vom Zeitpunkt des
Betriebsüberganges sowie Kenntnis von der Person des Erwerbers hat. So ist
insbesondere in kleinen Betrieben durchaus denkbar, dass der Arbeitnehmer gänzlich
ohne über den Betriebsübergang informiert worden zu sein, wie bisher weiter arbeitet,
ohne erkannt zu haben, dass überhaupt ein Betriebsübergang nach § 613 a BGB
vorliegt. In diesem Fall ist ihm die Weiterarbeit nicht vorwerfbar und der alte Arbeitgeber
kann nicht darauf vertrauen, dass auf Grund der Weiterarbeit der Arbeitnehmer dem
Betriebsübergang nicht mehr widersprechen werde. Unabhängig von der Frage, ob das
Informationsschreiben hier vom 22.10.2004 den Anforderungen des § 613 a Abs. 5 BGB
genügt, ergibt sich hieraus für den Kläger jedenfalls eindeutig, wer der Erwerber ist und
zu welchem Zeitpunkt der Betriebsübergang stattfinden soll.
64
Ob dies alleine zur Erfüllung des Umstandsmomentes ausreichen würde, kann offen
bleiben, da jedenfalls weitere Umstände vorliegen, die das Vertrauen der Beklagten
geweckt haben, der Kläger würde dem Betriebsübergang nicht mehr widersprechen. So
hat der Kläger für die B. Germany GmbH trotz des Antrages auf Insolvenzeröffnung
seitens der Schwestergesellschaft B. GmbH, in die die B. Germany GmbH eingebracht
werden sollte, und trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.08.2005 über die
B. GmbH für die B. Germany GmbH weiter gearbeitet. Der Kläger hat auch trotz der
Insolvenzantragstellung der B. Germany GmbH im Oktober 2005 und trotz des am
21.12.2005 eröffneten Insolvenzverfahrens keinen Widerspruch ausgeübt. Dies, obwohl
ihm, wie aus dem Schreiben vom 14.11.2005 hervorgeht, bewusst war, dass das
Informationsschreiben vom 22.10.2004 nicht den Anforderungen des § 613 a Abs. 5
BGB genügt. Selbst nach Ausspruch der Kündigung durch den Insolvenzverwalter der
B. Germany GmbH, I. Rechtsanwalt I.., Ende Dezember 2005, wartete der Kläger noch
einen Monat zu, bis er den Widerspruch gegen den Übergang seines
Arbeitsverhältnisses erklärte.
65
Hierbei ist als weiterer bedeutsamer Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger
gegen die vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung keine
Kündigungsschutzklage erhob. Er hatte sich also mit einer Beendigung des
Arbeitsverhältnisses bei der B. Germany GmbH abgefunden. Während ein noch im
Arbeitsverhältnis zum Erwerber stehender Arbeitnehmer sich durch Ausübung des
Widerspruchs zwischen zwei Arbeitgebern entscheiden muss, stand der Kläger zu dem
Zeitpunkt als die Kündigung gemäß § 7 KSchG bestandskräftig wurde nicht mehr vor
dieser „Qual der Wahl“. Erhebt ein Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Klagefrist des § 4
KSchG aber dann immer noch keinen Widerspruch durfte die Beklagte spätestens zu
diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass der Kläger dem Übergang des
Arbeitsverhältnisses auch nicht mehr widersprechen werde.
66
Der Erfüllung des Umstandsmomentes steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte
sich möglicherweise aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Information nicht rechtstreu
verhalten hat. Es gibt keinen Rechtsgrundsatz der besagt, dass derjenige, der sich nicht
rechtstreu verhält, dauerhaft eines möglichen Vertrauensschutzes verlustig geht. Selbst
derjenige, der eine andere Person bei Abschluss eines Vertrages täuscht oder
widerrechtlich bedroht, genießt nach Ablauf der Fristen des § 124 BGB
Vertrauensschutz. Auch im Rahmen der Anfechtung wegen Täuschung setzt das In
67
Gang setzen der Jahresfrist des § 124 BGB nicht voraus, dass der Anfechtungsgegner
den Anfechtungsberechtigten über die wahren Tatsachen in Kenntnis setzt. Die
Kenntnis des Anfechtungsberechtigten von der Täuschung reicht aus. Folglich kann für
die Erfüllung des Umstandsmomentes auch nicht verlangt werden, dass die Beklagte
eine Art Nachinformation gemäß § 613a Abs. 5 BGB vorzunehmen hätte.
II.
68
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert
hat das Gericht gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 4 GKG im Urteil festgesetzt. Er gilt
zugleich als Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im Sinne des § 63 Abs. 2 GKG.
69
Rechtsmittelbelehrung
70
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
71
B e r u f u n g
72
eingelegt werden.
73
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
74
Die Berufung muss
75
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat nach Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Urteils
76
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
77
Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft
oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher
Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und
der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche
Befugnis haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
78
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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D r . E l z
80