Urteil des ArbG Marburg vom 12.11.2010

ArbG Marburg: betriebsrat, anzeige, fristlose kündigung, einvernehmliche regelung, geschäftsleitung, gespräch, arbeitssicherheit, amtsenthebung, ersetzung, ausschluss

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Gericht:
ArbG Marburg 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 BV 4/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 103 BetrVG, § 15 Abs 1 S 1
KSchG, § 626 Abs 1 BGB, § 23
Abs 1 S 1 BetrVG
Ersetzung der Zustimmung zur fristlosen Kündigung eines
Betriebsratsmitglieds - Antrag auf Amtsenthebung
Leitsatz
Informiert ein Betriebsratsmitglied mit Billigung des Gremiums die Aufsichtsbehörde
über einen tatsächlichen oder vermeintlichen Arbeitszeitverstoß der Arbeitgeberin
(unzulässige Sonntagsarbeit), so stellt dieses Verhalten jedenfalls dann keinen Grund
für eine fristlose Kündigung oder eine Amtsenthebung des Betriebsratsmitglieds dar,
wenn die Arbeitgeberin zuvor in rechtswidriger Weise ohne Zustimmung des
Betriebsrats den Schlichtbeginn am Sonntagabend vorverlegt hat.
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Arbeitgeberin begehrt mit ihren Anträgen, die Zustimmung des Betriebsrats
zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes M. B. zu ersetzen,
hilfsweise das Betriebsratsmitglied M. B. aus dem Betriebsrat auszuschließen.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Gewerbe als Automobilzulieferin. Sie hat ca. 160
Arbeitnehmer beschäftigt. Bei ihr existiert ein Betriebsrat.
Der Bet. zu 3. ist seit dem 29.03.2010 Mitglied des Betriebsrats bei der
Arbeitgeberin. Er ist neu in den Betriebsrat gewählt worden und hatte zuvor kein
Betriebsratsamt inne.
Der Bet. zu 3. ist 39 Jahre alt und ledig. Er ist bei der Arbeitgeberin seit dem
17.08.1987 beschäftigt. Sein Gehalt hat sich zuletzt auf 2.861,73 € brutto
monatlich belaufen. Der Bet. zu 3. ist im Betriebsrat der zuständige Beauftragte
für Arbeitsschutz bzw. Arbeitssicherheit und für Gesundheitsschutz.
Im Frühjahr bzw. Frühsommer 2010 verlegte die Arbeitgeberin in der Abteilung
mechanische Bearbeitung den Beginn der Montags-Nachtschicht vor auf den
jeweils vorangegangenen Sonntag. Die Nachtschicht begann am jeweiligen
Sonntag um 21.00 Uhr. Diese Vorverlegung der Nachtschicht erfolgte im
Einverständnis mit den Arbeitnehmern. Jedenfalls hatte die Arbeitgeberin alle
Arbeitnehmer wegen der am Sonntag vorgezogenen Schicht befragt und deren
Einverständnis eingeholt.
Allerdings ist sich die Arbeitgeberin bis zur Durchführung des vorliegenden
streitigen Verfahrens mit dem Betriebsrat über die Durchführung der Nachtschicht
oder der Nachtschichten nicht einig geworden. Eine entsprechende
einvernehmliche Regelung mit dem Betriebsrat ist ebenso wenig erfolgt, wie die
Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens.
Am 16.06.2010 erhielt die Arbeitgeberin einen Anruf des zuständigen
Sachbearbeiters B. von der Abteilung Arbeitsschutz beim Regierungspräsidium
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Sachbearbeiters B. von der Abteilung Arbeitsschutz beim Regierungspräsidium
Gießen. Dieser habe mitgeteilt, dass sich bei ihm ein Anrufer als Mitglied des
Betriebsrats der Beklagten ausgegeben habe. Der Anrufer habe mitgeteilt, dass
bei der Arbeitgeberin unerlaubte Nachtarbeit und Missachtung der Sonn- und
Feiertagsruhe stattfinde.
Der Sachbearbeiter B. habe darin eine mögliche Ordnungswidrigkeit gesehen, die
mit einer Geldbuße bis zu 15.000,-- € geahndet würde.
Im Laufe von Gesprächen mit dem Betriebsratsvorsitzenden K. und dem
stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden B. fand die Arbeitgeberin heraus, dass
der Anrufer der Bet. zu 3. war.
Mit Schreiben vom 23.06.2010 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des
Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Bet. zu 3., der seit 1987 als
Modellschlosser in der Abteilung Montage/Modellschlosser beschäftigt war. Der
Bet. zu 3. ist ledig und hat keine Unterhaltspflichten.
Die Arbeitgeberin beschuldigte den Bet. zu 3., dass er die Unwahrheit gesagt
habe. Die gesetzlichen Vorgaben nach dem Arbeitszeitgesetz würden eingehalten
werden. Der Betriebsrat M. B. habe eigenmächtig eine Anzeige beim
Regierungspräsidium vorgenommen. Noch am Dienstag, den 15. Juni 2010 habe
der Betriebsratsvorsitzende K. und die Geschäftsleitung einvernehmlich über die
Vorgehensweise bei der Prüfung der Nachtarbeit verhandelt. Durch die Anzeige
habe der Betriebsrat M. B. eine schwere Beschädigung des Ansehens der
Arbeitgeberin bei den staatlichen Stellen im Bereich Arbeitsschutz und
Arbeitssicherheit hervorgerufen. Es handle sich dabei um eine bewusste
Schadenszufügung, die das Vertrauensverhältnis massiv zerstört habe.
Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 28. Juni 2010 seine Zustimmung zur
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds M. B.
verweigert. Zur Begründung hat der Betriebsrat ausgeführt, dass der Betriebsrat
B. keine Anzeige erstattet habe. Er habe nur ein Gespräch geführt. Zwischen dem
Betriebsrat und der Arbeitgeberin seien verschiedene Fragen des
Arbeitszeitschutzes offen gewesen. Das betraf insbesondere den Beginn der
Nachtschicht. Der Betriebsrat M. B. habe versucht, im Auftrage des Betriebsrats
mit dem Sachbearbeiter B. gemeinsam diese Fragen zu klären. Er habe
insbesondere nachgefragt, welche Möglichkeiten bestehen, um die Nachtschicht
am Sonntag auf 21.00 Uhr vorzuverlegen. Außerdem habe B. mit dem
Sachbearbeiter B. vereinbart, dass dieser den Sachverhalt direkt mit der
Geschäftsleitung kläre. Aus diesem Grunde sei keine Schädigung der
Arbeitgeberin entstanden.
Im Übrigen habe der Mitarbeiter als Betriebsratsmitglied in Amtsausübung und im
Auftrag des Betriebsrats gehandelt.
Die Arbeitgeberin bestreitet, dass der Betriebsrat B. als Betriebsratsmitglied
gehandelt habe. Die Anzeige beim Regierungspräsidium sei eigenmächtig erfolgt,
ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat. Der Bet. zu 3. habe den Sachverhalt
falsch dargestellt. Die Arbeitgeberin habe auf Wunsch der Belegschaft die
Nachtschicht auf 21.00 Uhr am Sonntag vorgezogen. Es sei mit dem
Regierungspräsidium dann geklärt worden, dass die Handhabung der
Sonntagsruhe rechtlich unter Berücksichtigung des Arbeitszeitgesetzes nicht zu
beanstanden sei.
Die Arbeitgeberin wirft dem Betriebsrat B. vor, dass er ohne eine innerbetriebliche
Klärung sofort das Regierungspräsidium eingeschaltet habe. Dies sei umso
problematischer gewesen, als noch am Vortag zwischen der Geschäftsleitung und
dem Betriebsratsvorsitzenden vereinbart worden sei, dass wegen der Frage der
Arbeitszeitgestaltung die externe Rechtsanwältin L. als Sachverständige vom
Betriebsrat zur Prüfung der Rechtsfragen beauftragt werden sollte.
Durch den entstandenen Vertrauensbruch sei eine Weiterbeschäftigung des
Betriebsrats B. nicht zumutbar.
Die Arbeitgeberin behauptet, dass die Geschäftsführerin den
Betriebsratsvorsitzenden K. unmittelbar nach dem Anruf des Sachbearbeiters B.
im Büro des Mitarbeiters C. zu dieser Sache befragt habe. Der
Betriebsratsvorsitzende K. sei überrascht gewesen und habe eingeräumt, dass in
einem gemeinsamen Gespräch die Einschaltung der Rechtsanwältin L. zur Prüfung
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einem gemeinsamen Gespräch die Einschaltung der Rechtsanwältin L. zur Prüfung
der Rechtsfragen vereinbart wurde. Der Betriebsratsvorsitzende K. habe auch
bestätigt, dass Handlungen nur nach Beschluss des Betriebsrats erfolgen sollten.
Der Betriebsratsvorsitzende habe bestätigt, dass der Anrufer der Bet. zu 3.
gewesen sei und dass kein Betriebsratsbeschluss zu dieser Handlung vorgelegen
habe.
Nach einer weiteren Sitzung am 17.06.2010 habe sowohl der
Betriebsratsvorsitzende K. wie auch der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende
B. der Geschäftsleitung bestätigt, dass es sich um ein eigenmächtiges Vorgehen
des Mitarbeiters B. gehandelt habe.
Nach Ansicht der Arbeitgeberin habe der Bet. zu 3. nicht nur eine
Amtspflichtverletzung als Betriebsrat begangen. Er habe auch seine
arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere seine Treuepflicht als
Arbeitnehmer verletzt. Darüber hinaus sei mittlerweile ein weiteres Verfahren
gegen den Bet. zu 3. eröffnet worden wegen weiterer Vorwürfe mit dem Ziel des
Ausschlusses des Bet. zu 3. aus dem Betriebsrat.
Schließlich wirft die Arbeitgeberin dem Bet. zu 3. vor, dass er die Unsicherheiten
im Betriebsrat ausgenutzt habe, um seine Vorstellungen eigenmächtig
durchzusetzen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des
Beteiligten zu 3) wird gem. § 103 BetrVG ersetzt.
Die Antragstellerin beantragt weiter hilfsweise,
den Beteiligten zu 3), Herrn M. B., aus dem Betriebsrat auszuschließen.
Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) beantragen,
die Anträge abzuweisen.
Der Betriebsrat und der Bet. zu 3. sind der Ansicht, dass beide Anträge nicht
gerechtfertigt und nicht begründet seien.
Sie behaupten, dass die Arbeitgeberin und der Betriebsrat im Jahr 2010 diverse
Verhandlungen über die Vorverlegung der Montagsschicht am Sonntagabend
geführt haben. Eine abschließende Einigung sei jedoch, sowie die Arbeitgeberseite
es vorgetragen hat, darüber nicht erzielt worden.
Die Betriebsratsseite behauptet, dass die Arbeitgeberin in der Vergangenheit
durch eigenmächtiges Vorgehen die Rechte des Betriebsrats in vielfältiger Weise,
insbesondere auch bei der Arbeitszeitgestaltung verletzt habe. Es lägen zahlreiche
Verstöße der Arbeitgeberin insbesondere gegen das Arbeitszeitgesetz vor, z.B. im
Mai 2010. Wegen dieser zahlreichen Rechtsverstöße habe sich der Betriebsrat
schon im Mai 2010 an das Regierungspräsidium und den Sachbearbeiter M.
gewandt. Die Geschäftsleitung habe davon erfahren, ohne dies zu beanstanden.
Auch der Betriebsratsvorsitzende K. habe mit Mitarbeitern des
Regierungspräsidiums über dieses Thema gesprochen. Davon habe die
Arbeitgeberin erfahren, ohne entsprechende Sanktionen zu ergreifen.
Die Bet. zu 2. und zu 3. behaupten weiter, dass in der Betriebsratssitzung vom
10.06.2010 unter anderem über das Thema Schichtbeginn an Sonntagen
gesprochen worden sei. Um die Rechtslage zu klären sei das im Betriebsrat dafür
zuständige Betriebsratsmitglied B. beauftragt worden, Kontakt mit dem Amt für
Arbeitssicherheit beim Regierungspräsidium aufzunehmen. Dies gehe auch aus
dem Protokoll vom 10.06.2010 hervor, wo Herr B. insoweit ausdrücklich
handschriftlich genannt sei.
Aus diesem Grunde habe das Betriebsratsmitglied M. B. in seiner Funktion als
Betriebsrat gehandelt, als er sich an Herrn B. gewandt habe. Schon aus diesem
Grunde komme eine außerordentliche Kündigung nicht in Betracht. Eine
Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen liege nicht vor.
Der Betriebsrat ist weiter der Ansicht, dass der Bet. zu 3. auch keine
Amtspflichtverletzung begangen habe. Das Betriebsratsmitglied B. habe lediglich
eine Anfrage beim Regierungspräsidium vorgenommen, wie zuvor schon andere
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eine Anfrage beim Regierungspräsidium vorgenommen, wie zuvor schon andere
Betriebsratsmitglieder. Von einer Anzeige gegen die Arbeitgeberin könne nicht die
Rede sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Verfahrensbeteiligten gewechselten
Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 10. August 2010 (Bl. 18
d.A.) und vom 12. November 2010 (Bl. 148, 149 d.A.) Bezug genommen.
Das Gericht hat zur Klärung des Sachverhalts sowohl den Betriebsratsvorsitzenden
Uwe K., wie auch den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden T. B. befragt.
Wegen des Ergebnisses der Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.
November 2010 (Bl. 148, 149 d.A.) verwiesen.
B.
Die Anträge sind zulässig, aber nicht begründet.
Die Anträge waren deshalb zurückzuweisen.
I.
Nach § 15 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unzulässig,
es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus
wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
Voraussetzung für eine solche außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund
ist weiterhin, dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des
Betriebsrats zur Kündigung vorliegt oder die fehlende Zustimmung durch eine
gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.
Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern
des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Verweigert der Betriebsrat
seine Zustimmung, so kann nach § 103 Abs. 2 BetrVG das Arbeitsgericht diese
verweigerte Zustimmung auf Antrag der Arbeitgeberin ersetzen. Voraussetzung
ist, dass eine außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände
gerechtfertigt ist.
Die Arbeitgeberin hat mit Schreiben vom 23.06.2010 die Zustimmung des
Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds M. B.
beantragt. Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 28.06.2010 diese Zustimmung
verweigert. Damit ist der Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung
nach § 103 Abs. 2 BetrVG zulässig.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Der Antrag ist schon deshalb nicht begründet, weil der Bet. zu 3. nach den
Ermittlungen des Gerichts bei der Durchführung seines Anrufs beim
Regierungspräsidium nicht als Arbeitnehmer oder Privatmann, sondern als
Betriebsratsmitglied im Auftrag des Betriebsrats gehandelt hat. Somit liegt keine
gravierende Pflichtverletzung als Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag vor. Wegen
Handlungen in der Funktion als Betriebsratsmitglied kann der Mitarbeiter M. B.
nicht außerordentlich nach § 626 Abs. 1 BetrVG gekündigt werden.
Der Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Bet. zu 3. war
schon aus diesem Grunde zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin behauptet zwar, dass sowohl der Betriebsratsvorsitzende K. wie
auch der stellvertretende Vorsitzende B. von der Vorgehensweise des Bet. zu 3.
gegenüber dem Regierungspräsidium nichts gewusst hätten. Dies habe die
Reaktion der beiden gezeigt, als die Geschäftsführerin die Betriebsratsspitzen auf
den Anruf des Mitarbeiters B. angesprochen habe. Von Seiten der
Betriebsratsvorsitzenden sei keinesfalls mitgeteilt oder angedeutet worden, dass
der Bet. zu 3. im Betriebsratsauftrag gehandelt habe. Vielmehr seien diese
überrascht gewesen.
Diesen Behauptungen steht die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats vom
28.06.2010 entgegen. In der Zustimmungsverweigerung hat der Betriebsrat
ausdrücklich mitgeteilt, dass das Betriebsratsmitglied B. in Amtsausübung im
Auftrag des Betriebsrats als Betriebsratsmitglied gehandelt habe.
Im Rahmen der im Beschlussverfahren bestehenden Pflicht des Gerichts zur
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Im Rahmen der im Beschlussverfahren bestehenden Pflicht des Gerichts zur
Amtsermittlung und der Beweisanträge der Verfahrensbeteiligten hat das Gericht
informativ sowohl den Betriebsratsvorsitzenden Uwe K. wie auch den
stellvertretenden Vorsitzenden T. B. zu diesem Sachverhalt befragt.
Der Betriebsratsvorsitzende K. hat die Version des Bet. zu 3. bestätigt. Er hat
mitgeteilt, dass Herr B. im Auftrag des Betriebsrats gehandelt habe. Die
Problematik der Nachtschicht sei schon länger vorhanden gewesen und habe
geklärt werden müssen. Es sei darüber diskutiert worden, dass hier entsprechend
nachgefragt oder gehandelt werden müsse.
Der Vorsitzende K. verwies darauf, dass der Betriebsrat B. im Betriebsrat für
Arbeitszeitfragen zuständig ist. Sowohl der Vorsitzende K. wie auch der
stellvertretende Vorsitzende B. haben weiter ausgesagt, dass es sich bei der
Anfrage des Betriebsrats B. jedoch nicht um eine Anzeige gehandelt habe,
sondern lediglich um ein Gespräch. Nur für eine Anzeige im förmlichen Sinne sei
eine Beschlussfassung des Betriebsrats notwendig gewesen, die jedoch insoweit
nicht vorlag.
Die beiden Betriebsratsspitzen erklärten, dass aus ihrer Sicht die Handlungsweise
des Betriebsratsmitglieds B. in Ordnung war und dass der Betriebsrat B. in dieser
Frage nicht eigenmächtig gehandelt habe.
Zur Erläuterung haben beide Betriebsräte mitgeteilt, dass die Geschäftsführerin
bei ihren Mitteilungen sofort von einer Anzeige gesprochen habe. Aus diesem
Grunde seien die Betriebsräte zunächst konsterniert gewesen. Es sei
richtigerweise auch mitgeteilt worden, dass für eine Anzeige nicht der notwendige
Beschluss des Betriebsratsgremiums vorgelegen hätte.
Nach dem vom Gericht ermittelten Sachverhalt steht fest, dass das
Betriebsratsgremium und die Arbeitgeberin seit geraumer Zeit wegen der Frage
der Nachtschicht und des Vorziehens der Nachtschicht miteinander in
Verhandlungen waren. Dieses Thema war zwischen Betriebsrat und
Arbeitgeberseite noch nicht abschließend geklärt. Gleichwohl hat die Arbeitgeberin
die vorgezogene Nachtschicht bereits durchgeführt.
In dieser Situation hat der Betriebsrat laut Protokoll auf seiner Sitzung vom
10.06.2010 über das Thema Sonntagsarbeit, speziell über den Schichtbeginn an
Sonntagen für Nachtschicht gesprochen. Laut Protokoll sollte Kontakt mit Herrn B.
vom Amt für Arbeitsschutz beim Regierungspräsidium Gießen aufgenommen
werden, um die Rechtslage zu klären. Zuständig für die Frage des Arbeitsschutzes
und des Gesundheitsschutzes ist im Betriebsrat der Betriebsrat B.. Laut
handschriftlichem Vermerk des Protokollführers sollte dieser die Rechtslage beim
Amt für Arbeitssicherheit erfragen.
Damit steht fest, dass der Bet. zu 3. in seiner Funktion als Betriebsrat gehandelt
hatte, als er Herrn B. anrief. Da insoweit der Bet. zu 3. nicht als Arbeitnehmer oder
als Privatperson handelte, sondern als Betriebsrat im Auftrag des
Betriebsratsgremiums scheidet eine außerordentliche Kündigung wegen
gravierender Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nach § 626 Abs.
1 BGB aus. Ein Betriebsratsmitglied kann nicht deshalb fristlos gekündigt werden,
weil er in seiner Funktion als Betriebsrat gegebenenfalls rechtswidrig gehandelt
hat.
Nur der Vollständigkeit halber muss darauf hingewiesen werden, dass der Bet. zu
3. durch den Auftrag des Betriebsratsgremiums einerseits und seine Aufgabe
innerhalb des Betriebsratsgremiums als Beauftragter für Arbeits- und
Gesundheitsschutz abgedeckt war. Dies gilt umso mehr, als die Arbeitgeberin
ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats den Schichtbeginn an Sonntagen
unter Missachtung der Betriebsratsrechte nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG
vorgezogen hat. Bei ihren Vorwürfen sollte die Arbeitgeberin nicht übersehen, dass
sie möglicherweise auch durch ihre unkonventionelle oder gar rechtswidrige
Vorgehensweise die Nachfrage des Betriebsratsmitglieds B. beim
Regierungspräsidium provoziert hat.
Jedenfalls ist nach dem Vortrag sowohl des Betriebsrats wie der Arbeitgeberin
unstreitig, dass die Frage der Nachtschicht bis zum Zeitpunkt des
Beschlussverfahrens noch nicht geklärt war, gleichwohl aber die Nachtschicht von
Arbeitgeberseite ohne Betriebsratszustimmung an Sonntagen vorverlegt worden
ist.
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Schließlich bemängelt die Arbeitgeberseite, dass laut Abmachung zwischen der
Geschäftsführerin und dem Betriebsratsvorsitzenden am 15.06.2010 zur
rechtlichen Problematik des Vorziehens der Nachtschicht am Sonntag die
Rechtsanwältin L. beauftragt werden sollte. Aus Arbeitgebersicht hat insoweit dann
keine Notwendigkeit und kein Anlass für das Gespräch mit dem
Regierungspräsidium bestanden.
Dazu hat der Betriebsratsvorsitzende gerade bei seiner Befragung mitgeteilt, dass
er von diesem Gespräch bis zum 16.06.2010 dem Betriebsrat B. noch keine
Mitteilung gemacht hatte. Das Betriebsratsmitglied konnte also bei seinem Anruf
beim Regierungspräsidium noch nichts von dieser Abmachung wissen. Insoweit
kann die Abmachung dem Bet. zu 3. auch nicht belastend entgegengehalten
werden.
Der Antrag der Arbeitgeberin auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung
des Betriebsratsmitglieds B. war deshalb aus mehreren Gründen zurückzuweisen.
II.
Auch der Hilfsantrag auf Ausschluss des Betriebsratsmitglieds M. B. aus dem
Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG war zurückzuweisen.
Auch dieser Antrag ist nicht begründet.
Nach § 23 Abs. 1 BetrVG kann die Arbeitgeberin im Arbeitsgericht den Ausschluss
eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner
gesetzlichen Pflichten beantragen. Eine solche grobe Verletzung von gesetzlichen
Pflichten durch das Betriebsratsmitglied M. B. ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Dies ergibt sich schon aus den voran stehenden Ausführungen. Das
Betriebsratsmitglied B. im Auftrag des Betriebsrats in einer sehr prekären
Situation den zuständigen Sachbearbeiter des Regierungspräsidiums angerufen.
Dabei hat er den Auftrag des Gremiums durchgeführt. Sofern insoweit eine
Pflichtverletzung vorläge, wäre diese Pflichtverletzung dem gesamten Gremium
zur Last zu legen, nicht einem einzelnen Betriebsratsmitglied. Von einer
Pflichtverletzung durch das Betriebsratsmitglied B., insbesondere von einer groben
Verletzung gesetzlicher Pflichten als Betriebsrat kann vorliegend jedoch keinesfalls
gesprochen werden.
Das Betriebsratsmitglied B. hat in einer möglicherweise angespannten Situation
gehandelt, um die Rechte des Betriebsrats zu klären und zu wahren. Diese
Situation ist dadurch verschärft worden, dass die Arbeitgeberseite offenbar in
rechtswidriger Weise einen Schichtplan durchführte, der vom Betriebsrat nicht
mitbestimmt war. Die Arbeitgeberin beruft sich zwar darauf, dass sie alle
betroffenen Mitarbeiter gefragt hatte und diese keine Einwendungen erhoben.
Dabei übersieht die Arbeitgeberin jedoch, dass die Zustimmung der Mitarbeiter
keinesfalls dazu führt, dass dadurch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
entfällt. Die Arbeitgeberin hätte vor Zustimmung des Betriebsrats oder vor der
Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens keinesfalls am Sonntag den
Schichtbeginn auf 21.00 Uhr vorziehen dürfen.
Letztendlich kommt es jedoch darauf nicht entscheidend an. Für die Ablehnung
einer Amtsenthebung ist zum einen entscheidend, dass der Betriebsrat B. nicht
eigenmächtig, sondern im Auftrag des Gremiums handelte. Zum anderen war
seine Vorgehensweise in Anbetracht der Gesamtumstände keinesfalls grob
rechtswidrig bzw. beinhaltete keinesfalls eine grobe Verletzung von gesetzlichen
Pflichten.
Zum dritten muss sich die Arbeitgeberin entgegenhalten lassen, dass sie Kenntnis
davon hatte, dass der Betriebsrat bzw. Betriebsratsvorsitzende in der
Vergangenheit bereits in vergleichbaren Situationen mit zuständigen
Sachbearbeitern des Regierungspräsidiums gesprochen hatte. Die Arbeitgeberin
hat in diesen Fällen jedoch höchstens ungehalten reagiert, ohne aber weitere
Konsequenzen daraus zu ziehen oder Vorhaltungen zu machen. Aus diesem
Grunde durfte der Bet. zu 3. davon ausgehen, dass auch bei einer erneuten
Nachfrage im Regierungspräsidium von Seiten der Arbeitgeberin keine
grundsätzlichen Bedenken erhoben werden.
Andernfalls hätte die Arbeitgeberin schon bei dem früheren Vorgehen des
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Andernfalls hätte die Arbeitgeberin schon bei dem früheren Vorgehen des
Betriebsratsvorsitzenden klarer und eindeutiger reagieren müssen. Gerade wenn
die Arbeitgeberin im Falle des Mitarbeiters B. von einer nicht
wiederherzustellenden Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses spricht, im Falle
des Betriebsratsvorsitzenden bei vergleichbaren Handlungen aber die Situation
weit gelassener hinnahm, handelte die Arbeitgeberin widersprüchlich. Sie muss
sich dieses widersprüchliche Verhalten insoweit vom Betriebsrat zu Recht
vorhalten lassen.
Somit waren im Ergebnis beide Anträge mangels Begründetheit zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.