Urteil des ArbG Lörrach vom 07.01.2004

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ArbG Lörrach Urteil vom 7.1.2004, 5 Ca 450/03
Kündigung wegen eigenmächtiger Urlaubnahme - Urlaubsvergütung
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der
Beklagten vom 01.08.2003 beendet wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten
arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Kläger trägt 16/100, die Beklagte trägt 84/100 der Kosten des Rechtsstreits.
5. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 10.319,03 festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung und über
Urlaubsvergütung.
2
Der Kläger, Jahrgang 1947, verheiratet und zwei Personen zum Unterhalt verpflichtet, ist seit 08.08.1988 bei der Beklagten, die mehr als 180
Mitarbeiter hat, als Arbeiter beschäftigt. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt 40 Stunden; sein Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt
auf EUR 2.900.–.
3
Im Betrieb der Beklagten gibt es seit etwa 6 Jahren "Urlaubsregelungen", die zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat vereinbart
wurden. Für 2003 wurden für die Schulferien im Sommer Urlaubsblöcke auf die Zeiten vom 28.07. bis 15.08.2003 und vom 18.08. bis 05.09.2003
festgelegt. Wegen der Einzelheiten der Urlaubsregelung 2003 wird auf die Anlage B1 verwiesen (ABl. 20).
4
Im Betrieb ist es üblich, schließlich schriftliche Urlaubsanträge einzureichen. Diese werden den Mitarbeitern nicht zurückgegeben; auf Nachfrage
wird den Arbeitnehmern mitgeteilt, ob der Urlaub genehmigt wurde. Der Arbeitgeber informiert nicht von sich aus die Arbeitnehmer, wie über den
schriftlichen Urlaubsantrag entschieden wurde.
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Seit Anfang des Jahres hing bis etwa Ende März 2003 eine Urlaubsliste im Betrieb aus, in die die Mitarbeiter ihre Urlaubswünsche eintragen
konnten. Dort trug sich der Kläger ein; er wollte Urlaub haben in der Zeit vom 21.07.2003 bis 22.08.2003. Dieser Urlaubswunsch wurde vom
Produktionsleiter, dem Zeugen ... unstreitig abgelehnt (s. Urlaubsliste ABl. 34).
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Der Kläger behauptet, er sei nach Ablehnung seines Urlaubswunsches gemäß Urlaubswunschliste mit dem Produktionsleiter ... so verblieben,
dass er seinen Urlaub um eine Woche vorziehen werde, also nicht erst ab 21.07.2003, sondern bereits ab 14.07.2003 für die Dauer von 5
Wochen Urlaub erhalte. Der Produktionsleiter habe dem Kläger sinngemäß gesagt, das gehe so in Ordnung. Demgemäß habe der Kläger seinen
Urlaub für die Zeit vom 14.07. bis 15.08.2003 geplant und für die Fahrt in sein Heimatland auch eine Fähre (für Samstag, den 13.07.2003)
gebucht.
7
Ab 04.07.2003 erkrankte der Kläger für die Dauer der gesamten Kalenderwoche. Auf Anordnung des Produktionsleiters kam es am 10.07.2003
zu einem Gespräch zwischen dem Produktionsleiter ... der Betriebsratsvorsitzenden und Zeugin ... dem Kläger und seinem Sohn. Der
Produktionsleiter teilte dem Kläger mit, Urlaub sei nicht genehmigt; wenn der Kläger in Urlaub gehe, müsse er mit Konsequenzen rechnen. Der
Kläger trägt vor, er habe in diesem Gespräch deutlich gemacht, dass ihm Urlaub ab 14.07.2003 bereits genehmigt worden sei. Im Laufe des
Gesprächs äußerte der Sohn des Klägers, dann sehe "man sich vor dem Arbeitsgericht wieder".
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Anschließend erschien der Kläger mit seinem Sohn beim Personalleiter der Beklagten und suchte dort um Urlaub nach, wurde aber abgewiesen
mit dem Hinweis, der Personalleiter mische sich nicht in Urlaubsfragen ein, der Kläger solle sich an den hierfür zuständigen Produktionsleiter
wenden.
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Unter dem 11.07.2003 reichte der Bruder des Klägers für den Kläger einen Urlaubsantrag für die Zeit vom 14.07. bis 08.08.2003 ein (s. Kopie
ABl. 35). Der Kläger trägt vor, das sei auf Anregung des Produktionsleiters geschehen; dieser habe zum Bruder der Klägers gesagt, er solle doch
für seinen Bruder einen 4-wöchigen Urlaub ab dem 14.07.2003 schriftlich beantragen. Diesen wolle er – der Produktionsleiter – dann
genehmigen. Hiervon wusste der Kläger nichts. Dieser Urlaubsantrag wurde schließlich abgelehnt.
10 Am 14.07.2003 erschien der Kläger nicht zur Arbeit; er war in Urlaub gefahren. Mit Schreiben vom 01.08.2003 sprach die Beklagte die fristlose
Kündigung aus. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 19.08.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Der Kläger ist der
Ansicht, die Kündigung sei unberechtigt. Von einer eigenmächtigen Urlaubsnahme könne keine Rede sein. Die Beklagte habe auch die Zwei-
Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Schließlich bestreitet der Kläger eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats vor der
Kündigung.
11 Die Beklagte hat dem Kläger im Monat Juli 2003 vom vollen Lohn einen Betrag von EUR 1.619,03 abgezogen. Der Kläger hält das für
unberechtigt; er habe Anspruch auf Zahlung der Urlaubsvergütung.
12 Der Kläger beantragt – nach Teilklagrücknahme – zuletzt noch:
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche
Kündigung der Beklagten vom 01.08.2003 beendet wird.
14
2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1.619,03 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 01.08.2003 zu
bezahlen.
16 Die Beklagte stimmt der Teilklagrücknahme zu und beantragt im Übrigen
17
Klagabweisung.
18 Dem Kläger sei der Urlaub, den der Kläger mehrfach über die vorgesehenen Urlaubsblöcke hinweg mündlich beantragt habe, mehrfach
abgelehnt worden. Zum Zeitpunkt des Gesprächs am 10.07.2003 sei ein 5-wöchiger Urlaub ab dem 14.07.2003 nicht mehr genehmigungsfähig
gewesen, weil mittlerweile vielen anderen Arbeitnehmern Urlaub im ersten Urlaubsblock gemäß der Urlaubsregelung bewilligt worden sei.
19 Im Anschluss an das Vorsprechen des Klägers beim Personalleiter habe der Personalleiter dem Kläger nochmals schriftlich dargelegt, dass
Urlaub nicht genehmigt sei und dass er mit der Kündigung zu rechnen habe, wenn er dennoch in Urlaub gehe. Dieses Schreiben vom
11.07.2003 (s. ABl. 23) sei dem Kläger durch einen Mitarbeiter der Beklagten persönlich übergeben worden.
20 Demnach habe der Kläger eigenmächtig Urlaub angetreten, was eine fristlose Kündigung rechtfertige. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß
gehört worden. Insoweit wird auf die Schriftsätze des Beklagtenvertreters vom 02.09.2003, dort Seite 4 (ABl. 18) und vom 10.10.2003, dort Seite 3
f. (ABl. 31 f.) sowie auf die Anlage B 6 (ABl. 36) verwiesen.
21 Der Kläger könne schließlich auch nicht die Zahlung der Urlaubsvergütung verlangen. Mangels Urlaubsgewährung habe der Kläger ab
14.07.2003 unentschuldigt am Arbeitsplatz gefehlt und daher keinen Zahlungsanspruch für die Fehlzeit. Der noch offen stehende Urlaub sei
mittlerweile abgegolten worden.
22 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend auf die Schriftsätze des Klägervertreters vom 18.11.2003 (ABl. 37 ff.)
und des Beklagtenvertreters vom 10.10.2003 mitsamt Anlagen (ABl. 29 ff.) Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch
Vernehmung der Zeugen ... und .... Wegen der Angaben der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.12.2003 verwiesen.
Entscheidungsgründe
23 Die zulässige Klage ist teilweise begründet, teilweise unbegründet. Nach der mündlichen Verhandlung und der durchgeführten Beweisaufnahme
hat das Gericht keine Überzeugung gewinnen können, ob dem Kläger für die Zeit ab 14.07.2003 Urlaub gewährt worden war oder nicht. Die
Beklagte hat den ihr im Rahmen des Kündigungsschutzbegehrens obliegenden Beweis nicht führen können. Die Kündigung ist deshalb
unwirksam (dazu I.). Demgemäß ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen
Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen (dazu II.). Weil der Kläger ebenso den ihm im Rahmen des Zahlungsbegehrens obliegenden Beweis,
urlaubshalber von der Arbeitspflicht freigestellt gewesen zu sein, nicht hat führen können, war die Zahlungsklage, mit der Urlaubsvergütung
verlangt wird, abzuweisen (dazu III.).
I.
24 Die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten ist weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam bzw. sozial
gerechtfertigt.
25 1. Prüfungsmaßstab für die außerordentliche Kündigung ist § 626 Abs. 1 BGB.
26 a) Nach dieser Vorschrift kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und
unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet
werden kann. Welche Umstände an sich als wichtiger Grund zur Kündigung geeignet sind, entzieht sich einer abschließenden abstrakten
Beschreibung. Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt des Arbeitnehmers ist an sich als wichtiger Grund zur Kündigung anzusehen (BAG 20.01.1994
– 2 AZR 521/93 – AP Nr. 115 zu § 626 BGB).
27 b) Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der durchgeführten Beweisaufnahme steht jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts
fest, der Kläger habe tatsächlich eigenmächtig Urlaub genommen.
28 Nicht entscheidend für die Wirksamkeit der Kündigung sind die Ereignisse, wie sie sich dem äußeren Ablauf nach unstreitig am 10.07.2003
zugetragen haben. Wäre dem Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt für die Zeit ab 14.07.2003 Urlaub gewährt worden, so ginge der
Widerruf eines bereits genehmigten Urlaubs ins Leere. Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer freigestellt, also die Leistungszeit bestimmt, in der
der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers erfüllt werden soll und das dem Arbeitnehmer mitgeteilt, hat der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubs
die für die Erfüllung dieses Anspruchs erforderliche Leistungs-/Erfüllungshandlung im Sinne von § 7 Abs. 1 BUrlG vorgenommen. An diese
Erklärung ist der Arbeitgeber gebunden und kann den Arbeitnehmer nicht aus dem Urlaub zurückrufen oder diese Erklärung widerrufen. Der
Widerruf von Willenserklärungen ist nur wirksam, wenn der Widerruf vor der Erklärung dem Anderen zugeht, § 130 Abs. 1 S. 2 BGB (s. BAG
20.06.2000 – 9 AZR 405/99 – AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG).
29 Entscheidend ist vielmehr, ob dem Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt Urlaub gewährt worden ist oder nicht. Das bestimmt sich nicht
allein danach, ob formelle Urlaubsanträge gestellt wurden oder nicht. Nach den Üblichkeiten im Betrieb werden zwar Urlaubsanträge regelmäßig
schriftlich gestellt. Die Entscheidung, ob Urlaub gewährt wurde oder nicht, wird den Arbeitnehmern regelmäßig nicht aktiv mitgeteilt, sondern
lediglich auf deren Nachfrage. Daraus wird deutlich, dass ein formeller Urlaubsantrag lediglich deklaratorischer Natur ist, nicht aber konstitutiv.
Mit anderen Worten: Ein Urlaubsantrag kann grundsätzlich auch mündlich gestellt und mündlich beschieden werden.
30 Dementsprechend kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob dem Kläger mündlich Urlaub für die Zeit ab 14.07.2003 bewilligt worden ist. Das
kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der durchgeführten mündlichen Verhandlung weder bejaht noch verneint werden. Zwar hat
der Zeuge ..., der für die Urlaubserteilung zuständige Mitarbeiter der Beklagten, bei seiner Vernehmung angegeben, er habe die mehrfach
geäußerten Urlaubswünsche des Klägers – allesamt von den vorgesehenen Urlaubsblöcken abweichend – abgelehnt. Daraufhin habe der
Kläger zum Zeugen ... gesagt, dann nehme er – der Kläger – im Sommer gar keinen Urlaub. Allerdings räumte der Zeuge auf Nachfrage des
Klägervertreters ein, es sei durchaus davon die Rede gewesen, dass ein 5-wöchiger Urlaub des Klägers möglich sei, wenn er eine oder zwei
Wochen vor dem geplanten ersten Urlaubsblock in den Sommerferien anhängen wolle. Dies aber, so gab der Zeuge an, habe der Kläger nicht
gewollt wegen einer Familienfeier. Auf den Vorhalt im Anschluss an die Aussage des Zeugen ... antwortete der Zeuge ... nach Ansicht des
erkennenden Gerichts ausweichend. Räumte der Zeuge ... zuvor noch ein, dass von einem längeren Urlaub beginnend vor dem ersten
Urlaubsblock durchaus die Rede war, so antwortete der Zeuge auf den konkreten Vorhalt des Vorsitzenden, er wisse nicht, um welches
Gespräch es gehe. Demgegenüber gab der Zeuge ... bei seiner Vernehmung an, seiner Ansicht nach sei der Produktionsleiter, Herr ... damit
einverstanden gewesen, dass der Kläger bereits vor dem planmäßigen ersten Urlaubsblock in den Sommerferien in Urlaub habe gehen können.
Nach Ansicht des Zeugen ... war Herr ... damit einverstanden. Dieses Gespräch habe etwa Ende April stattgefunden. Des Weiteren gab der
Zeuge ... an, der Produktionsleiter, Herr ..., habe gegenüber dem Zeugen ... gesagt, er – Herr ... – sei mit dem Urlaub des Klägers einverstanden
für diese Tage, nicht aber ab 21.07.2003. Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen ... ergeben sich nicht, insbesondere auch nicht
daraus, dass der Zeuge des Weiteren angab, er meine, der Kläger habe einen Urlaubsantrag geschrieben. Wie die mündliche Verhandlung
ergeben hat, gab es einen ersten Urlaubsantrag des Klägers. Das hat die Zeugin ... mitgeteilt. Die Angaben des Zeugen ... sind daher nicht dahin
zu verstehen, der Kläger habe nach einer mündlichen Zusage des Produktionsleiters ... einen weiteren schriftlichen Urlaubsantrag eingereicht.
Den Zeitpunkt des schriftlichen Urlaubsantrags des Klägers gab der Zeuge ... mit "Februar oder so" an.
31 Bei Betrachtung dieser Angaben der beiden Zeugen ... und ... kann nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht ausgeschlossen werden, dass
hier ein Missverständnis vorliegt. Der Zeuge ... ging ersichtlich davon aus, dass das Thema 5-wöchiger Urlaub des Klägers lediglich diskutiert
worden sei. Demgegenüber ging der Kläger nach Ansicht des erkennenden Gerichts davon aus, mit der Äußerung des Zeugen ... etwa im März
oder April 2003, ein früherer Beginn des Urlaubs sei möglich, sei bereits Urlaub gewährt worden. Dies wird bestätigt durch die Angaben des
Zeugen ... Dieser gab an, der Chef – ... – habe seinem Bruder – dem Kläger – gesagt, er solle eine Woche vor dem Termin, der auf der
Urlaubswunschliste eingetragen war, in Urlaub gehen. Das kann der Kläger bei natürlicher Betrachtung durchaus als Urlaubsgenehmigung
verstanden haben und zwar für den Zeitraum ab dem 14.07.2003 bis zum 15.08.2003.
32 Ist nach alledem ein Missverständnis zwischen den Parteien über die Frage der Urlaubsgewährung nicht auszuschließen, so ergibt sich auch
aus dem Ablauf des Gespräches vom 10.07.2003 kein klares Ergebnis. Wenn auch die Zeugin angab, der Sohn des Klägers habe sich bei
diesem Gespräch dahin geäußert, der Kläger sei sowieso krank und könne deshalb die nächsten Wochen nicht zur Arbeit kommen, da könne
man ihm auch Urlaub geben, so gibt das nichts her für die Annahme, dass bis dahin auch mündlich kein Urlaub bewilligt worden wäre. In der
Gesprächssituation war für alle Beteiligten klar, dass die Beklagte auf dem Standpunkt stand, dem Kläger bisher keinen Urlaub bewilligt zu
haben. Kann der Kläger eine Urlaubserteilung nicht nachweisen, so erscheint sein Verhalten als natürliche Reaktion auf die aus seiner Sicht
eingetretene Wendung der Beklagten.
33 Schließlich stellen die Zeugen die Einzelheiten des Gespräches am 10.07.2003 auch unterschiedlich dar. Die im Lager der Beklagten stehenden
Zeugen gaben übereinstimmend an, es sei mit keinem Wort davon die Rede gewesen, Urlaub sei bereits bewilligt gewesen. Der im Lager des
Klägers stehende Zeuge demgegenüber gab an, sein Vater habe zu ihm auf türkisch gesagt, der Urlaub sei ihm doch damals genehmigt worden.
Dies habe der Zeuge mitgeteilt. Auch hier ergibt sich kein klares Beweisergebnis.
34 Das Gericht kann auch nicht erkennen, welche Aussagen objektiv wahr und welche unzutreffend sind. Die Aussagen der Zeugen sind jeweils für
sich in sich plausibel und nachvollziehbar. Irgendwelche Anhaltspunkte, aus denen geschlossen werden könnte, die ein oder andere Aussage
könne so nicht stimmen, sind nicht ersichtlich. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts lässt sich dies dadurch erklären, dass alle Zeugen die
Dinge aus ihrer ganz persönlichen Warte und Wahrnehmung heraus geschildert haben, so wie sie die Abläufe verstanden haben.
35 Nach alledem kann das erkennende Gericht nicht feststellen, wie die Dinge wirklich gewesen sind. Weder steht fest, dass dem Kläger Urlaub
bewilligt wurde, noch steht das Gegenteil fest. Dieses sogenannte "non liquet" geht hier – im Hinblick auf die Kündigung – zu Lasten der für die
Kündigungsgründe darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten. Demnach kann nicht von einer Vertragspflichtverletzung des Klägers im Sinne
einer eigenmächtigen Urlaubsnahme ausgegangen werden. Die außerordentliche Kündigung ist daher unwirksam.
36 2. Der Prüfungsmaßstab für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ergibt sich aus § 1 Abs. 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz).
37 a) Über die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes besteht zwischen den Parteien kein Streit. Das Arbeitsverhältnis bestand länger als 6
Monate, im Betrieb der Beklagten arbeiten mehr als 5 Beschäftigte (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG).
38 b) Die Voraussetzungen einer nach dem Vorbringen der Beklagten hier allein in Betracht kommenden verhaltensbedingten Kündigung liegen
nicht vor. Auch insoweit fehlt es an einer nachgewiesenen Vertragspflichtverletzung des Klägers, wie dies bereits im Rahmen der Prüfung der
außerordentlichen Kündigung begründet wurde.
II.
39 Der Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet.
40 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Großer Senat 27.02.1985 – GS 1/84 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB
Beschäftigungspflicht), der das erkennende Gericht folgt, hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf
vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des
Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegen stehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die
Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des
gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des
Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil
besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr
begründen. Hinzu kommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des
Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.
41 2. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Kläger vorläufig weiterzubeschäftigen. Ein irgendwie geartetes Interesse der Beklagten, den
Kläger nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts auch nicht vorläufig weiterzubeschäftigen ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Also bleibt
es beim Regelfall, in dem das Interesse des Klägers an seiner Weiterbeschäftigung die Interessen des Arbeitgebers überwiegt.
III.
42 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Urlaubsvergütung. Anspruchsgrundlage ist § 11 BUrlG. Danach hat der Arbeitgeber
während des Urlaubs des Arbeitnehmers diesem das Arbeitsentgelt nach näherer Maßgabe der genannten Vorschrift weiter zu bezahlen.
Entsprechend den oben stehenden Ausführungen im Rahmen der Kündigungsprüfung steht aber auch nicht fest, dass dem Kläger ab
14.07.2003 Urlaub gewährt worden sei. Dieses sog. "non liquet" geht hier zu Lasten des Klägers, denn die Gewährung von Urlaub ist
anspruchsbegründende Voraussetzung des Vergütungsanspruchs und damit vom Kläger zu beweisen. Dieser Beweis ist aber nicht geführt
worden.
IV.
43 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG, 3 ff. ZPO, 12 ff.
GKG.
44 D. Vorsitzende: