Urteil des ArbG Köln vom 08.05.2009

ArbG Köln: verdachtskündigung, fristlose kündigung, juristische person, ordentliche kündigung, arbeitsgericht, zugang, bezirk, polizei, zustellung, rechtfertigung

Arbeitsgericht Köln, 1 Ca 7841/08
Datum:
08.05.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Ca 7841/08
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Kein Leitsatz
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
vier jeweils mit Schreiben vom 25.09.2008 ausgesprochenen
Kündigungen der Beklagten weder fristlos noch hilfsweise ordentlich
beendet worden ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Tatkündigung, einer
hilfsweisen ordentlichen Tatkündigung, einer außerordentlichen Verdachtskündigung
sowie einer hilfsweisen ordentlichen Verdachtskündigung.
2
Die am 12.11.1983 geborene, verheiratete Klägerin war seit August 2001 bei der
Beklagten als Zustellerin, zuletzt ....... beschäftigt. Mit Schreiben vom 25.09.2008
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis im Wege der "außerordentlichen
Tatkündigung". Mit weiterem Schreiben vom 25.09.2008 kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis im Wege der "hilfsweisen ordentlichen Tatkündigung" zum
31.12.2008. Mit drittem Schreiben vom 25.09.2008 kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis im Wege der "außerordentlichen Verdachtskündigung". Mit viertem
Schreiben vom 25.09.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis schließlich im
Wege der "hilfsweisen ordentlichen Verdachtskündigung" zum 31.12.2008.
3
Gegen diese Kündigungen wendet sich die Klägerin mit ihrer beim Arbeitsgericht Köln
am 30.09.2008 eingegangenen Kündigungsschutzklage vom selben Tag.
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Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigungen seien unwirksam. Die Vorwürfe der
Beklagten seien unzutreffend. Sie behauptet, sie habe keine Postunterdrückung
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begangen. Ebenso wenig habe sie mit diesem Vorgang etwas zu tun. Der Betriebsrat
sei nach Meinung der Klägerin vor Ausspruch der Kündigungen nicht ordnungsgemäß
angehört worden, da ihm die mutmaßlichen Beweismittel bzw. Indiztatsachen nicht
konkret nachvollziehbar und prüfungsfähig benannt worden seien, so dass die
Kündigungen zudem nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam seien. Letztlich sei
sie, so behauptet die Klägerin, im Rahmen eines mit den Personalvertretern der
Beklagten geführten Gespräches ohne konkrete Benennung von Beweisen oder
Indiztatsachen mit dem Vorwurf einer Postunterdrückung konfrontiert worden.
Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die vier jeweils
mit Schreiben vom 25.09.2008 ausgesprochenen Kündigungen der
Beklagten weder fristlos noch hilfsweise ordentlich beendet worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigungen seien wirksam. Sie behauptet, gemäß
einer Strafanzeige bei der Polizei ....... seien im Keller des Hauses ........ am 19.08.2008
in einer Mülltonne 19 Briefsendungen vorgefunden worden, die mit einer Ausnahme für
Kunden in ...... bestimmt gewesen seien. Zunächst habe der Hausbewohner nur einen
Brief und eine Postkarte gefunden. Nach der Durchsuchung der Mülltonne habe er noch
weitere 17 Sendungen gefunden, die er der Polizei ..... übergeben habe. Dort habe er
angegeben, dass im Haus ...... ..... die Klägerin wohne, die in .......Zustellerin sei. Bei den
Sendungen habe es sich um persönlich adressierte Sendungen sowie um
Postwurfspezial-Sendungen an Hauseigentümer bzw. -bewohner gehandelt. Von
diesem Vorfall habe sie, die Beklagte, am 12.09.2008 durch eine Mitteilung der Polizei
...... Kenntnis erlangt. Ein in ihrer Abteilung Security beschäftigter Mitarbeiter habe
sodann unverzüglich die Ermittlungen des Sachverhalts aufgenommen und dabei
festgestellt, dass es sich um Briefsendungen gehandelt habe, deren Empfänger im
Zustellbezirk der Klägerin ...... wohnten, und die Klägerin vom 13.08.2008 bis zum
27.08.2008 in diesem Bezirk als allein verantwortliche Zustellerin eingesetzt gewesen
sei. Die in der ...... wohnenden vier Parteien seien auf eine Beschäftigung bei ihr, der
Beklagten, überprüft worden. Keiner dieser Bewohner sei jedoch bei ihr beschäftigt. Ein
Zugang zu den Mülltonnen, die den Angaben des Anzeigenerstatters zufolge im Keller
des Hauses ........... stünden, sei am 18.09.2008 nicht möglich gewesen, so dass dritte
Personen zu den Mülltonnen nicht gelangen könnten.
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Die Klägerin sei am 16.09.2008 von zwei Mitarbeitern der Abteilung Security unter
ausführlicher Darstellung des Sachverhalts angehört worden. Dabei seien ihr Kopien
der Aufschriftseiten der Sendungen vorgelegt worden. Die Klägerin habe jeden
Zusammenhang mit den Sendungen bestritten und angegeben, dass ihr wohl jemand
etwas unterschieben wolle. Die Mitarbeiter hätten die Klägerin darauf aufmerksam
gemacht, dass ein Dritter die Briefe gestohlen haben müsse, ihre Privatanschrift kenne,
die Sendungen dort im Müll entsorgt und darauf gehofft habe, dass sie jemand dort finde
und Anzeige erstatten werde. Hierauf habe die Klägerin erwidert, es könne alles
möglich sein. Auf die Frage, ob sie abschließend noch etwas sagen wolle, habe die
Klägerin entgegnet, sie könne sich nicht vorstellen, wie die Sendungen in die Mülltonne
gelangt seien.
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Sie, die Beklagte, gehe davon aus, dass die Klägerin ihr als zuständige Zustellerin für
Empfänger des Zustellbezirks ..... des ZSP ..... vorliegende Briefsendungen der
Zustellung entzogen und diese Sendungen in der Mülltonne ihres Hauses in der
.........unterdrückt habe. Jedenfalls hätte sie auf Grund der ihr bekannten Tatsachen
davon ausgehen können, dass sehr starke Verdachtsmomente im Hinblick auf die
Begehung dieser Tat vorgelegen hätten. Diese Verdachtsmomente seien nach
Auffassung der Beklagten auch geeignet, das für die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, so dass sie zumindest den
Ausspruch einer Verdachtskündigung rechtfertigten. Angesichts des
Vertrauensverlustes sei ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher
zu bewerten, als das der Klägerin am Erhalt ihres Arbeitsplatzes.
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Ihren Betriebsrat habe sie vor Ausspruch der Kündigungen mit Schreiben jeweils vom
19.09.2008 ordnungsgemäß angehört.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze der Parteien, die eingereichten Unterlagen sowie die
Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
14
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete weder auf Grund der von der Beklagten
jeweils mit Schreiben vom 25.09.2008 ausgesprochenen außerordentlichen Tat- und
Verdachtskündigungen noch auf Grund der von der Beklagten ebenfalls mit Schreiben
vom 25.09.2008 ausgesprochenen hilfsweisen ordentlichen Tat- und
Verdachtskündigungen, welche die Klägerin allesamt innerhalb von drei Wochen nach
ihrem Zugang und damit rechtzeitig i.S. von § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG i.V. mit § 4 Satz 1
KSchG gerichtlich angegriffen hat, weil diese Kündigungen unwirksam sind, selbst
wenn das gesamte bisherige Vorbringen der Beklagten zu deren Gunsten als zutreffend
unterstellt würde.
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1. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB, unter denen die Beklagte berechtigt
gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen angeblicher
Postunterdrückung unter dem Gesichtspunkt der Tatkündigung außerordentlich zu
kündigen, sind hier nicht gegeben.
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a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn
Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur
vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
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Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen
Grund in diesem Sinne darstellt, hat nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, in zwei Stufen zu erfolgen: Im
Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt
an sich, d.h. generell ohne Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände
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geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf
es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (siehe etwa BAG, Urteil vom
28.08.2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193, 194, zu B. I. 2. a) der Gründe m.w. Nachw.).
Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund
ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (BAG, Urteil
vom 06.08.1987 – 2 AZR 226/87, AP Nr. 97 zu § 626 BGB, zu II. 2. a) der Gründe m.w.
Nachw.), hier also die Beklagte.
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b) Vom Arbeitnehmer begangene Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers und/oder
von dessen Kunden, wozu ohne weiteres auch die Postunterdrückung gehört (vgl. § 206
Abs. 2 Nr. 2 StGB), sind zwar durchaus geeignet, einen Kündigungsgrund zu bilden,
wobei dies nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann gilt,
wenn die rechtswidrige Handlung des Arbeitnehmers nur Sachen von geringem Wert
betrifft (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008,
Orientierungssatz 1 und zu B. I. der Gründe m.w. Nachw.).
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Auf Grund des bisherigen Vorbringens der Beklagten – dieses zu deren Gunsten als
zutreffend unterstellt – wäre jedoch nicht erwiesen, dass die Klägerin tatsächlich eine
Postunterdrückung begangen hat.
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aa) Allein aus den von der Beklagten vorgetragenen Umständen, dass am 19.08.2008
im Keller des Hauses ......, in dem die Klägerin wohnt, in einer Mülltonne 19
Briefsendungen vorgefunden wurden, die mit einer Ausnahme für Kunden des
Zustellbezirks der Klägerin in ..... bestimmt waren, und die Klägerin während der Zeit
des Auffindens dieser Briefsendungen als allein verantwortliche Zustellerin für den
Bezirk eingesetzt war, für den die Sendungen bestimmt waren, folgt nicht zweifelsfrei,
dass diese Briefsendungen auch durch die Klägerin in der Mülltonne gleichsam
"entsorgt" worden sind. Zumindest möglich und nicht außerhalb der allgemeinen
Lebenserfahrung ist es, dass diese Briefsendungen von einer anderen Person, die
Zugang zu den Sendungen und dem Haus hatte oder sich diesen jeweils verschafft hat,
in die Mülltonne getan wurden.
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Dass die Klägerin von jemandem dabei beobachtet worden ist, wie sie selbst die
Briefsendungen in die Mülltonne getan hat, womit eine von der Klägerin begangene
Postunterdrückung unmittelbar erwiesen wäre, wurde von der Beklagten nicht
behauptet.
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bb) Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände konnten auch nicht als sog.
Hilfstatsachen gewertet werden, die zwingend den Schluss darauf zulassen, dass die
Klägerin eine Postunterdrückung begangen hat. Bei einer Gesamtbetrachtung aller
Umstände mag zwar durchaus gegenüber der Klägerin der Verdacht begründet sein,
dass sich diese der Briefsendungen durch Einwerfen in die im Keller ihres Wohnhauses
befindliche Mülltonne gewissermaßen "entledigt" hat. Dennoch waren diese Umstände
– wie im Kammertermin am 13.03.2009 eingehend erörtert – bei objektiver, verständiger
Betrachtung nicht geeignet, letzten Zweifeln daran, dass hier die Klägerin die
streitbefangenen Briefsendungen tatsächlich in die Mülltonne getan hat, Schweigen zu
gebieten.
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2. Die von der Beklagten mit weiterem Schreiben vom 25.09.2009 ausgesprochene
hilfsweise ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG.
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a) Die allgemeinen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes sind hier erfüllt:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat ohne Unterbrechung länger als sechs Monate
bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Beklagte beschäftigt auch regelmäßig mehr als fünf
Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Die Kündigung wurde von der Klägerin, wie
bereits eingangs erwähnt, innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang gerichtlich
angegriffen, § 4 Satz 1 KSchG.
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Die Kündigung war daher an den Wirksamkeitsvoraussetzungen des
Kündigungsschutzgesetzes zu messen. Dieser Überprüfung hat sie nicht standgehalten.
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b) Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers i.S. von § 1 Abs. 2
Satz 1 KSchG, worauf sich hier die Beklagte allein beruft, ist sozial gerechtfertigt, wenn
der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht – in der
Regel schuldhaft – erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird,
eine zumutbare Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung nicht besteht und die
Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
billigenswert und angemessen erscheint (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 13.12.2007 –
2 AZR 818/06, NZA 2008, 589, 592, zu B. II. 2. a) der Gründe m. zahlr. Nachw. der
früheren Rechtsprechung).
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Die Postunterdrückung durch den Arbeitnehmer ist zwar ohne weiteres als eine solche
schwere Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten anzusehen. Wie bereits unter 1.
b) im Einzelnen ausgeführt, wäre jedoch auf
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Grund des bisherigen Vorbringens der – gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG für das
Vorliegen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrunds darlegungs- und
beweisbelasteten – Beklagten nicht erwiesen, dass die Klägerin tatsächlich eine solche
Postunterdrückung begangen hat. Zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen wird
insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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3. Zum Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung war die Beklagte
ebenfalls nicht berechtigt.
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a) Zwar kann nicht nur die erwiesene erhebliche Vertragspflichtverletzung, sondern
auch schon der dringende, schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung mit
Bezug zum Arbeitsverhältnis oder einer Verletzung von erheblichen arbeitsvertraglichen
Pflichten nach ständiger Rechtsprechung des BAG einen wichtigen Grund zur
außerordentlichen Kündigung gegenüber einem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen
(siehe etwa BAG, Urteil vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, EzA § 626 BGB 2002
Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5, zu B. I. 2. a) der Gründe; BAG, Urteil vom
13.03.2008 – 2 AZR 961/06, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6,
zu B. I. 1. der Gründe). Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der
Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht
erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung
eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (BAG, Urteil vom 13.03.2008
– 2 AZR 961/06, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6, zu B. I. 1. der
Gründe). An die Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente sind besonders
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strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr
besteht, dass ein "Unschuldiger" betroffen ist (BAG, Urteil vom 29.11.2007 – 2 AZR
724/06, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5, zu B. I. 2. a) der
Gründe m.w. Nachw.). Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte
Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus
(BAG, Urteil vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer
Handlung Nr. 5, zu B. I. 2. a) der Gründe m.w. Nachw.). Auch die Einleitung eines
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und eine richterliche
Durchsuchungsanordnung können allein einen dringenden Tatverdacht nicht
begründen (BAG, Urteil vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, EzA § 626 BGB 2002
Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5, zu B. I. 2. b) dd) der Gründe). Eine
Verdachtskündigung ist allerdings dann zulässig, wenn sich ein schwerwiegender
Verdacht aus den Umständen ergibt bzw. objektiv durch Tatsachen begründet wird, der
Verdacht dringend ist, d.h. eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große
Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers
besteht, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle
zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen,
insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG,
Urteil vom 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer
Handlung Nr. 4, zu II. 1. b) aa) der Gründe; BAG, Urteil vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06,
EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5, zu B. I. 2. a) der Gründe; BAG,
Urteil vom 13.03.2008 – 2 AZR 961/06, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer
Handlung Nr. 6, zu B. I. 1. der Gründe m.w. Nachw.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind im Streitfall die Voraussetzungen für eine
Verdachtskündigung indes nicht gegeben.
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Sollten tatsächlich – wie von der Beklagten behauptet und von der Klägerin in Abrede
gestellt wurde – am 19.08.2008 in der im Keller des ........ befindlichen Mülltonne 19
Briefsendungen aufgefunden worden sein, die bei der Beklagten am 15.08.2008
eingeliefert wurden und für den Bezirk in .....bestimmt waren, in dem die Klägerin vom
13.08.2008 bis zum 27.08.2008 als allein verantwortliche Zustellerin eingesetzt wurde,
mag dies durchaus gegenüber der Klägerin den Verdacht rechtfertigen, dass diese
Briefsendungen von ihr in die Mülltonne getan wurden. All diese Umstände reichen
allerdings nach Auffassung der Kammer (noch) nicht aus, um damit auch das
Erfordernis eines "dringenden" Tatverdachts für gegeben zu erachten. Hierfür bedurfte
es weiterer – dringender – Verdachtsmomente, die etwa dann vorgelegen hätten, wenn
sich auf den Briefsendungen Fingerabdrücke der Klägerin befunden hätten oder wenn
feststünde, dass sich die Sendungen vor dem Auffinden in der Mülltonne am 19.08.2008
überhaupt im Gewahrsam der Klägerin befunden hätten. Solche weiteren
Verdachtsmomente wurden hier aber von der Beklagten bislang nicht konkret dargetan.
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4. Aus den letztgenannten Gründen ergibt sich zugleich, dass auch die von der
Beklagten mit Schreiben vom 25.09.2008 ausgesprochene hilfsweise ordentliche
Verdachtskündigung mangels sozialer Rechtfertigung i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG
das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2008 nicht wirksam beenden konnte.
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5. Ob die Kündigungen der Beklagten vom 25.09.2008 zudem – wie von der Klägerin
angenommen – gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen nicht ordnungsgemäßer
Betriebsratsanhörung unwirksam sind, bedurfte angesichts der vorangegangenen
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Ausführungen keiner Entscheidung.
Der Klage musste nach alledem stattgegeben werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V. mit § 46 Abs. 2 ArbGG,
die Streitwertfestsetzung auf § 61 Abs. 1 ArbGG i.V. mit § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
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Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
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B E R U F U N G
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eingelegt werden. Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
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schriftlich beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln
eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Berufungsschrift muss von einem
Bevollmächtigten
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
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2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie
Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere
Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren
Mitglieder,
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3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum
einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische
Person ausschließlich die Rechtsberatung oder Prozessvertretung der
Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder
Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren
Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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