Urteil des ArbG Karlsruhe vom 24.01.2008

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ArbG Karlsruhe Urteil vom 24.1.2008, 8 Ca 345/07
Keine Ablösung des Bezirkszusatztarifvertrages Nr 2 zu § 42 BMT-G 2 durch § 2 TVÜ-VKA -
Urlaubsanspruch
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von drei zusätzlichen
Urlaubstagen für das Jahr 2007 hat.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 346,15 EUR festgesetzt.
4. Die Berufung wird zulassen.
Tatbestand
1
Mit seiner am 30.08.2007 beim Arbeitsgericht Karlsruhe eingegangenen Klage verfolgt der Kläger seine
Ansprüche auf Gewährung von zusätzlichen drei Urlaubstagen aufgrund eines Zusatztarifvertrages.
2
Der Kläger, bei dem am 15.08.2006 in Grad der Behinderung von 40 % festgestellt worden war, war seit
01.08.1980 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden Kraft beiderseitiger
Verbandszugehörigkeit zunächst der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und
Betriebe - BMT - G II - und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung. Zu diesen Zusatztarifverträgen
gehörte der Bezirkszusatztarifvertrag Nr. 2 vom 29.11.1974, geschlossen zwischen dem kommunalen
Arbeitgeberverband Baden-Württemberg einerseits und der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und
Verkehr, Bezirksverwaltung Baden-Württemberg, andererseits. In diesem Tarifvertrag war in Ergänzung zu § 42
BMTG unter § 5 vereinbart, dass für die Bewilligung von Zusatzurlaub für Erwerbsbeschränkte mit einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 30 % die Vorschriften und Bestimmungen für die Beamten des
Arbeitgebers gelten sollen und soweit Beamte beim Arbeitgeber nicht beschäftigt sind, die landesrechtlichen
Vorschriften und Bestimmungen für Gemeindebeamte maßgebend sind. Gemäß § 8 Abs. 1 der Verordnung der
Landesregierung über den Urlaub der Beamten und Richter in der Fassung vom 06.10.1981, zuletzt geändert
durch Gesetz vom 29.10.2003, war für Beamtinnen und Beamte, deren Grad der Behinderung weniger als 50 %
aber mindestens 25 % beträgt ein Zusatzurlaub von drei Tagen vorgesehen. Die wurde gemäß § 23 der
Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über die Arbeitszeit, den Urlaub, den Mutterschutz, die
Elternzeit und den Arbeitsschutz der Beamtinnen, Beamten, Richterinnen und Richter (Arbeitszeit und
Urlaubsverordnung - AZUVO) vom 29.11.2005, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 16.07.2007)
fortgeführt.
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Mit Wirkung vom 01.10.2005 trat der am 13.09.2005 geschlossene Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst und
der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung
des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) in Kraft. Beide Tarifverträge waren zwischen der Vereinigung der
kommunalen Arbeitgeberverbände, vertreten durch den Vorstand, einerseits und der ver.di - Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), vertreten durch den Bundesvorstand (diese zugleich handelnd für die
Gewerkschaft der Polizei, Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt, und Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft, andererseits vereinbart.
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Gemäß § 2 TVÜ-VKA sollten vorhergehende Tarifverträge nach folgender Regelung ersetzte werden:
§ 2
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Ablösung bisheriger Tarifverträge durch den TVöD
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(1) Der TVöD ersetzt in Verbindung mit diesem Tarifvertrag bei tarifgebundenen Arbeitgebern, die
Mitglied eines Mitgliedverbandes der VKA sind, den
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- Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961,
- Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) vom 10.
Dezember 1990,
- Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-Ostdeutsche
Sparkassen) vom 21. Januar 1991,
- Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – BMT-G II –
vom 31. Januar 1962,
- Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter
gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – (BMT-G-O) vom 10. Dezember 1990,
Tarifvertrag über die Anwendung von Tarifverträgen auf Arbeiter (TV Arbeiter- Ostdeutsche
Sparkassen) vom 25. Oktober 1990
sowie die diese Tarifverträge ergänzenden Tarifverträge der VKA, soweit in diesem Tarifvertrag
oder im TVöD nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.
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Die Ersetzung erfolgt mit Wirkung vom 1. Oktober 2005, soweit kein abweichender Termin bestimmt
ist.
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Protokollerklärung zu Absatz 1:
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Von der ersetzenden Wirkung werden von der VKA abgeschlossene ergänzende Tarifverträge nicht
erfasst, soweit diese anstelle landesbezirklicher Regelungen vereinbart sind.
11
(2) Die von den Mitgliedverbänden der VKA abgeschlossenen Tarifverträge sind durch die
landesbezirklichen Tarifvertragsparteien hinsichtlich ihrer Weitergeltung zu prüfen und bei Bedarf bis
zum 31. Dezember 2006 an den TVöD anzupassen; die landesbezirklichen Tarifvertragsparteien
können diese Frist verlängern. Das Recht zur Kündigung der in Satz 1 genannten Tarifverträge bleibt
unberührt.
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Protokollerklärung zu Absatz 2:
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Entsprechendes gilt hinsichtlich der von der VKA abgeschlossenen Tarifverträge, soweit diese anstelle
landesbezirklicher Regelungen vereinbart sind.
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(3) Sind in Tarifverträgen nach Absatz 2 Satz 1 Vereinbarungen zur
Beschäftigungssicherung/Sanierung und/oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit getroffen, findet ab
dem 1. Oktober 2005 der TVöD unter Berücksichtigung der materiellen Wirkungsgleichheit dieser
Tarifverträge Anwendung. In diesen Fällen ist durch die landesbezirklichen Tarifvertragsparteien
baldmöglichst die redaktionelle Anpassung der in Satz 1 genannten Tarifverträge vorzunehmen. Bis
dahin wird auf der Grundlage der bis zum 30. September 2005 gültigen Tarifregelungen weiter gezahlt.
Die Überleitung in den TVöD erfolgt auf der Grundlage des Rechtsstandes vom 30. September 2005.
Familienbezogene Entgeltbestandteile richten sich ab 1. Oktober 2005 nach diesem Tarifvertrag.
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Protokollerklärung zu Absatz 3:
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Der Rahmentarifvertrag vom 13. Oktober 1998 zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Verkehrsflughäfen und zur Sicherung der Arbeitsplätze (Fassung vom 28. November 2002) wird in
seinen Wirkungen nicht verändert.
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Er bleibt mit gleichem materiellen Inhalt und gleichen Laufzeiten als Rechtsgrundlage bestehen.
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Beschäftigte in Unternehmen, für die Anwendungstarifverträge zum Rahmentarifvertrag nach Satz 1
vereinbart worden sind, werden zum 1. Oktober 2005 übergeleitet.
19
Die tatsächliche personalwirtschaftliche Überleitung – einschließlich individueller Nachberechnungen–
erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem die Verständigung über den angepassten Anwendungstarifvertrag
erzielt ist.
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(4) Unabhängig von den Absätzen 1 und 2 gelten Tarifverträge gemäß § 3 des Tarifvertrages zur
sozialen Absicherung fort und sind bei Bedarf an den TVöD anzupassen.
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(5) Absatz 1 gilt nicht für Beschäftigte in Versorgungsbetrieben, Nahverkehrsbetrieben und für
Beschäftigte in Wasserwirtschaftsverbänden in Nordrhein-Westfalen, die gemäß § 1 Abs. 2 Buchst. d
und e TVöD vom Geltungsbereich des TVöD ausgenommen sind, es sei denn, Betriebe oder
Betriebsteile, die dem fachlichen Geltungsbereich des TV-V, eines TV-N oder des TV-WW/NW
entsprechen, werden in begründeten Einzelfällen durch landesbezirklichen Tarifvertrag in den
Geltungsbereich des TVöD und dieses Tarifvertrages einbezogen.
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Protokollerklärung zu Absatz 5:
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Die Möglichkeit, Betriebsteile, die dem Geltungsbereich eines TV-N entsprechen, in den
Geltungsbereich eines anderen Spartentarifvertrages (TV-V, TV-WW/NW) einzubeziehen, bleibt
unberührt.
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(6) Absatz 1 gilt längstens bis zum 31. Dezember 2007 nicht für Beschäftigte von Arbeitgebern, wenn
die Anwendung des TV-V, eines TV-N oder des TV-WW/NW auf diese Beschäftigten beabsichtigt ist
und vor dem 1. Oktober 2005 Tarifverhandlungen zur Einführung eines dieser Tarifverträge
aufgenommen worden sind. Dies gilt auch dann, wenn die Tarifverhandlungen erst nach dem 1.
Oktober 2005, aber spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2007 zu der Überleitung in diese
Tarifverträge führen.
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Protokollerklärung zu Absatz 6:
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Tarifverhandlungen zur - ggf. teilbetrieblichen - Einführung der genannten Spartentarifverträge sind
auch dann aufgenommen, wenn auf landesbezirklicher Ebene die jeweils andere Tarifvertragspartei
zum Abschluss eines Tarifvertrages zur Einbeziehung aufgefordert worden ist.
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Kommt bis zum 31. Dezember 2007 eine Vereinbarung über die Anwendung eines der genannten
Spartentarifverträge nicht zustande, findet ab dem 1. Januar 2008 der TVöD und dieser Tarifvertrag auf
Beschäftigte Anwendung, die nicht im Geltungsbereich des BAT / BAT-O /BMT-G / BMT-G-O
verbleiben.
28
Absatz 5 bleibt unberührt.
29 Mit Schreiben vom 05.07.2007 (Kopie Blatt 8 der Akten) machte der Kläger gegenüber der Beklagten diesen
Zusatzurlaubsanspruch für das Jahr 2007 erfolglos geltend.
30 Der Kläger ist der Auffassung, dass von der Änderung des Tarifrechts nicht die Geltung des § 5 Abs. 1 b des
Bezirkszusatztarifvertrages Nr. 2 zu § 42 BMTG erfasst sei, mit der Folge, dass ihm nach wie vor drei Tage
Zusatzurlaub je Kalenderjahr und so auch für das Jahr 2007 zustünden.
31 Der Kläger beantragt daher,
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festzustellen, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von drei
zusätzlichen Urlaubstagen für das Jahr 2007 hat.
33 Die Beklagte beantragt
34
die Klage abzuweisen.
35 Die Beklagte ist der Auffassung, dass § 5 Abs. 1 des Bezirkszusatztarifvertrages Nr. 2 zum BMTG gemäß § 2
Abs. 2 TVÜ-VKA nicht mehr weiter gelte. § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA sei eine Tarifnorm, die nur das Verhältnis der
landesbezirklichen Tarifvertragsparteien zueinander regeln würden. Diese hätten von der Bundesebene einen
Prüfungsauftrag bekommen. Dabei sei den landesbezirklichen Tarifvertragsparteien vorgegeben, sich in dem
Rahmen zu bewegen, der ihnen durch Bundestarifvertrag Regelungskompetenzen für bestimmte Bereiche
gezogen worden. Solche Kompetenzen seien beispielsweise für zuschlagspflichtige Arbeiten und die Höhe der
Zuschläge in § 19 Abs. 5 TVöD geregelt.
Entscheidungsgründe
I.
36 Die zulässige Klage ist begründet.
37 Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von drei zusätzlichen Urlaubstagen, gemäß
§ 5 Abs. 1 b des Bezirkszusatztarifvertrages Nr. 2 zu § 42 BMTG i.V.m. § 23 der Verordnung der
Landesregierung Baden-Württemberg über die Arbeitszeit, den Urlaub, den Mutterschutz, die Elternzeit und den
Arbeitsschutz der Beamtinnen, Beamten, Richterinnen und Richter (Arbeitszeit und Urlaubsverordnung -
AZUVO) vom 29.11.2005, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 16.07.2007), sodass er aufgrund des
Bestreitens der Beklagten eine Feststellung des Anspruches begehren kann.
38 Die Rechtsauffassung der Beklagten, der Zusatztarifvertrag sei durch den TVöD gemäß der
Ablösungsvorschrift des § 2 TVÜ-VKA ersetzt worden ist in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.
39 Zunächst ergibt sich die Fehlerhaftigkeit eindeutig aus dem Wortlaut des § 2 TVÜ-VKA. Der sieht vor, dass der
BMTG II sowie die diesen ergänzenden Tarifverträge der
VKA
Arbeitgeberverbände) durch den TVöD ersetzt werden. Kein Tarifvertrag des VKA ist der
Bezirksmanteltarifvertrag Nr. 2, da dieser auf der Seite der Arbeitgeber nicht von der Vereinigung der
kommunalen Arbeitgeberverbände geschlossen wurde, sondern vom kommunalen Arbeitgeberverband Baden-
Württemberg, einem Mitgliedsverband des VKA.
40 Da damit das Schicksal der Zusatztarifverträge der Mitgliedsverbände in Abs. 1 nicht geregelt sein sollte, traf §
2 Abs. 2 für diese Tarifverträge, die nicht von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände
geschlossen worden waren eine andere und hiervon abweichende Regelung, der zu Folge die von den
Mitgliedsverbänden der VKA geschlossenen Tarifverträge durch die landesbezirklichen Tarifvertragsparteien
hinsichtlich ihrer Weitergeltung zu prüfen und bei Bedarf bis 31.12.2006 an den TVöD anzupassen sind, wobei
das Recht zur Kündigung dieser Tarifverträge unberührt bleiben soll. Es kann damit auch aus systematischen
Gründen nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Schaffung des TVöD schlicht sämtliche
Tarifverträge ersetzt sein sollten, sondern nur die Tarifverträge, die des den TVöD vereinbarenden
Arbeitgeberverband. Dies ist hinsichtlich des BMTG II und hinsichtlich des TVöD die Vereinigung der
kommunalen Arbeitgeberverbände.
41 Soweit Tarifverträge danach nicht ersetzt sind, soll nach einer Prüfung durch die Tarifvertragsparteien gemäß
Abs. 2 des § 2 TVÜ-VKA entweder eine anpassende Regelung vereinbart werden oder schlicht die Kündigung
durch eine der Tarifvertragsparteien. Eine Kündigung bzgl. des Ergänzungstarifvertrages wird von den Parteien
allerdings nicht vorgetragen.
42 Schließlich ergibt sich die Fehlerhaftigkeit des Rechtsstandpunktes der Beklagten auch noch im Inhalt der
Protokollerklärung zu Abs. 1 des § 2 TVÜ-VKA. Danach sollen nämlich von der ersetzenden Wirkung gerade
die Tarifverträge ausgeschlossen sein, welcher zwar die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände
geschlossen hat, jedoch als ergänzende Tarifverträge anstelle landesbezirklicher Regelungen. Dies sind gerade
solche Tarifverträge, wie sie in § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA genannt sind, die von den Mitgliedsverbänden der
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände geschlossen wurden, wie z. B. vorliegend durch den
kommunalen Arbeitgeberverband Baden-Württemberg.
43 Der Klage war daher stattzugeben.
II.
44 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Als unterliegende Partei trägt die
Beklagte die Kosten des Rechtsstreits.
45 Die Entscheidung über den Streitwert beruht dem Grunde nach auf § 61 ArbGG, der Höhe nach auf § 3 ZPO.
Der Wert wurde in Höhe der Vergütung für drei Urlaubstage geschätzt, wobei gemäß den Angaben des Klägers
von einem Durchschnittsmonatseinkommen von 2.500,00 EUR brutto ausgegangen wurde, d. h. 2.500,00 EUR
x 3 Monate: 65 Arbeitstage x 3 Urlaubstage.
46 Die Berufung war zweifellos gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG zuzulassen.