Urteil des ArbG Lörrach vom 17.12.2007

ArbG Lörrach: innere medizin, oberarzt, psychiatrie, facharzt, begriff, chefarzt, vertretung, verfügung, rechtshängigkeit, pflegepersonal

ArbG Lörrach Urteil vom 17.12.2007, 5 Ca 410/07
Eingruppierung als Oberarzt nach dem TV Ärzte ZfP
Leitsätze
Für die Eingruppierung als „Oberarzt“ in die Entgeltgruppe Ä 3 des § 12 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie des
Landes Baden-Württemberg vom 5.2.2007 (TV Ärzte ZfP) ist es erforderlich, dass der betroffene Arzt Aufsichts- und Weisungsbefugnisse gegenüber
nachgeordneten Fachärzten hat.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung beträgt 46.800,00 EUR.
4. Die Berufung wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers in den Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie
des Landes Baden-Württemberg vom 5. Februar 2007 (im folgenden: TV-Ärzte ZfP).
2
Der Kläger ist seit dem 0.0.1999 als Facharzt für Innere Medizin bei dem beklagten Zentrum für Psychiatrie beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis
liegt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 0.0.1998 (ABl. 17 ff.) zugrunde. Der Kläger hatte sich auf eine Stellenausschreibung beworben, mit
welcher das beklagte Zentrum für Psychiatrie "einen/eine Facharzt/-Ärztin für Innere Medizin als Fachbereichsleiter/-in Innere Medizin" gesucht
hatte.
3
Der Kläger ist der einzige beim beklagten Zentrum für Psychiatrie beschäftigte Facharzt für Innere Medizin und alleine zuständig für sämtliche im
Hause des Beklagten anfallenden und seiner Fachrichtung zuzuordnenden Tätigkeiten. Im Hause des Beklagten existiert keine bettenführende
Abteilung "Innere Medizin". Der Kläger ist vielmehr zuständig für die Diagnostik und Behandlung von somatischen Fragestellungen sämtlicher
Patienten des Beklagten, welche aufgrund des fachlichen Zuschnitts des Hauses aus psychiatrischen/psychologischen Gründen dort behandelt
werden. Der Kläger ist in diesem Zusammenhang u.a. verantwortlich für ein Labor, das EKG, das Röntgen, die Durchführung von Ultraschall-
Untersuchungen, die Physiotherapie und die Bade- und Massagetherapie von Patienten. In einem Zwischenzeugnis vom 0.0.2004 (ABl. 20) wird
der zwischen den Parteien unstreitige Tätigkeitsbereich des Klägers beschrieben, worauf ergänzend Bezug genommen wird. Der Kläger ist
zudem Strahlenschutz- und Hygienebeauftragter im Hause des Beklagten.
4
Die Parteien sind tarifgebunden an den TV-Ärzte ZfP. Der Kläger macht klageweise seine Eingruppierung und entsprechende
Differenzvergütung seit 0.0.2007 geltend und hält eine Eingruppierung in die Stufe Ä3 des § 12 TV-Ärzte ZfP für zutreffend. Das beklagte Zentrum
für Psychiatrie hat den Kläger in die Entgeltgruppe Ä2 des § 12 TV Ärzte ZfP eingruppiert und zahlt dem Kläger darüber hinaus derzeit auf
freiwilliger Grundlage eine individuelle Zulage von 112,00 EUR monatlich.
5
§ 12 TV-Ärzte ZfP hat folgenden Wortlaut:
6
" § 12
Eingruppierung
Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte
auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:
7
Entgeltgruppe Bezeichnung
Ä1
Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit
Ä2
Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit
Ä3
Oberärztin/Oberarzt
Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische
Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik
beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen
worden ist.
Oberarzt ist ferner der Facharzt in einer durch den Arbeit-
geber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine
erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatz-
weiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert.
Ä4
Fachärztin/Facharzt, der/dem die ständige Vertretung des
leitenden Arztes (Chefarzt) vom Arbeitgeber übertragen
worden ist.
(Protokollerklärung: Ständiger Vertreter ist nur der Arzt,
der den leitenden Arzt in der Gesamtheit seiner
Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann
daher innerhalb einer Klinik nur von einer Ärztin/einem
Arzt erfüllt werden.
8
Wegen der sonstigen Regelungen des TV Ärzte ZfP wird auf ABl. 27 ff. Bezug genommen.
9
Der TV-Ärzte ZfP ist zum 1. Januar 2007 in Kraft getreten, das Arbeitsverhältnis unterfiel zuvor den Regelungen des BAT. Der Tarifvertrag zur
Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie des Landes Baden-Württemberg (TVÜ-Ärzte ZfP) vom 5. Februar 2007 hat
unter anderem folgenden Wortlaut:
10
"§ 4 Eingruppierung
Für die Eingruppierung der Ärzte ab 1. Januar 2007 gilt die Entgeltordnung gemäß § 12
TV Ärzte ZfP."
11 Die Tarifvertragsparteien haben hierzu folgende Niederschriftserklärung abgegeben:
12
"Zu § 4:
Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass Ärzte, die am 31. Dezember 2006 die
Bezeichnung "Oberärztin/Oberarzt" führen, ohne die Voraussetzungen für eine
Eingruppierung als Oberärztin beziehungsweise Oberarzt nach § 12 TV Ärzte ZfP zu
erfüllen, die Berechtigung zur Führung ihrer bisherigen Bezeichnung nicht verlieren. Eine
Eingruppierung nach Entgeltgruppe Ä3 ist hiermit nicht verbunden. Die
Tarifvertragsparteien werden im Sommer 2007 auf Verlangen des Marburger Bundes
Baden-Württemberg gemeinsam die ordnungsgemäße Überleitung in den TV Ärzte ZfP
prüfen.
Die missbräuchliche Entziehung der Tätigkeit mit dem ausschließlichen Ziel, eine höhere
Eingruppierung beziehungsweise eine Besitzstandszulage zu verhindern, ist nicht
zulässig."
13 Wegen der sonstigen Regelungen des TVÜ Ärzte ZfP wird auf ABl. 45 ff. Bezug genommen.
14 Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm durch das beklagte Zentrum für Psychiatrie die medizinische Verantwortung für den Teil- oder
Funktionsbereich der "Inneren Medizin" übertragen worden sei. Er habe eine herausragende, abteilungsübergreifende und weit über dem
durchschnittlichen Verantwortungsbereich eines Facharztes für Innere Medizin liegende Stellung im beklagten Zentrum für Psychiatrie. Er
betreue als Fachbereichsleiter für Innere Medizin alle Abteilungen des beklagten Zentrums in sämtlichen somatischen und notfallmedizinischen
Bereichen und sei in diesem Zusammenhang 25 Assistenz- und Fachärzten des Hauses in somatischer Hinsicht weisungsbefugt. Im Zweifel
entscheide er, wie ein Patient in somatischer Hinsicht behandelt werde. Er sei kein Konsilarzt sondern abteilungsübergreifender internistischer
Fachbereichsleiter. In dieser Funktion führe er eigenständige Visiten durch. Seine besondere Stellung komme zudem dadurch zum Ausdruck,
dass er vom Beklagten das Recht zur Privatliquidation eingeräumt bekommen habe. Dies sei ein typisches Merkmal von Chefärzten und
gelegentlich Oberärzten, nicht jedoch von "einfachen" Fachärzten.
15 Der Kläger beantragt:
16
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem 0.0 2007 Vergütung der Entgeltgruppe Ä3 Stufe 3
(Oberärztin/ Oberarzt ab dem 7. Jahr) des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie des Landes Baden-
Württemberg vom 05. Februar 2007 zu zahlen, sowie die unständigen Bezügebestandteile unter Zugrundelegung dieser
Eingruppierung zu berechnen und auszuzahlen.
17
2. Der nachzuzahlende Differenzbetrag ist - beginnend mit dem 0.0.2007 - zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten, bei vor
Rechtshängigkeit liegenden Fälligkeitszeitpunkten, hilfsweise ab Rechtshängigkeit, mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu
verzinsen.
18 Das beklagte Zentrum für Psychiatrie beantragt,
19
die Klage abzuweisen.
20 Das beklagte Zentrum vertritt die Auffassung, dass der Kläger nicht die medizinische Verantwortung im Sinne des § 12 TV Ärzte ZfP für einen
Teil- oder Funktionsbereich der Klinik übertragen bekommen hat. Zum einen handele es sich bei der "Inneren Medizin" im Hause der Beklagten
nicht um einen Teil- oder Funktionsbereich im Sinne des § 12 TV Ärzte ZfP. Zum anderen und jedenfalls sei dem Kläger nicht die "medizinische
Verantwortung" im Sinne des § 12 TV Ärzte ZfP, Entgeltgruppe Ä3, übertragen worden. Der Kläger habe kein Weisungsrecht gegenüber anderen
Fachärzten oder Assistenzärzten. Jeder Facharzt sei gegenüber den ihm zugeordneten Assistenzärzten und dem Pflegepersonal
weisungsbefugt. Die Eingruppierung als "Oberarzt" nach Entgeltgruppe Ä3 des § 12 TV Ärzte ZfP rechtfertige dies alleine jedoch nicht. Der dort
verwendete Begriff der "medizinischen Verantwortung" umfasse notwendigerweise, dass der Oberarzt gegenüber anderen Fachärzten
vorgesetzt, das heißt, weisungsberechtigt sei. Dies ergebe sich bereits sprachlich aus dem Begriff des "Oberarztes" sowie aus der Systematik der
Entgeltgruppen in § 12 TV Ärzte ZfP. "Medizinische Verantwortung" gegenüber den zu behandelnden Patienten nehme jeder Arzt wahr, dies sei
dessen ureigenste Aufgabe. Die Auslegung des Begriffs "medizinische Verantwortung" im Zusammenhang mit der Eingruppierung zum Oberarzt
in Entgeltgruppe Ä3 des § 12 TV Ärzte ZfP ergebe daher, dass eine ärztliche Vorgesetztenfunktion wahrgenommen werden müsse.
21 Im Übrigen wird auf den Parteivortrag in den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen. Die Kammer hat den Rechtsstreit auf
die mündliche Verhandlung vom 21.11.2007 hin ohne Durchführung einer Beweisaufnahme entschieden.
Entscheidungsgründe
I.
22 Das Arbeitsgericht Lörrach, Kammern Radolfzell, war für die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a, 46 Abs. 2 ArbGG, 12 ff.
ZPO örtlich und sachlich zuständig.
23 Die Eingruppierungsfeststellungsklage war gemäß § 256 ZPO zulässig. Die aus der Eingruppierung des Klägers folgende Verpflichtung zur
Vergütungszahlung berechnet aus der betreffenden Entgeltgruppe des TV Ärzte ZfP ist zwischen den Parteien streitig und stellt ein
feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar.
II.
24 Die zulässige Klage war jedoch in der Sache ohne Erfolg. Nach dem Dafürhalten der Kammer ist der Kläger nicht in Entgeltgruppe Ä3 des § 12
TV Ärzte ZfP einzugruppieren. Zutreffend ist vielmehr die derzeit von dem beklagten Zentrum für Psychiatrie vorgenommene Eingruppierung in
Entgeltgruppe Ä2. Der Kläger erfüllt nicht die tatsächlichen Voraussetzungen des Tätigkeitsbereichs eines Oberarztes im Sinne der
Entgeltgruppe Ä3 des § 12 TV Ärzte ZfP, er trägt insbesondere nicht die "medizinische Verantwortung" für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik
oder Abteilung.
25 Im Einzelnen:
26 1. Zwischen den Parteien streitig und vom Kläger geltend gemacht war lediglich die erste Alternative der Eingruppierung als Oberarzt in
Entgeltgruppe Ä3 des TV Ärzte ZfP. Der Kläger erfüllt unstreitig nicht die Voraussetzungen einer übertragenen Spezialfunktion mit erfolgreich
abgeschlossener Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung und hat dies auch nicht geltend gemacht.
27 Es war mithin entscheidend, ob dem Kläger die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise
Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist oder nicht.
28 Aufgrund der erstmaligen Einführung einer Eingruppierungsstufe "Oberarzt" durch die verschiedenen TV Ärzte ab dem 1.1.2007 kann zur
Auslegung der Tarifnorm nur in sehr geringem Umfang auf bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung und bereits gesicherte Erkenntnisse
zurückgegriffen werden. Lediglich das Merkmal des "Funktionsbereichs" war bereits im früher auch auf das vorliegende Arbeitsverhältnis
anwendbaren Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) definiert als wissenschaftlich anerkanntes Spezialgebiet innerhalb eines ärztlichen
Fachgebietes. Sowohl der Begriff des "Teilbereichs" wie auch und insbesondere der Begriff der "medizinischen Verantwortung" sind jedoch -
soweit ersichtlich - in den TV Ärzte erstmals als Eingruppierungsmerkmal verwendet worden. Durch die Anfügung einer Niederschriftserklärung
(Protokollnotiz) zum Überleitungstarifvertrag TVÜ Ärzte ZfP haben die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass die reine Titulierung als
Oberarzt nicht ausreichend ist, die Eingruppierung in Ä3 zu rechtfertigen. Vielmehr müssen im Einzelfall die dortigen
Eingruppierungsvoraussetzungen erfüllt sein.
29 Die Auslegung des Begriffs der "medizinischen Verantwortung" ist umstritten. In der ersichtlichen Instanzrechtsprechung wird zum einen
vertreten, dass das Erfordernis erfüllt sei, wenn dem Betroffenen Aufsichtfunktionen über ärztliches oder nichtärztliches Personal übertragen
wurden (ArbG Düsseldorf, 12.7.2007, 14 Ca 669/07). Ebenso wird vertreten, dass die Weisungsbefugnis gegenüber Assistenzärzten und
medizinischem Pflegepersonal es noch nicht rechtfertige, von der Übertragung "medizinischer Verantwortung" auszugehen, da bereits Fachärzte
den Ärzten in der Weiterbildung und den Pflegekräften gegenüber weisungsbefugt seien (ArbG Darmstadt, 26.7.2007, 12 Ca 122/07). Schließlich
wird in der Literatur sogar vertreten, dass überhaupt keine Aufsichts- oder Weisungsfunktion wahrgenommen werden müsse, um von der
Übertragung "medizinischer Verantwortung" ausgehen zu können. Ein Teil- oder Funktionsbereich im Sinne der TV Ärzte könne daher auch nur
aus dem Oberarzt selbst bestehen (Bruns, ArztRecht 2007, Seite 60, 67).
30 2. Die Kammer geht vorliegend davon aus, dass für die Annahme der Übertragung "medizinischer Verantwortung" für Teil- oder
Funktionsbereiche nach Entgeltgruppe Ä3 des § 12 TV Ärzte ZfP erforderlich ist, dass der betroffene Arzt Aufsichts- und Weisungsbefugnisse
gegenüber nachgeordneten Fachärzten hat. Da dies beim Kläger nicht der Fall ist, ist dessen Eingruppierung in Entgeltgruppe Ä3 nicht
gerechtfertigt.
31
Dies ergibt die nach Auffassung der Kammer sachgerechte Auslegung des § 12 TV Ärzte ZfP.
32
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes nach den
für Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu
erforschen ist, ohne an den Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien
mit zu berücksichtigen, soweit er in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck
der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte ohne Bindung
an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend
hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung
der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. BAG 23.5.2007,
10 AZR 323/06).
33
b) § 12 TV Ärzte ZfP verwendet in den Entgeltgruppen eine sprachliche Stufenfolge, welche auf eine zugrundeliegende personelle
Hierarchie in der betroffenen Klinik schließen lässt. Entgeltgruppe Ä1 bezeichnet den oder die Betroffene begrifflich als "Ärztin/Arzt",
Entgeltgruppe Ä2 als "Fachärztin/Facharzt" und Entgeltgruppe Ä3 als "Oberärztin/Oberarzt". Entgeltgruppe Ä4 betrifft Fachärzte als ständige
Vertretung des Chefarztes.
34
Nach Ansicht der Kammer lässt sich aus der Verwendung der Begriffe schließen, dass jedenfalls in den Entgeltgruppen Ä1 bis Ä3 jeweils
Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse gegenüber der jeweils niedrigeren Entgeltgruppe bestehen müssen. Fachärzte sind stets den
Assistenzärzten (Entgeltgruppe Ä1) hierarchisch übergeordnet und nehmen Aufsichts- und Weisungsbefugnisse wahr. Der Definition des
"Facharztes" ist damit die hierarichische Überordnung über die Gruppe der "Ärzte" immanent.
35
Der Begriff des "Oberarztes" wurde dagegen in den Kliniken bislang unterschiedlich verwendet, was auch aus der Protokollnotiz der
Tarifvertragsparteien zur Anwendung des § 4 TVÜ Ärzte ZfP zum Ausdruck kommt. Die Annahme eines "Oberarztes" im Sinne der
Entgeltgruppe Ä3 setzt aber nach Auffassung der Kammer ebenfalls voraus, dass Aufsichts- und Weisungsbefugnisse gegenüber
Fachärzten, jedenfalls aber Ärzten jedweder Art ausgeübt werden. Zwar ist im Wortlaut der Eingruppierungsvoraussetzungen hiervon nicht
ausdrücklich die Rede. Der Begriff der "medizinischen Verantwortung" ist jedoch ausfüllungsbedürftig, da jeder Arzt und Facharzt
medizinische Verantwortung trägt. Die Tarifvertragsparteien haben daher die Übertragung medizinischer Verantwortung für Teil- oder
Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung gefordert. Dies macht deutlich, dass hier über die unmittelbare Patientenverantwortung
hinausgehende Verantwortung gemeint ist. Zugleich impliziert die Stufenfolge der Entgeltgruppen wie auch die Begriffsverwendung
"Ober"arzt, dass eine hierarchische Rangfolge der Ärzte im Klinikum als Grundlage für die Eingruppierung dienen soll. Die Übertragung
medizinischer Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche beinhaltet damit notwendigerweise, dass Aufsichts- oder Weisungsbefugnisse
gegenüber Fachärzten oder jedenfalls anderem ärztlichen Personal ausgeübt werden muss. Die gegenteilige Auffassung von Bruns
(ArztRecht 2007, Seite 60, 67) hält die Kammer nicht für zutreffend. Sie wird vom Autor auch nur unter Bezugnahme auf eine
"arztfeindlichere" Formulierung im TVöD vorgetragen, jedoch nicht weiter begründet. Entgegen dieser Rechtsauffassung ist nach Ansicht der
Kammer ein Oberarzt im Sinne der Entgeltgruppe Ä3 nicht ohne nachgeordnetes und weisungsgebundenes ärztliches Personal denkbar.
36
Dies ergibt sich auch aus der Verwendung des Begriffs des "Oberarztes", worauf die Beklagtenseite nach Ansicht der Kammer zutreffend
hingewiesen hat. Der Begriff des "Oberarztes" ist - soweit ersichtlich - der entsprechenden Dienstgradbezeichnung des Sanitätsdienstes des
Preußischen Heeres entsprungen. Dort wurde unterschieden unter "Unterarzt", "Assistenzarzt", "Oberarzt", "Stabsarzt", "Oberstabsarzt",
"Generaloberarzt" und weiteren. Dem entsprachen die Offiziersdienstgrade des Unteroffiziers (Unterarzt), Leutnants (Assistenzarzt),
Oberleutnants (Oberarzt), Hauptmanns (Stabsarzt), Majors (Oberstabsarzt), Oberstleutnant (Generaloberarzt).
37
Aus dieser Wortherkunft heraus, aber auch nach heutigem Sprachverständnis ist es erforderlich, dass einem "Oberarzt" zumindest ein
nachgeordneter "Unterarzt" zur Verfügung steht. Dies ist bei der Auslegung des Begriffs der "medizinischen Verantwortung" für Teil- oder
Funktionsbereiche der Klinik zu berücksichtigen und vorliegend nicht gegeben.
38
c) Der Kläger hat zwar behauptet, er sei sämtlichen Assistenz- und Fachärzten der Klinik in somatischer Hinsicht weisungsbefugt.
39
Bereits im Kammertermin wurde jedoch auf die Ansicht des Gerichts hingewiesen, dass dies nicht im Sinne einer dienstlichen oder
beruflichen Hierarchie gemeint sein kann, sondern nur im Sinne eines sachgerechten medizinischen Verständnisses der Einholung
konsiliarischen ärztlichen Rats. Die Kammer geht ebenso wie der Kläger und auch das beklagte Zentrum davon aus, dass bei somatischen
Fragestellungen die ärztlichen Ratschläge des Klägers von den insoweit nicht spezialisierten sonstigen Ärzten im Zentrum für Psychiatrie
befolgt werden. Hieraus folgt jedoch nicht eine entsprechende hierarchische Überordnung des Klägers und eine entsprechende
Weisungsbefugnis des Klägers gegenüber anderen Assistenz- oder Fachärzten. Wie die Erörterungen im Kammertermin ebenfalls gezeigt
haben, weist der Kläger auch keine ärztlichen Kollegen an, bestimmte internistische ärztliche Tätigkeiten zu verrichten sondern entscheidet
vielmehr aufgrund seiner eigenen Fachkunde über die im Bereich der Inneren Medizin erforderlichen Handlungen oder Behandlungen,
welche er, gegebenenfalls mit Unterstützung nichtärztlichen Personals, selbst in die Wege leitet und durchführt.
40
d) Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Bereich der Inneren Medizin im Hause des beklagten Zentrums für Psychiatrie ein
Teilbereich im Sinne der Entgeltgruppe Ä3 des § 12 TV Ärzte ZfP ist, was nach Auffassung der Kammer durchaus nahe liegt, kann nach dem
vorstehend Ausgeführten daher nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger die "medizinische Verantwortung" im Sinne einer
Einsetzung als "Oberarzt" übertragen worden ist. Die medizinische Verantwortung trägt insoweit vielmehr der dem Kläger unstreitig
überstellte Chefarzt der Gerontopsychiatrie. Die vom Kläger geltend gemachte Eingruppierung in Entgeltgruppe Ä3 ist daher nach
Auffassung der Kammer nicht gerechtfertigt, weshalb die Klage abzuweisen war.
III.
41 Die Kostenentscheidung ist nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergangen. Hiernach hatte der Kläger als unterlegene Partei die
Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
42 Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Die Höhe wurde nach § 42 Abs. 4 Satz
2 GKG in Höhe des 3-jährigen Unterschiedsbetrages zwischen den Entgeltgruppen Ä3 und Ä2, welcher nach Mitteilung der Parteien 1.300,00
EUR brutto beträgt, festgesetzt.
43 Die Entscheidung über die gesonderte Zulassung der Berufung ist nach § 64 Abs. 3 a ArbGG ergangen. Nach § 64 Abs. 3 Nr. 2 b ArbGG war
vorliegend die Berufung für den Kläger zuzulassen, da die Frage der Auslegung des TV Ärzte ZfP neue Rechtsfragen aufwirft, welche über den
Bezirk des hiesigen Arbeitsgerichts hinausgehen. Unberührt hiervon bleibt § 64 Abs. 2 ArbGG, der die gesetzlich zugelassene Berufung betrifft.