Urteil des ArbG Solingen vom 11.01.2008

ArbG Solingen (kündigung, juristische person, prognose, überwiegendes interesse, arbeitsverhältnis, zukunft, krankheit, akte, arbeitsgericht, mitarbeiter)

Arbeitsgericht Solingen, 5 Ca 1771/07 lev
Datum:
11.01.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Solingen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 1771/07 lev
Schlagworte:
Krankheitsbedingte Kündigung, Kurzerkrankung
Normen:
§ 1 Abs. 2 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
durch die Kündigung der Beklagten vom 28.09.2007 nicht aufgelöst wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zu einem rechtskräftigen
Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten
Arbeitsbedingungen als Maschinenbedienerin weiterzubeschäftigen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Streitwert wird auf 14.250,00 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten
Kündigung der Beklagten vom 28.09.2007 sowie einen Anspruch auf
Weiterbeschäftigung.
2
Die am 11.03.1953 geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete
Klägerin ist seit dem 05.03.1985 bei der Beklagten als Maschinenbedienerin zu einem
durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 2.850,-- € beschäftigt.
3
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Automobilzu-lieferindustrie,
welches Kolbenringe entwickelt, produziert und vertreibt und mehr als 700 Mitarbeiter
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und
Elektroindustrie NRW Anwendung.
4
In den Jahren 2005 bis 2006 war die Klägerin an 28 bzw. 55 Arbeitstagen ausweislich
der von ihrer Krankenkasse ausgestellten Bescheinigungen von
Arbeitsunfähigkeitszeiten wie folgt arbeitsunfähig erkrankt (Bl. 48 f. der Akte):
5
Zeitraum
6
Kalendertage
7
Diagnose
8
22.08.2006 - 08.09.2006
9
18
10
Schmerzen im Bereich des Oberbauches
11
06.05.2006 - 12.05.2006
12
7
13
Fraktur eines sonstigen Fingers
14
20.03.2006 - 15.04.2006
15
27
16
Rezidivierende depressive Störung, Angst und depressive Störung, gemischt
17
Zervikozephales Syndrom
18
Rückenschmerzen, abnorme Gewichtsabnahme
19
14.03.2006 - 17.03.2006
20
4
21
Diarrhoe und Gastroenteritis, vermutlich infektiösen Ursprungs
22
13.02.2006 - 19.02.2006
23
7
24
Luxation, Verstauchung und Zerrung an einer nicht näher bezeichneten Körperregion
25
25.01.2006 - 05.02.2006
26
12
27
akute Infektion der unteren Atemwege, nicht näher bezeichnet
28
28.11.2005 - 09.12.2005
29
12
30
Epicondylitis radialis humeri
31
Gehirnerschütterung
32
28.09.2005 - 30.09.2005
33
3
34
Allergie, nicht näher bezeichnet
35
07.06.2005 - 17.06.2005
36
11
37
Gonarthrose, nicht näher bezeichnet
38
sonstige Meniskusschädigungen, sonstiger und nicht näher bezeichneter Teil des
Innenmeniskus
39
26.04.2005 - 29.04.2005
40
4
41
Gastro-sophageale Reflux-krankheit mit osophagitis
42
10.02.2005 - 10.02.2005
43
1
44
Melanozytennövus, nicht näher bezeichnet
45
Neubildung unsicheren oder unbekannten Verhaltens: Haut
46
Bereits im Jahre 2005 stellte sich die Klägerin aufgrund der Fehlzeiten bei der
Werksärztin der Beklagten vor, welche unter dem 15.07.2005 feststellte, dass auch in
Zukunft Fehlzeiten nicht ausgeschlossen werden können (Blatt 45 der Akte).
47
Im Jahr 2007 war die Klägerin bis zum Ausspruch der Kündigung an 44 Arbeitstagen
erkrankt. Hiervon entfielen 22 Arbeitstage (16.01.2007 bis 14.02.2007) auf Beschwerden
an ihrem Zeh aufgrund einer Verkürzung der Sehne im Zeh, welche operativ behoben
wurden und bis auf eine weitere Fehlzeit an 14 Arbeitstagen vom 23.04.2007 bis
13.05.2007, in welcher eine Kontrolle der Operation sowie eine Behandlung von
gutartigen Neubildungen erfolgte, nicht weiter auftraten. Zudem war die Klägerin in der
Zeit vom 28.02.2007 bis zum 10.03.2007 an 8 Arbeitstagen wegen einer Bronchitis, vom
08.08. bis zum 09.08.2007 wegen einer atherosklerotischen Herzkrankheit und vom
20.09. bis zum 22.09.2007 wegen somatischer Störungen erkrankt.
48
Der im Betrieb der Beklagten gebildete Betriebsrat, welcher unter dem 20.09.2007
schriftlich zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung angehört wurde,
widersprach der beabsichtigten Kündigung mit der Begründung, dass Art und Umfang
der Fehlzeiten insgesamt keine Kündigung rechtfertigten und eine Weiterbeschäftigung
der Klägerin im Bereich IAS mit Bürotätigkeiten möglich sei (Blatt 57 f. der Akte).
Daraufhin kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit
49
Schreiben vom 28.09.2007 zum 30.04.2008 aus krankheitsbedingten Gründen.
Das Versorgungsamt Köln hat mit Bescheid vom 27.11.2007 die Schwerbehinderung
der Klägerin mit einem Grad der Behinderung von 50 rückwirkend ab dem 02.10.2007
festgestellt (Blatt 29 der Akte).
50
Mit ihrer am 17.10.2007 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt die
Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Kündigung, die sie für sozial
ungerechtfertigt hält sowie eine Weiterbeschäftigung.
51
Sie ist der Ansicht, die Fehlzeiten in der Vergangenheit könnten keine negative
Prognose rechtfertigen.
52
Von den ihm Jahr 2007 aufgetretenen Fehlzeiten seien allenfalls 4 Arbeitstage für die
Frage der Wiederholungsgefahr berücksichtigungsfähig, an welchen die Klägerin
wegen somatischer Störungen bzw. einer Herzkrankheit arbeitsunfähig erkrankt sei, da
die anderen Beschwerden entweder mittlerweile operativ behandelt und ausgeheilt
seien (Fußerkrankung) bzw. nicht geeignet seien, eine negative Gesundheitsprognose
zu begründen (Bronchitis). Auch für das Jahr 2006 seien lediglich 19 bzw. 23
Arbeitstage zu berücksichtigen, an denen die Klägerin wegen einer rezidivierenden
depressiven Störung (19 Arbeitstage) bzw. an einer Diarrhoe und Gastroenteritis
erkrankt war, welche jedoch infektiösen Ursprungs war. Bei den übrigen Erkrankungen
handele es sich wiederum um nicht prognosefähige Erkrankungen (Infektion der
Atemwege) oder singuläre Ereignisse (Fraktur des Fingers, Verstauchung und Zerrung,
Eierstockentzündung), welche mittlerweile vollständig ausgeheilt seien. Im Jahr 2005
seien schließlich lediglich 7 Arbeitstage zu berücksichtigen, an welchen die Klägerin
wegen einer Allergie bzw. einer gastro-sophagaler Refluxkrankheit arbeitsunfähig war.
53
Auch aus der zwischenzeitlich festgestellten Schwerbehinderung der Klägerin könne
keine negative Zukunftsprognose hergeleitet werden, da die Arbeitsunfähigkeitszeiten in
den letzten 4 Jahren nur in seltenen Fällen auf die zur Feststellung der
Schwerbehinderung herangezogenen Beschwerden zurückzuführen seien.
54
Die Beklagte habe ferner keine betrieblichen Beeinträchtigungen durch die
Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin dargelegt. Insbesondere beschäftige die
Beklagte ausreichend Arbeitnehmer, um sämtliche Urlaubs- und Krankheitszeiten der
einzelnen Arbeitnehmer abzudecken. Die Beklagte habe noch nicht einmal versucht, die
Krankheitszeiten der Klägerin durch sonstige Maßnahmen, insbesondere durch ein
befristetes Arbeitsverhältnis zu überbrücken.
55
Die Klägerin beantragt zuletzt,
56
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 28.09.2007 nicht beendet wird;
57
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten
arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenbedienerin weiterzubeschäftigen.
58
Die Beklagte beantragt,
59
die Klage abzuweisen.
60
Sie ist der Ansicht, die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin in der
Vergangenheit rechtfertigten eine negative Gesundheitsprognose. Die Klägerin sei
bereits mit Wirkung zum 01.09.2003 an einen neuen Arbeitsplatz mit geringerer
körperlicher Belastung versetzt worden. Eine negative Prognose ergebe sich auch aus
dem Bericht der Werksärztin vom 15.07.2005, in welchem diese feststellte, dass auch in
Zukunft Fehlzeiten nicht auszuschließen seien. Insbesondere in den letzten Jahren sei
wieder eine ansteigende Fehlzeitenquote zu verzeichnen.
61
Bei der Klägerin ergebe sich eine negative Zukunftsprognose auch aufgrund der im
Bescheid des Versorgungsamtes Köln vom 27.11.2007 festgestellten Leiden, bei
welchen es sich im Wesentlichen um chronische Erkrankungen handele, bei denen in
absehbarer Zeit eine Heilung nicht zu erwarten sei. Dies ergebe sich bereits daraus,
dass die Klägerin innerhalb von 8 Wochen nach Antragsstellung eine Anerkennung als
Schwerbehinderte erhalten habe.
62
Die Beklagte habe im Zeitraum 1997 bis 2007 insgesamt 61.389,66 € an
Entgeltfortzahlung geleistet. Darüber hinaus habe die Beklagte für die Ausfalltage der
Klägerin Mitarbeiter am IAS-Automaten beschäftigen müssen, da dieser dreischichtig
besetzt sein müsse. Zu diesem Zweck habe die Beklagte in der Vergangenheit bei
Ausfall der Klägerin den Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer besetzt, da sie nicht
über eine Personalreserve verfüge, welche die Arbeitsausfälle kompensieren könne.
Eine Neueinstellung sei nicht möglich gewesen, da diese im Konzern derzeit nicht
genehmigt werde. Durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern seien der Beklagten
weitere Kosten entstanden, welche sich für das Jahr 2007 auf 5.600,-- € beliefen.
63
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
64
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
65
Die Klage ist zulässig und begründet.
66
I.
67
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die ordentliche, personenbedingte
Kündigung der Beklagten vom 28.09.2007 aufgelöst worden, da diese gemäß § 1 Abs. 2
Satz 1 Kündigungsschutzgesetz, welches auf das Arbeitsverhältnis der Parteien
zweifelsfrei Anwendung findet, sozial ungerechtfertigt ist.
68
1.Die Kündigung der Beklagten vom 28.09.2007 ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG
rechtsunwirksam, da sie nicht durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt ist.
69
Eine Überprüfung einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen
Kündigung richtet sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
nach folgenden Grundsätzen (BAG, Urteil vom 7. November 2002, Az: 2 AZR 599/01 AP
Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit (red. Leitsatz 1-5 und Gründe)):
70
Zunächst ist - erste Stufe - eine negative Gesundheitsprognose erforderlich; es müssen,
und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die
71
die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige
Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende
künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die
Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer
gem. § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist,
wobei er dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die
Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn
behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn
er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache
des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose
zu führen. Im Streitfall kann sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, die
Fehlzeiten in der Vergangenheit darzulegen. Hierbei muss er die Fehlzeiten nach Zahl,
Dauer und zeitlicher Abfolge genau bezeichnen (KR-Etzel, 7. Auflage, Rn. 329), wobei
sich Fehlzeiten in der Vergangenheit, die eine Indizwirkung entfalten sollen, über einen
Zeitraum von mindestens 3 Jahren erstrecken müssen (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.1996,
2 AZR 7/96 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41). Hierbei wird eine Krankheitsquote von 12
- 14 % der Jahresarbeitszeit im Allgemeinen als nicht kündigungsrelevant angesehen
(LAG Hamm, Urteil vom 04.12.1996, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 26). Erkrankungen,
bei denen keine Wiederholungsgefahr besteht, z.B. ausgeheilte Leiden, Unfälle, soweit
es sich ihrer Entstehung nach um einmalige Ereignisse handelt und sonstige einmalige
Gesundheitsschäden, scheiden für eine der Vergangenheit entsprechende Prognose
aus (KR-Etzel, 7.Auflage, Rn 328, m.w.N.).
Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte
Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung
der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe
- festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch erhebliche
wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen
Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Lohnfortzahlungskosten,
zu einer derartigen erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt
eine solche erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einem
dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen
Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber
billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen, wobei u. a. zu berücksichtigen
ist, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie
lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine
Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe
Lohnfortzahlungskosten aufzuwenden hatte; ferner sind das Alter, der Familienstand
und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
72
a.Hiernach sind bereits die Voraussetzungen für eine negative Gesundheitsprognose für
die Klägerin aufgrund der bisherigen Fehlzeiten nicht gegeben.
73
Von einer Wiederholungsgefahr im Sinne einer negativen Prognose war im relevanten
Zeitraum nur bei den Erkrankungen der Klägerin an einer atherosklerotischen
Herzkrankheit, der somatischen Störungen, der rezidivierenden depressiven Störung
und der gastro-sophagalen Refluxkrankheit auszugehen. Nach den insoweit
unbestritten gebliebenen Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 07.01.2008
entfielen auf diese Erkrankungen im Jahr 2005 vier Arbeitstage, im Jahr 2006 19
Arbeitstage und im Jahr 2007 vier Arbeitstage. Die übrigen Fehlzeiten in den Jahren
2005 bis 2007 beruhten dagegen auf einmaligen Erkrankungen ohne
74
Wiederholungsgefahr (Zehoperation, Verstauchung und Zerrung, Fraktur eines Fingers
während der Arbeit, Meniskus-Schädigung, Eierstockentzündung, Gehirnerschütterung),
auf Erkrankungen, welche jedermann treffen können und keinen Schluss auf eine
zukünftige Erkrankung der Klägerin zulassen (nicht akute oder chronische Bronchitis,
Gastroenteritis infektiösen Ursprungs, akute Infektion der unteren Atemwege) oder auf
Erkrankungen, welche über ein längeren Zeitraum nicht wieder aufgetreten sind
(Allergie im Jahr 2005).
Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung ist nicht anzunehmen, dass diese
Gesundheitsbeeinträchtigungen in der Zukunft wieder auftreten werden, sofern diese
einmal operiert bzw. auskuriert wurden. Diesen Krankheitsursachen kommt deshalb
keine indizielle Wirkung für die Zukunft zu; sie sind aus der Berücksichtigung der
Fehlzeiten in der Vergangenheit herauszurechnen, so dass die im Zeitraum von 2005
bis 2007 aufgetretenen Fehlzeiten nach Art und Dauer keinen Schluss darauf zulassen,
künftig seien Fehlzeiten in einem Umfang von mehr als sechs Wochen zu erwarten.
75
Eine negative Prognose lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass die Klägerin
innerhalb von 8 Wochen nach Antragsstellung eine Anerkennung als Schwerbehinderte
erhalten hat. Abgesehen davon, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Kündigung der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ist, sodass
der danach ergangene Bescheid über die Anerkennung der Schwerbehinderung der
Klägerin für die Beurteilung des Vorliegens einer negativen Prognose völlig irrelevant
ist, lässt sich hieraus entgegen der Auffassung der Beklagten gerade keine negative
Prognose entnehmen. Insoweit verkennt die Beklagte, dass die dort zur Begründung der
Schwerbehinderteneigenschaft festgestellten Beschwerden nur dann eine
krankheitsbedingte Kündigung der Klägerin rechtfertigten, wenn sich diese unmittelbar
in Art und Umfang der Fehlzeiten der Klägerin niedergeschlagen hätten. Dies ist jedoch,
bis auf wenige Ausnahmen (s.o.), nicht der Fall; ein Teil der in dem Bescheid benannten
Beschwerden der Klägerin ist bislang noch überhaupt nicht durch entsprechende
Fehlzeiten in Erscheinung getreten.
76
Schließlich ergibt sich eine negative Prognose auch nicht aus dem Bericht der
Werksärztin vom 15.07.2005. Soweit diese lediglich feststellte, dass auch in Zukunft
Fehlzeiten nicht auszuschließen seien, fehlt dem Bescheid jegliche Relevanz für eine
negative Zukunftsprognose, da bei keinem Mitarbeiter Fehlzeiten in der Zukunft
auszuschließen sein dürften. Im Übrigen ist die werksärztliche Untersuchung aus dem
Jahre 2005 bereits aufgrund Zeitablaufs nicht geeignet, irgendwelche Prognosen für
eine Ende 2007 ausgesprochene Kündigung zu rechtfertigen.
77
b.Darüber hinaus hat die Beklagte auch nicht substantiiert dargelegt, inwieweit
erhebliche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen durch die Erkrankungen der
Klägerin eingetreten sind. Eine solche Beeinträchtigung ergibt sich jedenfalls nicht aus
den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, insoweit nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine wirtschaftlich erhebliche
wirtschaftliche Belastung erst dann anzunehmen ist, wenn für den erkrankten
Arbeitnehmer voraussichtlich jährlich Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von
mehr als 6 Wochen aufzuwenden sind (vgl. BAG, Urteil vom 20.01.2000, EzA § 1
KSchG Krankheit Nr. 47 mwN.). Hiervon ist aufgrund der bisherigen Erkrankungen der
Klägerin nicht auszugehen.
78
Die übrigen, von der beklagten behaupteten Betriebsablaufstörungen sind zudem nicht
79
ausreichend substantiiert vorgetragen worden. Sie hat nicht dargelegt, warum in
Anbetracht der Anzahl der im 3-Schicht Betrieb in der Abteilung der Klägerin
beschäftigten Personen eine Kompensation der Fehlzeiten nicht möglich ist und welche
Anstrengungen sie unternommen hat, um die Fehlzeiten der Klägerin zu kompensieren,
zumal die Beklagte auch Regelungen treffen musste, um Urlaubs- und Krankheitszeiten
der anderen Mitarbeiter abzudecken. Ferner hat sie nicht konkret vorgetragen, für
welche Zeit sie mit welchen konkreten Kosten ausschließlich zur Kompensation der
Arbeitsausfälle durch die Fehlzeiten der Klägerin Leiharbeitnehmer eingestellt hat.
c.Schließlich fällt die abschließende Interessenabwägung im Hinblick auf die
langjährige Dauer des Beschäftigungsverhältnisses sowie das fortgeschrittene
Lebensalter der Klägerin aus. Denn diesen stehen als Beeinträchtigungen
hauptsächlich die Entgeltfortzahlungskosten für die Fehlzeiten der Klägerin entgegen,
welche nicht derart ins Gewicht fallen, dass diese von der Beklagten nicht mehr
hingenommen werden müssen.
80
II.
81
Auch der zulässige Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet. Die Beklagte ist nach
den Grundsätzen der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts
(vgl. BAG, Urteil vom 27.2.1985, EzA Nr. 9 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht)
verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsrechtsstreites zu den bisherigen Konditionen weiterzubeschäftigen.
Besondere Umstände, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten bilden, die
Klägerin nicht zu unveränderten Bedingungen als Maschinenbedienerin
weiterzubeschäftigen, wurden von ihr nicht vorgetragen.
82
III.
83
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Der
Streitwert wurde gemäß den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 4 GKG im Urteil festgesetzt.
Er gilt zugleich als Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im Sinne des § 63 Abs. 2
GKG.
84
Rechtsmittelbelehrung
85
Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
86
B e r u f u n g
87
eingelegt werden.
88
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
89
Die Berufung muss
90
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
91
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
92
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung. § 9 Abs. 5 ArbGG
bleibt unberührt.
93
Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft
oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher
Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und
der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche
Befugnis haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
94
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
95
Gironda
96