Urteil des ArbG Lörrach vom 26.09.2001

ArbG Lörrach: öffentliche sicherheit, höchstarbeitszeit, durchschnitt, anwendungsbereich, arbeitsgericht, eugh, gemeinschaftsrecht, gewerkschaft, tarifvertrag, arbeitsbedingungen

ArbG Lörrach Entscheidung vom 26.9.2001, 5 Ca 145/01
Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit
Gründe
1
A. Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche für über 48 Wochenstunden hinaus geleistete Arbeit. Das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien ist mittlerweile beendet.
2
Der Beklagte betreibt unter anderem den bodengebundenen Rettungsdienst in Teilen des Landkreises W. Er unterhält die rund um die Uhr
besetzten Rettungswachen W, D und B sowie die 12 Stunden tagsüber besetzte Rettungswache in Lauchringen. Die bodengebundene
Notfallrettung wird mit Rettungstransportfahrzeugen (RTW) und Notarzt-Einsatzfahrzeugen (NEF) durchgeführt. Ein RTW ist mit zwei
Rettungsassistenten/Sanitätern besetzt, das NEF mit einem Rettungsassistenten und dem Notarzt. Bei Alarmierung rücken diese Rettungsmittel
aus, um am Einsatzort den Patienten medizinisch zu versorgen. Üblicherweise wird der Patient dann in ein Krankenhaus transportiert. Der Kläger
war bei dem Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag haben die Parteien vereinbart, dass die Regelungen der
Tarifverträge über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes (kurz: DRK-TV) Anwendung
finden. Im DRK-TV heißt es auszugsweise -- soweit hier von Interesse --:
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§ 14 Regelmäßige Arbeitszeit
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(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 39 Stunden (ab 01.04.1990: 38 1/2 Stunden) wöchentlich.
Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist in der Regel ein Zeitraum von 26 Wochen zu Grunde
zu legen.
...
5
(2) Die regelmäßige Arbeitszeit kann verlängert werden (xx)
...
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b) bis zu elf Stunden täglich (durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich), wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich
mindestens 3 Stunden täglich fällt,
c) ...
...
7
(xx) Anmerkung zu Abs. 2:
8
Im Geltungsbereich der Anlage 2 für die Mitarbeiter im Rettungsdienst und Krankentransport ist die Protokollnotiz zu § 14 Abs. 2 DRK-
Tarifvertrag zu berücksichtigen.
9
Diese Anlage 2 enthält (tarifliche) Sonderregelungen für das Personal im Rettungsdienst und Krankentransport. In der maßgeblichen
Protokollnotiz ist bestimmt, dass die in § 14 Abs. 2 lit. b DRK-TV genannte Höchstarbeitszeit von 54 Stunden stufenweise herabgesetzt wird.
Danach ist ab 1. Januar 1993 im Falle des § 14 Abs. 2 lit. b DRK-TV statt vorher 54 Stunden nur noch eine Höchstarbeitszeit von 49 Stunden
wöchentlich vorgesehen.
10 Auf der Grundlage dieser tariflichen Bestimmungen wird bisher im Betrieb des Beklagten im Bereich des Rettungsdienstes durchschnittlich 49
Stunden wöchentlich gearbeitet. Zwischen den Parteien ist mittlerweile außer Streit, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer
Arbeitszeitverlängerung nach § 14 Abs. 2 lit. b DRK-TV (mindestens täglich 3 Stunden Arbeitsbereitschaft) gegeben sind.
11 Der Kläger hält dennoch die bisherige Anordnung des Beklagten zur Dauer der Arbeitszeit für unzulässig. Der Kläger beruft sich auf die
Bestimmungen der EWG-Richtlinie 93/104 und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 3.10.2000 (Rs C 303/98 Simap in AP Nr.
2 zu EWG-Richtlinie 93/104 = NZA 2000, 1227). § 14 Abs. 2 DRK-TV verstoße gegen diese europarechtlichen Bestimmungen. Eine solche
tarifliche Regelung sei letztlich auch nicht durch die Öffnungsklausel des § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a des deutschen Arbeitszeitgesetzes (vom 6.6.1994,
zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.12.2000 BGBl I 1994, Seite 1170 und BGBl I 2000, Seite 1983) zugelassen. In dieser nationalen
gesetzlichen Bestimmung heißt es zwar, in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags auch in einer Betriebsvereinbarung könne
abweichend von § 3 des Arbeitszeitgesetzes die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich auch ohne Ausgleich verlängert werden, wenn in die
Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft falle. Nach Ansicht des Klägers setze das deutsche Arbeitszeitgesetz
insoweit die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 93/104 nicht korrekt in nationales Recht um. Daher müsse diese Öffnungsklausel des
nationalen Arbeitszeitgesetzes europarechtskonform ausgelegt werden oder sei gar unanwendbar. Daraus folge, dass der Kläger zu Unrecht in
der Zeit von Juni 2000 bis März 2001 wöchentlich im Durchschnitt mehr als 48 Stunden gearbeitet habe. Die darüber hinaus gehenden Stunden,
insgesamt 156,85 Stunden, müsse der Beklagte deshalb mit dem Überstundensatz von 29,91 DM brutto vergüten.
12 Der Kläger beantragt -- nach Klagumstellung nunmehr noch --:
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Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 4.335,45 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
14 Der Beklagte beantragt
15
Klagabweisung.
16 Die Ansicht des Klägers treffe nicht zu. Der Beklagte habe sich bei seiner Anordnung zur Verlängerung der Arbeitszeit an die tariflichen und
nationalen gesetzlichen Bestimmungen gehalten. Außerdem habe der Kläger tatsächlich weniger als 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt
gearbeitet.
17 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mitsamt Anlagen sowie auf die
Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
18 B. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Anwendung und Auslegung von europarechtlichen Vorschriften sowie von der Auslegung
des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 3.10.2000 -- Rs C 303/98 Simap -- ab. Das Arbeitsgericht Lörrach hält es daher für erforderlich,
den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung vom 2. Oktober 1997
um Vorabentscheidung zu ersuchen, auch wenn die Entscheidung des Arbeitsgerichts Lörrach nach deutschem Zivilprozessrecht einem
Rechtsmittel unterliegen wird.
I.
19 Mit den Fragen 1.a. und 1.b. möchte das ersuchende Gericht im Ergebnis wissen, ob die Tätigkeit des Klägers dem Anwendungsbereich der
Richtlinie 93/104/EG unterfällt. Wäre das nicht der Fall, erwiese sich die Klage als unbegründet. Denn bei einer rechtlich zulässigen Anordnung
der Arbeitszeitverlängerung auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 lit. b DRK-TV bestünde kein Vergütungsanspruch des Klägers für die Mehrarbeit
(BAG 26.3.1998 -- 6 AZR 537/96 -- AP 39 zu § 15 BAT).
20 1. Nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 93/104/EG findet diese Richtlinie u.a. auf alle privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des
Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG Anwendung. Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/391/EWG, der Grundrichtlinie, sind
Katastrophenschutzdienste vom Anwendungsbereich ausgenommen, soweit der Anwendung der Richtlinie die Besonderheiten bestimmter
spezifischer Tätigkeiten dort zwingend entgegenstehen.
21 Nach Ansicht des erkennenden Gerichts sollen damit aber nur die Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Richtlinien ausgeschlossen sein, die
die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten sollen und für ein geordnetes Gemeinwesen unentbehrlich sind (so bereits EuGH
3.10.2000 -- Rs 3 303/98 Simap --) und die sich letztlich einer Arbeitszeitplanung auf Grund der Natur der Tätigkeit entziehen. Das kann der Fall
sein bei Großschadensereignissen mit unabsehbarem Ende oder in ähnlichen Fällen. Das aber erscheint als selten vorkommende Ausnahme.
Im Regelfall wird auch im Bereich der Streitkräfte und der Polizei eine Planung der Arbeitszeit möglich sein. Danach dürfte der Bereich des
Rettungsdienstes, auch wenn die Rettungsorganisation rund um die Uhr die Rettungsmittel einsatzbereit vorhalten muss, nicht von der
Anwendung der Richtlinien ausgenommen sein. Denn der Arbeitsablauf und die Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers bleibt planbar. Im
übrigen ist der Rettungsdienst vom Katastrophenschutzdienst nach Ansicht des Arbeitsgerichts zu unterscheiden.
22 Im Rettungsdienst geht es um die kurzfristige Erstversorgung und den Transport von Notfallpatienten, während im Katastrophenschutzdienst
neben kurzfristigen auch längerdauernde Patientenversorgungen und zudem die Sorge um Sachwerte zum Aufgabenbereich gehören.
23 2. Mit der Frage 1 b. möchte das Gericht wissen, ob die Arbeit beim bodengebundenen Rettungsdienst als Tätigkeit im "Straßenverkehr" im Sinne
des Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 93/104/EG angesehen werden muss mit der Folge, dass diese Richtlinie dann auf die Tätigkeit im Rettungsdienst
keine Anwendung fände. Wäre unter "Straßenverkehr" jegliche Tätigkeit auf einem Fahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum zu verstehen, so
müsste auch die Tätigkeit im Rettungsdienst hierunter fallen. Denn wesentlicher Teilbereich des Rettungsdienstes ist die Fahrt zum Notfallort und
der Transport des Patienten von dort zum Krankenhaus nach medizinischer Erstversorgung vor Ort. Allerdings arbeitet der Rettungsdienst, von
Ausnahmefällen abgesehen, in einem räumlich begrenzten Bereich, typischerweise innerhalb eines Landkreises. Weite räumliche Entfernungen
sind dabei in aller Regel nicht zurückzulegen, die Einsatzdauer ist im Regelfall begrenzt. Insoweit unterscheidet sich die Arbeit im Rettungsdienst
von dem typischen Erscheinungsbild von Arbeiten im Bereich des Verkehrs. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist daher der Rettungsdienst
nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Zweifel hieran ergeben sich allerdings, weil der Europäische Gerichtshof in der
Entscheidung vom 24. September 1998 (-- Rechtssache C 76/97 -- (Walter Tögel)) unter Randnummer 40 ausgeführt hat, Rettungs- und
Krankentransporte unter Begleitung eines Sanitäters unterfielen auch dem Begriff des "Landverkehrs" im Sinne des Anhangs IA Kategorie 2 zur
Richtlinie 92/50/EWG.
24 Im übrigen ist die Änderung der Richtlinie 93/104/EG durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni
2000, mit der die Ausnahmebestimmungen des Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 /EG wesentlich enger gefasst wurden als vordem, für den hier
zur Entscheidung stehenden Fall noch ohne Bedeutung. Denn die Bestimmungen der Richtlinie 2000/34/EG sind erst bis 1. August 2003 in
nationales Recht umzusetzen. Soweit für das Arbeitsgericht ersichtlich, hat der deutsche Gesetzgeber hierzu bisher nichts unternommen.
II.
25 Mit der zweiten Frage möchte das Arbeitsgericht Lörrach wissen, ob die in Art. 18 Abs. 1 lit. b)i) der Richtlinie 93/104/EG zugelassene
Nichtanwendung der Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden voraussetzt, dass eine ausdrückliche und eindeutige
Zustimmung des Arbeitnehmers vorliegt oder ob eine pauschale Zustimmung des Arbeitnehmers zur Anwendbarkeit eines gesamten
Tarifvertrages, der unter anderem auch die Möglichkeit einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit über die Grenze von 48 Stunden hinaus
vorsieht, ausreicht. Stellte eine solche vertragliche Abrede über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen im Arbeitsverhältnis eine Zustimmung des
Arbeitnehmers dar, so führte auch das im Ausgangsfall zur Unbegründetheit der Klage.
26 1. Gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b)i) der Richtlinie 93/104/EG ist es dem Mitgliedsstaat freigestellt, Artikel 6 und damit die Begrenzung der
Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden nicht anzuwenden, wenn neben anderen Voraussetzungen gesichert ist, dass kein Arbeitgeber von einem
Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraumes zu arbeiten, es sei denn, der Arbeitnehmer
hat sich hierzu bereit erklärt. Der EuGH hat bereits entschieden, dass hierfür eine Zustimmung der Tarifvertragsparteien zu einer solchen
Regelung nicht ausreicht, sondern vielmehr eine individuelle Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers notwendig ist (EuGH 3.10.2000 -- Rs C
303/98 Simap -- Rn 71 ff.).
27 2. Nach deutschem Recht lässt sich -- abgesehen von dem hier nicht interessierenden Fall der Anwendung von Tarifverträgen auf Grund
Allgemeinverbindlichkeitserklärung (§ 5 TVG Tarifvertragsgesetz) -- jede Anwendbarkeit von Tarifverträgen im Arbeitsverhältnis letzten Endes auf
eine individuelle Zustimmung des Arbeitnehmers zurückführen.
28 So gibt es nach nationalem Recht neben der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages nur zwei weitere Fälle der Anwendbarkeit von
Tarifverträgen im Arbeitsverhältnis, nämlich den Fall beiderseitiger Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG und die einzelvertragliche Vereinbarung
der Anwendbarkeit von Tarifrecht. Im Falle beiderseitiger Tarifbindung ist der Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft freiwillig
beigetreten und unterwirft sich damit den Tarifbestimmungen, soweit er in ein Arbeitsverhältnis mit einem ebenfalls tarifgebundenen Arbeitgeber
tritt. Ob der Arbeitnehmer die tariflichen Bestimmungen jeweils im Einzelnen tatsächlich kennt, erscheint dem Gericht sehr zweifelhaft. Nach den
Erfahrungen des Gerichts aus seiner Arbeit kennen auch gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer die tariflichen Bestimmungen in aller Regel
nicht oder kaum, wenn nicht von dritter Seite wie beispielsweise der Gewerkschaft oder dem Betriebsrat im Einzelfall Informationen erteilt
werden.
29 Tarifverträge finden nach dem nationalen Recht Deutschlands daneben nur dann im einzelnen Arbeitsverhältnis Anwendung, wenn Arbeitgeber
und Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbart haben, dass sich die Arbeitsbedingungen nach den Tarifbestimmungen richten. So liegt der Fall
hier. Der Beklagte vereinbart regelmäßig die Anwendung der Tarifverträge mit seinen Arbeitnehmern. Die Tarifverträge können eingesehen
werden. § 14 Abs. 2 DRK-TV sieht unter bestimmten -- im Ausgangsverfahren erfüllten Voraussetzungen -- die Möglichkeit vor, die Arbeitszeit
auch über 48 Wochenstunden hinaus zu verlängern. So gesehen hat der Arbeitnehmer möglicherweise einer Verlängerung der
Wochenarbeitszeit über durchschnittlich 48 Stunden hinaus zugestimmt. Allerdings ist dem Gericht nicht bekannt, ob der Beklagte auch
Arbeitnehmer beschäftigt, die einer Anwendung von Tarifrecht im Arbeitsvertrag nicht zugestimmt haben oder ob der Beklagte in Fällen fehlender
Zustimmung des Bewerbers vom Abschluss eines Arbeitsvertrages Abstand nimmt.
30 3. Danach stellt sich die Frage, ob eine Zustimmung des Arbeitnehmers im Sinne des Art. 18 Abs. 1 lit. b)i) der Richtlinie 93/104/EG auch in
diesen Fällen gegeben ist mit der Folge, dass die Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Wochenstunden überschritten werden kann oder ob
die Richtlinie 93/104/EG dahin zu verstehen ist, dass der Arbeitnehmer nur dann einer Verlängerung der Arbeitszeit zustimmt, wenn dies
ausdrücklich und unmissverständlich benannt wird und damit sicher ist, dass der Arbeitnehmer auch tatsächlich weiß, dass er mehr als 48
Wochenstunden wird arbeiten müssen und deshalb davon ausgegangen werden kann, der Arbeitnehmer verzichte bewusst auf den
Arbeitszeitschutz. Der Europäische Gerichtshof wird auch insoweit um Klärung ersucht.
III.
31 Mit der dritten Frage möchte das Arbeitsgericht Lörrach wissen, ob die Bestimmung des Art. 6 der Richtlinie 93/104/EG in der Fassung vom 23.
November 1993 inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheint, so dass sich ein einzelner Kläger gegenüber dem nationalen Gericht
hierauf berufen kann, wenn der Staat diese Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. die Ausführungen in EuGH
24. September 1998 -- C 76/97 -- Walter Tögel, Rn 42 ff.).
32 1. Ausgehend vom deutschen Recht hält sich die im Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbare Tarifregelung des § 14 Abs. 2 lit. b DRK-TV im
Rahmen der nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ArbZG (Arbeitszeitgesetz) eröffneten Möglichkeiten, die der deutsche Gesetzgeber den
Tarifvertragsparteien eingeräumt hat. Das deutsche Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994 (BGBl. I, S. 1170, zuletzt geändert durch Gesetz vom
21.12.2000 BGBl I, S. 1983) legt die Wochenarbeitszeit nicht ausdrücklich fest. Aus der Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden
nach § 3 Satz 1 ArbZG lässt sich zwar mittelbar eine zumindest im Durchschnitt einzuhaltende wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden
entnehmen. Insoweit hat das vorlegende Gericht keine Bedenken an der korrekten Umsetzung europarechtlicher Vorschriften in deutsches
Recht. Allerdings ist nach dem Wortlaut und dem in der Gesetzesbegründung ausdrücklich bekundeten Willen des nationalen Gesetzgebers
(Bundestags-Drucksache 12/5888, Seite 26) in § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ArbZG für die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer Verlängerung der
täglichen Arbeitszeit ohne Ausgleich eröffnet. Danach entfällt die sich nach § 3 ArbZG mittelbar ergebende Begrenzung der Wochenarbeitszeit
auf höchstens durchschnittlich 48 Stunden. Das widerspricht nach Ansicht des erkennenden Gerichts der Bestimmung des Art. 6 Nr. 2 der
Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.
33 2. Damit könnte ein Konflikt zwischen der Öffnungsklausel des § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ArbZG und sekundärem Gemeinschaftsrecht (Art. 6 der
Richtlinie 93/104/EG) vorliegen. Kollidiert Gemeinschaftsrecht mit nationalem Recht, so muss das Gericht den Normenkonflikt lösen. Dabei ist der
Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten, auch soweit es um -- wie hier -- sekundäres Gemeinschaftsrecht geht. Richtlinien können
unmittelbare Rechtswirkungen für den einzelnen Marktbürger entfalten, wenn der Mitgliedsstaat eine darin festgelegte Verpflichtung nicht
fristgerecht erfüllt hat. Auf solche Verpflichtungen des Staates kann der Marktbürger sich gegenüber den Gerichten seines Landes berufen,
sofern sie klar und unbedingt sind und zu ihrer Anwendung keines Ausführungsaktes mehr bedürfen (alles aus BVerfG 28.1.1992 -- 1 BvR
1025/82 u.a. -- AP Nr. 2 zu § 19 AZO unter B.I. der Gründe mit weiteren Nachweisen).
34 3. Der Europäische Gerichtshof wird ersucht, vorab zu entscheiden, ob diese Voraussetzungen -- die Anwendbarkeit der Richtlinie 93/104/EG im
vorliegenden Fall unterstellt -- hier vorliegen. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts ist das zu bejahen. Aus der Richtlinie selbst ergibt sich nach
Ansicht des erkennenden Gerichts deutlich, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden begrenzt ist, sofern der
Arbeitnehmer nicht einer darüber hinaus gehenden längeren Arbeitszeit zugestimmt hat im Sinne des Artikel 18 Abs. 1 lit. b)i) der Richtlinie
93/104/EG. Fände danach die genannte Bestimmung der EG-Richtlinie im vorliegenden Fall Anwendung, so dürfte § 7 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ArbZG
von den deutschen Gerichten nicht mehr angewendet werden (so BVerfG AP Nr. 2 zu § 19 AZO unter B.I. der Gründe am Ende; so auch
OPPERMANN Europarecht, 2. Aufl. 1999 München, Rn 633 mit weiteren Nachweisen). Mit der Unanwendbarkeit der gesetzlichen
Öffnungsklausel entfiele die den Tarifpartnern eingeräumte Ermächtigung zur Verlängerung der Arbeitszeit über die in § 3 ArbZG vorgesehene
Höchstgrenze. Die Tarifbestimmung verstieße dann gegen höherrangiges nationales Recht mit der Folge, dass die Tarifnorm (hier dann § 14
Abs. 2 lit. b DRK-TV) unwirksam wäre. Damit fehlte eine Rechtsgrundlage für eine Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit
auf mehr als 48 Stunden.
35 D. Vorsitzende:
36 Kellner