Urteil des ArbG Karlsruhe vom 19.09.2003

ArbG Karlsruhe: einstweilige verfügung, vertrag zu lasten dritter, dienstanweisung, höhere gewalt, medizin, arbeitsrecht, facharzt, konzern, zwangsvollstreckung, gefahr

ArbG Karlsruhe Urteil vom 19.9.2003, 7 Ga 5/03
Direktionsrecht
Tenor
1. Es wird festgestellt, daß der Verfügungskläger nicht verpflichtet ist, im Zeitraum vom 06.10.2003 bis einschließlich 07.11.2003 seinen
ärztlichen Dienst in der ..., zu versehen.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Verfügungsklägers, seinen ärztlichen Dienst in der ... in dem Zeitraum vom 06.10.2003 bis
einschließlich 07.11.2003 jeweils von montags 10.00 Uhr bis donnerstags 17.00 Uhr zu versehen.
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Der verheiratete Verfügungskläger wurde am 07.08.1941 geboren. Er ist Facharzt für psychotherapeutische Medizin und innere Krankheiten. Er
arbeitet bei der Verfügungsbeklagten seit dem 01.08.1987 als Chefarzt der psychosomatischen Fachklinik .... Dem Arbeitsverhältnis liegen der
Arbeitsvertrag vom 15.06.1987 (vgl. Abl. 55 bis 63), der Nachtrag vom 10.11.1987 (vgl. Abl. 64), der Vertrag über Liquidationsrecht vom
15.06.1987 (vgl. Abl. 65 bis 68) und die Versorgungszusage vom 11.06.1987 (vgl. Abl. 69 bis 72) zugrunde. Das durchschnittliche
Bruttomonatsgehalt des Verfügungsklägers beläuft sich auf 7.215,25 EUR brutto.
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Sowohl die Verfügungsbeklagte als auch die ... gehören zum Verbund des Konzerns der ... AG. Wie bereits aus dem Namen folgt, handelt es sich
bei der Verfügungsbeklagten um eine psychosomatische Fachklinik. Demgegenüber handelt es sich bei der ... um eine Rehabilitationsklinik für
Orthopädie und Rheumatologie (vgl. Auszug der Internetseite der ... Abl. 78 bis 81). Die ... beauftragte die Verfügungsbeklagte mit ihrer
Betriebsführung auf der Grundlage des Vertrags vom 19.12.2002 (vgl. Abl. 88 bis 90).
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Mit Schreiben vom 04.09.2003 wies die Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger an, in dem Zeitraum vom 06.10.2003 bis zum 07.11.2003
jeweils von montags 10.00 Uhr bis donnerstags 17.00 Uhr seinen ärztlichen Dienst in der ... zu verrichten (vgl. Abl. 73, 74). Dagegen wandte sich
der Verfügungskläger mit Schreiben vom 09.09.2003 (vgl. Abl. 75 bis 77). Die Verfügungsbeklagte hielt gleichwohl an der obigen
Dienstanweisung unter Androhung arbeitsrechtlicher Maßnahmen mit Schreiben vom 15.09.2003 fest (vgl. Abl. 44). Hintergrund der
Dienstanweisung ist, daß in der ... eine Orthopädin arbeitsunfähig erkrankt ist und eine weitere Orthopädin ausgeschieden ist. Der Arzt-Patienten-
Schlüssel beläuft sich deswegen in dieser Klinik auf 1 : 42, während er in der psychosomatischen Fachklinik R. 1 : 8 beträgt. Deswegen forderte
die ärztliche Direktorin der ... von der Verfügungsbeklagten einen erfahrenen ärztlichen Fachkollegen, möglichst mit psychosomatischen
und/oder internistischem Fachhintergrund für die Patienten im Heilverfahrenstatus, bei denen auch gerade die psychosomatische Komponente
zunehmend in den Vordergrund rückt, für etwa acht Wochen (vgl. deren Schreiben vom 17.09.2003 Abl. 91).
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Der Verfügungskläger wendet sich nunmehr im Wege der einstweiligen Verfügung gegen die obige Dienstanweisung der Verfügungsbeklagten.
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Der Verfügungskläger trägt zur Begründung vor,
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er sei nicht verpflichtet, der streitgegenständlichen Dienstanweisung Folge zu leisten. Diese sei nicht vom Direktionsrecht der
Verfügungsbeklagten gedeckt. So bestehe arbeitsvertraglich schon gar kein Versetzungsvorbehalt. Auch könne sich das Direktionsrecht nicht
über den Betrieb hinaus auf den Konzern ohne sein Einverständnis erstrecken. Unterstützungsvereinbarungen zwischen den dem Konzern
angehörigen Kliniken könnten das nicht zu seinen Lasten abändern. Außerdem könne er in der ... als Fachklinik für Rheumatologie und
Orthopädie im Hinblick auf seine fachärztliche Ausbildung für psychotherapeutische Medizin und innere Krankheiten nicht als Chefarzt tätig
werden. Des weiteren müsse die räumliche Entfernung von mehreren Hundert Kilometern berücksichtigt werden. Das könne ihm nicht zugemutet
werden. Aus diesen Gründen sei die Dienstanweisung vom 04.09.2003 rechtswidrig. Mithin habe er den Verfügungsanspruch.
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Darüber hinaus bestünde der Verfügungsgrund, da die streitgegenständliche Maßnahme den Zeitraum vom 06.10.2003 bis 07.11.2003 betreffe,
vor dem kein Hauptsacheverfahren erstinstanzlich abgeschlossen werde. Wenn er der Dienstanweisung nicht folge, müsse er mit
arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen, wie aus dem Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 15.09.2003 folge. Angesichts dessen sei die
Angelegenheit eilbedürftig.
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Der Verfügungskläger beantragt,
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festzustellen, daß er nicht verpflichtet ist, im Zeitraum vom 06.10.2003 bis einschließlich 07.11.2003 seinen ärztlichen Dienst in der ...
zu versehen.
11 Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
13 Sie macht dazu geltend,
14 Es sei bereits kein Verfügungsanspruch gegeben. Die streitgegenständliche Dienstanweisung sei von ihrem Direktionsrecht gedeckt. Zu
berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang, daß in der ... für nahezu 100 Heilverfahren mit rheumatologischen Schmerzpatienten nur zwei
Psychologen zur Verfügung stünden. Das sei zu wenig. Es bestünde daher ein Bedarf nach einem weiteren Psychologen. Das bestätige das
Schreiben der ärztlichen Direktorin der Teufelsbad Fachklinik Blankenburg GmbH vom 17.09.2003. Folglich werde der Verfügungskläger in der
zuvorgenannten Klinik dringend benötigt. Sie sei wegen des Betriebsführungsvertrags vom 19.12.2002 verpflichtet, der ... Personal zur
Verfügung zu stellen. Der Verfügungskläger werde dort keine geringwertigeren Aufgaben als die eines Chefarztes verrichten. Er werde auch
keine Gehaltseinbußen erleiden. Zudem müsse er seinen Dienst nur von Montag 10.00 Uhr bis Donnerstag 17.00 Uhr verrichten, so daß die An-
und Rückreise trotz der räumlichen Entfernung von mehreren Hundert Kilometern für ihn zumutbar seien. Im übrigen sei der Einsatz nur
vorübergehend. In Anbetracht dieser Umstände könne die einstweilige Verfügung keinen Erfolg haben.
15 Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die
Sitzungsniederschrift vom 19.09.2003 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die einstweilige Verfügung ist erfolgreich, da sie zulässig und begründet ist.
17
I.
18 Abzugrenzen sind die Sicherungs-(§§ 62 Abs. 2 ArbGG, 935 ZPO), Regelungs-(§§ 62 Abs. 2 ArbGG, 940 ZPO) und Leistungsverfügung
voneinander. Im Gegensatz zu den ersteren nimmt die letztere die Hauptsache zumindest teilweise vorweg. So verhält es sich im vorliegenden
Fall. Der Verfügungskläger möchte festgestellt haben, daß er nicht verpflichtet ist, in dem Zeitraum vom 06.10.2003 bis zum 07.11.2003 in der
Teufelsbad Fachklinik Blankenburg GmbH zu arbeiten. Im Falle der Anordnung der einstweiligen Verfügung würden damit vollendete Tatsachen
geschaffen, da wegen des Zeitablaufs die Tätigkeit nicht mehr nachgeholt werden kann. Also handelt es sich hier um eine Leistungsverfügung.
Diese ist gesetzlich nicht geregelt, aber mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt. Es kann mithin dahinstehen, worin sie ihre dogmatische
Grundlage findet.
19
II.
20 Ferner ist der Antrag zulässig.
21 1. Grundsätzlich kann Gegenstand einer einstweiligen Verfügung nur ein Anspruch sein, bezüglich dessen auch eine Zwangsvollstreckung in
Betracht kommen kann. In erster Linie werden hiervon Leistungsansprüche erfaßt, auch soweit sie die Vornahme von Handlungen oder deren
Unterlassung beinhalten. Ausgeschlossen ist der Erlaß einer einstweiligen Verfügung dann, wenn mit ihr ein Feststellungsanspruch verfolgt
wird. Feststellungsurteile können nicht mit der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden, sie bilden nur die Grundlage für andere, der
Zwangsvollstreckung zugängliche Rechtsansprüche. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann hier die Zulässigkeit des Erlasses einer
einstweiligen Verfügung anerkannt werden, wenn auf andere Weise das Gebot der Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19
Abs. 4 GG nicht gewährleistet werden kann (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, 4. Aufl., § 62 ArbGG, Rn. 77 a).
22 2. Hier liegt ein solcher Ausnahmefall vor. Der Verfügungskläger hat nur die Möglichkeit, Feststellung seiner fehlenden Verpflichtung zu
verlangen. Er kann von der Verfügungsbeklagten weder die Vornahme einer Handlung (welcher?), noch deren Unterlassung (was?)
verlangen. Damit könnte er sich nicht gegen die Anweisung mit Schreiben vom 04.09.2003 und 15.09.2003 wehren. Insofern bleibt ihm nur
die Möglichkeit, ein Feststellungsurteil zu beantragen. Wenn er ohne ein solches zu seinen Gunsten der streitgegenständlichen Anweisung
keine Folge leisten würde, so liefe er Gefahr, arbeitsrechtliche Maßnahmen von der Verfügungsbeklagten zu erhalten, wie aus deren
Schreiben vom 15.09.2003 folgt. Hinzu kommt, daß zu erwarten ist, daß die Parteien sich an ein Feststellungsurteil im Wege der einstweiligen
Verfügung trotz dessen fehlender Vollstreckbarkeit halten werden. Ein Hauptsacheverfahren wäre bis zum Beginn der streitgegenständlichen
Maßnahme ab 06.12.2003 nicht erstinstanzlich abgeschlossen. Würde man in einem solchen Fall die Zulässigkeit einer einstweiligen
Verfügung auf Feststellung ablehnen, so hieße das, dem Verfügungskläger den Rechtsschutz zu versagen. In Anbetracht dieser Umstände ist
im vorliegenden Fall die einstweilige Verfügung auf Feststellung ausnahmsweise zulässig.
23
III.
24 Die einstweilige Verfügung ist darüber hinaus begründet. Sowohl der erforderliche Verfügungsanspruch als auch der notwendige
Verfügungsgrund liegen vor.
25 1. Der Verfügungsanspruch ist gegeben. Die Anweisung der Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 04.09.2003 und 15.09.2003 ist nicht von
deren Direktionsrecht gedeckt.
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a) Mit dem Direktionsrecht, das nur in § 106 GewO, § 29 Abs. 1 Satz 2 Seemannsgesetz ausdrücklich gesetzlich normiert ist und im übrigen
seine Grundlage im Wesen des Arbeitsverhältnisses hat, kann der Arbeitgeber Zeit, Ort, Inhalt sowie Art und Weise der zu leistenden
Arbeit einseitig festlegen. Seine Grenzen finde das Direktionsrecht im Arbeitsvertrag, den kollektiven Regelungen und den Gesetzen (vgl.
Erfurter Kommentar, 3. Aufl., § 611 BGB Rn. 274 f.; Dörner/Luczak/Wildschütz, 3. Aufl., A Rn. 640 f.). Außerdem darf das Direktionsrecht
nur in den Grenzen des § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, also nach billigem Ermessen ausgeübt werden; seit dem 01.01.2003 folgt das
unmittelbar aus § 106 GewO. Eine Leistungsbestimmung entspricht dann billigem Ermessen, wenn sie die wesentlichen Umstände des
Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat (vgl. Erfurter Kommentar, a. a. O., § 611 BGB Rn.
278; Dörner/Luczak/Wildschütz, a. a. O., A Rn. 650 f.). Nur in Ausnahme- und Notsituationen ist der Arbeitgeber befugt, diese Grenzen zu
überschreiten (vgl. BAG, 03.12.1980, 5 AZR 477/78). Notfälle sind unvorhergesehene widrige, unverhältnismäßig schadenstiftende
Ereignisse, die außerhalb des Machtbereichs des Betroffenen liegen und von diesem nicht abgewendet und auch nicht vorweg
verhindert und in Rechnung gestellt werden können. Darunter fallen höhere Gewalt, insbesondere Naturereignisse (Erdbeben,
Überschwemmungen u. ä.) und unabwendbare Zufälle (Gebäudeeinsturz, Rohrbruch u. ä.). Ereignisse, die sich als Folge von
Organisationsmängeln oder sonstigen fehlerhaften Entscheidungen des Arbeitgebers in dessen Verantwortungsbereich zeigen, sind
keine Notfälle. So stellt der übliche Ausfall von Arbeitskräften durch Tod oder Krankheit keine Notsituation dar (vgl. Kasseler Handbuch
zum Arbeitsrecht, 2.5 Rn. 730, 731). Der außergewöhnliche Fall unterscheidet sich vom Notfall nur graduell. Außergewöhnliche Fälle
sind besondere Situationen, die weder regelmäßig eintreten, noch vorhersehbar sind und die die Gefahr eines unverhältnismäßigen
Schadens mit sich bringen. Wie Notfälle müssen auch außergewöhnliche Fälle vorübergehender Natur sein. Der außergewöhnliche Fall
setzt ferner voraus, daß er unabhängig vom Willen des Betroffenen eintritt und die Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen sind.
Beispiele sind das Verderben von Rohstoffen oder Lebensmitteln, das Mißlingen von Arbeitsergebnissen sowie die Beseitigung einer
Gefahr für Dritte (vgl. Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht, 2.5 Rn. 732).
b)
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aa) Der Verfügungskläger ist als Chefarzt bei der Verfügungsbeklagten eingestellt, wie aus dem Arbeitsvertrag vom 15.06.1987 folgt. Er
war bis jetzt ausschließlich in der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags geplanten psychosomatischen Fachklinik ...
tätig. Der Arbeitsvertrag enthält keinen örtlichen Versetzungsvorbehalt. Im Hinblick darauf ist die streitgegenständliche Anweisung
nicht vom Direktionsrecht der Verfügungsbeklagten gedeckt. Sie übersteigt die arbeitsvertraglichen Regelungen.
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Ungeachtet dessen erstreckt sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers grundsätzlich nicht auf ein anderes Unternehmen desselben
Konzerns. Der Einsatz eines Arbeitnehmers dort bedarf zuvor dessen Zustimmung – gegebenenfalls vorab im Arbeitsvertrag. Daran
fehlt es hier.
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Des weiteren ist es dem Verfügungskläger im Hinblick auf sein Alter, seine Beschäftigungsdauer und seine familiären Verhältnisse
nicht zumutbar, für etwa einen Monat mehrere Hundert Kilometer entfernt zu arbeiten. Daran ändert auch nichts der Ausfall von zwei
Ärzten in der ... Bei diesen handelt es sich um Orthopäden. Demgegenüber ist der Verfügungskläger Facharzt für
psychotherapeutische Medizin und innere Krankheiten. Folglich kann er die Orthopäden nicht ersetzen. Im übrigen betrifft das nicht
die Verfügungsbeklagte, sondern ein anderes Unternehmen desselben Konzerns. Der Betriebsführungsvertrag zwischen der
Verfügungsbeklagten und diesem Unternehmen ändert daran nichts. Andernfalls würde es sich dabei um einen unzulässigen
Vertrag zu Lasten Dritter (dem Verfügungskläger) handeln. Angesichts dessen ist die streitgegenständliche Anweisung unbillig.
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Es bleibt somit festzuhalten, daß die Verfügungsbeklagte mit ihren Schreiben vom 04.09.2003 und 15.09.2003 ihr Direktionsrecht
überschritten hat.
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bb) Sie war dazu auch nicht wegen eines Notfalls oder außergewöhnlichen Falls befugt. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob es
sich bei der Unterbesetzung der ... um einen solchen Fall handelt oder nicht. Jedenfalls kann der Verfügungskläger als Facharzt für
psychotherapeutische Medizin und innere Krankheiten nicht zwei Orthopäden ersetzen. Die streitgegenständliche
Dienstanweisung ist daher ungeeignet, den vermeintlichen Notfall oder außergewöhnlichen Fall zu beheben. Im übrigen bestehen
Zweifel daran, daß es sich überhaupt um einen Notfall oder außergewöhnlichen Fall handelt und nicht um eine schon vorher
bestehende Unterbesetzung, die sich durch die Krankheit und das Ausscheiden von insgesamt zwei Ärzten verschärft hat. Dazu
fehlen jedoch weitere Angaben, wie zu den Zeitpunkten des Ausscheidens und der Arbeitsunfähigkeit sowie zu den Vorbeugungs-
und Überbrückungsmaßnahmen der ... oder des Konzerns.
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Aus diesen Gründen ist die obige Anweisung der Verfügungsbeklagten rechtswidrig. Der Verfügungskläger ist daher nicht
verpflichtet, dieser Folge zu leisten. Deshalb besteht der Verfügungsanspruch.
33 2. Darüber hinaus besteht der erforderliche Verfügungsgrund.
34
a) Ein Verfügungsgrund besteht nur, wenn das Begehren des Verfügungsklägers dringlich ist. Damit keine vollendete Tatsachen ohne Not
geschaffen werden, sind daran hohe Anforderungen zu stellen. Voraussetzung ist deshalb, daß bei Zurückweisung der einstweiligen
Verfügung dem Verfügungskläger gravierende irreparable Nachteile entstehen, im Vergleich dazu müssen die Nachteile, welche die
Verfügungsbeklagte im Falle der Anordnung einer einstweiligen Verfügung erleidet, gering wiegen. Letztlich sind alle Umstände des
Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. dazu Zöller, 23. Aufl., § 940 ZPO Rn. 6).
35
b) Hier wäre ein Hauptsacheverfahren nicht vor Beginn der streitgegenständlichen Anordnung am 06.10.2003 abgeschlossen. Für den Fall,
daß der Verfügungskläger sich dieser widersetzt, drohen ihm arbeitsrechtliche Konsequenzen, wie aus dem Schreiben der
Verfügungsbeklagten vom 15.09.2003 folgt. Im Hinblick darauf ist der vorliegende Fall eilig. Hinzu kommt, daß die räumliche Entfernung
dem Verfügungskläger im Hinblick auf sein Alter und seine familiären Verhältnisse nicht zuzumuten ist. Er würde daher bei Durchführung
der streitgegenständlichen Maßnahme schwer belastet. Für die Verfügungsbeklagte hat es gar keinen Nachteil, wenn der
Verfügungskläger nicht verpflichtet ist, der streitgegenständlichen Anweisung Folge zu leisten. Nachteile hat das allenfalls für die
demselben Konzern angehörige .... Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Verfügungskläger als Facharzt für psychotherapeutische
Medizin und innere Krankheiten nicht den Ausfall zweier Orthopäden kompensieren kann. Insofern wiegen die Nachteile auf der Seite
des Konzerns gering.
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In Anbetracht dessen ist nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Verfügungsgrund gegeben.
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VI.
38 1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
39 2. Der Streitwertfestsetzung liegen §§ 62 Abs. 2, 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO zugrunde.
40 Im Hinblick auf Umfang und Bedeutung des vorliegenden Verfahrens für die Parteien, insbesondere für den Verfügungskläger – wie im
Kammerterminsprotokoll vom 19.09.2003 festgehalten – war der Streitwert i. H. v. 10.000,– EUR zu veranschlagen (vgl. Schräder, Streitwert-
Lexikon Arbeitsrecht, Seite 36; Meier, Streitwerte im Arbeitsrecht Seiten 41, 42).