Urteil des ArbG Paderborn vom 19.04.2006

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Arbeitsgericht Paderborn, 3 Ca 118/06
Datum:
19.04.2006
Gericht:
Arbeitsgericht Paderborn
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 118/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 693,58 € festgesetzt.
Tatbestand :
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Die Klägerinnen nehmen die Beklagte als Drittschuldnerin in Anspruch.
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Die Klägerinnen sind Inhaberinnen einer Forderung gemäß Vollstreckungsbescheid des
Amtsgerichts Hagen gegen den Streitverkündeten, Herrn J2.
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Der Streitverkündete ist bei der Beklagten beschäftigt. Die Geschäftsführerin der
Beklagten ist die Ehefrau des Streitverkündeten. Diese bezieht bei der Beklagten ein
monatliches Einkommen in Höhe von 750,00 € und zudem Kindergeld. Der
Streitverkündete ist gegenüber drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet.
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Der Streitverkündete ist Tischlermeister mit einer Zusatzausbildung als Holztechniker.
Er bezieht bei der Beklagten eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.500,00 € brutto.
Weiterhin wird ihm von der Beklagten ein Dienst-Pkw zur Verfügung gestellt, der mit
450,00 € monatlich versteuert wird.
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Die Klägerinnen erwirkten gegen die Beklagte einen Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Brakel vom 23.11.2005, welcher der
Beklagten am 08.12.2005 zugestellt wurde. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom
22.12.2005, eingegangen am 07.01.2006, mit, dass der Lohn des Streitverkündeten
pfändungsfrei sei.
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Mit einem am 20.01.2006 bei dem Arbeitsgericht Paderborn eingegangenen Schriftsatz
haben die Klägerinnen gegen die Beklagte Klage auf Zahlung des sich aus dem
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ergebenden Betrag erhoben und Herrn J2 den
Streit verkündet. Der Streitverkündete ist dem Verfahren nicht beigetreten.
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Die Klägerinnen sind der Auffassung, der Zahlungsanspruch gegen die Beklagte
ergebe sich aus § 850 h Abs. 2 ZPO. Der Streitverkündete leiste in einem ständigen
Verhältnis zur Beklagten seine Arbeit gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung.
Faktischer Geschäftsführer der Beklagten sei der Streitverkündete. Der Streitverkündete
sei im Schnitt mindestens zwölf Stunden täglich für die Beklagte tätig, arbeite in der
Regel auch samstags und nehme kaum Urlaub. Der Streitverkündete erbringe sowohl
alle handwerklichen Arbeiten als auch sämtliche kaufmännischen Tätigkeiten für die
Beklagte. Aufgrund der Qualifikation des Klägers, den von ihm ausgeübten Tätigkeiten
sowie dem Umfang der Arbeitsleistung sei von einer angemessenen Vergütung in Höhe
von 3.000,00 € netto auszugehen. Diese sei auch branchenüblich.
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Die Klägerinnen beantragen,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen als Gesamtgläubigerinnen 693,58 €
zuzüglich 4 % Zinsen auf 205,30 € seit dem 11.01.2006 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Klägerinnen haben gegen die Beklagte als Drittschuldnerin keinen Anspruch auf
Zahlung von 693,58 €.
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Da der Streitverkündete bei der Beklagten einen monatlichen Bruttolohn in Höhe von
150,00 € bezieht sowie der ihm überlassene Dienstwagen mit 450,00 € brutto versteuert
wird, verbleibt unter Berücksichtigung der bestehenden Unterhaltspflichten für drei
Kinder kein pfändbarer Betrag.
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Der Anspruch der Klägerinnen ist auch nicht gem. § 850 h Abs. 2 ZPO begründet. Die
Pfändung eines "verschleierten Arbeitseinkommens" nach dieser Vorschrift durch den
Gläubiger setzt voraus, dass der Schuldner dem Dritten in einem ständigen Verhältnis
Arbeiten oder Dienste leistet, die nach Art und Umfang üblicherweise vergütet werden,
die insoweit als üblich anzusehende Vergütung aber nicht oder nur in geringerem
Umfang gezahlt wird.
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Die Darlegungs- und Beweislast bezüglich dieser Voraussetzungen obliegt der
klagenden Partei. Bezogen auf die vom Gläubiger darzulegenden
Tatbestandsmerkmale der regelmäßigen Arbeit für den Drittschuldner und der
Unangemessenheit der Vergütung gem. § 850 h Abs. 2 ZPO folgt daraus die
Verpflichtung der Klagepartei, Art und zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung des
Schuldners darzulegen. Der Gläubiger muss ferner mit seinem Sachvortrag dem Gericht
einen Vergleich zwischen der für die behauptete Arbeitsleistung angemessene
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Vergütung und der tatsächlich gezahlten Vergütung ermöglichen, um das Merkmal der
Unangemessenheit des vom Drittschuldner geleisteten Entgelts zu überprüfen (vgl. BAG
v. 03.08.2005 - 10 AZR 585/04 - EzA - SD 2005, Nr. 321, 12 - 13).
Die Klägerinnen haben unbestritten vorgetragen, dass der Streitverkündete
Tischlermeister mit Zusatzausbildung sei und zudem als eine Art "faktischer
Geschäftsführer" bei der Beklagten fungiere. Weiterhin haben sie unbestritten noch
vorgetragen, dass der Streitverkündete in einem erheblichen zeitlichen Umfang für die
Beklagte tätig werde.
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Aus dem Vortrag der Klägerinnen ergibt sich jedoch nicht, dass die dem
Streitverkündeten gezahlte Vergütung unangemessen ist. Bei der Feststellung, welche
Vergütung angemessen wäre, ist vom Tariflohn oder der üblichen Vergütung für solche
Dienstleistungen auszugehen, wobei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Dienstberechtigten ebenso zu berücksichtigen sein kann (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 25.
Aufl., § 850 h, Rn. 5).
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Gemäß der nicht allgemeinverbindlichen Gehaltstabelle zum Tischlerhandwerk NRW
beträgt die monatliche Bruttovergütung für Meister zwischen 2.527,00 € und 3.390,00 €.
Berücksichtigt man das dem Streitverkündeten gezahlte Bruttogehalt sowie den zur
Verfügung gestellten Dienst-Pkw, so beträgt seine Vergütung 77 % der untersten
Vergütungsgruppe für Meister gemäß der Gehaltstabelle für das Tischlerhandwerk
NRW. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass es sich bei dem Betrieb der
Beklagten um einen Kleinbetrieb handelt, kann insofern nicht von einer
unverhältnismäßig geringen Vergütung ausgegangen werden.
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Selbst wenn man im Hinblick auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit des
Streitverkündeten bei der Beklagten dennoch von einer unverhältnismäßig geringen
Vergütung ausginge, so stellte jedenfalls der Betrag von 3.000,00 € netto nicht die
angemessene Vergütung i.S.v. § 850 h Abs. 2 ZPO dar. Vielmehr könne man unter
Berücksichtigung der tarifvertraglichen Regelungen und der weit überdurchschnittlichen
Arbeitszeiten des Streitverkündeten allenfalls von einer angemessenen Vergütung in
Höhe von 3.000,00 € brutto ausgehen. Selbst wenn man jedoch diesen Betrag
zugrundelegte, verbliebe bei Zugrundelegung der Besteuerungsmerkmale des
Streitverkündeten aus den Lohnabrechnungen und der Berücksichtigung seiner drei
unterhaltspflichtigen Kinder kein pfändbares Nettoeinkommen.
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Ein Anspruch der Klägerinnen gegen die Beklagte ergibt sich daher auch nicht aus §
850 h Abs. 2 ZPO. Die Klage ist somit abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO. Als
unterliegende Partei haben die Klägerinnen die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Der Streitwert war gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Er wurde in Höhe des
geltend gemachten Zahlungsanspruches bewertet.
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gez. Petersen
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