Urteil des ArbG Marburg vom 26.09.2008

ArbG Marburg: zahlungsunfähigkeit, rückzahlung, zahlungsverzug, fälligkeit, rechtsnachfolger, gläubigerbenachteiligung, betrug, bauunternehmen, bauarbeiter, verspätung

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Gericht:
ArbG Marburg 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ca 204/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 129 InsO, § 130 Abs 1 InsO, §
130 Abs 2 InsO, § 611 Abs 1
BGB
(Insolvenzanfechtung - verspätete Lohnzahlung vor
Insolvenzeröffnung - Rückforderungsanspruch)
Leitsatz
1. Die Auszahlung rückständiger Vergütungsansprüche durch die Arbeitgeberin an
Arbeitnehmer vor Insolvenzeröffnung ist durch den Insolvenzverwalter nur dann
anfechtbar, wenn die begünstigten Arbeitnehmer eine bereits bestehende
Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin kannten oder Kenntnis von Umständen hatten,
die zwingend auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit schließen ließen (§130 InsO).
2. Eine um 3 Monate verzögerte Vergütungszahlung alleine verursacht bei
Arbeitnehmern noch keine Kenntnis, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit der
Arbeitgeberin schließen lässt.
3. Dies gilt um so mehr, wenn die Arbeitgeberin seit Monaten immer wieder in
Zahlungsverzug geraten war, aber die Vergütungsrückstände dann stets wieder
ausglich. Aus der Kenntnis von Liquiditätsengpässen der Arbeitgeberin folgt nicht
zwingend die Kenntnis einer Zahlungsunfähigkeit.
4. Arbeitnehmer dürfen in diesen Fällen darauf vertrauen, dass die Arbeitgeberin wie in
der Vergangenheit ihren Zahlungsverzug begleichen wird. Der Insolvenzverwalter kann
ohne Hinzutreten weiterer Umstände keinen Rückforderungsanspruch für nachgezahlte
Vergütungen gegen die Arbeitnehmer durchsetzen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.383,60 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger
aufgrund einer Insolvenzanfechtung den ausgezahlten Lohn für Juli 2007
zurückzuzahlen.
Die Gemeinschuldnerin betrieb ein Bauunternehmen. Der Kläger war bei der
Beklagten als Bauarbeiter seit 2005 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien
endete aufgrund einer Klägerkündigung zum 15.08.07.
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der vormaligen
Arbeitgeberin des Beklagten.
Die Arbeitgeberin und Gemeinschuldnerin zahlte schon seit langem, nach
Angaben des Klägers seit Jahren, die Löhne an den Beklagten und an andere
Mitarbeiter verspätet bzw. zeitverzögert aus. So überwies sie den Lohn des
Beklagten für Juli 2007 erst am 26. 10.2007. Die Lohnzahlung betrug 1.383,60 Euro
netto.
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Am 28. 11.2007 stellte die ... beim Insolvenzgericht einen Antrag auf
Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Arbeitgeberin. Das Insolvenzgericht
eröffnete die Insolvenz über deren Vermögen mit Beschluss vom 18.01.2008. Der
Kläger wurde dabei vom Gericht als Insolvenzverwalter eingesetzt.
Der Kläger machte mit Schreiben vom 11.06.2008 unter Fristsetzung zum 27. Juni
2008 die Rückzahlung des Juli-Lohnes 2007 für Insolvenzmasse im Wege der
Insolvenzanfechtung beim Beklagten geltend. Er berief sich dabei darauf, dass die
Lohnzahlung für Juli 2007 in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag der
... erfolgt ist.
Der Beklagte verweigerte die Rückzahlung des Juli-Lohnes zur Insolvenzmasse mit
der Begründung, dass ihm von der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin zum
Zeitpunkt der Lohnzahlung nichts bekannt gewesen sei. Außerdem sei ein
Rückforderungsanspruch wegen der tariflichen Ausschlussfrist verfallen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung
nach den §§ 143 Abs. 1, 129 und 130 InsO vorlägen. Die Zahlung des Juli-Lohnes
2007 an den Kläger stelle eine anfechtbare Schmälerung der Insolvenzmasse und
eine unzulässige Gläubigerbenachteiligung durch die Gemeinschuldnerin dar.
Der Kläger behauptet, dass die Gemeinschuldnerin zum Zeitpunkt der
Lohnzahlung Ende Oktober 2007 bereits zahlungsunfähig gewesen sei. Zu diesem
Zeitpunkt seien bereits die Forderungen von 26 Gläubigern in Höhe von
138.069,14 Euro fällig gewesen. Selbst wenn die Einwendungen des Beklagten zu
diesen Forderungen berücksichtigt würden, seien zum Zahlungszeitpunkt im
Oktober 2007 unstreitig mindestens 120.000,00 Euro an Gläubigerforderungen
fällig gewesen.
Die Klägerseite verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung des BGH
Zahlungsunfähigkeit im Sinne der InsO vorliege, wenn die Schuldnerin nicht in der
Lage ist, innerhalb von drei Wochen wenigstens 90 % der fälligen Verbindlichkeiten
zu zahlen. Dieser Sachverhalt habe bei der Gemeinschuldnerin am 26.10.2007
vorgelegen.
Im Übrigen lasse auch ein Zahlungsrückstand von drei Monaten bei
Arbeitnehmerlöhnen auf die Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin schließen. Da
die Löhne in Deutschland in der Regel sehr pünktlich gezahlt würden, lasse ein
solcher Lohnrückstand keinen anderen Schluss, als die Zahlungsunfähigkeit zu.
Außerdem habe die Arbeitgeberin dem Beklagten mit dieser Zahlung nur den Juli-
Lohn, nicht aber die weiteren Lohnrückstände beglichen.
Der Kläger ist weiter der Ansicht, dass die Insolvenzanfechtungsansprüche nicht
einer tariflichen Ausschlussfrist unterfallen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.383,60 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2008 zu
zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bestreitet die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und der
Arbeitgeberin und den Gesamtumständen zum Zahlungszeitpunkt im Oktober
2007.
Die verspätete Lohnzahlung für Juli 2007 lasse nicht zwingend auf die
Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin schließen. Bei der Arbeitgeberin sei es in
den letzten Jahren normal und üblich gewesen, dass der Lohn stets mit
Verspätung gezahlt worden sei. Auch wenn die Arbeitgeberin den Lohn lange Zeit
nicht pünktlich gezahlt habe, habe trotzdem keine Zahlungsunfähigkeit
vorgelegen. Schließlich sei die geschuldete Lohnzahlung in der Vergangenheit zwar
verspätet, aber schließlich doch immer erfolgt. Da der Kläger als normaler
Arbeitnehmer keinen Einblick in die Bücher gehabt habe, habe er stets davon
ausgehen dürfen, dass die Arbeitgeberin trotz gewisser Liquiditätsschwierigkeiten
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ausgehen dürfen, dass die Arbeitgeberin trotz gewisser Liquiditätsschwierigkeiten
zahlungsfähig sei.
Es müsse auch berücksichtigt werden, dass gerade in der Baubranche verspätete
Lohnzahlungen durchaus üblich seien.
Jedenfalls habe der Beklagte am 26. 10.2007 keine Kenntnis über die
Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin besessen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze
sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 15.07.2008 (Bl. 22 d. A.) und vom 26.
09.2008 (Bl. 32 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
A.
Die Klage ist als Zahlungsklage zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten für
Arbeitssachen ist nach § 3 ArbGG gegeben.
1. Fordert der Insolvenzverwalter vom Arbeitnehmer Rückzahlung der von der
Schuldnerin vor Insolvenzeröffnung geleisteten Vergütung wegen Anfechtbarkeit
der Erfüllungshandlung (§§ 129 ff. InsO), so ist der Rechtsweg zu den Gerichten für
Arbeitssachen eröffnet (vgl. BAG v. 27.02.2008 – 5 AZB 43/07 – APNr. 8 zu § 3
ArbGG 1979).
Der klagende Insolvenzverwalter handelt als Rechtsnachfolger der insolventen
Arbeitgeberin des Beklagten i.S.d. § 3 ArbGG. Die Rechtsprechung geht seit Jahren
davon aus, dass der Begriff der Rechtsnachfolge i.S.d. § 3 ArbGG nicht streng
wörtlich, sondern in einem weiten Sinne zu verstehen ist. Es ist nicht erforderlich,
dass der Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglichen Schuldnerin getreten
ist. Vielmehr genügt die Erhebung einer Forderung an Stelle der Arbeitgeberin.
Ausgehend von der Natur dieses Rechtsverhältnisses führen die Parteien
vorliegend einen bürgerlichen Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
aus einem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG), jedenfalls aber einen
Rechtsstreit über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder
unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 2 Abs. 1, 4 a ArbGG).
2. Gegen die Zulässigkeit der Klage als Zahlungsklage bestehen im Übrigen keine
Bedenken.
B.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Sie war deshalb abzuweisen.
1. Nach § 131 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem
Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat,
die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte.
Voraussetzung ist, dass diese Handlung in den letzten drei Monaten vor dem
Insolvenzantrag vorgenommen wurde. Solche Rechtshandlungen, die vor der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die die
Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach § 129 InsO
anfechten.
Diese Voraussetzungen liegen zunächst vor. Die Gemeinschuldnerin hat kurze
Zeit vor dem Insolvenzantrag der …vom 28.11.2007 an den Beklagten Ende
Oktober 2007 den Lohn für Juli 2007 gezahlt. Insoweit ist die Insolvenzmasse
geschmälert.
2. Nach § 130 Abs. 1 InsO ist die Zahlung der Gemeinschuldnerin in den letzten
drei Monaten vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung anfechtbar, wenn die
Gemeinschuldnerin zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war und der
Zahlungsempfänger diese Zahlungsunfähigkeit kannte.
Nach dem Vortrag des Klägers muss das Gericht davon ausgehen, dass die
Arbeitgeberin zum Zeitpunkt der Zahlung des Juli-Lohnes bereits zahlungsunfähig
war. Allerdings ist eine positive Kenntnis des Beklagten von dieser
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war. Allerdings ist eine positive Kenntnis des Beklagten von dieser
Zahlungsunfähigkeit nicht erkennbar und nicht nachgewiesen.
Insoweit liegen die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1
InsO nicht vor.
3. Auch die Voraussetzungen für eine Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 2 InsO
sind nicht gegeben.
Nach § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis
von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.
Solche Umstände, die einen zwingenden Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit für
die Arbeitnehmer bzw. den Beklagten zulassen, sind vorliegend jedoch nicht
gegeben bzw. nicht dargelegt und nicht nachgewiesen.
Die Klägerseite verweist darauf, dass aus dem Zahlungsrückstand von drei
Monaten zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit habe geschlossen werden müssen.
Diese Argumentation des Klägers ist jedoch im Rahmen der Verhältnisse bei der
Gemeinschuldnerin nach Ansicht des Gerichts gerade nicht zwingend.
Zum einen ist festzuhalten, dass dem Beklagten und den Arbeitnehmern eine
Einsicht in die Geschäftsunterlagen und die Buchhaltung, insbesondere eine
Einsicht in die Forderungen der Gläubiger einerseits und die Außenstände der
Arbeitgeberin andererseits verwehrt bzw. nicht möglich war.
Zum anderen hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberin seit
Jahren schon die Lohnzahlungen verspätet erbringt, gleichwohl aber die
Lohnforderungen stets erfüllt hat.
Die verspätete Lohnzahlung hat nicht dazu geführt, dass die Arbeitgeberin damit
die Fälligkeit der Lohnzahlungen verschoben hätte. Da sich die Fälligkeit der
Lohnzahlungen aus dem Bundesrahmentarifvertrag-Bau ergab und dieser
allgemeinverbindlich ist, blieb es dabei, dass die Lohnzahlungen jeweils zum 10.
bzw. zum 15. des Folgemonats fällig waren. Die danach erfolgten Lohnzahlungen
waren deshalb jeweils verspätet. Diese verspätete Lohnzahlung der Arbeitgeberin
war jedoch lediglich ein Hinweis darauf, dass die Arbeitgeberin Liquiditätsprobleme
hatte. Diese Liquiditätsprobleme hat sie jedoch jeweils wieder behoben.
Keinesfalls aber kann aus diesen Zahlungsschwierigkeiten gefolgert werden, dass
die Arbeitgeberin schon seit Jahren zahlungsunfähig gewesen wäre. Durch die
jeweils erfolgten Nachzahlungen, hat sie den Arbeitnehmern und damit dem
Beklagten bewiesen, dass eine Zahlungsunfähigkeit gerade nicht vorlag. Aus
diesem Grunde kann alleine durch die verspätete Lohnzahlung des Juli-Lohnes
nicht zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin im Oktober 2007
geschlossen werden.
Gerade im Handwerk, insbesondere auch im Bauhandwerk kommt es immer
wieder vor, dass aufgrund von Außenständen oder von Mängelrügen und
entsprechenden Prozessen mit Rückbehalt eines Teiles des Werklohnes
Liquiditätsengpässe bei Arbeitgebern eintreten.
Durch diese Liquiditätsengpässe erfolgen dann regelmäßig auch die
Lohnzahlungen verspätet, obwohl nicht zwingend eine Zahlungsunfähigkeit des
Arbeitgebers vorliegt.
Im Rahmen dieser Umstände durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass seine
Lohnansprüche durch die Arbeitgeberin auch für Juli 2007 trotz entsprechendem
Zahlungsverzug beglichen werden, so wie es in der Vergangenheit stets der Fall
war.
Das Gericht kann deshalb der Meinung des Klägers nicht folgen, wonach alleine
schon durch die verspätete Lohnzahlung zwingend auf eine Zahlung der
Arbeitgeberin zu schließen gewesen wäre.
Die Klage war deshalb abzuweisen.
4. Nur hilfsweise ist darauf hinzuweisen, dass die Ausschlussfrist des § 16 BRTV-
Bau für den vorliegenden Anspruch des Insolvenzverwalters nicht einschlägig ist.
Insoweit wird auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwiesen,
wonach der Anspruch des Insolvenzverwalters aus Insolvenzanfechtung keiner
tarifvertraglichen Ausschlussfrist unterfällt ( BAG vom 19.11.2003 – 10 AZR 110/03
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tarifvertraglichen Ausschlussfrist unterfällt ( BAG vom 19.11.2003 – 10 AZR 110/03
– APNr. 1 zu § 129 InsO).
C.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er unterlegen ist, § 91
ZPO.
Die gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil vorzunehmende Festsetzung des
Gegenstandswerts folgt aus § 3 ZPO und ist an der Höhe des Klagebetrages
orientiert.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.