Urteil des ArbG Solingen vom 27.02.2008

ArbG Solingen: arbeitsentgelt, juristische person, kapitalabfindung, arbeitsgericht, versicherungspflicht, berechtigung, anwartschaft, abfindungsbetrag, versorgung, satzung

Arbeitsgericht Solingen, 5 Ca 1460/07
Datum:
27.02.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Solingen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 1460/07
Schlagworte:
Bewertung Sozialbeiträge, kein Arbeitsentgelt i.s.d. §§ 14, 28 SGB IV
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Der Streitwert wird auf 704,00EUR festgesetzt.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten zuletzt darum, ob die Beklagte berechtigt war, von einer zur
Ablösung einer Betriebsrentenanwartschaft vereinbarten Abfindung rückwirkend
Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einzubehalten.
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Die Klägerin ist seit dem 01.10.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin,
welche ein Altenpflegeheim in T. betreibt, als Altenpflegerin beschäftigt. Inhalt des
Arbeitsverhältnisses war u.a. eine von der Beklagten vom früheren Betreiber des
Altenheims übernommene Verpflichtung, der Klägerin Leistungen der betrieblichen
Altersversorgung entsprechend den Leistungen der RZVK zu gewähren.
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Unter dem 24.08.2006 trafen die Parteien eine Vereinbarung, wonach diese
Verpflichtung durch eine einmalige Zahlung von 27.638,-- € abgelöst wurde (Anlage K
1, Blatt 10 der Akte), welche aufgrund von Liquiditätsengpässen der Beklagten im
Hinblick auf Höhe und Zahlungszeitpunkt der jeweiligen Raten geändert wurde.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, das die Abfindung der Altersversorgung
beitragspflichtig zur Krankenversicherung ist und diese Beträge von der Klägerin zu
tragen sind.
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Die Beklagte zahlte sodann an die Klägerin zum 31.08.2006 und 31.12.2006 Raten in
Höhe von jeweils 6.909,50,-- € in voller Höhe ohne Abzug von Steuern und
Sozialabgaben. Bei den im März und Juni 2007 zu zahlenden Raten in Höhe von
jeweils 3.454,75 € brutto nahm die Beklagte jeweils Lohnsteuerabzüge vor und behielt
einen entsprechenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag ein. Zusätzlich behielt
die Beklagte auf die im August 2006 geleistete Abfindungszahlung mit
Korrekturberechnung vom März 2007 einen Betrag von insgesamt 704,-- € als Kranken-
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sowie Pflegeversicherungsbeitrag ein (Anlagen K 8, Blatt 119 der Akte).
Mit ihrer am 23.08.2007 beim Arbeitsgericht Solingen eingereichten Klage begehrt die
Klägerin zuletzt die Rückzahlung der von der Beklagten einbehaltenen
Sozialversicherungsabgaben für den Monat August 2006 in Höhe von 704,-- €.
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Sie ist der Auffassung, dass ein Einbehalt der Sozialversicherungsabgaben nach Ablauf
der Dreimonatsfrist nach § 28 g SGB IV nicht mehr zulässig gewesen sei, da ein
unterbliebener Beitragsabzug nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen
nachgeholt werden könne. Zwar gebe es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung,
wie im Falle unterlassener Abzüge beim Zusammentreffen von Arbeitsentgelt und
Versorgungsbezügen zu verfahren sei. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei jedoch
eine einheitliche Handhabung erforderlich. Entweder müsse die Regelung für das
Arbeitsentgelt als vorgreiflich angesehen und damit § 28g Satz 3 SGB IV unmittelbar
angewendet werden oder für nachträgliche Abzüge von Sozialversicherungsbeiträgen
sei § 28g Satz 3 SGB IV entsprechend anwendbar.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 704,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2007 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, die Ausnahmeregelung des § 28 g Satz 4 SGB IV greife
vorliegend ein, da die auf die Abfindung zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge
allein von der Klägerin zu tragen seien und zudem ein Einbehalt der
Sozialversicherungsbeitrag innerhalb der nächsten 3 Abrechnungen über die
Abfindungszahlungen nachgeholt werden könne. Im Übrigen handele es sich bei den
Abfindungszahlungen um Versorgungsbezüge und nicht um Arbeitsentgelt, sodass die
Vorschriften der §§ 28 d ff. SGB IV überhaupt keine Anwendung fänden. Es komme
nicht darauf an, ob zwischen den Parteien noch ein Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der
Zahlung bestehe. Vielmehr entscheidend sei, dass es sich bei den
Abfindungszahlungen um Versorgungsbezüge handele.
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Die Klägerin hat ihren ursprünglich gestellten Antrag auf Zahlung von 6.331,-- € netto,
sowie die Anträge auf Freistellung von Zahlungsverpflichtungen gegenüber den
Finanzbehörden in der letzten mündlichen Verhandlung nach erfolgter Beweiserhebung
zurückgenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I.
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1.Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet. Die Klägerin macht die
Rückforderung von einbehaltenen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung
geltend, welche auf die gezahlte Abfindung auf der Grundlage der
Abfindungsvereinbarung vom 24.08.2006 zu zahlen waren. Für Streitigkeiten hierüber
sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich
zuständig. Zwar muss für die Berechtigung des Lohnabzugs u.a. auf Vorschriften des
Sozialversicherungsrechts (§ 28g SGB IV und § 229 SGB V) zurückgegriffen werden,
weil die Befugnis der Beklagten zur Aufrechnung oder zum Lohneinbehalt von der
Frage abhängt, ob diese die entrichteten Beiträge zur Sozialversicherung für den
Abfindungsbetrag aus August 2006 noch im Lohnabzugsverfahren einbehalten konnte.
Vorliegend ist die Frage der Berechtigung des Lohnabzuges jedoch lediglich als
öffentlich-rechtliche Vorfrage im Rahmen eines bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreits zu
prüfen (vgl. BAG, Urteil vom 15.12.1993 - 5 AZR 326/93 - AP Nr. 9 zu §§ 394, 395 RVO).
Die Parteien streiten nur über die Berechtigung zum Lohnabzug, nicht jedoch darüber,
ob Beiträge überhaupt oder in der entrichteten Höhe abzuführen waren, sodass der hier
vorliegende Ausgleichsstreit allein das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien berührt.
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2.Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein
Anspruch auf Rückzahlung einbehaltener Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von
704,-- Euro aus § 611 BGB in Verbindung mit der Vereinbarung vom 24.08.2006 zu, da
sie nach der mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung zur Änderung des
Arbeitsvertrags vom 24.08.2006 unstreitig zur Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet war und der nachträgliche Einbehalt nicht nach
§ 28 g Satz 3 SGB IV ausgeschlossen war.
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a.Die Parteien gehen übereinstimmend von einer zulässigerweise vereinbarten
Abfindung einer Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung aus (vgl. § 3 BetrAVG).
Diese Abfindung unterlag grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Kranken- und
Pflegeversicherung; dementsprechend war die Beklagte grundsätzlich verpflichtet, die
wegen der Kapitalabfindung der Anwartschaft anfallenden Beiträge einzubehalten und
abzuführen. Zwischen den Parteien ist ferner unstreitig, dass auf den Abfindungsbetrag
für August 2006 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt
704,-- Euro angefallen sind, welche die Beklagte abgeführt hat. Diese
Sozialversicherungsbeiträge durfte die Beklagte durch Einbehalt von der
Abfindungsrate für März 2007 in Abzug bringen, da § 28g Satz 3 SGB IV auf die in
Frage stehende Abfindung keine Anwendung findet.
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Die Regelung des § 28g SGB IV, der vorschreibt, dass der Arbeitgeber den
Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag aus dem Arbeitsentgelt
grundsätzlich nur während der nächsten drei Zahltermine vom Entgelt abziehen kann,
gilt nach § 253 SGB V nur für den Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen aus
Arbeitsentgelt bei einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (vgl. BAG, Urteil vom
12.12.2006 - 3 AZR 806/05 - AP Nr. 1 zu § 256 SGB V). Bei der Kapitalabfindung der
Betriebsrente der Klägerin handelt es sich jedoch nicht um Arbeitsentgelt im Sinne des
§ 14 SGB IV, sondern um Versorgungsbezüge im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgt dieses Ergebnis bereits
daraus, dass im Anwendungsbereich der krankenversicherungsrechtlichen Vorschrift
des § 229 SGB V die Anwendbarkeit von § 14 SGB IV in allen Zweigen der
Sozialversicherung ausgeschlossen ist. Soweit der Anwendungsbereich des § 229 SGB
V - unabhängig von seiner konkreten Anwendbarkeit im Einzelfall - eröffnet ist, kommt
daneben § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. SGB V i.V.m. § 14 SGB IV von vorneherein nicht als
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einschlägig in Betracht (BSG, Urteil vom 25.08.2004 - B 12 KR 30/03 R - juris, Rdnr. 23;
vgl. auch BSG, Urteil vom 07.03.2007 - B 12 KR 4/06 R - juris, Rdnr. 17; Waltermann,
Sozialversicherungsrechtliche Behandlung einer Kapitalisierung betrieblicher
Versorgungsbezüge, NZA 2007, 781 [785]). Nach dem Wortlaut des § 229 Abs. 1 Satz 3
SGB V gibt es keinen Grund, Kapitalabfindungen, die vor dem Eintritt einer der im § 229
Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Versicherungsfälle ausgezahlt werden, anders zu
behandeln als Kapitalabfindungen, die nach ihrem Eintritt ausgezahlt werden
(Waltermann, NZA 2007, 781 [784]). Nicht entscheidend ist demnach, zu welchem
Zeitpunkt im Lauf der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien des Arbeits- oder
Ruhestandsverhältnisses eine betreffende Zahlung vereinbart wird und zu welchem
Zeitpunkt und unter welcher Bezeichnung diese erfolgt. Es kommt vielmehr darauf an,
ob die Leistung auf die Zeit der Beschäftigung und der Versicherungspflicht entfällt oder
ob dies nicht der Fall ist (vgl. BSG, Urteil vom 07.03.2007 - B 12 KR 4/06 R - juris, Rdnr.
15). Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Leistung für eine Zeit nach dem Ende der
Beschäftigung und der Versicherungspflicht gezahlt wird.
Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der streitgegenständlichen
Kapitalabfindung der Versorgungsanwartschaft der Klägerin um Versorgungsbezüge im
Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V und nicht um Arbeitsentgelt; denn die Zahlung
erfolgte nicht für die Zeit des Beschäftigungsverhältnisses.
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Die Anwartschaft bezweckte die Versorgung der Klägerin im Alter, diente also der
Absicherung ihres Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Es
ist davon auszugehen, dass dieser Zweck durch die Kapitalabfindung nicht aufgehoben
worden ist, dass die Abfindung also ebenfalls der Versorgung für die Zeit nach dem
Ende des Beschäftigungsverhältnisses dient. Dass die Abfindung anderen Zwecken
dienen sollte, ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich.
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b.Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 28g Satz 3 SGB IV beim Zusammentreffen
von Arbeitsentgelt und Versorgungsbezügen auch nicht entsprechend anzuwenden.
Eine hierfür erforderliche Regelungslücke ist nicht erkennbar. Zwar soll durch § 28g
Satz 3 SGB IV u.a. eine drückende Beitragslast und Beitragsverschuldung des
Arbeitnehmers verhindert werden (BAG, Urteil vom 15.12.1993 - 5 AZR 326/93 - AP Nr.
9 zu §§ 394, 395 RVO; BAG, Urteil vom 12.12.2006 - 3 AZR 806/05 - AP Nr. 1 zu § 256
SGB V). Dieser Zweck wird aber dadurch gewahrt, dass der Arbeitgeber die auf die
Versorgungsbezüge anfallenden Sozialversicherungsbeiträge nur von den
Versorgungsbezügen, nicht aber vom gleichzeitig gezahlten Arbeitsentgelt einbehalten
darf. Dass die Beklagte auf die Kapitalabfindung anfallende
Sozialversicherungsbeiträge vom laufenden Arbeitsentgelt der Klägerin einbehalten hat,
ist nicht ersichtlich.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert
hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
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B e r u f u n g
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eingelegt werden.
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Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form
abgefassten Urteils
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beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
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Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft
oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher
Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und
der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche
Befugnis haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Gironda
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