Urteil des ArbG Kiel vom 13.03.2017
ArbG Kiel: vorstellungsgespräch, behinderung, gesetzliche vermutung, angemessene entschädigung, subjektiv, stellenausschreibung, diskriminierungsverbot, stellenbeschreibung, absicht, internet
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Gericht:
ArbG Kiel 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
ö.D. 5 Ca 1995
d/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 81 Abs 2 S 2 Nr 1 SGB 9, §
81 Abs 2 S 2 Nr 3 SGB 9
Diskriminierung bei Stellenbewerbung
Leitsatz
Der Arbeitgeber kann sich von dem Vorwurf der Diskriminierung nach §§ 81, 82 SGB IX
erfolgreich entlasten, wenn er nachweist, dass er von der Schwerbehinderung des
Bewerbers keine Kenntnis genommen hat. Nimmt der Bewerber nicht alle Möglichkeiten
an Vorstellungsgesprächen - auch auf andere vom Arbeitgeber angebotene Stellen
wahr - so ist davon auszugehen, dass die Bewerbung nicht ernsthaft war und von
vornherein die Zahlung einer Entschädigung angestrebt war.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits
3. Der Wert des Streitgegenstands beträgt 7.371,00 Euro.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung seiner
Person als schwerbehinderten Stellenbewerber in einem Bewerbungsverfahren
nach § 81 SBG IX.
Der Kläger ist 41 Jahre alt und ledig. Er hat keine unterhaltsberechtigten Personen
zu versorgen. Der Kläger ist seit einem Jahr als selbstständiger Rechtsanwalt tätig.
Die Beklagte suchte per Stellenausschreibung im Internet eine/einen Jurist(in) für
A…. In der Stellenbeschreibung wurde eine engagierte Kraft für die Tätigkeit in der
Widerspruchsstelle der A… gesucht. Arbeitsort: R…. Gern Bewerber/innen aus dem
Raum S.-H./HH, da Befristung vorerst bis 31.12.2005 geplant. Bitte nur schriftliche
Bewerbungen bis 31.03.2005 an die Agentur für Arbeit Rendsburg.
Frühestes Eintrittsdatum: sofort Dotierung: BAT Vb (vgl. die Stellenausschreibung,
Bl. 10 d. A.).
Dies entspricht einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.454 Euro.
Auf die Stelle bewarben sich ca. 60 Personen.
Unter dem 18.03.2005 bewarb sich auch der schwerbehinderte Kläger (GdB 50,
Gehbehinderung), auf die ausgeschriebene Position als Sachbearbeiter in der
Widerspruchsstelle der A… der Beklagten (Bl. 8. d. A.). Im unteren Teil seiner
Bewerbung wies er auf seine Schwerbehinderung hin und markerte diesen Teil
auffällig. Des Weiteren heftete er eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises
an sein Bewerbungsschreiben (Bl. 9 d. A.).
Der Kläger ist Volljurist und derzeit als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Er war
vorher in der öffentlichen Verwaltung im Rechtsamt der Stadt … von 1997 bis 2001
aufgrund mehrerer befristeter Verträge und als Rechtsschutzstellenleiter des
Sozialverbandes … von 2002 - 2003 tätig (vgl. die Zeugnisse des Klägers Bl. 15 -
18 d. A.).
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Mit Schreiben vom 25.04.2005 sandte die Beklagte die Bewerbungsunterlagen des
Klägers zurück, ohne diese Absage näher zu begründen (Bl. 11 d. A.).
Mit Schreiben vom 30.04.2005 bat der Kläger um Mitteilung der tragenden Gründe
für die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung und der unterbliebenen Einladung
zu einem Vorstellungsgespräch (Bl. 12 d. A.).
Mit Schreiben vom 14.06.2005 antwortete die Beklagte dem Kläger und räumte
ein, die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bei der Besetzung der Stelle
des Sachbearbeiters übersehen zu haben. Es handele sich hierbei um einen
bedauerlichen Flüchtigkeitsfehler. In diesem Schreiben wurde dem Kläger
mitgeteilt, dass die Beklagte einen Juristen für die Widerspruchsstelle in der A…
suche und den Kläger gern in das Auswahlverfahren mit einbeziehen möchte. Die
an diese Beschäftigung zu stellenden Anforderungen deckten sich vollständig mit
dem Profil des Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle der …. Diese Stelle war
ebenfalls auf ein Jahr befristet. Es sei vorgesehen am 20.06.2005 ein
Vorstellungsgespräch durchzuführen (Bl. 13 - 14 d. A.).
Mit Schreiben vom 21. Juni 2005 bot die Beklagte dem Kläger nochmals an sich in
ihrem Hause vorzustellen (Bl. 46 d. A.).
Dieses Angebot der Beklagten nahm der Kläger nicht wahr. Er nahm nicht an dem
Vorstellungsgespräch teil.
Die Beklagte beschäftigt 14,8 % Schwerbehinderte.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Entschädigungsanspruch gemäß § 81
Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX in Höhe von 5.140 Euro
zustünde. Die Beklagte sei als öffentlicher Arbeitgeber gemäß § 82 Satz 2 SGB IX
verpflichtet alle fachlich geeigneten Stellenbewerber zu einem
Vorstellungsgespräch einzuladen. Allein der objektive Verstoß gegen diese
Verpflichtung begründe die Entschädigungspflicht. Daran ändere auch der von der
Beklagten behauptete Flüchtigkeitsfehler nichts. Im Übrigen werde bestritten, dass
die Beklagte seine Schwerbehinderung übersehen habe. Die Beklagte müsse sich
ein etwaiges Fehlverhalten ihrer Angestellten zurechnen lassen.
Er sei auf den Verdienst auf dieser Stelle eines Sachbearbeiters angewiesen, da
sein Einkommen als Rechtsanwalt nicht hoch sei.
Die nachträgliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sei in
rechtsmissbräuchlicher Absicht erfolgt, um sich der Entschädigungsverpflichtung
zu entledigen. Die Stellenausschreibung sei auch gar nicht ernst zu nehmen
gewesen, da diese Stelle nicht im Internet ausgeschrieben gewesen sei.
Er sei auch deswegen diskriminiert worden, da in dem streitgegenständlichen
Bewerbungsverfahren nicht die Schwerbehindertenvertretung und der Personalrat
beteiligt worden sei. Auch dieser Verstoß begründe die Vermutung einer
diskriminierenden Auswahlentscheidung zu seinen Lasten.
Im Übrigen verteidigt sich der Kläger mit Rechtsausführungen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, eine in das Ermessen des Gerichts gestellte
Entschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 07.06.2005 an den Kläger
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Entschädigungspflicht besteht nach Auffassung der Beklagten nicht.
Nachdem die Bewerbungsfrist am 31.03.2005 abgelaufen sei, habe sich die
zuständige Sachbearbeiterin, die Zeugin K…, angesichts der Vielzahl der
Bewerbungen und der Vorgaben im Stellenprofil gehalten gesehen, eine
Vorauswahl durchzuführen. Hierzu seien zunächst sämtliche Bewerbungen gleich
qualifizierter Bewerber anhand der Anschrift gesichtet und nach dem Kriterium der
Wohnortnähe zum Arbeitsplatz vorsortiert worden. Da sich eine ganze Reihe von
Bewerbern aus dem Raum Schleswig-Holstein und Hamburg auf die Stelle
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Bewerbern aus dem Raum Schleswig-Holstein und Hamburg auf die Stelle
beworben hatten und der Kläger seinen Wohn- und Kanzleisitz in O… hatte, sei
seine Bewerbung ohne weitere Prüfung zunächst zurückgestellt worden.
Angesichts der Vielzahl der Bewerbungen habe die zuständige Sachbearbeiterin
im Rahmen der Sicherung der Adressen die Anschreiben der Bewerbungen
zunächst nicht weiter gelesen, weshalb sie die vom Kläger im unteren Bereich
seines Anschreibens erwähnte Schwerbehinderung nicht zur Kenntnis genommen
habe.
Sie sei erstmals mit dem Schreiben des Klägers vom 30.04.2005 auf den
Schwerbehindertenstatus des Klägers aufmerksam geworden. Sogleich sei von
Seiten der Personalstelle in Abstimmung mit der Schwerbehindertenvertretung
geprüft worden, wie den Belangen des Klägers am besten Rechnung getragen
werden könne. Da das ursprüngliche Bewerbungsverfahren abgeschlossen war,
habe man den Kläger auf die identische Stelle eines Sachbearbeiters in der
Widerspruchsstelle Neumünster eingeladen.
Vor dem Hintergrund des tatsächlichen Geschehensablaufs habe der Kläger
keinen Entschädigungsanspruch. Der Kläger sei nicht bei der Begründung des
Arbeitsverhältnisses wegen seiner Behinderung benachteiligt worden. Zwar läge
die vom Gesetzgeber geforderte gesetzliche Vermutung für die Diskriminierung
des Klägers vor, diese könne sie, die Beklagte, allerdings widerlegen. Eine
Benachteiligung des Klägers habe mangels Kenntnis von selbiger gar nicht
erfolgen können. Damit fehle es an der für den Schadensersatzanspruch
erforderlichen kausalen Verknüpfung der Diskriminierung aufgrund der
Behinderung mit der ablehnenden Entscheidung.
Die Behinderung des Klägers bestehe im Übrigen in einer Gehbehinderung, die bei
der Ausübung der Tätigkeit der ausgeschriebenen Stelle im Vergleich zu einem
nicht behinderten Bewerber keinerlei Einschränkung bedeutet habe. Auch aus
dieser Tatsache ergebe sich, dass die unterbliebene Einladung des Klägers nicht
auf dessen Schwerbehinderung beruht habe.
Der Kläger habe durch sein Verhalten auch selbst eine Schadensvertiefung
herbeigeführt. Hätte der Kläger an dem nachfolgenden Bewerbungsverfahren der
identischen Position in der Widerspruchsstelle der A…teilgenommen, wäre der
angebliche Schaden und auch die wirtschaftlichen Folgen gemindert worden.
Es sei auch davon auszugehen, dass der Kläger als Rechtsanwalt aus seiner
freiberuflichen Tätigkeit Einnahmen erziele. Hätte der Kläger die ausgeschriebene
Stelle angenommen, hätte er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt ruhen lassen
müssen. Er hätte somit während dieser Zeit keine Einnahmen aus seiner
Beschäftigung erzielen können. Damit es nicht zu einer Besserstellung des Klägers
komme, müssten die vermeintlichen Einnahmen dem Schadensersatzanspruch
gegenüber gestellt werden und bei der Bemessung eines
Schadensersatzanspruches berücksichtigt werden.
Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 09.02.2006 Beweis über die
Behauptung der Beklagten erhoben, es sei zu einem vorzeitigen Ausschluss des
Klägers und der mangelhaften Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung an
dem Verfahren gekommen, weil bei der Vorauswahl die eingegangenen
Bewerbungen anhand der Adressen der Bewerber zunächst nach den in der
Stellenbeschreibung angesprochenen Kriterien der Arbeitsplatznähe vorsortiert
worden waren. Die Schwerbehinderung des Klägers, auf die dieser am Ende seines
Antrages hingewiesen hat, sei somit nicht zur Kenntnis genommen worden. Das
Gericht hat die Zeugin Frau K… vernommen. Auf das Ergebnis der
Beweisaufnahme wird Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen
vom 28.10.2005 und vom 09.02.2006 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zur Zahlung einer
angemessenen Entschädigung verurteilt wird.
Die Anspruchsgrundlage für die Entschädigungsleistung ist § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB
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Die Anspruchsgrundlage für die Entschädigungsleistung ist § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB
IX. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber,
den er bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses entgegen dem in § 81 Abs.
2 Nr. 1 SGB IX statuierten Benachteiligungsverbot benachteiligt hat, eine
angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. Dieses gilt auch dann, wenn der
schwerbehinderte Bewerber selbst bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht
eingestellt worden wäre; in diesem Fall ist lediglich die Höhe der
Entschädigungsleistung auf drei Monatsverdienste beschränkt, § 81 Abs. 2 Nr. 3
Satz 1 SGB IX. Letzteren Entschädigungsanspruch macht der Kläger vorliegend
geltend.
a)
schwerbehinderte Bewerber, der eine Entschädigungszahlung wegen Verstoßes
gegen das Diskriminierungsverbot geltend macht, darlegen, dass er beim
Auswahl- bzw. Einstellungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung
benachteiligt worden ist. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine
Person wegen ihrer Schwerbehinderteneigenschaft eine weniger günstige
Behandlung erfährt, als eine andere Person in der vergleichbaren Situation
erfahren hat oder erfahren würde. Der Kläger wäre danach diskriminiert, wenn er
ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft für die
ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht gezogen wäre (BAG, Urt. v. 15.01.2005 –
9 AZR 635/03 -, aaO.).
Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige schwerbehinderte Bewerber genügt
indessen nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX seiner Darlegungspflicht, wenn er
Tatsachen glaubhaft macht, die den Schluss nahe legen, dass eine
Ungleichbehandlung zwischen ihm und anderen vergleichbaren Bewerbern vorliegt.
Der klagende Bewerber kann eine Beweislast des Arbeitgebers dadurch
herbeiführen, dass er Hilfstatsachen darlegt und ggf. unter Beweis stellt, die eine
Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen (BAG,
Urt. v. 15.01.2005 – 9 AZR 635/03 -, aaO.). Dies begründet im Regelfall die
Vermutung, dass die Ungleichbehandlung durch die Behinderung verursacht ist.
Die Benachteiligung wegen der Behinderung ist dann zu bejahen bzw. zu
vermuten, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft zumindest eine von mehreren
Motiven, d. h. Beweggründen, für die ablehnende Entscheidung des Arbeitgebers
ist (LAG Nürnberg, Beschl. v. 01.04.2001 – 7 SHa 4/04 -, AP Nr. 6 zu § 81 SGB IX).
Von der Benachteiligungsmaßnahme (hier: Nichteinladung zum
Vorstellungsgespräch) wird mithin auf den Benachteiligungsgrund (hier: wegen der
Behinderung) geschlossen. Das Gericht muss letztlich die Überzeugung einer
überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen
Schwerbehinderteneigenschaft und Nachteil gewinnen (vgl. BAG Urt. v. 05.02.2004
- 8 AZR 112/03 -, AP Nr. 23 zu § 611 a BGB).
aa)
vermuten lassen, dass er wegen seiner Behinderung bei der Begründung des
Arbeitsverhältnisses benachteiligt worden ist. Der Kläger ist von der Beklagten
unstreitig nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, obgleich er in
dem Bewerbungsschreiben auf seine Schwerbehinderteneigenschaft ausdrücklich
und unter Beifügung einer Kopie des Schwerbehindertenausweises hingewiesen
hat.
bb)
verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch
einzuladen. Ein Verstoß gegen dieses gesetzliche Gebot löst die
Vermutungswirkung aus, dass der betreffende Bewerber wegen seiner
Schwerbehinderteneigenschaft beim Einstellungsverfahren benachteiligt worden ist
(ArbG Berlin, Urt. v. 10.10.2003 – 91 Ca 1787/03 -, LAGE § 82 SGB IX Nr. 1; offen
gelassen: BAG, Urt. v. 15.02.2005 – 9 AZR 635 -, NZA 2005, 125 ff.). § 82 Satz 2
SGB IX spricht nicht nur eine Empfehlung in Form einer Sollvorschrift aus, sondern
begründet eine gesetzliche Verpflichtung gegenüber einem schwerbehinderten
Bewerber. Das Vorstellungsgespräch mit dem schwerbehinderten Bewerber ist
Pflicht für die personalverwaltende Behörde. Selbst wenn sie sich aufgrund einer
anhand der Bewerbungsunterlagen getroffenen Vorauswahl von vornherein die
Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet,
dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl
einbezogen werden sollte, muss sie den schwerbehinderten Bewerber nach der
gesetzlichen Intention einladen und ihm ein Vorstellungsgespräch gewähren
(Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl., Rn. 5 zu § 82 SGB IX). Dem
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(Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl., Rn. 5 zu § 82 SGB IX). Dem
schwerbehinderten Bewerber soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, im
mündlichen Gespräch nochmals – ggf. klarstellend und vertiefend – seine spezielle
Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in Bezug auf die ausgeschriebene
Stelle unter Beweis zu stellen. Wenn der öffentliche Arbeitgeber den
schwerbehinderten Bewerber gleichwohl nicht zu einem Vorstellungsgespräch
einlädt, löst dieser, die Rechte des Schwerbehinderten einschränkende
Gesetzesverstoß, die Vermutung einer Diskriminierung wegen der
Schwerbehinderteneigenschaft aus.
Die Vermutungsreglung in § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX führt zu einer
Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers, d. h. vorliegend zu Lasten der
Beklagten.
Die Beklagte ihrerseits hat vorliegend zur Überzeugung des Gerichts darzulegen
vermocht, dass sie den Kläger ausschließlich aus tatsächlichen Gründen und nicht
zumindest auch wegen seiner Schwerbehinderung bei der Begründung des
Arbeitsverhältnisses, d. h. im Rahmen des Bewerbungsverfahrens, benachteiligt
hat.
Eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 81
Abs. 2 Nr. 1 SGB IX liegt nicht nur dann vor, wenn Personen, die an sich für die
Tätigkeit geeignet wären, von vornherein und ausschließlich nur wegen ihrer
Schwerbehinderung nicht für die Einstellung in Betracht gezogen werden, sondern
bereits dann, wenn die Schwerbehinderung einer von vielen Auswahlkriterien war.
Der Arbeitgeber kann sich von dem Diskriminierungsverbot mithin nur dann
erfolgreich entlasten, wenn er nachweist, dass das verbotene
Diskriminierungsmerkmal, d. h. die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers,
auch als noch so untergeordneter Aspekt in einem Motivbündel überhaupt keine
Rolle bei seiner Entscheidung gespielt hat (Brors, jurisPR-ArbR 27/2005, Anm. 6).
Dies hat die Beklagte dargelegt und unter Beweis gestellt; sie hat sich entlastet.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer
fest, dass die Zeugin Frau K… die Schwerbehinderung des Klägers nicht zur
Kenntnis genommen hat und die Bewerbung des Klägers aussortiert hat, weil sie
sich zunächst auf das Auswahlkriterium "Wohnortnähe zum Arbeitsplatz"
konzentriert hat. Die Bekundungen der Zeugin K… waren in sich schlüssig und
glaubhaft. Sie hat bekundet, dass die Anforderung, dass der Bewerber aus
Hamburg oder Schleswig-Holstein kommen solle für sie als vorrangiges
Auswahlkriterium galt. Es ist plausibel, dass bei einer Anzahl von 60 Bewerbungen
für eine befristete Stelle von einem Jahr zunächst eine Vorauswahl getroffen wird
und Bewerber, die größere private Veränderungen wie Umzug, weite Heimreisen
etc. auf sich nehmen müssen, zunächst aussortiert werden.
Die Zeugin wirkte auch deshalb absolut glaubwürdig, da sie sogar auf Nachfrage
einräumte, dass ihr die Vorschrift des § 81 SGB IX bekannt sei und sie bei der
Beweisaufnahme ihren eigenen Fehler nochmals – auch in Kenntnis dieser
Vorschrift – einräumen musste und dies auch tat.
Somit stand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte, die
sich das Verhalten ihrer Angestellten zurechnen lassen muss, die
Schwerbehinderung des Klägers gar nicht zur Kenntnis genommen hat. Es konnte
eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nicht erfolgen.
Es fehlt an der für einen Entschädigungsanspruch erforderlichen kausalen
Verknüpfung einer Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung mit der
ablehnenden Entscheidung einer Einladung zum Bewerbungsgespräch.
Der Kammer ist sehr wohl bewusst, dass sich damit eine Möglichkeit für den
öffentlichen Arbeitgeber bietet, seiner Entschädigungspflicht zu entgehen, indem
er behauptet, die Schwerbehinderung nicht zur Kenntnis genommen zu haben.
Gleichwohl erachtete die Kammer den vorliegenden Sachverhalt für ausreichend,
um als Ergebnis festzustellen, dass gerade die Schwerbehinderung des Klägers
keine Rolle bei der Auswahlentscheidung gespielt hat, sondern nur das Kriterium
seines Wohnortes, der eben nicht in Hamburg oder Schleswig-Holstein lag,
ausschlaggebend für die Beklagte war, um den Kläger nicht zu einem
Vorstellungsgespräch einzuladen.
b)
81 Abs. 2 Ziff. 2 SBG IX, weil die Beklagte die Benachteiligung wegen der
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81 Abs. 2 Ziff. 2 SBG IX, weil die Beklagte die Benachteiligung wegen der
Schwerbehinderung des Klägers auch aus einem weiteren Grund entkräftet hat.
Die Vermutung der Benachteiligung kann entkräftet werden, wenn dargelegt wird,
dass die Bewerbung subjektiv nicht ernsthaft war und von vornherein die Zahlung
einer Entschädigung angestrebt war (vgl. dazu das Urteil des ArbG Potsdam vom
13.07.2005, 8 Ca 1150/05, § 611 a-BGB-Hopper, NZA-RR 2005, 651). Schutzzweck
des § 81 SBG IX ist die Entschädigung des fachlich geeigneten Bewerbers wegen
der durch seine Behinderung bedingten Benachteiligung im Verfahren. Unstreitig
ist zwischen den Parteien, dass der Kläger aufgrund seiner Qualifikation fachlich
geeignet ist. Im Bewerbungsverfahren kann jedoch nur benachteiligt werden, wer
sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die zu besetzende Stelle
fachlich geeignet ist. Der Kläger hat sich nicht subjektiv ernsthaft um die Stelle des
Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle beworben, sondern von vornherein die
Zahlung einer Entschädigung angestrebt. Dass die Bewerbung des Klägers
subjektiv nicht ernsthaft war, ergibt sich daraus, dass der Kläger zu dem
nachfolgenden Vorstellungsgespräch auf die identische Position eines
Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle N… keine Stellung genommen hat,
nicht hingefahren ist, um sich vorzustellen und dieses Angebot der Beklagten
einfach als "nicht ernsthaft" abgetan hat. Wenn es dem Kläger tatsächlich um eine
Anstellung gegangen wäre und er auch auf den Verdienst angewiesen wäre, hätte
er bei einer ernsthaften Absicht auch diesem Angebot der Beklagten Folge leisten
müssen und sich wenigstens vorstellen müssen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2006 dargelegt, dass er
als seit einem Jahr selbständiger Rechtsanwalt auf den Verdienst aus der
ausgeschriebenen Stelle angewiesen sei und die Höhe der Vergütung von 2454
Euro brutto für ihn einen erstrebenswerten Verdienst darstelle, da sein Einkommen
aus seiner freiberuflichen Tätigkeit nicht hoch sei. Wenn dies der Fall ist, ist es nach
Auffassung der Kammer nicht nachvollziehbar, warum der Kläger dann nicht zu
dem angebotenen Vorstellungsgespräch für die Stelle eines Sachbearbeiters in
der Widerspruchsstelle Neumünster gefahren ist. Dies lässt nur den Schluss zu,
dass es dem Kläger von vornherein nicht um eine Anstellung, sondern um die
Entschädigungszahlung ging.
c)
Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten Stellenbewerbers führt
ebenfalls nicht zu einem Entschädigungsanspruch des Klägers nach § 81 Abs. 2
Ziffer 2 SBG IX. Zwar sieht § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX vor, dass bei Bewerbungen
von schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung und die in §
93 genannten Vertretungen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten sind. Da die
Beklagte jedoch nach feststehender Überzeugung der Kammer von der
Schwerbehinderung des Klägers keine Kenntnis hatte, traf sie auch nicht die nach
§ 81 Abs. 1 Satz 4 bestehende Unterrichtungspflicht. Aus den oben genannten
Gründen liegt auch hier keine aufgrund seiner Behinderung vorgenommene
Diskriminierung des Klägers vor.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Die Höhe des
Streitwertes ergibt sich aus §§ 61 ArbGG, 34 ff. GKG in Höhe von drei Gehältern für
die zu besetzende Stelle.
gez. ….