Urteil des ArbG Marburg vom 18.02.2008

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Gericht:
ArbG Marburg 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ca 184/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 888 ZPO, § 62 Abs 1 S 1
ArbGG
(Vollstreckbarkeit des allgemeinen
Weiterbeschäftigungsanspruchs nach Aufhebung des
erstinstanzlichen Urteils)
Gründe
I.
Der Kläger hat einen Vollstreckungsantrag nach § 888 ZPO gestellt.
Das Arbeitsgericht Marburg hat durch Urteil vom 28. Juli 2006 im vorliegenden
Rechtsstreit festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht auf das
Universitätsklinikum … als Beklagte zu 2. übergegangen ist, sondern aufgrund
seines Widerspruchs vom 12.01.2006 über den 01.07.2005 hinaus unverändert
zum Land Hessen fortbesteht.
Das Arbeitsgericht Marburg hat das beklagte Land weiter verurteilt, den Kläger zu
unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. In den Urteilsgründen
hat das Gericht ausgeführt, dass dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers
jedenfalls in der Form einer Prozessbeschäftigung bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Rechtsstreits stattzugeben war.
Das beklagte Land hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Hessische
Landesarbeitsgericht hat durch Urteil vom 25.07.2007 - 2 Sa 640/07 - das Urteil
des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger beim Bundesarbeitsgericht Revision eingelegt.
Der Kläger hat nunmehr am 01.02.2008 einen Antrag nach § 888 ZPO gestellt mit
dem Ziel, die Weiterbeschäftigung des Klägers nach Ziffer 2 des Urteils des
Arbeitsgerichts Marburg vom 28.07.2006 durch die Festsetzung eines
Zwangsgeldes, hilfsweise von Zwangshaft zu erzwingen.
Der Antragsteller ist der Ansicht, dass das beklagte Land nach dem Urteil des
Arbeitsgerichts verpflichtet ist, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss
dieses Rechtsstreits in einer Prozessbeschäftigung weiterzubeschäftigen. Sowohl
das Hessische Landesarbeitsgericht wie der Große Senat des
Bundesarbeitsgerichts seien bei erstinstanzlichem Obsiegen des Arbeitnehmers
im Kündigungsschutzprozess von einer Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers bis
zum rechtskräftigen Abschluss des jeweiligen Rechtsstreits ausgegangen.
Das beklagte Land ist der Ansicht, dass mit der Abänderung des
arbeitsgerichtlichen Urteils und der Klageabweisung durch das Hessische
Landesarbeitsgericht die Verpflichtung des beklagten Landes zur vorläufigen
Prozessbeschäftigung des Klägers geendet habe.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Er war deshalb zurückzuweisen.
1. Der Kläger beruft sich auf den Beschluss des Großen Senats des
Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 - GS 1/84 - (Der Betrieb 1985, 551 ff.; AP
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Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 - GS 1/84 - (Der Betrieb 1985, 551 ff.; AP
Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht), wie auch auf die Rechtsprechung des
Hessischen Landesarbeitsgerichts. Dem Kläger ist einzuräumen, dass die
Rechtsprechung von einem arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch des gekündigten
Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der
Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzprozesses ausgeht, wenn die Kündigung unwirksam ist und ein
überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers einer solchen
Beschäftigung nicht entgegensteht. Dieser arbeitsvertragliche
Beschäftigungsanspruch kann nach der Rechtsprechung des Großen Senats des
Bundesarbeitsgerichts im Klagewege geltend gemacht werden. Der
Beschäftigungsklage darf aber nur dann stattgegeben werden, wenn ein Gericht
für Arbeitssachen auf eine entsprechende Kündigungsschutzklage hin die
Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat.
2. Entgegen der Ansicht des Klägers besteht der Beschäftigungsanspruch
des Arbeitnehmers aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil besteht jedoch nur
solange, wie dieses Urteil selbst Bestand hat. Nur solange kann das Arbeitsgericht
einem Zwangsvollstreckungsantrag des Arbeitnehmers nach § 888 ZPO
stattgeben. Nach Aufhebung des Urteils durch die nächste Instanz ist mangels
einer fortbestehenden Verurteilung des Arbeitgebers ein solcher
Zwangsvollstreckungsantrag abzuweisen.
a)
vor dem Arbeitsgericht angefochten, so entsteht ein massiver Interessenkonflikt
zwischen den Vertragsparteien über die Frage der weiteren tatsächlichen
Beschäftigung des Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses. Bis
zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses herrscht
Ungewissheit über die objektive Rechtslage. Sowohl der Arbeitgeber wie der
Arbeitnehmer gehen das Risiko ein, dass je nach Prozessausgang mit oder ohne
einer Prozessbeschäftigung zu ihren Lasten Fakten geschaffen werden, die nicht
mehr rückgängig gemacht werden können. Dieses beiderseitige Risiko des
ungewissen Prozessausganges wurde daher vom Großen Senat des
Bundesarbeitsgerichts bei der Prüfung des Weiterbeschäftigungsanspruches
abgewogen und berücksichtigt. Der Große Senat hat in seiner Entscheidung vom
27.02.1985 festgestellt, dass die Interessenlage sich zu Lasten des Arbeitgebers
ändert, wenn im Kündigungsprozess ein die instanzabschließendes Urteil ergeht,
dass die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses feststellt. Durch ein solches, noch nicht rechtskräftiges Urteil
wird zwar keine endgültige Klarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses
geschaffen. Zumindest aber ist eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne des
klagenden Arbeitnehmers eingetreten. Deshalb lässt das Bundesarbeitsgericht ein
noch mit einem Rechtsmittel anfechtbares Urteil als Grundlage der
Zwangsvollstreckung ausreichen. Das Gericht hat dabei das Interesse des
obsiegenden Klägers höher bewertet, als das Interesse des Arbeitgebers, bis zu
einer endgültigen Klärung der Rechtslage von Vollstreckungsmaßnahmen
verschont zu bleiben.
b)
und für dessen Vollstreckung ist jedoch stets das Vorhandensein eines
entsprechenden Urteils. Das Urteil wirkt sich, solange es besteht, dahin aus, dass
nunmehr die Ungewissheit des endgültigen Prozessausganges zu Gunsten des
Arbeitnehmers geklärt hat und ein überwiegendes Gegeninteresse des
Arbeitgebers nicht mehr angenommen werden kann. Wird das Urteil dagegen von
der Rechtsmittelinstanz aufgehoben, so entfällt die vorläufige klärende Rechtslage
zugunsten des Arbeitnehmers (so auch GS BAG vom 27.02.1985, zu II 3 c der
Gründe; Der Betrieb 1985, 551 ff.; BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB
Beschäftigungspflicht). Damit entfiel nicht nur der auch für die vorläufige
Vollstreckung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforderliche Titel, sondern auch die
materiellrechtliche Voraussetzung für den prozessualen
Weiterbeschäftigungsanspruch. Der Vollstreckungsantrag des Klägers gem. § 888
ZPO war deshalb zurückzuweisen.
III.
Der Antragsteller hat gem. § 891 Satz 3 ZPO die Kosten zu tragen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.