Urteil des ArbG Lörrach vom 23.03.2016

radio frequency identification, rfid, rechtsschutz, arbeitsgericht

ArbG Lörrach Urteil vom 23.3.2016, 5 BVGa 1/16
Leitsätze
Es besteht kein Freistellungsanspruch von Betriebsräten zur Teilnahme an
Schulungsveranstaltungen, der im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt
werden kann.
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten im Wege der einstweiligen Verfügung über die Freistellung
von Betriebsratsmitgliedern von Kosten sowie von der Verpflichtung zur
Arbeitsleistung zur Teilnahme an einer Seminarveranstaltung.
2
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1. ist der in der Filiale K. der Beteiligten zu 5.
gebildete Betriebsrat. Die Beteiligten zu 2., 3. und 4. sind Betriebsratsmitglieder.
Die Beteiligte zu 5. ist ein bundesweit tätiges Unternehmen im Textileinzelhandel
mit ca. 4.500 Mitarbeitern in über 80 Filialen in Deutschland.
3
Die Beteiligte zu 5. beabsichtigt unstreitig, unternehmensweit in ihren Filialen die
sogenannte "Radio Frequency Identification-Technik (RFID-Technik)" einzuführen.
Die Technik dient der Verfolgung von Warenströmen vom Lager in die Filiale und
zurück und dokumentiert dabei Artikel, Bestände und Bedarf. Die Technik wird im
Rahmen eines Testlaufs in einer H. Filiale derzeit eingesetzt. Über die einzelnen
konkreten Auswirkungen der einzusetzenden RFID-Technik sind die Beteiligten im
Streit. Der Beteiligte zu 1. bezeichnet das RFID-System als
"Rationalisierungsungeheuer" (Abl. 72).
4
Wegen des - zwischen dem Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 5. unstreitig -
bestehenden Mitbestimmungsrechts des Gesamtbetriebsrats der Beteiligten zu 5.
gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hinsichtlich der beabsichtigten Einführung des
RFID-Systems wurde nach Angaben der Beteiligten eine Einigungsstelle gebildet,
die derzeit tätig ist.
5
Der Beteiligte zu 1. vertritt die Auffassung, dass mit der Einführung des RFID-
Systems eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG stattfinde, was die
Beteiligte zu 5. rechtlich anders beurteilt. Durch den Gesamtbetriebsrat der
Beteiligten zu 5 wurde - aufgrund dessen Annahme, die beabsichtigte Einführung
der RFID-Technik stelle eine Betriebsänderung dar - ein
Einigungsstellenbesetzungsverfahren zur Bildung einer Einigungsstelle über
Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen beim Arbeitsgericht Hamburg
eingeleitet. Nach Angaben der Beteiligten im hiesigen Verhandlungstermin findet
am 05.04.2016 beim Arbeitsgericht Hamburg die mündliche Anhörung der
Beteiligten im Rahmen des Einigungsstellenbesetzungsverfahrens statt.
6
Der Gesamtbetriebsrat der Beteiligten zu 5. hat am 04.02.2016 bei der Beteiligten
zu 5. per E-Mail beantragt, ein Spezialseminar zum Thema "Betriebsänderung bei
Einführung von RFID, Interessenausgleich und Sozialplan“, wegen dessen
konkreten geplanten Seminarinhalten auf Anlage AG 3 (Abl. 156 ff.) Bezug
genommen wird, besuchen zu dürfen. Die Beteiligte zu 5. hat mit E-Mail vom
11.02.2016 (Abl. 161, Anlage AG 4) die Kostenfreigabe für das beantragte
Seminar abgelehnt.
7
Mit E-Mail vom 12.02.2016 hat der Gesamtbetriebsrat der Beteiligten zu 5.
mitgeteilt, dass aufgrund der Ablehnung sehr viel mehr Kosten entstehen würden,
weil nun die Betriebsratsmitglieder das Seminar einzeln auf Betriebsratsebene
buchen wollten. Der Mehraufwand und das damit verbundene Geld seien in einem
Sozialplan in den zu schließenden Filialen sehr viel besser aufgehoben (Anlage
AG 5, Abl. 164).
8
Mit Beschluss vom 23.02.2016 hat der Beteiligte zu 1. beschlossen, die Beteiligten
zu 2., 3. und 4. zu einem Seminar mit dem Thema: "Betriebsänderung durch die
flächendeckende Einführung von RFID" der A. GmbH in N. zu entsenden. Der
Beschluss wurde der Beteiligten zu 5. mit Schreiben vom 24.02.2016 zur Kenntnis
gereicht. Es wurde um eine Antwort bis spätestens 02.03.2016 gebeten. Die
Beteiligte zu 5. hat mit Schreiben vom 26.02.2016 mitgeteilt, dass die
Schulungsmaßnahme nicht freigegeben werde und nicht für erforderlich gehalten
werde (Abl. 111, Anlage 9).
9
Der Beteiligte zu 1. sowie die Beteiligten zu 2., 3. und 4. vertreten die Auffassung,
es bestehe zwar kein Rechtsanspruch auf Zustimmung oder Abgabe einer
Freistellungserklärung des Arbeitgebers zur Teilnahme an einer erforderlichen
Schulungsmaßnahme für Betriebsratsmitglieder. Da die Betriebsratsmitglieder
Gefahr liefen, aufgrund ihres Fehlens bei der beruflichen Tätigkeit keine Vergütung
zu erhalten, wegen unentschuldigten Fehlens abgemahnt zu werden und die
entstehenden Kosten für die Schulungsunterbringung und Fahrt selbst zahlen zu
müssen, sei aber der Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlich, um das
Teilnahmerecht an der Schulungsmaßnahme hinreichend zu sichern.
10 Die Schulungsmaßnahme sei auch erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG.
Nach Kenntnis des Beteiligten zu 1. werde die Einführung des RFID-Systems zu
einer Änderung des Arbeitsmethoden und der Fertigungsverfahren für jede Filiale
der Beteiligten zu 5. in Deutschland
11 führen und eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation im Sinne des §
111 Satz 3 Ziff. 4 BetrVG nach sich ziehen. Aufgrund der durch die RFID-Technik
verschlankten Arbeitsabläufe sei mit Personalabbau zu rechnen. Zwar fehle die
Zuständigkeit für die Verhandlungen eines Interessenausgleichs und Sozialplans
der örtlichen Betriebsräte. Diese würden jedoch die Auswirkungen in der Filiale zu
spüren bekommen. Eine Schulung zu dem RFID-System und seinen
betriebsverfassungsrechtlich relevanten Auswirkungen sei daher unerlässlich.
Auch hätten die Beteiligten zu 2., 3. und 4. bisher noch keinerlei Schulung in
Anspruch genommen.
12 Die Schulungskosten seien schließlich angemessen und mit der Größe und
Leistungsfähigkeit der Beteiligten zu 5. in Einklang zu bringen.
13 Der Beteiligte zu 1. beantragt:
14
1. Der Beteiligten zu 5. wird aufgegeben, den Antragsteller von den durch die
Teilnahme des Beteiligten zu 2. an dem Seminar "Betriebsänderung durch
die Einführung von RFID (Radio Frequency Identification)" des
Seminaranbieters A. GmbH vom 13.04.2016 bis 15.04.2016 in N.
entstehenden Schulungskosten in Höhe von 550,00 EUR zzgl. MwSt. und
Übernachtungskosten in Höhe von 220,00 EUR sowie Reiskosten für ein
Zugticket (Hin- und Rückfahrt) der Deutschen Bahn, 2. Klasse, freizustellen.
15
2. Der Beteiligten zu 5. wird aufgegeben, den Beteiligten zu 2. für den Besuch
der Schulungsveranstaltung zum Thema "Betriebsänderung durch die
Einführung von RFID (Radio Frequency Identification)" des Seminaranbieters
A. GmbH vom 13.04.2016 bis 15.04.2016 in N. unter Fortzahlung des
Arbeitsentgeltes von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen.
16
3. Der Beteiligten zu 5. wird aufgegeben, den Antragsteller von den durch die
Teilnahme des Beteiligten zu 3. an dem Seminar "Betriebsänderung durch
die Einführung von RFID (Radio Frequency Identification)" des
Seminaranbieters A. GmbH vom 13.04.2016 bis 15.04.2016 in N.
entstehenden Schulungskosten in Höhe von 550,00 EUR zzgl. MwSt. und
Übernachtungskosten in Höhe von 220,00 EUR sowie Reiskosten für ein
Zugticket (Hin- und Rückfahrt) der Deutschen Bahn, 2. Klasse, freizustellen.
17
4. Der Beteiligten zu 5. wird aufgegeben, den Beteiligten zu 3. für den Besuch
der Schulungsveranstaltung zum Thema "Betriebsänderung durch die
Einführung von RFID (Radio Frequency Identification)" des Seminaranbieters
A. GmbH vom 13.04.2016 bis 15.04.2016 in N. unter Fortzahlung des
Arbeitsentgeltes von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen.
18
5. Der Beteiligten zu 5. wird aufgegeben, den Antragsteller von den durch die
Teilnahme des Beteiligten zu 4. an dem Seminar "Betriebsänderung durch
die Einführung von RFID (Radio Frequency Identification)" des
Seminaranbieters A. GmbH vom 13.04.2016 bis 15.04.2016 in N.
entstehenden Schulungskosten in Höhe von 550,00 EUR zzgl. MwSt. und
Übernachtungskosten in Höhe von 220,00 EUR sowie Reiskosten für ein
Zugticket (Hin- und Rückfahrt) der Deutschen Bahn, 2. Klasse, freizustellen.
19
6. Der Beteiligten zu 5. wird aufgegeben, den Beteiligten zu 4. für den Besuch
der Schulungsveranstaltung zum Thema "Betriebsänderung durch die
Einführung von RFID (Radio Frequency Identification)" des Seminaranbieters
A. GmbH vom 13.04.2016 bis 15.04.2016 in N. unter Fortzahlung des
Arbeitsentgeltes von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen.
20 Die Beteiligte zu 5. beantragt
21
die Anträge zurückzuweisen.
22 Die Beteiligte zu 5. hält die Anträge für unzulässig und auch unbegründet.
23 Den Anträgen fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Hinsichtlich der
beantragten Freistellung von den zu erwartenden Kosten könne die Abgabe einer
Willenserklärung nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden.
Zugleich setze ein Kostenfreistellungsanspruch eine bestehende
Zahlungsverbindlichkeit voraus, die aufgrund einer bindenden Anmeldung bislang
noch nicht vorliege.
24 Den Anträgen auf Freistellung von der Arbeitsleistung fehle es am notwendigen
Rechtsschutzbedürfnis, weil Betriebsratsmitglieder nicht die Zustimmung ihres
Arbeitgebers zur Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung verlangen könnten.
25 Die Anträge seien auch unbegründet, da weder Verfügungsanspruch noch
Verfügungsgrund gegeben seien.
26 Die beantragte Fortbildungsveranstaltung sei nicht gemäß § 37 Abs. 6 Satz 1
BetrVG erforderlich. Die Vermittlung von Kenntnissen über Betriebsänderung,
Interessenausgleich und Sozialplan anlässlich der Einführung von RFID sei für die
Beteiligten zu 2., 3. und 4. als örtliche Betriebsräte nicht erforderlich, da der
Gesamtbetriebsrat für die Verhandlungen zuständig sei. Unabhängig davon liege
auch keine Betriebsänderung vor.
27 Da durch den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung die Vorwegnahme
der Hauptsache drohe, bestehe auch kein Verfügungsgrund. Der Beteiligte zu 1.
wolle das bestehende
28 Risiko bei Verwirklichung seiner vermeintlichen Ansprüche über das Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes der Beteiligten zu 5. aufbürden. Überdies sei
aufgrund der selbstgeschaffenen Zeitnot durch die konkret auf die Verhältnisse bei
der Beteiligten zu 5. bezogene Seminarveranstaltung und deren Terminierung auf
den 13.04.2016 der Verfügungsgrund treuwidrig selbst geschaffen worden. Bei
Stattgabe der einstweiligen Verfügung drohe hingegen irreversibler Rechtsverlust
der Beteiligten zu 5.
29 Schließlich liege hinsichtlich der Kostenfreistellungsanträge ein Verfügungsgrund
nur dann vor, wenn dargelegt und glaubhaft gemacht werde, dass das jeweilige
Betriebsratsmitglied die Kosten selbst nicht verauslagen könne. Dies sei
vorliegend jedoch nicht geschehen.
30 Im Übrigen wird auf den Sachvortrag der Beteiligten in den gewechselten
Schriftsätzen nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am
23.03.2016 Bezug genommen.
31 Die Kammer hat den Rechtsstreit am 23.03.2016 entschieden.
II.
32 Die Anträge vom 16.03.2016 waren zurückzuweisen.
33 1. Das Arbeitsgericht Lörrach - Kammern Radolfzell - war für die Entscheidung des
Rechtsstreits im Rechtsweg wie auch örtlich zuständig, §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, 80
Abs. 1, 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.
34 2. Die Anträge vom 16.03.2016 wurden für zulässig erachtet.
35 Die von der Beteiligten zu 5. im Rahmen des angenommenen Fehlens eines
Rechtschutzbedürfnisses angebrachten Argumente sind aus Sicht des Gerichts
bei der Prüfung des Verfügungsanspruchs oder Verfügungsgrundes, jedenfalls bei
der Begründetheit der Anträge anzubringen. Zutreffend führt die Beteiligte zu 5.
zwar aus, das Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn der Beteiligte zu 1. an der
begehrten Verfügung kein schutzwürdiges Interesse haben könne. Dies sei bei
objektiv sinnlosen Anträgen der Fall, die nicht im Wege des einstweiligen
Verfügungsverfahrens durchgesetzt werden können. Vorliegend betrifft die Frage,
ob Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung zur Kostenfreistellung oder
Abgabe einer "Freistellungserklärung" von der Arbeitsleistung durch die Beteiligte
zu 5. im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes verlangt werden kann, die
Frage des Bestehens eines Verfügungsgrundes beziehungsweise
Verfügungsanspruchs. Das Rechtschutzbedürfnis eines Antrages auf
einstweiligen Rechtsschutz fehlt aber nicht bereits dann, wenn dem Antrag kein
Verfügungsanspruch oder Verfügungsgrund zur Seite steht. Vielmehr kann das
Fehlen eines Rechtschutzbedürfnisses (selbst bei gegebenenfalls bestehenden
Verfügungsansprüchen oder -gründen) nur angenommen werden, wenn gerade
die Inanspruchnahme von Rechtsschutz zur Durchsetzung vermeintlicher
Ansprüche inadäquat oder ohne objektiv nachvollziehbares Interesse erfolgt. In
diesen Fällen wären gestellte Anträge rechtlich unzulässig. Vorliegend ist jedoch
die Frage der Begründetheit der Anträge zu prüfen gewesen.
36 3. Die Anträge vom 16.03.2016 waren als unbegründet zurückzuweisen.
37 a) Den Anträgen Nr. 2, 4 und 6 (alle gerichtet auf Freistellung von der Arbeit unter
Fortzahlung des Arbeitsentgelts) steht der erforderliche Verfügungsanspruch nicht
zur Seite. Es besteht keine Anspruchsgrundlage.
38 aa) Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Verpflichtung der Beteiligten
zu 5., die Beteiligten zu 2., 3. und 4 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter
Fortzahlung der Vergütung freizustellen, ist insbesondere nicht § 37 Abs. 6 Satz 1
i.V.m. Abs. 2 BetrVG.
39 Die Beteiligte zu 5. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf
Freistellung von der Arbeitsleistung nach nahezu einhelliger Auffassung in der
arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und arbeitsrechtlichen Literatur nicht im
Rahmen des § 37 Abs. 2 und 6 BetrVG besteht. Vielmehr liegt es in der
Entscheidungskompetenz des Betriebsrats, über die Erforderlichkeit der
Teilnahme seiner Mitglieder an Schulungsveranstaltungen gemäß § 37 Abs. 6
BetrVG nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden (vgl. z.B. Fitting, BetrVG, §
37 Rn. 231 ff.). Widerspricht der Arbeitgeber der Teilnahme eines
Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung, weil er die Auffassung
vertritt, dass keine für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Kenntnisse vermittelt
werden, genügt es, dass sich das Betriebsratsmitglied bei seinem Vorgesetzten
ordnungsgemäß abmeldet, bevor es (dennoch) an einer erforderlichen
Schulungsmaßnahme teilnimmt (Fitting, BetrVG § 37 Rn. 250 m.w.N.).
Betriebsratsmitglieder bedürfen daher nicht einer Freistellungserklärung des
Arbeitgebers, um an einer ordnungsgemäß durch den Betriebsrat beschlossenen
und erforderlichen Schulung im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG teilzunehmen
(BAG 30.01.1973, 1 ABR 1/73, juris; BAG 15.03.1995, 7 AZR 643/94, juris, zu
Betriebsratstätigkeiten außerhalb von Schulungen; LAG Hamm 21.05.2008, 10
TaBVGa 7/08, juris; Arbeitsgericht Ulm, 12.01.2005, 7 BVGa 1/05, juris;
Natter/Gross/Roos, ArbGG, § 85 Rn. 44 m.w.N.). Der Arbeitgeber löst dadurch,
dass er die Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung für
die Betriebsräte bestreitet, keine Teilnahmesperre aus. Ist die Teilnahme
erforderlich, entfällt automatisch die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds zur
Arbeitsleistung; ist sie es nicht, bleibt die Verpflichtung bestehen (LAG Hamm
a.a.O.). Für einen Anspruch auf "Freistellung von der Arbeitsleistung" durch
Erklärung des Arbeitgebers ist insoweit kein Raum.
40 bb) Der "Freistellung" durch Erlass eines Urteils käme vor diesem rechtlichen
Hintergrund nur die Wirkung eines Feststellungstenors zu, in welchen die Anträge
gegebenenfalls auch mangels Anspruch auf "Freistellung" umgedeutet werden
könnten. Im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens wäre die beantragte
Feststellung der Erforderlichkeit einer Schulungsmaßnahme bzw. des
Teilnahmerechts der Betriebsräte an dieser vom erforderlichen
Feststellungsinteresse getragen. Im Falle der Erforderlichkeit der
Schulungsmaßnahme könnte diese mit Rechtskraftwirkung zwischen den
Beteiligten festgestellt werden, um die gem. § 37 BetrVG daraus folgenden
rechtlichen Wirkungen zu klären.
41 Die (vorläufige) Feststellung der Erforderlichkeit einer Schulungsmaßnahme im
einstweiligen Rechtsschutz ist jedoch stets unzulässig, da nicht vom (auch im
einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen) notwendigen Feststellungsinteresse
getragen (vgl. Natter/Gross/Roos a.a.O. m.w.N.). Zwar mag im Anschluss an ein
durch das Arbeitsgericht im vorläufigen Rechtsschutz festgestelltes
Rechtsverhältnis ein "hohes Maß an Rechtssicherheit, dass die
Schulungsteilnahme rechtmäßig und eine Sanktion nicht zu befürchten ist"
bestehen, wie der Beteiligte zu 1. meint. Es besteht aber, wie der Beteiligte zu 1.
ebenfalls zutreffend meint, in diesen Fällen immer noch keine Rechtssicherheit für
das Hauptsacheverfahren, lediglich eine Wahrscheinlichkeit. Es ist hingegen nicht
Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, Wahrscheinlichkeiten für den Ausgang
der Hauptsacheverfahren rechtsgutachterlich vorherzusagen, sondern drohende
Rechtsnachteile durch vorläufig regelnde Verfügungen zu vermeiden. Einer im
Eilverfahren durch das Arbeitsgericht beschlossenen (vorläufigen) Feststellung
der Erforderlichkeit einer Schulungsmaßnahme würde keine präjudizielle Wirkung
für das Hauptsacheverfahren zukommen. Vielmehr könnte sich stets und im
Einzelfall durch die umfangreicheren Erkenntnismöglichkeiten im
Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Teilnahme des
Betriebsratsmitglieds an der streitigen Schulungsveranstaltung tatsächlich nicht
erforderlich gewesen ist (vgl. LAG Hamm a.a.O.). Die Qualität der
Rechtssicherheit durch eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz über
den Feststellungsantrag käme daher nicht über die ebenfalls erreichbare Qualität
einer außergerichtlichen Rechtsberatung zu diesem Thema für den Betriebsrat
hinaus. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO läge einem solchen
Feststellungsantrag im einstweiligen Rechtsschutz daher nicht zugrunde.
42 Die Auslegung der hier gestellten Anträge in diesem Sinne verbietet sich daher.
Es ist nicht anzunehmen, dass der Beteiligte zu 1. unzulässige Anträge stellen
wollte, zumal die rechtliche Problematik durch den Beteiligten zu 1. in der
Antragsschrift angesprochen wurde.
43 cc) Letztlich gibt die Kammer zu bedenken, dass sich die Annahme der
Möglichkeit einer im einstweiligen Rechtsschutz zu erlangenden (vorläufigen)
"Freistellungserklärung" durch den Arbeitgeber bei Schulungsmaßnahmen für
Betriebsräte im allgemeinen gegen die rechtlich geschützten und legitimen
Interessen der Betriebsräte wenden dürfte. Wie dargestellt, sind Betriebsräte
gemäß § 37 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 BetrVG nicht verpflichtet, eine irgendwie geartete
Zustimmungserklärung des Arbeitgebers zur Teilnahme an erforderlicher
Betriebsratstätigkeit oder Schulung einzuholen. Bestünde - wie nicht - die
Möglichkeit, dies zuvor durch vorläufigen Rechtsschutz der Arbeitsgerichte klären
zu lassen, müssten Betriebsräte in Zweifelsfällen wohl auch auf die
Inanspruchnahme dieses Rechtsschutzes verwiesen werden, bevor sie sich
eigenmächtig zur Durchführung der Betriebsratstätigkeit entscheiden. Bei der
Prüfung etwaiger individualrechtlicher Sanktionen (Abmahnung, Kündigung) von
Betriebsratsmitgliedern wegen vom Arbeitgeber angenommener zu Unrecht
erfolgter und nicht erforderlicher Betriebsratstätigkeit würde es Betriebsräten dann
zum Nachteil gereichen, die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nicht
genutzt zu haben. Dies widerspricht jedoch der gesetzgeberischen Konzeption
des § 37 BetrVG. Hiernach sollen Betriebsratsmitglieder innerhalb eines eigenen,
objektiv vertretbaren Ermessensspielraums selbst entscheiden dürfen, ob die
Durchführung bestimmter Betriebsratstätigkeiten oder Schulungen erforderlich ist
oder nicht. Sie sollen hingegen nicht zur Absicherung im Zweifel stets vorläufigen
Rechtsschutz der Arbeitsgerichte in Anspruch nehmen müssen.
44 b) Selbst bei Unterstellung der Möglichkeit, einen Verfügungsanspruch auf
Freistellung von der Arbeitsleistung für die streitige Schulungsmaßnahme geltend
machen zu können, stünde den Anträgen Ziffer 2, 4 und 6 nicht der erforderliche
Verfügungsgrund zur Seite, §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 940 ZPO.
45 Die Beteiligten zu 2., 3. und 4. möchten sich laut ihrer Anträge über die rechtlichen
Voraussetzungen und Folgewirkungen einer Betriebsänderung fortbilden lassen.
Sie gehen dabei davon aus, dass die Einführung des RFID-Systems in den
Betrieben der Beteiligten zu 5. eine Betriebsänderung darstellt. Das vom
Beteiligten zu 1. und von den Beteiligten zu 2. bis 4. vorgelegte Programm der A.
GmbH widmet sich dem Thema "Einführung von RFID" lediglich und
ausschließlich vor dem Hintergrund des Rechtsbegriffs der wirtschaftlichen
Angelegenheiten und der Betriebsänderung sowie des Interessenausgleichs und
Sozialplans, wie das auf Aktenblatt 106 ff. vorgelegte Seminarprogramm zeigt.
46 Zugleich ist zwischen den Beteiligten jedoch streitig und auch für das erkennende
Gericht nicht vorläufig einzuschätzen, ob die von der Beteiligten zu 5. befürwortete
Einführung des RFID-Systems die Rechtsqualität einer Betriebsänderung erreicht.
Hierüber wird zwischen den Beteiligten ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht
Hamburg geführt, der noch nicht abgeschlossen ist. Zugleich ist zwischen dem
Gesamtbetriebsrat und der Beteiligten zu 5. eine Einigungsstelle zur Einführung
des RFID-Systems gebildet, die die nähere technische Ausgestaltung vor dem
Hintergrund des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG behandelt. Es kann daher zum
derzeitigen Zeitpunkt weder feststehen, in welcher konkreten Form das RFID-
System eingeführt wird (Einigungsstellenverfahren), noch ob der Einführung des
RFID-Systems die Qualität einer Betriebsänderung überhaupt zukommen wird
(Einigungsstellenbesetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg) und
gegebenenfalls eigene Zuständigkeitsprüfung einer eingesetzten Einigungsstelle.
47 Weshalb gleichwohl in Abstimmung mit dem Seminaranbieter durch den
Beteiligten zu 1. und die Beteiligten zu 2. bis 4. ein Schulungstermin bereits ab
dem 13.04.2016 stattfinden soll und damit Eilbedürftigkeit im Sinne eines
Verfügungsgrundes zum Erlass einer vorläufigen Regelung bestehen soll,
erschließt sich in Anbetracht der noch nicht feststehenden tatsächlichen
Verhältnisse, über deren rechtliche Auswirkungen aber geschult werden soll, nicht.
Ein Verfügungsgrund wäre insoweit auch nicht gegeben.
48 c) Die Anträge Ziffer 1, 3 und 5 auf Freistellung von Schulungs- und Reisekosten
sind ebenfalls unbegründet, da vom erforderlichen Verfügungsgrund nicht
getragen, § 85 Abs. 2 ArbGG, 940 ZPO.
49 Der Anspruch auf Kostenfreistellung gegenüber einem Seminaranbieter kann
nicht im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden, denn es handelt
sich hierbei um eine Willenserklärung, die nur durch eine rechtskräftige
gerichtliche Entscheidung ersetzt werden kann, § 894 Abs. 1 ZPO (Korinth,
einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, K Rn. 42). Einer
vorläufigen Regelung im einstweiligen Rechtsschutz käme daher keine
rechtsgestaltende Wirkung zu.
50 Auch die Auslegung der Anträge auf Zahlung eines Kostenvorschusses ist nicht
möglich. Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob eine entsprechende Auslegung vom
Antragsinteresse des Beteiligten zu 1. getragen ist. Die Rechtsvertreterin des
Beteiligten zu 1. hat sich hierzu im Verhandlungstermin vor der Kammer indifferent
geäußert. Der Frage war jedoch nicht weiter nachzugehen, da zum anderen als
Voraussetzung für die Annahme eines Verfügungsgrundes auf Bezahlung eines
Kostenvorschusses die Darlegung erforderlich wäre, dass die betroffenen
Betriebsratsmitglieder nicht selbst über die erforderlichen finanziellen Mittel
verfügen, um die durch ihre Teilnahme an der Schulungsveranstaltung
entstehenden Kosten vorzustrecken (LAG Hamm a.a.O.; LAG Hamm 08.07.2005,
13 TaBV 119/05, juris). Hierzu haben sich der Beteiligte zu 1. und die Beteiligten
zu 2., 3. und 4. nicht geäußert, obwohl die Beteiligte zu 5. auf diesen Punkt
hingewiesen hat. Im Gegenteil vertreten der Beteiligte zu 1. und die Beteiligten zu
2., 3. und 4. in der Antragsschrift die Auffassung, die Teilnahme am Seminar sei
verhältnismäßig günstig. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass es die
Vermögensverhältnisse der Beteiligten zu 2., 3. und 4. nicht zulassen, die
erforderlichen Kosten selbst vorzustrecken und die Frage der Kostenerstattung
später im Hauptsacheverfahren unter Inanspruchnahme der dort möglichen
besseren Erkenntnismöglichkeiten klären zu lassen.
III.
51 Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG. Eine
Kostenentscheidung ist deshalb nicht veranlasst.